Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.02.2014, Az.: L 7 SF 4/13 B (AL)

Rechtsweg für eine Feststellungsklage zwecks Klärung der Delikteigenschaft einer Insolvenzforderung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.02.2014
Aktenzeichen
L 7 SF 4/13 B (AL)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 13140
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0220.L7SF4.13B.AL.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 04.10.2013 - AZ: S 9 AL 527/09

Fundstelle

  • NZI 2015, 310

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Delikteigenschaft einer Insolvenzforderung der Klägerin zwecks Herausnahme aus der Restschuldbefreiung gemäß §§ 304 Abs. 1 Satz 1, 302 Nr. 2 Insolvenzordnung (InsO) streitig. Das Sozialgericht (SG) hat vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges nach § 17a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) entschieden.

Der Beklagte stand vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Juli 2004 durchgehend im Bezug von Arbeitslosenhilfe (Alhi) bei der Klägerin. Gleichzeitig war er als Interviewer tätig und erzielte daraus Jahreseinkünfte bis 70.000,00 DM. Da der Beklagte die Klägerin die ganze Zeit über die selbstständige Tätigkeit und die daraus erzielten Einkünfte und vor allem über die entfallende Bedürftigkeit getäuscht hatte, wurde er durch Urteil des Amtsgerichts (AG) Hannover vom 12. Dezember 2007 wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt (Az.: 245 Ds 233 Js 23049/07). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Juni 2006 nahm die Klägerin die Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Juli 2004 zurück und verlangte vom Beklagten die Erstattung der in diesem Zeitraum erhaltenen Leistungen in Höhe von 46.263,74 EUR. Beitreibungsversuche blieben erfolglos.

Nachdem das AG B. im Jahre 2009 über das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet hatte (Az.: 903 IN 583/09), meldete die Klägerin die Forderung gegen den Beklagten in Höhe von 46.263,74 EUR zur Insolvenzgeldtabelle mit dem Antrag an, diese Forderung gemäß § 302 Satz 1 Nr. 1 InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung auszunehmen. Ausweislich des Auszugs der Insolvenztabelle vom 17. September 2009 bestritt der Beklagte, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung entstanden sei. Daraufhin erhob die Klägerin am 24. November 2009 beim SG Hannover gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 InsO Klage gegen den Beklagten mit dem Antrag, festzustellen, dass die zur Insolvenzgeldtabelle eingetragene festgestellte Forderung in Höhe von 46.263,74 EUR auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten beruhe. Der Rechtsweg zum Sozialgericht sei anhand der Ausführungen im Urteil des Senates vom 19. Februar 2008 - L 7 AL 283/05 - gegeben.

Das SG Hannover hat mit Beschluss vom 4. November 2013 den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht (LG) B. verwiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, dass sich der Rechtsweg grundsätzlich nach der Natur des Rechtsverhältnisses richte, aus dem der Klageanspruch hergeleitet werde. Die Abgrenzung sei von der Sache her zu treffen. Von einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis sei dann auszugehen, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt aufgrund eines ihm eingeräumten oder auferlegten Sonderrechts handele. Die isolierte Feststellung über einen Schadenersatzanspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beurteile sich jedoch nach den Vorschriften des Zivilrechts. Aus diesem Grunde habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass derartige Rechtsstreite vor den Zivilgerichten zu führen seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 31. Oktober 2013 eingegangene Beschwerde der Klägerin. Sie ist unter Bezugnahme auf ein Urteil des SG Braunschweig vom 31. Juli 2013 - S 59 AL 119/11 - sowie auf Stellungnahmen in der Kommentarliteratur, dass neben dem Schadenersatzanspruch aus § 321 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) eine deliktischer Schutz nach § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht möglich sei, weiterhin der Auffassung, dass die Zuständigkeit des Sozialgerichts gegeben sei.

Der Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde ist nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft und auch im Übrigen (§ 173 SGG) zulässig. Sie ist aber unbegründet. Das SG hat zu Recht den Rechtsstreit an das Landgericht B. zuständigkeitshalber verwiesen. Die streitige Feststellung nach § 302 Nr. 1 InsO stellt sich nicht als Angelegenheit der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben des Bundesagentur für Arbeit (§ 51 Abs. 1 Nr. 4 SGG) dar, die eine Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit begründen würde.

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welche Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 04.06.1974 - GmS-OGB 2/73 - sowie vom 10.04.1986 - GmS-OGB 1/85 - sowie BSG, 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R, juris Rdnr. 8). Die von der Sache her vorzunehmende Abgrenzung des Rechtswegs weist das Streitverhältnis derjenigen Verfahrensordnung zu, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und ermöglicht zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind. Aus diesem Grunde ist die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte für Schadenersatzklagen der Bundesagentur für Arbeit gegen Leistungsempfänger aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung bzw. der unerlaubten Handlung bejaht worden (BGH 23.02.1988 - VI ZR 212/87 -, NJW 1988, 1731; BSG 30.01.1990 - 11 RAr 87/88 -, SozR 3-4100 § 155 Nr. 1). Lediglich zur Klarstellung dieser Rechtsfrage hat der Senat mit dem von der Klägerin zitierten Urteil vom 19. Februar 2008 - L 7 AL 283/05 - den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für eine Feststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter nach § 179 InsO über eine von ihm beschrittene Insolvenzforderung über die Höhe einer Winterbauumlage ausdrücklich als zulässig bestätigt, obwohl eine entsprechende Bindung gemäß § 17a Abs. 5 GVG vorlag.

Etwas anderes muss jedoch für das Klagefeststellungsverfahren nach §§ 184 Abs. 1 Satz 1, 302 Nr. 1 InsO gelten. Durch diese Regelung erhält der Gläubiger die Möglichkeit, eine Forderung von der Erteilung der Restschuldbefreiung herauszunehmen, wenn die Verbindlichkeit des Schuldners (auch) aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung entstand, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes zur Insolvenzgeldtabelle angemeldet hat. Hat jedoch der Schuldner im Prüfungstermin die Delikteigenschaft der Forderung bestritten, obliegt es dem Gläubiger, ein Klageverfahren auf Feststellung dieser Forderungseigenschaft gegen den Schuldner zu führen. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der nach § 184 InsO isoliert auszutragende Streit um die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung als eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung vor den Zivilgerichten zu führen, weil es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt (BGH 02.10.2010 - IX ZB 271/09 - juris Rdnr. 5). Danach beurteile sich ein Schadenersatzanspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, der allein noch Gegenstand der Feststellungsklage sei auch dann nach der Norm des Zivilrechts, wenn der geltend gemachte Schutzgesetzverstoß nach § 823 Abs. 2 BGB den Normen des öffentlichen Rechts zuzuordnen sei, weil Vorfragen grundsätzlich den Rechtsweg nicht beeinflussen und diese von den zuständigen Gerichten selbstständig zu beantworten seien, soweit über sie nicht bereits rechtskräftig entschieden worden wäre. Dieser Rechtsprechung sind die Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgericht Baden-Württemberg 20.08.2012 - 2 S 788/12 - und Bundesverwaltungsgericht 12.04.2013 - 9 B 37/12 -) sowie die instanzgerichtliche Rechtsprechung der Zivilgerichte, selbst wenn sozialrechtliche Forderungen im Streit standen (LG Itzehoe 16.02.2012 - 1 T 142/11 -, LG Dortmund 08.05.2012 - 1 S 271/10 -, AG Göttingen 12.03.2013 - 21 C 121/12 -), gefolgt. Der Senat schließt sich ebenso dieser Rechtsprechung an und sieht für den isolierten auszutragenden Feststellungsstreit um die Delikteigenschaft einer Insolvenzforderung nach § 302 Nr. 1 InsO den Rechtsweg zu den Zivilgerichten als gegeben an.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass die Gesichtspunkte der Sachnähe sowie die Rechtsnatur der streitigen Erstattungsforderung aus dem Bereich des Arbeitsförderungsrechts eine Zuständigkeit des Sozialgerichts nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen. Dafür könnte z.B. sprechen, dass das Sozialrecht ein austariertes System zur Rückabwicklung von fehlgeschlagenen Leistungen sowohl gegenüber den Leistungsempfängern selbst (§§ 45 ff SGB X) als auch gegenüber Dritten außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses (§ 321 SGB III) zur Verfügung stellt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg 26.10.2011 - L 1 AR 5/11 B -). Das gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem das SG zu überprüfen hätte, ob der Beklagte - wofür vieles spricht - die Leistungsgewährung durch arglistige Täuschung erschlichen hat (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X), so dass die in § 302 Nr. 1 InsO normierten Überprüfungsmaßstäbe keine Überforderung des SG durch ein fremdes Rechtsgebiet darstellen dürften. Allerdings sind für den Gesetzgeber Prinzipien wie Sachnähe und fachgerichtliche Kompetenz nicht unbedingt das ausschlaggebende Kriterium für eine Rechtswegzuordnung, wie die Zuständigkeiten für das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) zeigt. Entscheidend für die vom Senat befürwortete Lösung ist aber neben den berechtigten Erwartungen der Rechtssuchenden an die Einheitlichkeit der Rechtsordnung der Umstand, dass es bei der Prüfung der Delikteigenschaft einer Insolvenzforderung nicht darum geht, ob die Leistungsaufhebungs- und Erstattungsbescheide eines Sozialversicherungsträgers rechtmäßig sind. Vielmehr ist die Prüfung allein darauf zu beschränken, ob die Verbindlichkeit des Schuldners auch aus seiner vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt. Dieser eingeschränkte Prüfungsumfang unter alleiniger Berücksichtigung einer bürgerrechtlichen Norm rechtfertigt es, den Rechtsweg zu den Zivilgerichten anzunehmen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.

Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG).