Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.02.2014, Az.: L 7 AS 210/13 NZB
Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Kostenübernahme für eine höhere Säuglingserstausstattung; Gerichtliche Überprüfbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.02.2014
- Aktenzeichen
- L 7 AS 210/13 NZB
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 13138
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0210.L7AS210.13NZB.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 21.01.2013 - AZ: S 43 AS 1974/10
Rechtsgrundlage
- § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 21. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtlich Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die am 1. Oktober 2010 geborene Klägerin begehrt eine höhere Säuglingserstausstattung, die bereits vor ihrer Geburt von ihren Eltern, die seit Jahren im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehen, beantragt wurde. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 10. Juni 2010 einen Pauschalbetrag von 130,00 EUR. Dagegen legten die Eltern der Klägerin Widerspruch ein, weil die Höhe der bewilligten Pauschale nicht nachvollziehbar sei. Im abschlägigen Widerspruchsbescheid vom 9. September 2010 führte der Beklagte im Einzelnen aus, wie die Pauschale für die Säuglingserstausstattung ermittelt wurde und insbesondere welche Bedarfslagen jeweils zu welchem Wert eingeflossen sind.
Mit der am 29. September 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin neben der Aufhebung der ablehnenden Bescheide die Verurteilung des Beklagten begehrt, ihr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen ohne Verpflichtung zur Einreichung entsprechender Rechnungen zu gewähren. Sie ist der Auffassung, der Beklagte müsse darlegen, wie sich die Pauschale zusammensetze. Es bestehe ein Anspruch auf Gewährung einer ermessensfehlerfrei ermittelten Pauschale. Dagegen sei sie nicht zur Vorlage von Belegen verpflichtet. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin beantragt, ihr eine um 20,00 EUR höhere Säuglingserstausstattung zu bewilligen. Der Beklagte hat erwidert, soweit die Klägerin nicht mit der festgesetzten Pauschale einverstanden sei, müsse sie einen darüber hinausgehenden Bedarf nachweisen, was vorliegend nicht geschehen sei.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat mit Urteil vom 21. Januar 2013 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat sich das SG zunächst die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2010 zu eigen gemacht. Ergänzend hat das SG ausgeführt, dass nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein ungedeckter Bedarf geltend gemacht werden müsse, weil Leistungen nur für solche Bedarfsgegenstände erbracht werden dürfen, die der Hilfebedürftige konkret benötige. Ohne konkreten Vortrag und Nachweise zur Höhe des unbefriedigten Bedarfs könne die Klägerin mit ihren Einwänden zur Höhe der bewilligten Pauschale nicht durchdringen. Anderenfalls wäre es dem Leistungsempfänger möglich, ohne eigene Beschwer eine abstrakte und vom konkreten Bedarf des Einzelfalles losgelöste Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Verwaltungspraxis des Beklagten zu erwirken.
Gegen das am 7. Februar 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Februar 2013 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie macht (im Konjunktiv) den Zulassungsgrund der Divergenz geltend, weil das SG von der Entscheidung des BSG vom 27. September 2011 - B 4 AS 2002/10 R - abgewichen sei. Während das BSG von einer richterlichen Plausibilitätskontrolle über die festgesetzte Pauschale ausgehe, belaste das SG die Klägerin dafür, dass die Pauschale nicht bedarfsdeckend sei. Da regelmäßig aber bei Vorlage entsprechender Belege der Beklagte dann in dieser Höhe ein Anerkenntnis abgebe, würde die vom SG geforderte Vorlage von Belegen die Möglichkeit der richterlichen Überprüfung der Pauschale vereiteln. Die Klägerin macht ferner (ebenfalls im Konjunktiv) die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Denn streitig verbleibe auch weiterhin die Frage, ob die Klägerin im Falle der Bewilligung der Leistungen als Pauschale zur Einreichung von Belegen verpflichtet werden könne.
II.
Die gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Berufungszulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG sind weder dargelegt worden noch ersichtlich.
1). Der Berufungszulassungsgrund der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) liegt nicht vor.
a) - Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG), des BSG, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Erforderlich ist insoweit nach ständiger Rechtsprechung des Senats in Anlehnung an die BSG-Rechtsprechung zur Revisionszulassung (Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar, 10. Auflage, § 160 Rdz. 13 ff.), dass das SG einen tragenden abstrakten Rechtssatz abweichend von einem Rechtssatz der Obersten Gerichte aufgestellt hat. Es muss sich dabei jeweils um eine tragende Begründung der Entscheidung handeln, also eine rechtliche Aussage im Obersatz der Rechtsanwendung und nicht nur eine ergänzende Bemerkung zur Rechtslage.
b) - Es bestehen bereits Zweifel, ob der Klägerin der Versuch gelungen ist, aus der Entscheidung des SG überhaupt einen abweichenden Rechtssatz zu formulieren. Denn das SG hat vorliegend ausdrücklich auf das Urteil des BSG Bezug genommen und die dort geforderte richterliche Plausibilitätskontrolle der Pauschale anhand von nachvollziehbaren Erfahrungswerten (BSG, 20. August 2009 - B 14 AS 45/08 R -, SozR 4-4200 § 23 Nr. 5, Rdz. 20; BSG, 27. September 2011 - B 4 AS 202/10 R -, SozR 4-4200 § 23 Nr. 13, Rdn. 25) vorgenommen. Durch die Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2010 hat das SG nämlich die Methodik und die jeweils ermittelten Werte der Pauschale für Säuglingserstausstattung nach § 23 Abs. 3 Satz 5 und 6 SGB II a.F. gebilligt. Diese Pauschale setzt sich für den Wohnort der Klägerin im Jahre 2010 zusammen aus 10 Bodys, 7 Strampler, 5 Schlafanzügen, 2 Mützchen, 2 Jacken, 5 Fläschchen und Sauger, 40 Windeln und 1 Pflegeset im Wert von insgesamt 126,78 EUR, aufgerundet auf 130 EUR, ermittelt beim ortansässigen Einzelhandel sowie bei Versandhäusern im Internet. Es ist nicht nachvollziehbar, worin eine Divergenz zur BSG-Rechtsprechung bestehen soll.
c) - Das SG ist ferner nicht von der Rechtsprechung des hiesigen LSG abgewichen. Der Senat hat mit Urteilen vom 19. September 2013 - L 7 AS 872/11 und L 7 AS 836/11 - entschieden, dass es den Gerichten verwehrt ist, abstrakt und losgelöst von den geltend gemachten Aufwendungen im Einzelfall eine gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2011 gültigen Fassung eine höhere Pauschale für die Säuglingserstausstattung festzulegen. Insofern ist - wie bei jeder im Prozess behaupteten Bedarfsunterdeckung - eine konkrete Darlegung des Leistungsberechtigten erforderlich, welche Gegenstände mit der erhaltenen Pauschale angeschafft wurden und welcher darüber hinausgehende tatsächliche Bedarf besteht, der nicht mit der Pauschale befriedigt werden konnte (so auch: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. März 2013 - L 5 AS 63/12 -).
2). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Ermittlung der Erstausstattung bei Geburt (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II a. F.) in Form einer Pauschale und die prozessrechtliche Situation des Leistungsempfängers bei einer darüber hinausgehenden Bedarfslage werfen keine bisher ungeklärte Rechtsfrage auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
a) - Soweit die Klägerin meint, sie hätte Anspruch auf eine ermessensfrei ermittelte Pauschale, verkennt sie allerdings die Struktur der gesetzlichen Regelung. Einen Ermessensspielraum hat der Grundsicherungsträger nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II a. F. nur dahingehend, ob grundsätzlich die Leistung auf Erstausstattung bei Geburt als Sachleistung oder als Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht wird. Über dieses Auswahlermessen hinaus hat der Beklagte aber kein Ermessen in Bezug auf die Leistungshöhe; vielmehr ist der dem Grundsicherungsträger zustehende Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung der Höhe der Pauschale in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (BSG, 13. April 2011 - B 14 AS 53/10 R -, SozR 4-4200 § 23 Nr. 12, Rdn. 28). Vorliegend hat das SG von der Inhaltskontrolle auch Gebrauch gemacht. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, an Stelle der Behörde als Exekutive eine neue Pauschale zu ermitteln und für alle zukünftigen Fälle unabhängig von der konkreten Lage festzusetzen.
b) - Die pauschalierte Leistungsart hat für beide Seiten des Sozialrechtsverhältnisses einen unbestreitbaren Reiz. Der Grundsicherungsträger braucht nicht den Bedarf individuell in allen Einzelheiten zu prüfen und kann verwaltungsökonomisch in den meisten Fällen diese Leistungsangelegenheit durch die Gewährung einer Pauschale, die den Anforderungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II a. F. entspricht, abschließen. Für die Leistungsempfänger bedeutet die Pauschale im wirtschaftlichen Ergebnis eine punktuelle Erhöhung der Regelleistung, die sie nach eigenen Dispositionen ohne Nachweisobliegenheiten ggf. sogar bedarfsfremd (z. B. wenn die Erstausstattung aus einer früheren Geburt noch vorhanden ist oder sonst günstiger beschafft werden kann) verwenden können. Die Pauschalierung einmaliger Leistungen ändert jedoch nichts am Bedarfsdeckungsprinzip. Insbesondere führt die Gewährung von Pauschalbeträgen nicht zu einer Verkürzung des Leistungsanspruchs gegenüber der Gewährung durch individuell bestimmte Geldleistungen oder Sachleistungen (ausführlich: Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II-Kommentar, Stand: Oktober 2011, § 24 Rdz. 399).
c) - Gelingt es dem Leistungsempfänger mit der erhaltenen Pauschale nicht, den Bedarf auf Erstausstattung bei Geburt in vollem Umfang zu befriedigen, steht es ihm frei, den insoweit ungedeckten Bedarf mit einer Leistungsklage geltend zu machen. Dadurch, dass die Behörde eine pauschalierte Leistung ohne jeglichen Nachweis gewährt hat, wird der Leistungsempfänger jedoch nicht davon entbunden, für den darüber hinausgehenden Bedarf darlegungs- und beweispflichtig zu sein. Die Klägerin konnte in diesem Zusammenhang kein einziges Argument anführen, warum diese prozessualen Grundsätze im Falle der Erstausstattung bei Geburt nach einer gewährten Pauschale nicht gelten sollen.
3). Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist abzulehnen, weil keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestehen (§ 73a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.