Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 25.08.1995, Az.: 1 UF 37/95

Voraussetzungen des Anspruchs auf Trennungsunterhalt; Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger; Gesetzesvorbehalt für die Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen; Zuordnung von Unterhaltsansprüchen zum Träger der Sozialhilfe als Inhaber dieser Ansprüche

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
25.08.1995
Aktenzeichen
1 UF 37/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17549
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1995:0825.1UF37.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 25.01.1995 - AZ: 246 F 1192/94

Fundstelle

  • FamRZ 1996, 38-39 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Trennungsunterhalt

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

Frau ...

In der Familiensache
hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Juli 1995
unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts -Familiengerichts - Braunschweig vom 25. Januar 1995 abgeändert und die Klage auf Unterhaltszahlung für die Zeit vom 01. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995 abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges haben der Beklagte zu 85 % und die Klägerin zu 15 % zu tragen.

Die Kosten der Berufung haben der Beklagte zu 62 % und die Klägerin zu 38 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil und diesem Berufungsurteil abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 9.000,00 sowie wegen der ab September 1995 fällig werdenden Unterhaltsbeträge in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 %, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 1.100,00, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Der Berufungsstreitwert wird festgesetzt auf DM 11.153,70 (15 × DM 743,58) bis zur teilweisen Berufungsrücknahme am 28. Juli 1995 und auf DM 2.974,32 (4 × DM 743,58) für die Zeit danach.

Tatbestand

1

Nach der teilweisen Berufungsrücknahme streiten die Parteien, getrenntlebende Eheleute, nur noch um einen Unterhaltsanspruch der Klägerin aufgrund einer Vereinbarung der Parteien vom 16. August 1994 in Höhe von monatlich DM 743,58 für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995.

2

In dieser Zeit hat die Stadt Braunschweig der Klägerin monatlich im voraus einen jeweils höheren Betrag Sozialhilfe gezahlt und mit Schreiben vom 24. Januar 1995 der Klägerin erklärt, daß die gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übergegangenen Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten auf die Klägerin mit der Maßgabe zurückübertragen würden, daß sie ihre Ansprüche unverzüglich gerichtlich durchsetze und zu diesem Zweck einen Rechtsanwalt beauftrage.

3

Die Klage ist rechtshängig seit dem 6. Januar 1995.

4

Das Amtsgericht - Familiengericht - Braunschweig hat der Klage, die im ersten Rechtszuge die Zeit ab 1. September 1994 umfaßt hat, in vollem Umfange stattgegeben.

5

Der Beklagte hat form- und fristgerecht Berufung eingelegt und die Berufungsbegründung eingereicht. In der Berufungsverhandlung vom 28. Juli 1995 hat er die Berufung außer für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995 zurückgenommen.

6

Im Hinblick auf die der Klägerin gewährten Sozialhilfeleistungen hält er sie für nicht aktivlegitimiert, für den Zeitraum, der noch streitig ist, Trennungsunterhalt von ihm zu verlangen.

7

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage, soweit sie die Zeit vom 01.10.1994 bis zum 31.01.1995 betrifft, abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die vorgetragenen Schriftsätze der Parteien nebst allen Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die Berufung ist, soweit sie aufrechterhalten worden ist, zulässig und begründet.

11

Die Klägerin ist nicht berechtigt, die noch streitbefangenen Trennungsunterhaltsansprüche selbst einzuklagen; da diese Ansprüche aufgrund der gewährten Sozialhilfeleistungen gemäß § 91 Abs. 1 BSHG auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sind. Dem steht nicht entgegen, daß die für den Sozialhilfeträger handelnde Stadt Braunschweig mit Schreiben vom 24.01.1995 die Unterhaltsansprüche auf die Klägerin hat zurückübertragen wollen. Der Senat hält die Rückübertragungserklärung für nichtig. Die vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 16. März 1994 (NJW 1994, 1733 f.) für eine vergleichbare Fallgestaltung zu § 90 f. BSHG a.F. angestellten Erwägungen sind auf die im Jahre 1993 erfolgte Neufassung dieser Bestimmung übertragbar. Danach ist jegliche Vereinbarung mit einem Hilfeempfänger mit dem Inhalt, daß er auf eigenes Prozeßrisiko aber auf Rechnung des Trägers der Sozialhilfe die Unterhaltsansprüche einklagen darf und soll, wegen Verstoßes gegen § 31 f. SGB I unzulässig. § 31 SGB I bestimmt einen Gesetzesvorbehalt für die Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen. § 91 Abs. 1 S. 1 BSHG betrifft Rechte in einem Sozialleistungsbereich. Die in dieser Vorschrift enthaltene Zuordnung von Unterhaltsansprüchen zum Träger der Sozialhilfe als Inhaber dieser Ansprüche kann ohne gesetzliche Grundlage nicht geändert werden. Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, daß der Gesetzgeber im Bereich der öffentlichen Versorgungsansprüche Regelungen getroffen hat, die nicht nur besagen, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf bestimmte Versorgungsleistungen besteht, sondern auch, ob und unter welchen Bedingungen ein Rückgriff gegen Dritte erfolgen kann, die gleichgerichtete Leistungen nach bürgerlichem Recht zu erbringen haben. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen, zu denen die §§ 90 f. BSHG gehören, sind Teil einer Gesamtregelung, die Rechte und Pflichten in Sozialleistungsbereichen betrifft. Hierfür spricht u.a., daß die gesetzlichen Regelungen über einen Forderungsübergang nicht nur dem Schutz des Trägers der Versorgungsleistung, sondern auch dem Schutz des Hilfeempfängers dienen. Deshalb sind die zur Ausführung dieser Bestimmungen berufenen Verwaltungsbehörden nicht berechtigt, anderweitige Erstattungsmöglichkeiten, sei es nach allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, sei es im Wege einer bürgerlich-rechtlichen Abtretung zu suchen (vgl. BGH NJW 1988, 819 f.; BVerwG VwRspr. 28, 540 f.).

12

Die beabsichtigte "Rückabtretung" ist aber auch gemäß § 32 SGB I nichtig. Denn sie stellt eine privatrechtliche Vereinbarung dar, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von den Vorschriften des SGB abweicht. Diese nachteilige Abweichung liegt schon darin, daß mit der Abtretungsvereinbarung die Verpflichtung zur Prozeßführung und damit die Aufbürdung des unmittelbaren Prozeßkostenrisikos verbunden ist. Ferner muß die beabsichtigte Abtretung, da die Klägerin ja statt des Unterhalts Sozialhilfe erhalten hat, dahin verstanden werden, daß die Klägerin verpflichtet werden sollte, den Rechtsstreit auf Rechnung des Sozialhilfeträgers zu fuhren. Auch insoweit sollten der Klägerin Pflichten auferlegt werden, so daß Nachteile i.S.d. § 32 SGB I entstanden wären. Daß die "Rückabtretung" der Klägerin möglicherweise auch Vorteile hätte bringen können, ändert hieran nichts (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Seewald, Bd. I § 32 SGB I Rdnr. 4, 6 m.w.N.). Auftrag zur Prozeßführung und "Rückabtretung" stellen ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S.d. § 139 BGB dar, so daß Nichtigkeit des Auftrags Nichtigkeit auch der Abtretung nach sich zieht.

13

Eine Umdeutung der Abtretung in eine bloße Ermächtigung zur Prozeßführung im eigenen Namen scheidet schon deshalb aus, weil es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse der Klägerin fehlt. Ein solches ist nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung Voraussetzung für die gewillkürte Prozeßstandschaft (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl. 1995, vor § 50 Rdnr. 44 m.w.N.). Im übrigen dürften die Nichtigkeitsgründe der §§ 31 und 32 SGB I auch für eine solche Ermächtigung gelten.

14

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil diese Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dem § 91 BSHG entgegenlaufende Abtretungen sind vielerorts die gängige Praxis (vgl. Brüggemann, Kann die öffentliche Hand einen aufgrund Leistungsgewährung für ein minderjähriges Kind übergegangenen Unterhaltsanspruch auf das Kind zur Geltendmachung zurückübertragen? DAVorm 1995, S. 138 f.). Die Wirksamkeit haben in letzter Zeit bejaht OLG Stuttgart, FamRZ 1994, S. 384, OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, S. 970 [OLG Düsseldorf 04.01.1994 - 5 WF 215/93], OLG Hamm, FamRZ 1995, S. 626 [OLG Hamm 18.10.1994 - 13 UF 391/94], OLG Frankfurt/Main, FamRZ 1995, S. 622, verneint jedoch OLG Hamburg, DAVorm 1994, S. 631 und OLG München, FamRZ 1995, S. 625 [OLG München 25.11.1994 - 12 WF 1037/94].

15

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 515 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Sicherheitsleistungen beruht auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Berufungsstreitwert wird festgesetzt auf DM 11.153,70 (15 × DM 743,58) bis zur teilweisen Berufungsrücknahme am 28. Juli 1995 und auf DM 2.974,32 (4 × DM 743,58) für die Zeit danach.