Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.10.2010, Az.: 2 A 212/09

Kindertagesstätte; Personalkostenzuschuss; Verfügungsstunden

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.10.2010
Aktenzeichen
2 A 212/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41039
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2010:1013.2A212.09.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1..

    Die Gewährung eines Zuschusses zu Kosten des Personals einer Kindertagesstätte setzt nach § 16 Abs. 2 KiTaG voraus, dass den Mitarbeitern Verfügungsstunden nach § 5 Abs. 2 KiTaG gewährt werden.

  2. 2..

    Die gesetzliche Mindeststundenzahl an Verfügungsstunden von 7,5 in der Woche ist den jeweiligen Mitarbeitern der Gruppe zu gewähren. Eine gruppenübergreifende Betrachtung darf nicht stattfinden.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe eines dem Kläger für das Kindergartenjahr 2008/2009 zustehenden Personalkostenzuschusses nach dem Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder in Niedersachsen.

2

Der Kläger ist ein freier Träger von Kindertagesstätten im Gebiet der Stadt und des Landkreises H.. Unter anderem betreibt er die Einrichtung Naturkindergarten I. in J.; dieser Kindergarten besteht seit dem 1. August 2002 und wird von der Erzieherin K. L. und der Sozialpädagogin M. N. geleitet. Neben diesen Personen beschäftigt der Kläger in der Einrichtung noch die Kinderpflegerinnen O. P. und Q. R.. Ferner sind dort zwischen ein und zwei Zivildienstleistende bzw. Absolventen des freiwilligen sozialen Jahres tätig. Keine der Beschäftigten ist halbtags tätig. Die Einrichtung besteht aus zwei Gruppen, die jeweils über alle Jahre hinweg von Frau L. und Frau N. geleitet werden. Frau P. und Frau R. sind jeweils als sog. Zweite Kraft beschäftigt. Die von den Mitarbeitern in der Einrichtung geleistete Wochenarbeitszeit ist kontinuierlich gestiegen; betrug sie im Kindergartenjahr 2005/2006 noch 130 Stunden, stieg sie im streitbefangenen Kindergartenjahr 2008/2009 auf 143 Stunden an. Den Arbeitskräften wurden vom Kläger in unterschiedlichem Umfang Verfügungsstunden zugewiesen. Bezogen auf die gesamte Einrichtung betrug der Umfang vom Kindergartenjahr 2005/2006 bis zum Streitjahr 2008/2009 15 / 17,75 / 19 und 15 Stunden wöchentlich; bis zum Streitjahr und auch danach erhielten die Mitarbeiterinnen getrennt nach der jeweiligen Gruppe, in der sie tätig waren diese Verfügungsstunden zugewiesen; deren Umfang betrug je Gruppe mindestens 7,5 Stunden.

3

Im Streitjahr 2008/2009 setzten sich die Verfügungsstunden indes "gruppenübergreifend" zusammen. Für die Stammbesetzung der Gruppe 1 waren Frau L. 0,5 und Frau P. 5,25 Verfügungsstunden zugewiesen; zusätzlich sah der Kläger vor, dass Frau N., deren sozialpädagogische Tätigkeit sich auf die Gruppe 2 erstreckte, in der Gruppe 1 mit 1,75 Verfügungsstunden tätig ist. Insgesamt wurden so für die Gruppe 1 7,5 Verfügungsstunden erreicht. In Gruppe 2 erhielt Frau N. 4,25 und Frau R. 3,25 Verfügungsstunden, so dass auch hier eine Verfügungsstundenzahl von 7,5 erreicht wurde.

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Am 11. Dezember 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten für den Kindergarten I. und das Kindergartenjahr 1. August 2008 bis 31. Juli 2009 einen Personalkostenzuschuss in Höhe von insgesamt 27.270,60 Euro. Mit Bescheid vom 6. November 2009 bewilligte die Beklagte eine Förderung lediglich in Höhe von 14.203,20 Euro. Dabei reduzierte sie die zu berücksichtigende Stundenzahl um sämtliche auf die Gruppe 1 entfallenden Stunden mit Ausnahme der 5 Stunden Leitungsfreistellung für Frau L.. Zur Begründung führte die Beklagte an, die von Frau N. in der Gruppe 1 geleisteten 1,75 Verfügungsstunden könnten nicht anerkannt werden, da sie in dieser Gruppe nur mit Verfügungsstunden eingesetzt werde. Daraus folge, dass die Gruppe 1 insgesamt nicht förderungsfähig sei, da die gesetzliche Mindeststundenzahl für Verfügungsstunden nicht erreicht werde.

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Hiergegen hat der Kläger am 2. Dezember 2009 Klage erhoben.

6

Zu deren Begründung trägt er vor, die gesetzlichen Fördervoraussetzungen lägen antragsgemäß vor. Er erreiche die gesetzlich vorgesehene Mindeststundenzahl für Verfügungsstunden auch in der Gruppe 1 durch den Einsatz von Frau N.. Diese könne sehr wohl dieser Gruppe zugerechnet werden, denn er verfolge in dem von ihm getragenen Kindergarten I. ein offenes Konzept. Jedes Kind könne sich die Angebote auch der jeweils anderen Gruppe aussuchen. Das führe dazu, dass die Kinder gruppenübergreifend betreut würden; folglich könne auch eine Fachkraft nicht einer der Gruppen fest zugeordnet werden.

7

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 6. November 2009 zu verpflichten, dem Kläger eine weitere Finanzhilfe für das Kindergartenjahr 2008/2009 und die Einrichtung Naturkindergarten I. in J. in Höhe von 13.067,14 Euro zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Sie ist der Auffassung, die gesetzlichen Voraussetzungen einer Finanzhilfe auch für die Gruppe 1 des Kindergartens I. lägen nicht vor. Die Gruppe erfülle nicht die gesetzliche Mindestzahl an Verfügungsstunden. Hierfür sei es nicht ausreichend, dass eine Fachkraft, die mit ihrer eigentlichen Arbeitskraft nur einer Kindergartengruppe zugeordnet sei, Verfügungsstunden auch in einer anderen Gruppe erhalte. Nicht nur die Verfügungsstunden selbst, sondern sämtliche in der Gruppe geleisteten Arbeitsstunden seien daher nicht förderungsfähig.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 6. November 2009 ist rechtmäßig und der Kläger hat einen Anspruch auf einen höheren Personalkostenzuschuss nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Anspruchsgrundlage der geltend gemachten Forderung kann allein § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder -KiTaG-, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 7. Februar 2002 (Nds.GVBl S. 57) sein. Nach dieser Vorschrift gewährt das Land eine Finanzhilfe in Höhe von 20 v.H. der Personalausgaben für die in § 4 KiTaG vorgesehenen Kräfte in Kindertagesstätten und kleinen Kindertagesstätten. § 4 KiTaG bestimmt, dass die Leitung einer Kindertagesstätte grundsätzlich nur einer Sozialpädagogin/einem Sozialpädagogen oder einer Erzieherin/einem Erzieher mit staatlicher Anerkennung (sozialpädagogische Fachkräfte) übertragen werden darf (Abs. 1 Satz 1). Die Gruppenleitung darf grundsätzlich nur einer sozialpädagogischen Fachkraft übertragen werden (Abs. 2 Satz 1). In jeder Gruppe muss eine zweite geeignete Fach- oder Betreuungskraft regelmäßig tätig sein. Sie soll in der Regel Erzieherin/Erzieher mit staatlicher Anerkennung sein; sie kann auch Kinderpflegerin/Kinderpfleger oder Sozialassistentin/Sozialassistent sein. Sämtliche Personen, für die der Kläger Finanzhilfe beantragt hat, erfüllen die von § 4 verlangten beruflichen Qualitätsstandards.

13

Bei der Bemessung der Finanzhilfe sind nach § 16 Abs. 2 KiTaG nur die Ausgaben für Kräfte i.S.d. § 4 KiTaG zu berücksichtigen, denen Freistellungs- und Verfügungszeiten nach § 5 Abs. 1 bis 3 KiTaG oder nach den Rechtsvorschriften über kleine Kindertagesstätten und Kinderspielkreise eingeräumt sind und die mindestens mit der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit beschäftigt sind. Die Mitarbeiterinnen des Klägers sind unstreitig mindestens mit der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit beschäftigt.

14

Ihnen sind indes entgegen § 16 Abs. 2 KiTaG Freistellungs- und Verfügungszeiten nach § 5 Abs. 1 bis 3 KiTaG nicht in dem erforderlichen Umfang eingeräumt. Denn es fehlt hinsichtlich der Gruppe 1 an einer ausreichenden Einräumung von Verfügungszeit im Sinne von § 5 Abs. 2 KiTaG.

15

Aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 KiTaG ergibt sich nicht ohne Zweifel, dass die inhaltlichen Vorgaben des § 5 Abs. 1 bis 3 KiTaG erfüllt sein müssen, denn er äußert sich nicht zu Umfang oder Verteilung dieser Zeiten. Indes wollte der Gesetzgeber mit dieser im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bereits in die Ursprungsfassung gelangten Bestimmung erreichen, dass die Gewährung von Finanzhilfen von der Einhaltung der wichtigsten in dem Gesetzentwurf vorgeschriebenen Standards abhängig ist. Dabei sollte insbesondere eine Abhängigkeit von der Einräumung der Freistellungs- und Verfügungszeiten nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 und 2 KiTaG geregelt werden (Schriftlicher Bericht zum Entwurf eines Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder, Landtagsdrucksache 12/4483; vgl. auch Klügel/Reckmann, KiTaG, 4. Aufl. § 16 Anm. 50). Sinn und Zweck der Finanzierungsvorschrift und der gesetzgeberische Wille verlangen daher, dass auch die inhaltlichen Anforderungen des § 5 Abs. 2 KiTaG erfüllt werden.

16

Nach dieser Vorschrift ist der Gruppenleitung und den zweiten Kräften in den Gruppen eine Verfügungszeit von insgesamt mindestens 7,5 Stunden je Gruppe wöchentlich für die Vor- und Nachbereitung der Gruppenarbeit sowie die Zusammenarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kindertagesstätte untereinander, mit den Erziehungsberechtigten, Schulen und anderen Einrichtungen sowie für die Mitwirkung bei der Ausbildung gemäß § 5 Abs. 2 KiTaG zu gewähren. Insgesamt geht es dem Gesetzgeber ersichtlich um Qualitätssicherung im Interesse des Kindeswohls. Für die hierzu erforderlichen Abstimmungen zwischen Einrichtung, Elternhaus und Schule sowie die interne Abstimmung zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innerhalb der Einrichtung soll genügend Zeit zur Verfügung stehen. Insgesamt erfüllt die Einrichtung I. des Klägers die Freistellungsvoraussetzungen. Es werden bei zwei Gruppen in Summe 15 Verfügungsstunden gewährt. Dies genügt indes nicht den Anforderungen des § 5 Abs. 2 KiTaG. Dieser verlangt vielmehr, dass den jeweils in der Gruppe tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bezogen auf die Gruppe eine Verfügungszeit von 7,5 Stunden gewährt wird. Eine gruppenübergreifende Betrachtung erlaubt das Gesetz nicht.

17

Schon der Wortlaut des § 5 Abs. 2 KiTaG deutet darauf hin, dass die Freistellung gruppenbezogen zu erfolgen hat. Denn durch die Verbindung der Formulierung von der Gruppenleitung und den zweiten Kräften mit der Verfügungszeit je Gruppe wird hinreichend deutlich, dass eine gruppenübergreifende Poolbildung für Verfügungsstunden nicht erlaubt sein soll. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass der Gesetzgeber das Wort "Gruppenleitung" gewählt hat und nicht "Gruppenleiterin oder -leiter". Dieser auf die Formulierung in § 4 Abs. 2 KiTaG zurückgehende Begriff lässt auch eine Leitung im Team zu, wie sie offenbar vom Kläger praktiziert wird (vgl. Klügel/Reckmann, a.a.O., § 4 Anm.4 und 9).

18

Sowohl Sinn und Zweck der Regelung in § 5 Abs. 2 KiTaG als auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen jedoch dafür, die Vorschrift so wie die Beklagte zu verstehen und die Vergabe von Verfügungsstunden an "gruppenfremde" Betreuungspersonen für förderungsschädlich zu halten.

19

Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, im Interesse des Kindeswohls eine gute Zusammenarbeit zwischen der Kindertagesstätte und den Eltern der betreuten Kinder, zwischen der Kindertagesstätte und anderen Bildungsträgern sowie zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtung selbst zu erreichen. Jedenfalls die sinnvolle Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und anderen Bildungsträgern wie der Grundschule erfordert ein intensives Kennen des jeweils betroffenen Kindes. Dies ist nur gewährleistet bei regelmäßigem Umgang mit ihm. Gelegentliche Kontakte im Rahmen eines, wie vom Kläger praktizierten, offenen Konzepts reichen dafür nicht aus.

20

Auch der Wille des Gesetzgebers entspricht einer solchen Auslegung.

21

Mit dem von der Fraktion der SPD stammenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder vom 17. Januar 1995 sollte den Einrichtungsträgern in begrenztem Umfang mehr Spielraum bei der Vergabe von Freistellungs- und Verfügungsstunden eingeräumt werden. Dieses Kontingent, das insgesamt 12,5 Stunden umfassten, sollte bedarfgerecht auf alle Leitungs-, Fach- und Betreuungskräfte verteilt werden (vgl. Nr. 4 des Gesetzentwurfs mit Begründung, Landtagsdrucksache 13/720 S. 2 und 7). Ausgeschlossen sollte indes eine Verschiebung des Stundenkontingents zwischen verschiedenen Gruppen sein (a.a.O. S. 7; ähnlich schon die ursprüngliche Gesetzesbegründung, die von einem Pool an Verfügungsstunden für die Mitarbeiterinnen "in den Gruppen" sprach, Landtagsdrucksache 12/3280, S. 23). Obwohl mehr Flexibilität beabsichtigt war, bezog sich diese nur auf die jeweilige Gruppe; selbst dieses Mehr an Flexibilität ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder fallen gelassen worden, weil es nicht zweckmäßig gewesen sei (vgl. zu Protokoll gegebene Stellungnahme des Ausschusses für Jugend und Sport in der 25. Plenarsitzung des Nds. Landtags am 17. Mai 1995). Mit der Novellierung des Gesetzes vom 8. Juni 1995 ist dann im Ergebnis nur der frühere Satz 2 des § 5 Abs. 2 KiTaG gestrichen worden, der lautete, dass mindestens die Hälfte dieser Verfügungszeit für die Gruppenleitung vorzusehen ist. Hieraus lässt sich in Anbetracht der geschilderten Entstehungsgeschichte allerdings nicht folgern, dass der Gesetzgeber die Erfüllung der Verfügungszeit nicht nur bei den einzelnen Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern, sondern in der Gruppe insgesamt nicht mehr zur Voraussetzung der Finanzhilfe machen wollte (Klügel/Reckmann, a.a.O., § 16 Anm. 53).

22

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die 1,75 Verfügungsstunden, die Frau N. für die Leitung der Gruppe 1 zugewiesen worden sind, der Gruppe nach Sinn und Zweck der Regelung in § 5 Abs. 2 KiTaG und nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zugerechnet werden können. Da die Gruppe 1 somit nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 KiTaG erfüllt, besteht von der gesetzlichen Systematik her für diese Gruppe insgesamt ein Finanzhilfeanspruch nach § 16 KiTaG nicht (a.A. ohne Begründung Klügel/Reckmann, a.a.O., die eine Finanzhilfe insoweit gewähren wollen, als mindestens eine Verfügungszeit von 3,75 Stunden pro Mitarbeiter(in) erreicht wird).

23

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Materiell-rechtlich fußt der Rechtsstreit im Recht der Jugendhilfe (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.5.1999 -12 O 1998/99; VG Braunschweig, Urteil vom 7.5.2009 -3 A 75/08 -; VG Stade, Urteil vom 18.1.2010 -4 A 1611/07 -).

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.