Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 25.10.2007, Az.: 1 A 211/05
alternative Brückenversorgung; Beamter; Beihilfe; Beihilfeprogramm; Brücke; Freiendlücke; Fürsorge; Fürsorgepflicht; implantologische Leistung; medizinische Indikation; zahnärztliche Versorgung; öffentlicher Dienst; Übergangszeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.10.2007
- Aktenzeichen
- 1 A 211/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 113 VwGO
- § 6 Abs 1 Nr 1 Anl 2 BhV
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Beihilfefähigkeit der zahnärztlichen Versorgung des rechten Unterkiefers der Klägerin mit zwei Implantaten.
Die Klägerin ist als Ruhestandsbeamtin beihilfeberechtigt zu einem Beihilfebemessungssatz von 50%. Bei der Beklagten reichte sie einen Heil- und Kostenplan vom 14. Juni 2004 der Praxis Dr. D. ein. Nach diesem war eine Versorgung des rechten Unterkiefers der Klägerin durch das Einsetzen von Implantaten bei den Zähnen 45 und 46 vorgesehen. Ergänzend zum Heil- und Kostenplan legte die Klägerin eine Bescheinigung vom 5. Juli 2004 sowie ergänzend einen Heil- und Kostenplan vom 15. Oktober 2004 des die Klägerin behandelnden Zahnarztes Dr. E. vor. Der Gebissstatus der Klägerin stellte sich anhand der Bescheinigung vom 5. Juli 2004 dahingehend dar, dass der Zahn 47 stark zerstört war und die Zähne 44 bis 46 fehlten. Nach dem Behandlungsplan vom 15. Oktober 2004 fehlten die Zähne 44 bis 47. Der Zahn 43 war mit einer Krone versehen. Die Kosten für die vorgesehene zahnärztliche Versorgung betrugen insgesamt 7.235,89 € (Kostenpläne vom 14. Juni 2004 und 15. Oktober 2004).
Unter dem 25. Januar 2005 teilte das beklagte Amt der Klägerin mit, dass die Versorgung mit zwei Implantaten nicht beihilfefähig sei, da die nach den Beihilfevorschriften dafür erforderlichen Indikatoren, insbesondere das Bestehen einer Freiendlücke, nicht vorlägen. Mit Schreiben vom 24. März 2005 bat die Klägerin um Überprüfung der Beihilfefähigkeit der geplanten Versorgung. Vorliegend sei die vorgesehene Versorgung medizinisch notwendig und angemessen, da eine Versorgung der Zähne mittels Brücke mittelfristig teurer sei. Ein Ausschluss der Beihilfe wegen Fehlens einer Freiendlücke sei nicht gegeben, da der Zahn 47 instabil sei und damit praktisch eine Freiendlücke vorliege.
Das beklagte Landesamt wertete dieses Schreiben als Widerspruch und wies diesen mit Bescheid vom 12. April 2005 zurück. Die Beihilfevorschriften konkretisierten die Fürsorgepflicht des Dienstherrn im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung aller Beamten und Versorgungsempfänger. Eine erweiternde Auslegung zu Gunsten der Klägerin sei daher nicht möglich. Unbeachtlich sei insoweit auch, dass die im Falle der Klägerin gegebene alternative Versorgung mit einer Brücke oder herausnehmbaren Zahnersatz nicht weniger aufwändig und kostenintensiv sei.
Am 18. Mai 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Eine alternative Brückenversorgung komme in ihrem Fall nicht in Betracht. Die Klägerin verweist insoweit auf die ergänzende zahnärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 27. Juli 2007.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, die im Heil- und Kostenplan der Praxis Dr. D. vom 14. Juni 2004 und der Zahnarztpraxis von Dr. E. vom 15. Oktober 2004 vorgesehene zahnärztliche Versorgung als beihilfefähig anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Landesamt verweist im Wesentlichen auf die Begründung im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die im Heil- und Kostenplan der Praxis Dr. D. vom 14. Juni 2004 und der Zahnarztpraxis von Dr. E. vom 15. Oktober 2004 vorgesehene zahnärztliche Versorgung mit Implantaten im rechten Unterkiefer dem Grunde nach als beihilfefähig anerkannt wird. Der ablehnende Bescheid des beklagten Landesamtes vom 25. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO)
Die Beihilfefähigkeit der zahnärztlichen Behandlung bestimmt sich auf der Grundlage der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (BhV). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genügen die Beihilfevorschriften als Verwaltungsvorschriften zwar nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts, da die wesentlichen Entscheidungen über die Leistungen an Beamte, Richter und Versorgungsempfänger im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit der Gesetzgeber zu treffen hat. Trotz dieses Defizits sind sie aber für eine - nicht näher bestimmte - Übergangszeit weiter anzuwenden (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 2004 - 2 C 30.03 -, NVwZ 2005, 712 und vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, DVBl. 2004, 1420).
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV i. V. m. Ziffer 4 Satz 1 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen nur bei Vorliegen einer der folgenden Indikationen beihilfefähig:
a) Einzelzahnlücke, wenn beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind,
b) Freiendlücke, wenn mindestens die Zähne acht und sieben fehlen,
c) Fixierung einer Totalprothese.
Bei der Klägerin ist bezogen auf den rechten Unterkiefer eine entsprechende Indikation nicht gegeben, insbesondere fehlt es an einer Freiendlücke. Eine solche Freiendlücke ist eine Zahnlücke am freien Ende der jeweiligen Zahnreihe einer Kieferhälfte, wobei mindestens die beiden letzten Zähne (8 und 7), ggf. aber auch weitere daran anschließende fehlen. Da bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der in Rede stehenden Behandlungsmaßnahme der Zahn 47 unten rechts noch vorhanden war, scheidet diese Indikation aus. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob dieser Zahn - wie vom Zahnarzt Dr. D. in seiner Begründung vom 5. Juli 2004 angegeben - „stark zerstört“ ist und nach der Versorgung mit Implantaten entfernt werden soll. Auf den Zustand des Zahnes und die Frage, ob dieser Zahn langfristig gehalten werden kann, kommt es insoweit nicht an (zum Begriff der Freiendlücke vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Mai 2006 - 1 A 3706/04 -, m.w.N., zitiert nach juris; ferner Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht Niedersachsens und des Bundes, Erläuterungen 3.8.3.2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1, Stand: April 2007). Die Beihilfefestsetzungsstellen haben bei der Subsumtion eines Falles unter die beihilferechtlichen Vorschriften grundsätzlich von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen, welche im Zeitpunkt der Behandlung bestanden. Das gilt namentlich auch für die Beurteilung, ob einer Behandlung bestimmte beihilferechtlich geforderte medizinische Indikationen zugrunde gelegen haben. In die Zukunft gerichtete Prognosen (etwa in Bezug auf die Weiterentwicklung von Zuständen oder eines Krankheitsbildes) können beihilferechtlich allenfalls dort Bedeutung erlangen, wo in bestimmten Vorschriften ausdrücklich an sie angeknüpft wird. Letzteres ist hier nicht der Fall.
Ist keine der Indikationen der Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV erfüllt, so scheidet die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für implantologische Leistungen grundsätzlich aus. Zur Anwendung des Programms von Beihilfeleistungen wird insoweit auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 24. Mai 2006 - 1 A 3706/04 (in juris veröffentlicht) verwiesen, die auf den vorliegenden Fall zu übertragen sind. Dort heißt es:
„Es besteht insbesondere anders, als der Kläger meint, nicht der Weg, gewissermaßen auf einer zweiten Stufe der Prüfung den Fall zusätzlich an den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV zu messen und einen Anspruch zuzuerkennen, wenn nur dessen generelle Voraussetzungen - die Notwendigkeit und Angemessenheit der Aufwendungen - erfüllt sind. § 5 Abs. 1Satz 1 BhV enthält eine (gewissermaßen vor die Klammer gezogene) "Generalklausel" für die spezielleren nachfolgenden Vorschriften der BhV betreffend die einzelnen Leistungsarten. Die Konkretisierung dessen, was der Dienstherr mit Blick auf die verschiedenen Leistungsarten jeweils für notwendig und insbesondere für angemessen erachtet, wird i.d.R. abschließend in den §§ 6 ff. BhV bestimmt. Soweit der Gesichtspunkt der Notwendigkeit dort keine nähere Konkretisierung erfahren hat, ist er zwar zusätzlich zu prüfen, aber nicht in dem Sinne, dass er einer nach den §§ 6 ff. BhV von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossenen Maßnahme unmittelbar und allein am Ende doch zur Anerkennung der Beihilfefähigkeit verhelfen könnte. Das "Programm" der Beihilfeleistungen wird dementsprechend nicht allein durch die in § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV niedergelegten allgemeinen Grundsätze - mag diesen auch eine hervorgehobene Bedeutung zukommen -, sondern letztlich durch die jeweils anwendbaren Beihilfevorschriften in ihrer Gesamtheit bestimmt. Es widerspricht diesem "Programm" insbesondere nicht von vornherein, wenn von bestimmten Leistungsausschlüssen und -begrenzungen auch solche Aufwendungen erfasst werden, die medizinisch erforderliche Behandlungen betreffen. Dies gilt jedenfalls solange, wie derartige Ausschlüsse und Begrenzungen nicht insgesamt gesehen einen solchen Umfang und ein solches Gewicht erreichen, dass auch bei typisierender Betrachtung die Beihilfegewährung den Vorgaben des höherrangigen Rechts wie insbesondere der Fürsorgepflicht des Dienstherrn als solche nicht mehr gerecht würde.“
Die im Rahmen der Indikationen nach Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV erfolgte Begrenzung der Beihilfefähigkeit gegebenenfalls auch medizinisch notwendiger Aufwendungen ist prinzipiell mit höherrangigen Recht vereinbar und verstößt nicht gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Ami 2004 - 1 A 1160/03 -, juris). Die Klägerin hat daher - unter Anwendung der Beihilfevorschriften - keinen Anspruch auf anteilige Kostenübernahme.
Es ist vorliegend nicht geboten, im Wege einer Ausnahme von den Beihilfevorschriften aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn die Versorgung des rechten Unterkiefers der Klägerin mit Implantaten als beihilfefähig anzuerkennen. Im Einzelfall kann zwar ein Beihilfeanspruch unmittelbar auf Grundlage der Fürsorgepflicht geboten sein, wenn diese ansonsten in ihrem Wesenskern verletzt würde (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., m.w.N.). Dieses ist hier jedoch nicht gegeben. In der im gerichtlichen Verfahren ergänzend vorgelegten zahnärztlichen Stellungnahme vom 27. Juli 2007 führt der behandelnde Zahnarzt Dr. E. aus, dass im Falle einer alternativen Teilprothesenversorgung der rechten Seite bei Erhalt der intakten Brücke (Zähne 33 bis 37) eine Klammerabstützung notwendig wäre und aufgrund der Formgebung der Brücke, bedingt durch die parodontale und funktionelle Situation die weitere Prognose für die Brücke (Zähne 33 bis 37) sehr ungünstig wäre. Die Versorgung mit einer Teilprothese wird dadurch grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Zudem sind - wie bereits ausgeführt - in die Zukunft gerichtete Prognosen nur begrenzt berücksichtigungsfähig. Im Fall der Klägerin kommt hinzu, dass ausweislich der ärztlichen Stellungnahme nach Entfernung der Brücke (Zähne 33 bis 37) und Überkronung der Zähne 33, 35 und 37 eine bilaterale Teilprothesenversorgung in Frage käme. Damit bestand - anders als in dem vom OVG Nordrhein-Westfalen zu entscheidenden Fall - die Möglichkeit einer konservativen Versorgung mittels Brücke. Soweit der behandelnde Zahnarzt in diesem Zusammenhang eine mögliche Verschlechterung der Verbindungselemente in der Langzeitprognose sieht, ist diese Einschätzung zu allgemein, um die konservative Versorgung aus medizinischen Gründen zwingend auszuschließen. Es ist daher nicht unzumutbar, die Klägerin auf die bestehende Alternativversorgung von Zahnlücken in der herkömmlichen Form, also insbesondere mit einer Brücke bzw. mit einer Teilprothese, zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.