Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 06.08.2002, Az.: 4 A 4115/99
berufliche Vorbildung; Gleichwertigkeit; Hochschulrecht; Hochschulzugangsberechtigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 06.08.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 4115/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43554
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs 1 S 2 Nr 3 HSchulG ND
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zuerkennung einer Hochschulzugangsberechtigung.
Im Jahr 1979 schloss die Klägerin ihre Schulzeit mit der mittleren Reife ab. Danach begann sie eine Ausbildung zur Arzthelferin, die sie im Jahr 1981 beendete. Nachdem sie mehrere Monate lang in diesem Beruf gearbeitet hatte, begann sie im Frühjahr 1982 eine Ausbildung zur Krankengymnastin, die sie im März 1984 abschloss. Im August 1986 erhielt sie die Erlaubnis, eine Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Krankengymnastin" auszuüben. Zwischen 1986 und 1992 arbeitete die Klägerin in verschiedenen Praxen als Krankengymnastin. Im August 1992 erhielt sie die Zulassung zum Führen einer Krankengymnastikpraxis, die sie bis 1998 betrieb. Während ihrer Tätigkeit als Krankengymnastin bildete sich die Klägerin fort und erwarb als Zusatzqualifikationen im Jahr 1991 das Zertifikat "Manuelle Therapie", im Jahr 1994 ein Diplom, das sie berechtigte, sich "Brügger-Therapeutin" zu nennen und im Jahr 1996 die Erlaubnis, eine Tätigkeit als ärztlich geprüfte Lymphdrainage- und Ödemtherapeutin auszuüben.
Zum Wintersemester 1998/99 bewarb sich die Klägerin an der Universität Göttingen um die Zulassung zum Studiengang Sportwissenschaft, Publizistik und Wirtschafts- und Sozialpsychologie. Nachdem die Universität ihre Zulassung zum Studium wegen des Fehlens einer Hochschulzugangsberechtigung abgelehnt hatte, bat die Klägerin um Erteilung einer solchen Berechtigung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 26.01.1999 ab und wies den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 16.04.1999 (zugestellt am 22.04.1999) zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die berufliche Vorbildung der Klägerin könne nicht als gleichwertig mit den beruflichen Vorbildungen angesehen werden, die nach dem Nds. Hochschulgesetz (NHG) als Nachweis einer Hochschulzugangsberechtigung anerkannt würden.
Am 17.05.1999 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Beklagte müsse die Gleichwertigkeit ihrer Vorbildung mit den im Nds. Hochschulgesetz genannten Vorbildungen feststellen. Die angefochtenen Bescheide seien ermessensfehlerhaft, denn die Beklagte habe sich darauf beschränkt, die Ausbildung zur Krankengymnastin mit derjenigen zur Technikerin zu vergleichen. Sie habe es unterlassen, umfassend zu prüfen, ob es anderweitige vergleichbare Möglichkeiten gebe, die Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen. Dies sei beispielsweise bei den Berufsgruppen der Alten- und der Heilerziehungspfleger der Fall. Mit diesen Berufsgruppen seien Krankengymnasten im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gleichzusetzen. Die Ausbildung zur Krankengymnastin stelle gegenüber der Ausbildung zur Arzthelferin eine Zusatzqualifikation dar. Die Beklagte habe die Fortbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Krankengymnastik außer Acht gelassen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26.01.1999 und ihres Widerspruchsbescheides vom 16.04.1999 zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihre Vorbildung gegenüber den in § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG genannten Vorbildungen gleichwertig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt u. a. aus, eine Ungleichbehandlung gegenüber der Berufsgruppe der Alten- bzw. der Heilerziehungspfleger liege nicht vor. Diese Fortbildungen seien mit der Ausbildung der Klägerin zur Krankengymnastin nicht vergleichbar, da es sich bei ihnen um auf beruflicher Erstausbildung aufbauende Weiterbildungen an Fachschulen handele, während die Ausbildung zur Krankengymnastin eine berufliche Erstausbildung darstelle. Die von der Klägerin absolvierten Weiterbildungsmaßnahmen hätten nicht den Umfang, der eine Vergleichbarkeit mit dem Bereich der Krankenpflegeberufe rechtfertige, und seien zudem nicht im Sinne des Gesetzes qualifiziert abgeschlossen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, denn bei der Feststellung der Gleichwertigkeit einer Vorbildung i. S. v. § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt. Die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts folgt aus § 52 Nr. 3 S. 2 VwGO. Das Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat die Zuständigkeit für die Feststellung durch Erlass vom 18.05.1998 gemäß § 32 Abs. 1 S. 3 NHG auf die Beklagte übertragen, deren Zuständigkeit sich daher insoweit auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 NHG ist zum Studium in einem Studiengang, der zu einem ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss führt, berechtigt, wer die entsprechende Hochschulzugangsberechtigung nachweist. Der Nachweis kann gemäß § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG u. a. durch eine Meisterprüfung oder einen abgeschlossenen Bildungsgang zur staatlich geprüften Technikerin oder zum staatlich geprüften Techniker oder zur staatlich geprüften Betriebswirtin oder zum staatlich geprüften Betriebswirt oder für bestimmte Studiengänge durch einen qualifiziert abgeschlossenen Bildungsgang zur staatlich anerkannten Erzieherin oder zum staatlich anerkannten Erzieher oder durch eine andere vom Ministerium für bestimmte Studiengänge als gleichwertig festgestellte qualifiziert abgeschlossene Vorbildung erfolgen.
Der Begriff der Gleichwertigkeit ist als unbestimmter Rechtsbegriff der gerichtlichen Überprüfung voll zugänglich. Ermessen ist der Behörde im Rahmen des § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG nicht eingeräumt. Das Gericht folgt insoweit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des VGH Baden-Württemberg zum Charakter des Begriffs der Gleichwertigkeit (BVerwG, Urt. v. 18.02.1993 - 3 C 64.90 -, BVerwGE 92, 88 zu § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 der Bundesärzteordnung sowie Beschl. v. 17.03.1993 - 3 B 128.92 -, NJW 1993, 3007 zu § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2000 - 9 S 2236/00 -, KMK-HSchR/NF 11A Nr. 4 zu § 85 des Universitätsgesetzes Baden-Württemberg).
Nach Auffassung des Gerichts ist die Ausbildung der Klägerin gegenüber den in § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG genannten Bildungsgängen nicht gleichwertig. Bei der Auslegung des Begriffs der Gleichwertigkeit berücksichtigt das Gericht, dass es sich bei den in der Vorschrift aufgeführten Bildungsgängen (mit Ausnahme der Meisterprüfung) um Weiterbildungen an zweijährigen Fachschulen in Vollzeitunterricht oder in entsprechenden Teilzeitbildungsgängen handelt, die als Voraussetzung eine einschlägige berufliche Erstausbildung bzw. eine einschlägige Berufstätigkeit fordern. Dies ergibt sich für die staatlich geprüfte Technikerin und den staatlich geprüften Techniker aus §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 22, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Nr. 1, für die staatlich geprüfte Betriebswirtin und den staatlich geprüften Betriebswirt aus §§ 1 Abs. 1 Nrn. 23 bis 26, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und 9 Abs.1 Nr. 2 sowie für die staatlich anerkannte Erzieherin und den staatlich anerkannten Erzieher aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 31, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Nr. 6 der Anlage 10 zu § 36 der Verordnung über berufsbildende Schulen (BbS-VO) vom 24.07.2000 (Nds. GVBl. S. 178, 199 ff.) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 05.07.2002 (Nds. GVBl. S. 343). Auch die Zulassung zur Meisterprüfung setzt eine Berufsausbildung im Handwerk sowie grundsätzlich eine mehrjährige einschlägige Berufstätigkeit voraus (§ 49 Abs. 1 S. 1 der Handwerksordnung - HWO -). Im Regelfall geht ihr ein auf die Berufstätigkeit anzurechnender Fachschulbesuch an einer sog. Meisterschule voraus, der mit der Ablegung der Meisterprüfung abschließt (vgl. Honig, HWO, 2. Aufl. 1999, § 49 Rn. 9 f.).
Die Klägerin hat weder Weiterbildungsmaßnahmen absolviert, wie sie für die in § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG genannten Berufsgruppen erforderlich sind, noch eine dem Umfang und den Anforderungen einer Meisterprüfung (vgl. dazu nur die Verordnung über gemeinsame Anforderungen in der Meisterprüfung im Handwerk vom 18.07.2000, BGBl. I S. 1078) gleichkommende Prüfung abgelegt. Bei ihrer Ausbildung zur Krankengymnastin handelt es sich nicht um eine Weiterbildung, sondern um eine berufliche Erstausbildung. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Ausbildung der Klägerin zur Arzthelferin. Die Ausbildung zur Krankengymnastin stellt keine Weiterbildung in dem Sinne dar, dass die bei der Ausbildung zur Arzthelferin erworbenen Kenntnisse vertieft würden und die Ausbildung zur Arzthelferin gewissermaßen eine Vorstufe zum Beruf der Krankengymnastin wäre. Die Ausbildung zur Arzthelferin ist daher keine für die Ausbildung zur Krankengymnastin einschlägige Berufsausbildung. Hierfür spricht auch die Verschiedenheit der Prüfungsfächer, die die Klägerin bei ihren jeweiligen Ausbildungen belegt hat.
Die Klägerin hat auch im Anschluss an ihre Ausbildung zur Krankengymnastin keine Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt, die dazu führen könnten, dass ihre Vorbildung den in § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG genannten Bildungsgängen gleichwertig ist. Sie hat insgesamt an drei Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen, die jedoch bereits von ihrer Gesamtdauer nicht mit einer mindestens zweijährigen Fachschulausbildung gleichgesetzt werden können und darüber hinaus nicht den Schluss erlauben, dass die Klägerin diese Weiterbildungen qualifiziert i. S. v. § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG abgeschlossen hat. Zwar enthalten alle Urkunden den Hinweis darauf, dass die Weiterbildungen mit einer Prüfung abgeschlossen worden sind. Sie lassen jedoch weder die Anforderungen der jeweiligen Prüfungen noch eine Abschlussnote erkennen, die die Feststellung einer qualifiziert abgeschlossenen Vorbildung gerechtfertigt erscheinen lassen könnte.
Das Gericht muss sich nicht mit dem Vortrag der Klägerin auseinander setzen, die Beklagte habe in der Vergangenheit Bildungsgänge als i. S. v. § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG gleichwertig anerkannt, die mit ihrem Ausbildungsverlauf vergleichbar seien, und damit mit ihrer Entscheidung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Nach dem oben Gesagten handelt es sich bei § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG nicht um eine Ermessensvorschrift, so dass für ein Handlungsermessen, das durch den Gleichheitssatz eingeengt sein könnte, kein Raum ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.09.1987 - 3 B 39.87 -, Buchholz 418.01 Nr. 20). Sollte daher die Beklagte in der Vergangenheit Fortbildungen als gleichwertig anerkannt haben, die gegenüber den in § 32 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NHG genannten nicht gleichwertig sind, könnte die Klägerin hieraus keinen Anspruch darauf herleiten, dass auch ihre nicht gleichwertige Vorbildung als gleichwertig festgestellt wird, denn Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet keine "Gleichheit im Unrecht" und somit auch keinen Anspruch auf Fehlerwiederholung (Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2001, Art. 3 Abs. 1 Rn. 179 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.