Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.08.2002, Az.: 4 A 4091/00
Beihilfeantrag; Berichtigung; landwirtschaftliche Subvention; offensichtlicher Fehler
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.08.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 4091/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43568
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 11.06.2003 - AZ: 10 LB 27/03
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs 1 MOG
- Art 5b EWGV 3887/92
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein offensichtlicher und damit folgenloser Fehler in einem Beihilfeantrag liegt auch dann vor, wenn der Subventionsempfänger den Subventionszweck in vollem Umfang erfüllt und in dem Antrag nur irrtümlich ein abweichendes, unmittelbar benachbartes und gleich großes Flurstück angegeben hat, auf dem der Subventionszweck erfüllt werden soll.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 20.07.1999 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 24.05.2000 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand:
Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die Rücknahme einer Subventionsbewilligung und die Rückforderung ihm gewährter Förderleistungen durch den Beklagten.
Der Kläger beantragte in den Jahren 1995 bis 1998 die Gewährung einer Ausgleichszahlung nach der Verordnung zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen. Dabei gab er jeweils an, er bewirtschafte das Flurstück 28/0 der Flur 6 der Gemarkung E. mit einer Größe 1,0885 ha, das er in den Jahren 1995 bis 1997 mit Raps bzw. Getreide bestellt und im Jahr 1998 konjunkturell stillgelegt habe. Der Beklagte gewährte dem Kläger für die genannten Jahre Ausgleichszahlungen für den Anbau von Getreide und Ölsaaten sowie für die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen.
Im Juni 1999 stellte der Beklagte anlässlich einer Kontrolle fest, dass der Kläger nicht das Flurstück Nr. 28/0, sondern das unmittelbar benachbarte, exakt gleich große Flurstück Nr. 27/0 bewirtschaftet hatte und dass das Flurstück Nr. 28/0 seit 1993 durch den Landwirt M. (den Kläger des Verfahrens 4 A 4090/00) bewirtschaftet worden war.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte seine Bewilligungsbescheide durch Bescheid vom 20.07.1999 unter Rückforderung eines Förderbetrages von 20.116,24 DM teilweise zurück und wies gleichzeitig darauf hin, dass der Kläger den Rückforderungsbetrag zu verzinsen habe. Zur Begründung führte er aus, die Bewilligung von Ausgleichszahlungen sei teilweise rechtswidrig gewesen. Für das Flurstück 28/0 sei eine Beihilfe zu Unrecht bewilligt worden, da der Kläger diese Fläche niemals bewirtschaftet habe. Für das Flurstück 27/0 könne mangels Antrags keine Beihilfe gewährt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Rücknahme- und Rückforderungsbescheids Bezug genommen.
Am 05.08.1999 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, entgegen der Auffassung des Beklagten seien die bei der Kontrolle ermittelte und die von seinem Antrag umfasste Fläche identisch. Bei der Anwendung der Subventionsvorschriften komme es nicht auf die Angabe der Katasterbezeichnung der Flurstücke, sondern auf die Flächengröße an. Im Übrigen könne ein Beihilfeantrag jederzeit angepasst werden, wenn die zuständige Behörde offensichtliche Fehler anerkenne. Um einen solchen offensichtlichen Fehler handle es sich bei der Angabe einer falschen Flurstücksbezeichnung.
Die Bezirksregierung Braunschweig wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000 unter vertiefenden Ausführungen zurück.
Am 21.06.2000 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er sich im Wesentlichen auf seinen bisherigen Vortrag bezieht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 20.07.1999 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 24.05.2000 aufzuheben sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, es sei unerlässlich, dass der Förderantrag die Katasterbezeichnung der betroffenen Grundstücke enthalte. Der Kläger habe gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, da er die Flurstücksbezeichnungen vor Antragstellung hätte überprüfen können. Ein offensichtlicher Fehler liege in der Angabe einer falschen Flurstücksbezeichnung nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 20.07.1999 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide kommt § 10 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) in Betracht, wonach rechtswidrige begünstigende Bescheide in den Fällen der §§ 6 und 8 MOG zurück zu nehmen sind, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind. Legt man die Auffassung des Beklagten zugrunde, so enthielten die jeweiligen Beihilfeanträge des Klägers mit der falschen Flurstücks-Angabe einen nicht korrigierbaren Fehler und waren daher die Beihilfebescheide von vorn herein rechtswidrig, soweit sie sich auf diese Fläche bezogen. Die den Kläger begünstigenden Bewilligungsbescheide fallen in den Regelungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 7 MOG, da es sich bei den nach der Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen gewährten Zuwendungen um flächenbezogene Beihilfen handelt. Damit ist der Anwendungsbereich des § 10 MOG eröffnet (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.02.1996 - 3 C 18.94 -, Buchholz 451.511 § 10 MOG Nr. 2). Die teilweise Aufhebung der Bewilligungsbescheide und die Rückforderung dem Kläger gewährter Leistungen ist jedoch rechtlich zu beanstanden, denn die Bewilligungsbescheide des Beklagten sind rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Gewährung der Beihilfen und damit der Bewilligungsbescheide ist die VO (EWG) Nr. 1765/92 vom 30.06.1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl.EG Nr. L 181/12). Danach erhalten Landwirte für den Anbau bestimmter Kulturpflanzen eine Ausgleichszahlung, sofern sie einen bestimmten Prozentsatz ihrer Anbauflächen stilllegen. Regelungen zur Durchführung und zur Überwachung des dabei zu beachtenden Verfahrens sind in der VO (EWG) Nr. 3508/92 vom 27.11.1992 (ABl.EG Nr. L 355/1), der VO (EWG) Nr. 3887/92 vom 23.12.1992 (ABl.EG Nr. L 391/36) sowie den Verordnungen (EG) Nr. 229/95 vom 03.02.1995 (ABl.EG Nr. L 27/3), Nr. 1648/95 vom 06.07.1995 (ABl.EG Nr. L 156/27), Nr. 2015/95 vom 21.08.1995 (ABl.EG Nr. L 197/2), Nr. 613/97 vom 08.04.1997 (ABl.EG Nr. L 94/1), Nr. 1678/98 vom 29.07.1998 (ABl.EG Nr. L 212/23) und Nr. 2801/1999 vom 21.12.1999 (ABl.EG Nr. L 340/29) enthalten. Die Verordnung Nr. 3887/92 regelt in ihrem Art. 9 unter anderem die Folgen von Abweichungen der bei einer Kontrolle tatsächlich ermittelten von den im Beihilfeantrag angegebenen Flächen mit einem abgestuften Sanktionssystem. Diese Regelung hat der Beklagte mit der Begründung angewandt, der Kläger habe für das Flurstück 27/0 keine Beihilfe beantragt, so dass dieses Flurstück unberücksichtigt bleibe. Das vom Antrag umfasste Flurstück 28/0 habe er nicht bewirtschaftet, so dass die im Beihilfeantrag angegebene Fläche über der bei der Kontrolle ermittelten Fläche liege und Art. 9 Abs. 2 der genannten Verordnung anwendbar sei. Dem folgt das Gericht nicht.
Zwar vertritt die Kammer in ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf Art. 3 und Art. 4 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 3887/92 die Auffassung, dass es im Fall der Gewährung flächenbezogener landwirtschaftlicher Subventionen zur Gewährleistung von Rechtsklarheit grundsätzlich erforderlich ist, bei der Überprüfung der Bewilligungsvoraussetzungen auf die tatsächlich beantragte Fläche abzustellen. Jeder Landwirt muss sich daher bei Antragstellung darüber im Klaren sein, für welche landwirtschaftlich nutzbaren Flächen er Förderleistungen beantragen will. Gibt er ein Flurstück an, das er tatsächlich nicht bewirtschaftet, so liegen bzgl. dieses Flurstücks grundsätzlich die Fördervoraussetzungen nicht vor und der entsprechende Bewilligungsbescheid ist von Anfang an rechtswidrig.
Anderes gilt jedoch, wenn ein Landwirt seinen Beihilfeantrag gemäß Art. 5 b der VO (EWG) Nr. 3887/92 berichtigt. Danach kann ein Beihilfeantrag jederzeit angepasst werden, wenn die zuständige Behörde offensichtliche Fehler anerkennt. Der Umstand, dass den Landwirten die Möglichkeit der Berichtigung offensichtlicher Fehler eingeräumt wird, führt dazu, dass mit der zulässigen Anpassung der Antrag nicht mehr fehlerhaft ist. Dies wiederum hat zur Folge, dass entsprechende Bewilligungsbescheide rechtmäßig ergangen sind.
Bei der Auslegung des Begriffs des "offensichtlichen Fehlers" wird dem Beklagten kein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch das Verwaltungsgericht in vollem Umfang überprüfbar ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass im vorliegenden Einzelfall der Verwechslung zweier unmittelbar nebeneinander liegender, exakt gleich großer Flurstücke eine Konstellation vorliegt, die zur Annahme eines offensichtlichen Fehlers im Sinne der genannten Vorschriften führt. Hätte der Beklagte dies in gleicher Weise gewürdigt, so hätte er eine Anpassung der Beihilfeanträge des Klägers akzeptieren müssen, denn Ermessen wird ihm durch Art. 5 b (vormals Art. 5 a) der Verordnung nicht eingeräumt. In diesem Fall hätte er Beihilfen nach der Stützungsregelung in exakt gleicher Höhe gewährt, so dass die Bewilligungsbescheide sich nach rückwirkender Anpassung des Beihilfeantrags als rechtmäßig erweisen.
Die gesetzlichen Regelungen enthalten keine näheren Bestimmungen dazu, unter welchen Voraussetzungen Fehler in einem Antrag auf Bewilligung von Agrarförderung als offensichtlich gelten. Regelmäßig wird die Annahme eines offensichtlichen Fehlers nach Auffassung der Kammer in Betracht zu ziehen sein, wenn sich einem aufmerksamen und verständigen Durchschnittsbetrachter die Fehlerhaftigkeit der Angaben ohne Weiteres aufdrängt. Das Gericht orientiert sich insoweit - ohne rechtlich an sie gebunden zu sein - an den Bewertungsmaßstäben der Europäischen Kommission in ihrer Arbeitsunterlage vom 18.01.1999. Zwar sind die Vorgaben der Arbeitsunterlage von den Bewilligungsbehörden nur auf Anträge anzuwenden, die ab dem 01.01.1999 gestellt worden sind. Die Kammer sieht sich jedoch nicht gehindert, im Rahmen der Überprüfung eines unbestimmten Rechtsbegriffs den Umstand zu berücksichtigen, dass der materiellen Gerechtigkeit nach derzeitiger Verkehrsanschauung ein höheres Gewicht beigemessen wird, als dies früher der Fall war.
Nach der Arbeitsunterlage der EU-Kommission können unter den Begriff des offensichtlichen Fehlers z. B. rein materielle Fehler gefasst werden, die schon bei einer einfachen Erstprüfung der Beihilfeanträge erkennbar sind. Offenkundig können auch Fehler in Form von Widersprüchen sein, die sich beim Abgleich der Angaben in demselben Antrag zeigen. Daneben können bestimmte Anomalien offenkundigen Fehler gleich gestellt werden. Als Beispiel nennt die Arbeitsunterlage der EU-Kommission die Angabe der Nummer der Nachbarparzelle infolge eines Lesefehlers und führt aus, eine fehlerhafte Parzellen-Nummer könne berichtigt werden, falls anhand anderer Einzelheiten nachgewiesen werde, dass die Parzelle (mit der richtigen Fläche und Kultur) tatsächlich existiere. Eine derartige Konstellation liegt hier vor, denn der Kläger hat aufgrund eines Irrtums eine exakt gleich große Parzelle zu den Zwecken genutzt, die er im Beihilfeantrag angegeben hat.
Nach Auffassung des Gerichts ist die Annahme einer einem offensichtlichen Fehler gleich zu stellenden Anomalie nicht auf Fälle beschränkt, die beim Abgleich des Antrags mit den Datenbanken des Flächenverzeichnisses aufgedeckt werden. Zwar enthält Ziffer 3. der Arbeitsunterlage der EU-Kommission eine entsprechende Vorgabe für die Behörden. Es erscheint jedoch nicht gerechtfertigt, den unbestimmten Rechtsbegriff derart einschränkend auszulegen. Vielmehr kann ein Fehler auch dann offensichtlich sein, wenn er - wie im vorliegenden Fall - bei einer Vor-Ort-Kontrolle ohne Weiteres aufzudecken ist.
Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die teilweise Rückforderung der dem Kläger gewährten Ausgleichszahlungen auch im Hinblick auf den auch im europäischen Recht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedenklich erscheint. Aus diesem folgt, dass die Verwaltung im Fall von Eingriffen nur diejenigen Mittel anwenden darf, die notwendig sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, und dass auch das an sich notwendige Mittel dann nicht angewendet werden darf, wenn es außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht. Vorliegend führt der Irrtum des Klägers bei der Angabe einer falschen Flurstücks-Nummer nicht zu einer unberechtigten Auszahlung landwirtschaftlicher Subventionen bzw. zu einer Beeinträchtigung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung. Hätte der Kläger die Flurstücks-Nummer des von ihm tatsächlich bewirtschafteten Grundstücks angegeben, so hätte der Beklagte die Bewilligungsbescheide in derselben Höhe erlassen, in der er es getan hat. Der Subventionszweck ist daher trotz der fehlerhaften Angabe des Klägers in vollem Umfang erreicht worden. Dem gegenüber würde der Kläger unverhältnismäßig in Anspruch genommen, müsste er ihm - materiell-rechtlich - zustehende Förderleistungen wegen der bloßen Vertauschung einer Parzellen-Bezeichnung in erheblichem Umfang zurück zahlen.
Aus den genannten Gründen folgt, dass auch die Voraussetzungen für einen Widerruf der Bewilligungsbescheide nach § 10 Abs. 2 MOG, auf dessen Anwendung der Beklagte sich hilfsweise zu berufen scheint, nicht erfüllt sind.
Da die Rückforderung von Ausgleichszahlungen nicht zulässig ist, entfällt auch die Grundlage für die Erhebung von Zinsen gemäß Art. 14 der VO (EWG) Nr. 3887/92.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig erklärt, da der Kläger der rechtskundigen Unterstützung bedurfte, um seine Rechte und Ansichten gegenüber dem Beklagten ausreichend zu vertreten.