Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.08.2002, Az.: 2 A 2026/01

Heimerziehung; Inobhutnahme; Jugendhilfe; Jugendhilfemaßnahme; Kostenerstattung; Leistungsträger; unzuständiger Leistungsträger; Unzuständigkeit; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.08.2002
Aktenzeichen
2 A 2026/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43880
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kostenerstattungsrechtlich kommt es allein auf die tatsächlich erfolgte Jugendhilfemaßnahme und nicht auf die rechtlich mögliche oder gebotene Maßnahme an. Würde man dies anders handhaben, liefe es auf einen "Etikettenschwindel" heraus, mit dem ein Kostenträger sich einen vom Gesetz nicht gewollten Erstattungsanspruch verschaffen könnte.

Tenor:

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Beklagte zu 1/5 und der Kläger zu 4/5; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Jeder Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt vom Beklagten Kostenerstattung für Jugendhilfemaßnahmen.

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Die am 13.05.1984 geborene S. E., deren Mutter M. E. die elterliche Sorge entzogen worden war, lebte seit einem Alter von etwa 1 Jahr und 6 Monaten - ohne dass ein förmliches Pflegeverhältnis begründet wurde - bei ihrer Großmutter in Berlin. Nachdem S. die für sie zuständige Sozialarbeiterin des Jugendamtes Tiergarten wiederholt darüber informiert hatte, dass sie von einem Onkel sexuell belästigt würde, wurde sie mit Einverständnis ihres Vormundes zunächst ab dem 02.02.1999 im Schülerinnen Heim in der ... in Berlin untergebracht. Zunächst erfolgte eine Kostenübernahme für 3 Monate. In dieser Zeit sollte die aktuelle Anschrift der Kindesmutter, die der Kläger nicht zu kennen glaubte, und der kostenmäßig zuständige Träger der Jugendhilfe ermittelt werden. Ungeachtet dessen machte die Leistungsstelle des Bezirksamtes Tiergarten mit am 31.05.1999 durch Niederlegung der Postzustellungsurkunde zugestellten Bescheid gegenüber Frau M. E. unter deren (richtiger) Postanschrift ... Unterhalts- und Auskunftserteilungsansprüche wegen der ab dem 02.02.1999 geleisteten Hilfe zur Erziehung geltend. Trotz der Zustellung dieses Bescheides meinte das Jugendamt, die Adresse der Kindesmutter weiterhin ermitteln zu müssen, und stellte eine entsprechende Anfrage beim Landeseinwohneramt Berlin, das mit Schreiben vom 19.07.1998 mitteilte, M. E. sei am 15.08.1988 in "..." (im Landkreis Göttingen gelegen) zugezogen. Daraufhin machte die Abteilung Jugendhilfe des Bezirksamtes Tiergarten des Klägers mit Schreiben vom 03.08.1999 gegenüber dem Stadtjugendamt Göttingen Kostenerstattung gem. § 89 SGB VIII geltend und behauptete, dieses sei gem. § 86 Abs. 1 SGB VIII für die S. nach §§ 27, 34 SGB VIII gewährte Hilfe örtlich zuständig. Die Stadt Göttingen reichte dieses Schreiben an den Beklagten, der damit erstmals - am 06.08.1999 - von der Unterbringung von S. im Schülerinnenheim erfuhr, weiter.

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Seit dem 14.07.1999 lebte S. bei ihrer Tante H. E. und ihrem Onkel Y. H., mit denen das Jugendamt des Bezirksamtes Berlin-Tiergarten einen Pflegevertrag im Sinne von § 33 SGB VIII abschlossen hatte.

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Die vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattung lehnte der Beklagte erstmals mit Schreiben vom 15.09.1999 unter Hinweis darauf ab, dass sämtliche S. gewährten Jugendhilfeleistungen vom Bezirksamt Tiergarten unzuständigkeitshalber erbracht worden seien. Endgültig wurde Kostenerstattung dem Kläger schließlich mit Schreiben vom 03.11.2000 verweigert.

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Der Kläger hat am 23.01.2001 Klage erhoben und trägt zur Begründung vor, dass das Jugendamt des Beklagten nicht sofort eingeschaltet worden sei, weil Gefahr im Verzug bestanden habe. Zudem habe zu diesem Zeitpunkt für ihn keinesfalls festgestanden, dass die leibliche Mutter von S. noch unter der Adresse ... wohnhaft gewesen sei. Der Wohnsitz der Kindesmutter und so auch die Zuständigkeit des Beklagten habe deshalb erst später ermittelt werden können. Der Kläger beziffert seinen Kostenerstattungsanspruch auf insgesamt 39.999,13 DM. Für den Zeitraum vom 02.02. bis 14.07.1999, der Unterbringung von S. im Mädchenwohnheim, ergebe sich die Kostenerstattungspflicht des Beklagten aus § 89 b SGB VIII i.V.m. § 42 Abs. 3 SGB VIII, da S. gem. § 42 Abs. 1 Ziffer 1 SGB VIII wegen Vorliegens einer dringenden Gefahr infolge der sexuellen Übergriffe des Onkels rechtmäßigerweise von seinem Jugendamt in Obhut genommen worden sei. Infolge des gewöhnlichen Aufenthaltes der Kindesmutter im Zuständigkeitsbereich des Beklagten sei dieser nach § 86 SGB VIII örtlich zuständig gewesen und habe die Kosten der Jugendhilfemaßnahmen zu tragen. Dem stehe nicht entgegen, dass S. bis zum Leistungsbeginn bei ihrer Großmutter in Berlin gelebt habe, weil zum einen § 89 b SGB VIII nicht auf die Sonderzuständigkeit des § 86 Abs. 6 SGB VIII abstelle und zum anderen der Aufenthalt bei der Großmutter unmittelbar vor Unterbringung in das Schülerinnenheim im Sinne von § 86 Abs. 6 S. 3 SGB VIII geendet habe. Für den sich daran anschließenden Zeitraum der Vollzeitpflege bei anderen Verwandten gründe sich der Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten auf § 89 c i.V.m. § 86 c SGB VIII. Es liege hier eine Unterbringung in der Pflegestelle gem. §§ 27, 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) vor, so dass ein Zuständigkeitswechsel gem. § 87 SGB VIII stattgefunden habe und das Jugendamt Tiergarten nach Zuständigkeitswechsel nur aus seiner fortdauernden Leistungsverpflichtung heraus die Jugendhilfeleistung bis zur Übernahme des Falles durch den Beklagten zum 01.11.1999 weiter erbracht habe.

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Zunächst hatte der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 20.410,33 € (entspricht 39.919,13 DM) zu zahlen. Nachdem der Beklagte Kostenerstattungsansprüche des Klägers für die Zeit vom 02.02. bis zum 01.03.1999 sowie für die Zeit vom 06.08. bis zum 31.10.1999 anerkennt hat, beantragt er nunmehr,

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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 15.634,95 € (entspricht 30.579,30 DM) zu zahlen,

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Hinsichtlich des (anerkannten) Betrages in Höhe von 4.775,39 € haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

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Der Beklagte beantragt,

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die (weitergehende) Klage abzuweisen.

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Zwar sei gem. § 87 SGB VIII zunächst das Bezirksamt Tiergarten des Klägers aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts von S. gefordert gewesen tätig zu werden. Spätestens jedoch seit dem 02.03.1999 (dieser Zeitpunkt ergebe sich aus dem Jugendhilfeantrag) sei den beteiligten Jugendämtern des Klägers bekannt gewesen, dass die Kindesmutter M. E. in ..., gemeldet gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt sei deshalb gem. § 86 Abs. 1 S. 3 SGB VIII er, der Beklagte, örtlich zuständig gewesen und hätte über den Antrag auf Hilfe zur Erziehung entscheiden müssen. Ungeachtet dessen habe der Kläger jedoch erst mit am 06.08.1999 eingegangenem Schreiben das Jugendamt des Beklagten eingeschaltet. Deshalb sei gemäß § 89 f Abs. 1 S. 1 SGB VIII infolge der Leistungen eines örtlich unzuständigen Jugendhilfeträgers für die Zeit vom 02.03. bis 05.08.1999 jegliche Kostenerstattung zu verneinen. Erst ab Bekanntwerden des Hilfebedarfs am 06.08.1999 sei eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten für die - in der Sache selbst sämtlich gerechtfertigten - Jugendhilfeleistungen nach § 89 c Abs. 1 i.V.m. § 86 c SGB VIII gegeben, weil das Bezirksamt Tiergarten des Klägers bis zur Übernahme des laufenden Jugendhilfefalles durch das Jugendamt des Beklagten zur Weitergewährung der Hilfeleistungen verpflichtet gewesen sei. Das Jugendamt des Klägers sei schließlich nicht vorläufig tätig gewesen sei; alle Bewilligungen seien gegenüber der Hilfeempfängerin endgültig erfolgt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten (Beiakten A und B) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Hinsichtlich der Zeiträume vom 02.02. bis 01.03.1999 sowie vom 06.08. bis 31.10.1999 hat der Beklagte seine Verpflichtung zur Kostenerstattung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens anerkannt und die darauf entfallenden Kosten in Höhe von 2.821,41 € bzw. 1.652,36 € an den Kläger gezahlt. Auf die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren deshalb in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO insoweit einzustellen.

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Die weitergehende Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

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Soweit der Kläger wegen der Unterbringung von S. E. im Schülerinnen Wohnheim in Berlin für den Zeitraum vom 02.03. bis 14.07.1999 Kostenerstattung verlangt, vermag er sich nicht mit Erfolg auf § 89 b SGB VIII i.V.m. § 42 Abs. 3 SGB VIII berufen.

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Nach § 89 b Abs. 1 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen der

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Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42) ... aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB VIII begründet wird. Zwar war der Beklagte gemäß § 86 SGB VIII örtlich zuständiger Jugendhilfeträger, denn die Mutter von S. lebte im Zeitpunkt der Unterbringung des Kindes im Schülerinnen Wohnheim in ..., also im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Überdies hätte wegen der von S. geschilderten sexuellen Übergriffe des Onkels auch die Notwendigkeit zu einer jugendhilferechtlichen Maßnahme nach § 42 SGB VIII, also ihrer Inobhutnahme, für die der Kläger auch nach § 87 SGB VIII örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe gewesen wäre (was eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten nach § 89 b Abs. 1 SGB VIII ausgelöst hätte), bestanden. Doch hat das Jugendamt des Klägers S. nicht am 02.02.1999 im Schülerinnenheim in Obhut genommen. Diese Maßnahme erfolgte vielmehr bewusst und gewollt als Heimerziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII. Denn das Jugendamt des Klägers nahm rechtsirrigerweise an, dass infolge der Beantragung der Unterbringung seitens des Vormundes des Mädchens eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII nicht möglich sei, diese vielmehr nur bei einer Verweigerung der Zustimmung zur Unterbringung eine Inobhutnahme hätte erfolgen dürfen. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem sog. "Roten Bogen" vom 24.03.1999 (vgl. Bl. 1 des Verwaltungsvorganges des Klägers). Im Vorfeld der ergriffenen Jugendhilfemaßnahme Heimerziehung war dem Jugendamt des Bezirksamtes Tiergarten klar, das es dafür "kostenmäßig" nicht zuständig war, denn es erfolgte zunächst eine Kostenübernahme für nur 3 Monate. In dieser Zeit sollte die aktuelle Anschrift der Kindesmutter, die der Kläger nicht zu kennen glaubte, und der kostenmäßig zuständige Träger der Jugendhilfe ermittelt werden. Wenn der Kläger nunmehr meint, er habe nicht "Heimerziehung" für S., sondern in Wirklichkeit ihre Unterbringung nach § 42 SGB VIII, deren Tatbestandsvoraussetzungen vorgelegen hätten, angeordnet, vermag die Kammer dieser Argumentation nicht zu folgen. Kostenerstattungsrechtlich kommt es nämlich einzig und allein auf die tatsächlich erfolgte Maßnahme und nicht auf die rechtlich mögliche oder gebotene Maßnahme an. Würde man dem Kläger insoweit folgen, liefe das auf einen "Etikettenschwindel" heraus, mit dem ein Kostenträger sich einen vom Gesetz nicht gewollten Erstattungsanspruch verschaffen könnte. Diese Sichtweise der Kammer führt nicht zu unbilligen Ergebnissen, denn das SGB sieht in §§ 89 c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 86 d SGB VIII für Fälle wie den vorliegenden grundsätzlich einen Erstattungsanspruch zugunsten des unzuständigen Jugendhilfeträgers, der vorläufig geleistet hat, weil die örtliche Zuständigkeit für eine (gebotene) Jugendhilfemaßnahme noch unklar ist, vor.

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Jedoch kann sich der Kläger für den noch streitbefangenen Zeitraum auch auf diese Anspruchsgrundlage nicht mit Erfolg berufen, denn dem steht § 105 Abs. 3 SGB X entgegen. Die den Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers regelnde Bestimmung des § 105 SGB X ist im Jugendhilferecht anwendbar. Gemäß § 37 SGB I gelten das Erste und Zehnte Buch des Sozialgesetzbuchs für alle Sozialleistungsbereiche unter dem Vorbehalt, dass sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) enthält zwar eigene Regelungen für die Kostenerstattung zwischen den Jugendhilfeträgern (§§ 89 ff. SGB VIII). Diese sind aber nicht abschließend. Die einzelnen Kostenerstattungsansprüche sind vielmehr so ausgeformt, dass sie noch Raum für weitere Ausgleichsansprüche und Regelungen unter gleichartigen Trägern lassen (vgl. Giese/Krahmer, Kommentar zum SGB I und X, § 105 Rz. 10 und 11.3). Dies hat der Gesetzgeber z.B. für das Sozialhilferecht dadurch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er den die Frage der Verwaltungskosten regelnden früheren § 111 Abs. 3 BSHG durch § 109 SGB X und den die Ausschlussfrist regelnden früheren § 112 BSHG durch § 111 SGB X ersetzt hat. Die Vorschriften des SGB X, also auch die hier in Rede stehende Bestimmung des § 105 SGB X, ergänzen somit die Kostenerstattungsregelungen des SGB VIII. Dass der Gesetzgeber das Jugendhilferecht von der Anwendung dieser Bestimmung nicht ausgenommen hat, lässt sich aus § 105 Abs. 3 SGB X, nach dem die vorangehenden Absätze 1 und 2 gegenüber Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe erst von dem Zeitraum ab gelten, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen, entnehmen. § 105 SGB X nicht für Kostenausgleichsverpflichtungen der Jugendhilfeträger untereinander gelten zu lassen, widerspräche auch der Zielsetzung des Gesetzgebers, die er mit der Einführung der §§ 102 ff. SGB X verfolgt hat. Denn mit diesen Bestimmungen sollte ein umfassendes Erstattungsrecht für die verschiedenen Sozialleistungsträger untereinander geschaffen werden, um die Aufsplitterung dieses Rechtsgebiets in zahlreiche Einzelregelungen und die teilweise unterschiedliche Systematik dieser Regelungen zu beseitigen (vgl. Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, 1984, vor §§ 102-114 Rz. 1 ff.). Die Voraussetzungen des § 105 Abs. SGB X sind für den Zeitraum vom 02.03. bis zum 14.07 gegeben, denn der Beklagte hat erst am 06.08.1999 - nach Erhalt des Schreibens des Klägers an die Stadt Göttingen - Kenntnis von der Hilfemaßnahme für S. erlangt.

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Auch hinsichtlich des sich anschließenden Zeitraums vom 14.07. bis 05.08.1999 hat der Kläger gegen den Beklagten wegen der Regelung des § 105 Abs. 3 SGB X mangels Kenntnis der Maßnahme keinen Kostenerstattungsanspruch.

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Streitbefangene Jugendhilfemaßnahme ist insoweit die Unterbringung von S. in einer Pflegefamilie (bei Onkel und Tante in Berlin). Örtlich zuständig für diese Maßnahme nach § 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) ist infolge der Regelung des § 86 Abs. 1 Sätze 1, 3 SGB VIII der Beklagte gewesen, da die Kindesmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt während des hier streitigen Maßnahmezeitraumes in Rosdorf hatte. Eine Zuständigkeit nach § 86 c SGB VIII ist demgegenüber nicht annehmen, da es bei der Vollzeitpflege um eine neue und nicht um eine "fortdauernde" Leistungsverpflichtung geht. Es scheidet auch eine Zuständigkeit nach § 86 d SGB VIII aus, denn die örtliche Zuständigkeit des Beklagten stand im Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme (objektiv) fest. Die Kindesmutter wohnte damals im ... in ... . Dass diese Adresse noch aktuell war, hätte der Kläger durch Kenntnisnahme vom Rücklauf der Postzustellungsurkunde wissen können. Es gab daher keinen nachvollziehbaren Grund, an der Richtigkeit der aktenkundigen Adresse zu zweifeln. Überdies war die beim Einwohnermeldeamt Berlin eingeholte Auskunft veraltet, was der Kläger aus dem Zuzugsdatum und der nicht mehr gebräuchlichen 4-stelligen Postleitzahl hätte erkennen können. Schließlich kann sich der Kläger nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt den Fall noch nicht übernommen hatte. Denn die Regelung ..."oder wird der zuständige örtliche Träger nicht tätig" in § 86 d SGB VIII ist so zu verstehen, dass diesem Träger zumindest zuvor die Möglichkeit zum Tätigwerden eingeräumt worden sein muss, ansonsten bliebe für § 105 Abs. 3 SGB X kein Anwendungsbereich.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 161 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Kammer hat der Kostenquotelung das Maß des Erfolges der Klage durch freiwilliges Nachgeben des Beklagten und das Unterliegen des Klägers zugrunde gelegt.

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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, 711 ZPO.