Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.10.2015, Az.: 6 A 180/14

Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisprüfung; Fahrpraxis; Neuerteilung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
15.10.2015
Aktenzeichen
6 A 180/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45152
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für die Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung nach § 20 Abs. 2 FeV reicht aus, wenn aufgrund der vorliegenden Tatsachen gewichtige und in der Abwägung überwiegende Anhaltspunkte für die Annahme sprechen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte.

2. Im Rahmen der nach § 20 Abs. 2 FeV erforderlich werdenden Abwägung kommt der Dauer fehlender Fahrpraxis wesentliche Bedeutung zu; dieser Zeitfaktor ist in erster Linie zu berücksichtigen.

3. Gegen die Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung können nur Tatsachen sprechen, die den Schluss zulassen, dass der Bewerber die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat.

4. Einzelfall einer rechtmäßig angeordneten Fahrerlaubnisprüfung nach mehr als 17 Jahren fehlender Fahrpraxis trotz zuvor langjährigen (mehr als 14 Jahre andauernden) Besitzes einer Fahrerlaubnis.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem Beklagten, ihm eine Fahrerlaubnis der Klasse B ohne Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung neu zu erteilen.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 19. August 1998 wurde der Kläger wegen zweier Trunkenheitsfahrten, die er am 17. Mai 1998 begangen hatte und bei denen eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,57 ‰ bzw. 2,36 ‰ festgestellt worden war, zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Amtsgericht entzog ihm zugleich die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt), in deren Besitz der Kläger seit Februar 1984 gewesen war,  und ordnete eine Fahrerlaubnissperre von 15 Monaten an. Dagegen erhob der Kläger Einspruch, den er in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 13. Januar 1999 zurücknahm. Sein Führerschein war seit dem 17. Mai 1998 beschlagnahmt, zunächst aufgrund einer Anordnung der Polizei und sodann aufgrund vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht F..

Seither beantragte der Kläger wiederholt bei dem Beklagten, ihm eine Fahrerlaubnis neu zu erteilen. Die beiden ersten Anträge nahm er zurück, nachdem er auf Anordnung des Beklagten jeweils ein medizinisch-psychologisches Gutachten des TÜV Nord vorgelegt hatte, das die Fahreignung verneinte (Gutachten v. 10.04.2000 bzw. 29.10.2002). Im April 2008 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, den der Beklagte ablehnte, weil der Kläger das angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt hatte. Mit seiner hiergegen erhobenen Klage machte der Kläger im Wesentlichen geltend, er sei bislang stets unberechtigt zur Vorlage medizinisch-psychologischer Gutachten aufgefordert worden, außerdem habe der Beklagte bei seiner letzten Entscheidung die mit dem Strafbefehl geahndeten Fahrten unter Alkoholeinfluss nicht mehr berücksichtigen dürfen. Das erkennende Gericht wies diese Klage mit rechtskräftig gewordenem Einzelrichterurteil vom 17. August 2010 ab (Aktenzeichen: 6 A 61/09; Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt mit Beschluss des Nds. OVG v. 04.11.2011 - 12 LA 270/10 -). Zur Begründung führte das Gericht in dem Urteil unter anderem aus, dass der Beklagte die beiden Verkehrsstraftaten seinerzeit berücksichtigen durfte, weil für die Tilgung dieser Taten aus dem Verkehrszentralregister eine Frist von 10 Jahren gelte und diese Frist erst 5 Jahre nach dem Strafbefehl des Amtsgerichts zu laufen begonnen habe.

Unter dem 16. Dezember 2013 beantragte der Kläger erneut beim Beklagten die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Der Beklagte teilte ihm daraufhin mit, neue Erkenntnisse über Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers seien ihm zwar nicht bekannt geworden. Wegen des langen Zeitraums fehlender Fahrpraxis sei der Kläger aber gemäß § 20 Abs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) verpflichtet, eine theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung abzulegen. Der Kläger wies dies zurück und machte geltend, nach der gesetzlichen Regelung reiche die Dauer der Entziehung nicht aus, um eine Fahrprüfung anzuordnen.

Mit Bescheid vom 7. Mai 2014 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B ab. Zur Begründung verwies er auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, nach der sich bei einem Zeitraum von mehr als 14 Jahren zwischen dem Verlust der Fahrerlaubnis und dem Wiedererteilungsantrag ohne Weiteres aufdrängt, dass die nach der Fahrerlaubnis-Verordnung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bei dem Betroffenen nicht mehr gegeben sind. Dieser Zeitraum sei hier überschritten. Mit einem weiteren Bescheid vom 7. Mai 2014 setzte der Beklagte Verwaltungskosten von 115,20 Euro gegen den Kläger fest.

Am 8. Juni 2014 hat der Kläger gegen beide Bescheide Klage erhoben. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, seit dem Wegfall der Zwei-Jahres-Grenze in § 20 Abs. 2 FeV müssten für die Anordnung einer Fahrprüfung Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass genügende theoretische und praktische Kenntnisse nicht mehr gegeben sind. Solche Tatsachen oder Erkenntnisse lägen hier aber nicht vor. Die Dauer der Entziehung reiche als Ablehnungsgrund nicht aus. Es gebe Fälle, in denen sogar nach 20 oder 30 Jahren ohne Fahrerlaubnis der Führerschein ohne zusätzliche Theorie- und Praxisausbildung wieder zu erteilen sei.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 7. Mai 2014 zu verpflichten, ihm eine Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in den Bescheiden Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ohne theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung. Die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Ob für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung eine Fahrerlaubnisprüfung erforderlich wird, bestimmt sich nach § 20 FeV. Danach gilt der Grundsatz, dass vor Neuerteilung keine erneute Fahrerlaubnisprüfung abzulegen ist (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung aber an, wenn im konkreten Fall Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV (theoretische Prüfung) und § 17 Abs. 1 FeV (praktische Prüfung) erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt (§ 20 Abs. 2 FeV). Dabei steht der Behörde kein Beurteilungsspielraum zu. Ihre Beurteilung unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung.

Wenn § 20 Abs. 2 FeV auf „Tatsachen“ abstellt, ist damit das Gesamtbild der relevanten Tatsachen gemeint. Ob Tatsachen vorliegen, die die Annahme unzureichender Kenntnisse und Fähigkeiten rechtfertigen, ist danach aufgrund einer Würdigung des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Dabei sind die für und gegen die Annahme ausreichender Fahrbefähigung sprechenden Tatsachen zu berücksichtigen und abzuwägen. In diesem Rahmen kommt der Dauer fehlender Fahrpraxis eine wesentliche Bedeutung zu; dieser Gesichtspunkt ist in erster Linie zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U. v. 27.10.2011 - 3 C 31.10 -, NJW 2012, 696 Rn. 11 - zu der vergleichbaren Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV -; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 6; BayVGH, B. v. 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 5; Sächs. OVG, B. v. 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 7; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 20 FeV Rn. 2 m.w.N.; Haus in: NK-GVR, § 20 FeV Rn. 24 m.w.N.). Ein langer Zeitraum fehlender Fahrpraxis rechtfertigt die Annahme unzureichender Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne der §§ 16 Abs. 1 und 17 Abs. 1 FeV jedenfalls dann, wenn dem im konkreten Einzelfall keine beurteilungsrelevanten besonderen Umstände entgegenstehen. Für die Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob nach den relevanten Tatsachen feststeht, dass dem Bewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt. Sonst würde die in § 20 Abs. 2 FeV vorgesehene Prüfung, durch die gerade die Befähigung nachgewiesen werden soll, überflüssig. Für die Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung reicht vielmehr aus, wenn aufgrund der vorliegenden Tatsachen gewichtige und in der Abwägung überwiegende Anhaltspunkte für die Annahme sprechen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte (im Ergebnis ebenso BayVGH, U. v. 17.04.2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 29, 32).

Der Auslegung, dass dem Zeitfaktor - d. h. der Zeit fehlender Fahrpraxis - für die Entscheidung nach § 20 Abs. 2 FeV herausragende Bedeutung zukommt, steht die Entstehungsgeschichte der Regelung nicht entgegen. Zwar sah die Vorschrift in der vorangegangenen, bis zum Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl. I S. 1338) geltenden Fassung vor, dass auf die Prüfung nicht verzichtet werden kann, wenn seit der Entziehung oder dem Verzicht auf die Fahrerlaubnis mehr als zwei Jahre vergangen waren. Mit der Neuregelung hat der Verordnungsgeber aber nur die starre Frist zugunsten einer Einzelfallprüfung aufgehoben. Demgemäß führt die Begründung der Änderungsverordnung aus, die Frist sei entfallen, um der Fahrerlaubnisbehörde größere Flexibilität zu ermöglichen (vgl. VkBl. S. 568 und dazu BVerwG, a. a. O., S. 697 Rn. 13 sowie OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 22.03.2013 -. 16 A 55/12 -, juris Rn. 4 ff. und Haus, a. a. O., Rn 27). Auch im Normtext hat der Verordnungsgeber die maßgebliche Berücksichtigung des Zeitfaktors nicht ausgeschlossen. Dies entspricht auch dem mit § 20 Abs. 2 FeV verfolgten Zweck. Die Regelung dient der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie soll - schon bevor es zu Schäden für andere Verkehrsteilnehmer kommt - verhindern, dass Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, die nach dem Verlust oder Verzicht auf eine Fahrerlaubnis nicht mehr über die für eine sichere Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr mit einem Fahrzeug der beantragten Fahrerlaubnisklasse erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Es liegt auf der Hand, dass eine über einen langen Zeitraum fehlende Fahrpraxis Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen von Fahrzeugen begründen kann, weil mit zunehmender Dauer der fahrerlaubnislosen Zeit typischerweise die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten schwinden sowie neue Anforderungen entstehen (vgl. BVerwG, a. a. O., S. 697 Rn. 13 - zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV -). Die Dauer fehlender Fahrpraxis ist im Übrigen regelmäßig der einzige verwertbare Anhaltspunkt für die im Rahmen des § 20 Abs. 2 FeV erforderlich werdende Beurteilung, weil der Betroffene mangels Fahrerlaubnis einerseits im Straßenverkehr nicht negativ auffallen, andererseits das Fortbestehen seiner Befähigung aber auch praktisch nicht unter Beweis stellen konnte.

Schließlich ist auch der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B, die ebenfalls jahrelang keine Fahrpraxis hatten, dann aber wieder aktiv mit einem Kfz am Straßenverkehr teilnehmen wollen, keine Fahrprüfung ablegen müssen. Die abweichende Regelung für Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B beruht darauf, dass Fahrerlaubnisse dieser Art gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 FeV generell unbefristet erteilt werden, und zwar unabhängig davon, dass die ab dem 19. Januar 2013 ausgestellten Führerscheine zum Nachweis der Fahrerlaubnis gemäß § 24 a Abs. 1 FeV nur befristet gültig sind; während der Inhaberschaft einer solchen Fahrerlaubnis wird also die Eignung und Befähigung des Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach deutschem Fahrerlaubnisrecht grundsätzlich vermutet. Insoweit liegen aber schon keine vergleichbaren Sachverhalte vor, sodass nicht wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Denn in diesen Fällen wird lediglich von einer fortbestehenden Fahrerlaubnis kein Gebrauch gemacht, während es im Fall des § 20 Abs. 2 FeV um die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung bzw. ausdrücklichem Verzicht geht (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 22.03.2012 - 16 A 55/12 -, juris Rn. 13; BayVGH, B. v. 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 7).

Nach den dargelegten Maßstäben durfte der Beklagte eine Fahrerlaubnisprüfung verlangen, weil der Kläger mehr als 17 Jahre ohne Fahrpraxis gewesen ist (vgl. Sächs. OVG, B. v. 30.09.2014 - 3 D 35/14 -, juris Rn. 8; s. auch: VG Gelsenkirchen, U. v. 08.04.2015 - 7 K 1153/14 -, juris - rund 10 Jahre -; VG Meiningen, U. v. 19.08.2014 - 2 K 106/14 Me -, juris Rn. 23 - 10 Jahre -; VG Düsseldorf, B. v. 20.03.2013 - 14 L 418/13 -, juris - 12 Jahre -; VG Bremen, GB v. 30.01.2012 - 5 K 1036/11 -, juris - 13 Jahre -; vgl. auch BVerwG, U. v. 27.10.2011 - 3 C 31/10 -, NJW 2012, 696, 697 Rn. 17 u. 13 zu dem insoweit vergleichbaren § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV - rund 10 Jahre fehlende oder stark eingeschränkte Fahrpraxis im Busverkehr für Erlaubnis zum Führen von Omnibussen - sowie Dauer, a. a. O., m.w.N.).

Dabei kommt es nach den allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen für die Beurteilung im Rahmen der vorliegenden Verpflichtungsklage maßgeblich auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Der Kläger ist auf der Grundlage des vom Amtsgericht F. erlassenen Strafbefehls seit dem 13. Januar 1999 nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis, bislang also in etwa 16 Jahre und 9 Monate. Allein diese Tatsache begründet bereits erhebliche Zweifel am Fortbestand der erforderlichen Fahrbefähigung. Für die gemäß § 20 Abs. 2 FeV zu berücksichtigende zeitliche Komponente kommt es allerdings entscheidend auf die Zeit fehlender oder stark eingeschränkter Fahrpraxis, also letztlich auf den Zeitraum an, in dem der Kläger tatsächlich nicht gefahren ist (vgl. BVerwG, a. a. O., S. 697 Rn. 13 und Dauer, NJW 2012, 698 [OVG Niedersachsen 30.11.2011 - 4 PA 315/11]). Dieser Zeitraum übertrifft die Zeitspanne, in der der Kläger aufgrund des Strafbefehls ohne Fahrerlaubnis gewesen ist, hier noch einmal deutlich. Sein Führerschein ist nach den vorliegenden Unterlagen seit dem 17. Mai 1998 beschlagnahmt gewesen, sodass er weitere ca. 8 Monate nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt war (vgl. § 94 Abs. 3, § 98 Abs. 1 Satz 1 sowie § 111 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StPO i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StVG). Insgesamt hat der Kläger damit deutlich mehr als 17 Jahre keine Fahrpraxis.

Gewichtige Umstände, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen wären und dazu führen würden, dass auf eine Fahrprüfung trotz des langen Zeitraums fehlender Fahrpraxis verzichtet werden kann, sind nicht vorgetragen und auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die langjährige Fahrpraxis des Klägers vor Entziehung der Fahrerlaubnis - von 1984 bis 1998 - reicht dafür angesichts des deutlich längeren Zeitraums fehlender Praxis nicht aus. Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen über ausreichende Kenntnisse der für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften und der umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügen sowie mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut sein (vgl. § 16 Abs. 1 FeV). Außerdem müssen sie zur praktischen Anwendung der erforderlichen Kenntnisse - insbesondere der für das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs im Verkehr nötigen technischen Kenntnisse - fähig sein (vgl. § 17 Abs. 1 FeV). Wenn ein Bewerber deutlich mehr als 17 Jahre ohne Fahrpraxis ist, bleibt auch trotz zuvor langjährigen Führens von Kraftfahrzeugen zweifelhaft, ob er über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten noch in einem Umfang verfügt, der das sichere Führen von Kraftfahrzeugen gewährleistet (ebenso im Ergebnis BayVGH, B. v. 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 6, für einen Fall fehlender Fahrpraxis von mehr als 15 Jahren bei zuvor „sehr langer“ Fahrpraxis). In einem derart langen Zeitraum gehen notwendige Kenntnisse verloren und lassen auch zuvor verinnerlichte Fähigkeiten im Umgang mit dem Kraftfahrzeug nach; routinemäßige Abläufe, die sich beim Führen eines Fahrzeugs entwickelt haben und entstandene Kenntnisdefizite kompensieren können, lassen sich jedenfalls nicht mehr in vollem Umfang abrufen. Hinzu kommt, dass die Verkehrsdichte in den letzten 17 Jahren zugenommen hat, sodass zunehmend komplexere Verkehrssituationen mit erhöhten Anforderungen an die Fähigkeiten eines Kraftfahrzeugführers entstehen können. Zutreffend hat der Beklagte außerdem darauf hingewiesen, dass sich in einem derart langen Zeitraum auch die Fahrzeugtechnik fortentwickelt hat. Dass ein langjährig ohne Fahrpraxis gebliebener Bewerber um eine Fahrerlaubnis den daraus resultierenden neuen Anforderungen gewachsen ist, ist ohne Überprüfung nicht hinreichend sicher.

Weitere für die Entscheidung nach § 20 Abs. 2 FeV relevante Tatsachen, insbesondere solche, die gegen die Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung sprechen würden, sind hier nicht ersichtlich. Relevant sind in diesem Zusammenhang nur Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene die für die begehrte Fahrerlaubnis erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten trotz fehlender Fahrpraxis nicht verloren hat; die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa oder einem Fahrrad würde hier daher beispielsweise ebenso wenig genügen wie der Hinweis darauf, regelmäßig als Beifahrer in Kraftfahrzeugen am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen oder Kraftfahrzeuge unberechtigt geführt zu haben (vgl. BayVGH, B. v. 19.09.2013 - 11 ZB 13.1396 -, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 04.01.2012 - 16 A 1500/10 -, juris Rn. 9; VG Meiningen, U. v. 19.08.2014 - 2 K 106/14 -, juris Rn. 24). Das Gericht hat dem Kläger ausdrücklich Gelegenheit gegeben darzulegen, aufgrund welcher Tatsachen in seinem Fall trotz des erheblichen Zeitraums fehlender Fahrpraxis die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung entfallen soll. Solche Tatsachen hat er nicht aufgezeigt.

Die sich somit im Wege der Abwägung ergebenden Zweifel rechtfertigen die Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung. Für die Anordnung ist nicht erforderlich, dass die mangelnde Befähigung des Klägers bereits feststeht (s. oben).

Nach allem hatte der Beklagte die Fahrerlaubnisprüfung für den Kläger zwingend anzuordnen. Die Anordnung der Prüfung nach § 20 Abs. 2 FeV steht nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde (vgl. Sächs. OVG, a. a. O., Rn. 6; Haus, a. a. O., Rn. 22; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, a. a. O., Rn. 2).

Auch der angegriffene Kostenfestsetzungsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Kosten der Höhe nach nicht rechtmäßig festgesetzt hat, hat der Kläger nicht vorgetragen und lassen sich auch den im Übrigen vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen.