Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.02.2009, Az.: 13 A 1621/07
Selbstbeschaffung; Systemversagen; Unaufschiebbarkeit der Bedarfsdeckung; gerichtliche Überprüfbarkeit der Maßnahmenauswahl
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 16.02.2009
- Aktenzeichen
- 13 A 1621/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 44473
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2009:0216.13A1621.07.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB VIII 35a
- SGB VIII 36a
Fundstelle
- JAmt 2009, 319-322
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch des Heilpädagogischen Zweigs der Freien Waldorfschule ... .
Der am 15. März 1997 geborene Kläger leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit Störung der Informationsverarbeitung sowie begleitender Verhaltensstörung (Bescheinigung des Facharztes für Kinderheilkunde und Jugendmedizin ... vom 27.04.2006, Bl. 66 des Verwaltungsvorgangs; pädaudiologisches Gutachten des Facharztes für Phoniatrie und Pädaudiologie ... vom 17.01.2005, Bl. 72) und wird seit Mai 2006 medikamentös behandelt. Er wurde im Schuljahr 2003/2004 in ... eingeschult, nachdem er zunächst als Integrationskind den Schulkindergarten besucht hatte. Im Schuljahr 2005/2006 wiederholte er die 2. Klasse. Seit der 1. Klasse erhielt er zusätzliche Förderung durch differenzierte Aufgaben und eine Kooperationslehrkraft. Auch im Wiederholungsjahr erhielt er zusätzliche Kleingruppenförderung. Im Januar 2006 wurde ein Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeleitet. Am 30. März 2006 wurde der Kläger durch das Gesundheitsamt Landkreis ... untersucht. Mit amtsärztlichem Zeugnis vom 03. April 2006 wurden große Lerndefizite, Schwierigkeiten beim Rechnen und beim Umsetzen von Schrift- in Lautsprache und umgekehrt sowie sekundäre Verhaltensauffälligkeiten mit Rückzugsverhalten bei Anforderungen festgestellt. Eine Beschulung des Klägers in einer Förderschule für Lernen werde befürwortet. Auch die Sonderschullehrerin Frau ... kam in ihrem Beratungsgutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 30. März 2006 zu dem Ergebnis, bei dem Kläger lägen deutliche Hinweise für schwerwiegende, umfängliche und lang andauernde Beeinträchtigungen des Lernens vor. Er könne an der Grundschule mit ihrer derzeitigen Unterrichtsversorgung nicht ausreichend gefördert werden. Dazu wäre die Arbeit in kleinen Lerngruppen mit großer Zuwendung in kurzen Arbeitsphasen notwendig. Unter dem 16. Mai 2006 empfahl die Förderkommission die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs und den Besuch der Letheschule - Förderschule für Lernen - Wardenburg.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2006 stellte die Landesschulbehörde sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt im Bereich Lernen für den Kläger fest und verpflichtete ihn, die Letheschule ... zu besuchen.
Hiergegen erhoben die Eltern des Klägers für ihren Sohn am 11.07.2006 Klage, soweit er der ...schule zugewiesen worden war. Die Klage wurde durch Urteil der 5. Kammer des Gerichts vom 19.12.2007 - Az. 5 A 3603/06 - abgewiesen. Dieses Urteil wurde durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 07.10.2008 - 2 LA 7/08 - für wirkungslos erklärt, nachdem die Beteiligten in dem vom Kläger angestrengten Verfahren auf Zulassung der Berufung übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache erklärt hatten.
Zu Beginn des Schuljahres 2006/2007 meldeten die Eltern den Kläger mit Zustimmung der Landesschulbehörde vom 16. August 2006 zum Besuch der 3. Klasse im Heilpädagogischen Schulzweig der Freien Waldorfschule ... an, weil sie nicht damit einverstanden waren (und sind), dass der Kläger eine Förderschule besucht.
Am 22. Januar 2007 stellten die Eltern des Klägers bei dem Beklagten einen Antrag auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch der Waldorfschule sowie zur Erstellung der ADS-Diagnose. Die Kosten für den Schulbesuch setzen sich nach ihren Angaben aus einem monatlichen Schulgeld i.H.v. 150,00 Euro, einem einmaligen Baugeld i.H.v. 2 500,00 Euro sowie den Kosten der Jahresmitgliedschaft i.H.v. 144,00 Euro zusammen.
Der Beklagte forderte daraufhin das auf Veranlassung der Landesschulbehörde erstellte Beratungsgutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie einen Schulbericht des Heilpädagogischen Schulzweigs der Freien Waldorfschule ... an. Nach dem von der Sonderschullehrerin ... erstellten Schulbericht vom 23. Februar 2007 zeigten sich beim Kläger keine offensichtlichen Einschränkungen bezüglich notwendiger Lernvoraussetzungen. Insgesamt zeige er ein verlangsamtes Verhalten, das er allerdings in konkreten Situationen verlassen könne. Bisher habe er sich in der Schule sehr zurückgehalten und in den Pausen beobachtend am Rand gestanden. In den letzten Wochen habe er sich mehr zugetraut und es zunehmend gewagt, näheren Kontakt zu den Mitschülern aufzunehmen. Er entwickle sich in der Klassengemeinschaft zu einem beliebten und anerkannten Mitschüler. Er komme gerne in die Schule, fühle sich im Klassenverband wohl und werde jeden Tag mutiger. Seine Lernfortschritte vollzögen "sich in kleinen Schritten regelmäßig".
Am 21. März 2007 führte die Bezirkssozialarbeiterin des Beklagten ein Gespräch mit dem Kläger und dessen Eltern zur Feststellung einer möglichen Beeinträchtigung der Teilhabe an der Gesellschaft. In diesem Gespräch erklärte der Kläger, er gehe jetzt gerne in die Schule und spiele in den Pausen mit anderen Kindern. Bei Problemen wende er sich an die Aufsicht oder den Lehrer. In der Grundschule ... hätte er seine Hausaufgaben nicht gerne gemacht; jetzt mache er sie in der Regel alleine und zügig. Seine Eltern gaben an, der Kläger habe in der Zeit des Besuches der Grundschule während des Tages und nachts eingenässt; dieses Problem bestehe nicht mehr.
Mit Bescheid vom 09. Mai 2007 stellte der Beklagte fest, dass die Förderung des Klägers in einer heilpädagogischen Praxis erforderlich ist und erklärte sich bereit, die Kosten für die ADS-Gruppe in der Einrichtung ... in ... für ein halbes Jahr zu übernehmen.
Der Kläger hat am 08. Juni 2007 Untätigkeitsklage erhoben. Der Beklagte habe über den Antrag auf Übernahme der Kosten des Besuchs der Waldorfschule im Rahmen der Eingliederungshilfe bislang keine Entscheidung getroffen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch des Heilpädagogischen Schulzweigs der Freien Waldorfschule ... zu gewähren und den Bescheid vom 09. Mai 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend: Bei dem Kläger bestehe zwar Eingliederungsbedarf. Diesem werde jedoch durch Übernahme der Kosten für die ADS-Gruppe der Einrichtung ... für ein halbes Jahr Rechnung getragen, zumal dem Kläger ein Anspruch auf Förderung in einer Schule für Lernhilfe zustehe. Zu seinen Lasten greife der Nachrang der Jugendhilfe gegenüber Verpflichtungen des staatlichen Schulsystems durch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte zu diesem Verfahren und zum Verfahren mit dem Aktenzeichen 5 A 3603/06 Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer legt das Begehren des Klägers nach verständiger Würdigung des Schriftverkehrs im gerichtlichen Verfahren gemäß § 88 VwGO dahingehend aus, dass er die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Eingliederungshilfe und die Aufhebung des Bescheides vom 09. Mai 2007, soweit mit ihm Leistungen versagt worden sind, begehrt. Aus der Bewilligung der nur ambulanten Eingliederungshilfe ergibt sich auch die Ablehnung der beantragten teilstationären Eingliederungshilfe.
Die so verstandene Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
1.
Die Klage bleibt für den Zeitraum vom Beginn des Schuljahres 2006/2007 (01. August 2006, vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 Nds. Schulgesetz - NSchG -) bis zum 09. Mai 2007 ohne Erfolg, weil dem Kläger kein Anspruch auf die hier allein begehrte Übernahme der Schulkosten des Heilpädagogischen Zweigs der Freien Waldorfschule ... im Wege der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zusteht. Denn es fehlt für diesen Zeitraum bereits an einer rechtzeitigen Antragstellung.
Voraussetzung für die Bewilligung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Jugendliche ist nach § 35a Abs. 1 SGB VIII, dass die seelische Gesundheit des Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Zu diesen beiden Tatbestandsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII kommt hinzu, dass die hilfebedürftige Person so rechtzeitig einen Antrag auf Hilfegewährung zu stellen hat, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist. Dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Kosten der von dritter Seite durchgeführten Eingliederungsmaßnahme nur aufkommen muss, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist, folgt aus § 36a Abs. 1 SGB VIII, wonach die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann vom Jugendhilfeträger zu übernehmen sind, wenn die Hilfe auf Grundlage einer Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird (vgl. auch BVerwG, Urt.v. 11.08.2005, BVerwGE 124, 83 [BVerwG 11.08.2005 - BVerwG 5 C 18.04]). Mit dem jugendhilferechtlichen Ziel der "partnerschaftlichen Hilfe unter der Achtung familialer Autonomie" (vgl. BT-Drs. 11/5948 vom 01.12.1989, S. 42) und dem kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozess über jugendhilferechtliche Maßnahmen deckt es sich demnach nicht, das Jugendamt zum bloßen Kostenträger einer frei gewählten Hilfeleistung zu machen (vgl. BVerwG, Urt.v. 28.09.2000, BVerwGE 112, 98 [BVerwG 28.09.2000 - 5 C 29/99]).
An einer solchen rechtzeitigen Antragstellung fehlt es hier. Dem Beklagten ist zuzubilligen, den geltend gemachten Bedarf zu prüfen und sachgerecht über die Hilfe zu entscheiden. Eine solche Entscheidung ist am 09. Mai 2007 mit der Feststellung heilpädagogischen Förderungsbedarfs und einer Kostenübernahmeerklärung für die Einrichtung ... in ... ergangen, nachdem der Kläger am 22. Januar 2007 erstmals einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe gestellt hat. Für den Beklagten bestand bis zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Kenntnis eines Förderungsbedarfs. Soweit die Eltern in dieser Angelegenheit ärztlichen oder fachlichen Rat gesucht haben, geschah dies nicht im Zusammenwirken mit dem Beklagten. Damit lag mit der Anmeldung des Klägers bei der Freien Waldorfschule ... bis zur Entscheidung des Beklagten über den Antrag auf Eingliederungshilfe ein Fall der "selbst beschafften" Eingliederungshilfe vor.
Der Beklagte hat die Kosten der selbst beschafften Maßnahme nicht nach § 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII zu übernehmen. Danach ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen auch dann verpflichtet, wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3). Der Leistungsberechtigte trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Selbstbeschaffung die Darlegungs- und Beweislast (Fasselt in LPK-SGB VIII, § 36a Rn. 8). Die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegen nicht vor.
Ein "Systemversagen", das § 36a SGB VIII zu Grunde legt, ist nicht gegeben. Die Eltern des Klägers hatten spätestens mit Vorliegen des Beratungsgutachtens zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderungsbedarfs von der Förderschullehrerin der ...schule, Frau ..., vom 30. Juni 2006 sowie dem amtsärztlichen Zeugnis von Frau ... vom Gesundheitsamt Landkreis ... vom 03. April 2006 Kenntnis vom Hilfebedarf ihres Sohnes. Es wäre dem Kläger bzw. seinen Eltern ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, den Antrag auf Übernahme der Schulkosten vor Beginn des Schuljahres 2006/2007 zu stellen, und damit den Beklagten rechtzeitig im Sinne des § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII über den konkreten Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen bzw. das konkrete Hilfebegehren an den Jugendhilfeträger heranzutragen (vgl. dazu Stähr in Hauck/ Noftz, SGB VIII, § 36a Rn. 26).
2.
Auch für den Zeitraum ab dem 09. Mai 2007 besteht kein Anspruch des Klägers auf Übernahme der begehrten Schulkosten. Zwar ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Eingliederungshilfe nach §§ 27, § 35a SGB VIII vorlagen. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass die Deckung des Bedarfs nicht bis zu der Entscheidung über die Klage gegen die abgelehnte Leistung gem. § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB VIII unaufschiebbar gewesen ist.
Für den Kläger bestand aufgrund des Bescheides der Landesschulbehörde vom 29. Juni 2006 die Möglichkeit, zum Beginn des Schuljahres 2006/2007 die Letheschule - Förderschule für Lernen - zu besuchen. Nach Auswertung der durch die Landesschulbehörde eingeholten Gutachten ist davon auszugehen, dass der Besuch der Förderschule jedenfalls zusammen mit der von dem Beklagten bewilligten Besuch der ADS-Gruppe der Einrichtung ... ... ausgereicht hätte, um den Bedarf des Klägers beim Zuwarten auf die Entscheidung nach § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB VIII zu decken, da die beim Kläger festgestellten sekundären Verhaltensauffälligkeiten mit Rückzugsverhalten bei Anforderungen darauf beruhten, dass er von den Anforderungen einer Regelschule überfordert war. Dem wäre durch eine Beschulung in einer Förderschule Lernen, wie sie gutachterlicherseits befürwortet worden ist, ausreichend Rechnung getragen worden. Hierzu kam es nur deshalb nicht, weil die Eltern des Klägers für ihren Sohn den Besuch einer Förderschule abgelehnt haben. Anhaltspunkte dafür, dass trotz Wahrnehmung dieser Möglichkeiten eine Einschränkung der Teilhabe des Klägers im Sinne des § 35a Abs. 1 SGB VIII gedroht hätte, bestehen nicht und wurden vom insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger auch nicht vorgetragen.
Darüber hinaus scheitert der Anspruch auch daran, dass sich der auch vom Beklagten grundsätzlich anerkannte Anspruch auf Eingliederungshilfe nicht auf die allein gewünschte teilstationäre Unterbringung des Klägers im Heilpädagogischen Zweig der Freien Waldorf- Schule Oldenburg konkretisiert.
Ausweislich der Stellungnahme des Facharztes für Phoniatrie und Pädaudiologie ... vom 17. Januar 2005 leidet der Kläger unter einer auditiven Aufmerksamkeitsstörung mit verlangsamter Sprachverarbeitung und normaler peripherer Hörfähigkeit. Im Rahmen der Untersuchung beim Gesundheitsamt Landkreis ... wurden laut amtsärztlichem Zeugnis vom 03. April 2006 große Lerndefizite, Schwierigkeiten beim Umsetzen von Schrift- in Lautsprache und umgekehrt sowie beim Rechnen und sekundäre Verhaltensauffälligkeiten mit Rückzugsverhalten bei Anforderungen festgestellt. Für die hieraus folgende Beeinträchtigung der Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft hat der Beklagte als Hilfemaßnahme eine ambulante Erziehungshilfe angeboten. Diese Hilfemaßnahme stellt das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Klägers und mehrerer Fachkräfte dar, das nicht durch eine gerichtliche Bewertung ersetzt werden kann. Die vom Jugendamt vorgeschlagene Maßnahme muss lediglich als angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation geeignet sein, d.h., dieses Ziel erreichen können (BVerwG, Urt.v. 24.06.1999, BVerwGE 109, 155 [BVerwG 24.06.1999 - 5 C 24/98]).
Mit der von dem Beklagten vorgesehenen ambulanten Erziehungshilfe wird für den Kläger bezweckt, zu erreichen, dass sein Selbstwertgefühl gestärkt und er in der Übernahme von Selbstverantwortung und Selbstständigkeit unterstützt wird (vgl. Stellungnahme der Bezirkssozialarbeiterin vom 05. April 2007). Diese Zielrichtung der Maßnahme betrifft im Kernbereich die angesprochenen Defizite des Klägers hinsichtlich seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Den Problemen in der Schule sollte durch den gleichzeitigen Besuch der ...schule - Förderschule für Lernen - entgegengetreten werden. Die Maßnahme ist damit von der Zielrichtung her geeignet.
Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass das konkret gewählte Mittel einer ambulanten Einflussnahme im vorliegenden Fall von vornherein ungeeignet wäre. Die heilpädagogisch-therapeutische Förderung bei der ... in ... dient dazu, Schulkinder u.a. bei Entwicklungsstörungen, Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten, emotionalen und sozialen Problemen, Verhaltensauffälligkeiten sowie Lern- und Leistungsstörungen zu unterstützen (vgl. http://www....-....de/Seiten/schulkinder.html). Die von dem Beklagten vorgeschlagene ambulante Erziehungshilfe stellt sich demgemäß als angemessene und geeignete Lösung der festgestellten Belastungssituation dar.
Daneben weist das Gericht darauf hin, dass Jugendhilfe nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nachrangig ist, soweit der Bildungsauftrag des öffentlichen Schulwesens reicht und ein schulisches Förderungsangebot besteht. Dieser Vorrang der Förderung von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Schulwesen setzt allerdings voraus, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten ist - juris; (OVG Münster, Beschluss vom 16. Mai 2008 - Az. 12 B 547/08Beschluss vom 30. Januar 2004 - 12 B 2392/03 -, FEVS 55, 469). Auch unter Berücksichtigung der beim Kläger bestehenden Defizite und Schwierigkeiten hat die Kammer - wie bereits oben (S. 7) dargelegt - keine Anhaltspunkte für die Annahme gesehen, dass er durch eine Beschulung in einer Schule für Lernhilfe eine bedarfsdeckende Hilfe nicht erhalten hätte.