Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.04.2003, Az.: 3 A 3248/01
Rer Hamar; Somalia
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 28.04.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 3248/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48065
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 Abs 4 AuslG
- § 53 Abs 6 S 1 AuslG
- Art 16a Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. In Somalia existiert weiterhin keine staatliche Gewalt, von der politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG und § 53 Abs. 4 AuslG ausgehen könnte.
2. Einem Angehörigen des in Mogadischu ansässig gewesenen, inziwschen weitgehend vertriebenen Clans der Rer Hamar ist Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Somalias vorliegen. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.11. 2001 wird in Ziffer 3. aufgehoben, soweit er dem entgegen steht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Der Kläger ist nach seinen Angaben somalischer Staatsangehöriger, gehört dem Clan der Rer Hamar an und stammt aus Hamarwein/Mogadischu. Er reiste am 07.11.2001 auf dem Luftweg von Dubai in die Bundesrepublik Deutschland über den Flughafen von Frankfurt/Main ein. Zur Begründung seines Asylantrages trug er im Wesentlichen vor, er habe zusammen mit seiner Frau bei seiner Schwiegermutter und deren Ehemann in Djidda/ Saudi Arabien gelebt und dort seinen Unterhalt verdient, indem er als Kellner im Geschäft seines Onkels sowie als Erntehelfer auf Farmen gearbeitet habe. Um den 10.08.2001 habe der Ehemann seiner Schwiegermutter sich vor dieser scheiden lassen. Wenige Tage später seien sie von der saudischen Polizei ausgewiesen worden und nach Mogadischu zurückgekehrt. Mitte September 2001 sei seine Schwiegermutter verstorben. Ungefähr zur gleichen Zeit habe ihn der Scheich Obah, welcher ebenfalls dem Clan der Rer Hamar angehöre, aufgefordert, sich von seiner Frau zu trennen, um sie selbst heiraten zu können. Falls er dies nicht innerhalb von zwei Tagen tue, werde er umgebracht. Daraufhin hätten sie sich bei einem alten Freund seines Vaters versteckt, bis sie mithilfe eines Schleppers Somalia verlassen konnten.
Mit Bescheid vom 22.11.2001, zugestellt am 03.12.2001, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung nach Somalia zur Ausreise aufgefordert.
Hiergegen hat der Kläger am 17.12.2001 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf sei Vorbringen aus dem Vorverfahren beruft.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.11.2001 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Der Beteiligte hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Beteiligten vorab übersandte Erkenntnismittelliste, die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und auch sonst statthafte Klage ist überwiegend nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, noch steht ihm Abschiebungsschutz im Sinne von § 51 Abs. 1 bzw. § 53 Abs. 4 AuslG zu. Überdies ist die Abschiebungsandrohung rechtmäßig. Allerdings ist dem Kläger aufgrund des fortbestehenden Bürgerkrieges in Somalia derzeit Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
Ausländern steht nach Art. 16 a Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - ein Asylanspruch zu, wenn ihnen im Heimatstaat politische Verfolgung droht, also wenn ihnen in Anknüpfung an ihre politische Überzeugung, ihre religiöse Grundentscheidung oder andere für sie unverfügbare Merkmale, die ihr Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die sie ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die spezifische Zielrichtung der behaupteten Verfolgung ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach dem erkennbaren Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, InfAuslR 1990, 21, 26 f.).
Auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter können politische Verfolgung bedeuten. Dies setzt allerdings voraus, dass sie dem jeweiligen Staat zuzurechnen sind. Insoweit kommt es darauf an, ob der Staat dem Betroffenen mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt. Es begründet aber auch die Zurechnung, wenn der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter hinreichend einzusetzen (vgl. BVerfG, aaO.). Einer bereits eingetretenen Verfolgung steht dabei die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, DVBl. 1991, 531 ff.).
Auf das Individualgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG kann sich nur berufen, wer in eigener Person politische Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylsuchenden kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Diese Gruppengerichtetheit der Verfolgung kann dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216, 230 ff.; BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158/94 -, InfAuslR 1994, 424).
Nicht zur Seite steht das Asylrecht allerdings denen, die aufgrund der allgemeinen Zustände in ihrem Heimatstaat in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, wie z. B. Flüchtlingen, die aufgrund wirtschaftlicher Not, einer schlechten Arbeitsmarktlage, Hunger, Naturkatastrophen oder allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen aus ihrem Heimatstaat ausgereist sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, aaO.).
Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit des behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals als auch von der Richtigkeit der Verfolgungsprognose die volle Überzeugung gewinnen. Es darf hierbei weder unerfüllbare Beweisanforderungen stellen noch unumstößliche Gewissheit verlangen, vielmehr muss es sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239/89 -, InfAuslR 1989, 349). Als wesentliche Voraussetzung einer Glaubhaftmachung ist von Seiten des Asylsuchenden jedenfalls bezüglich der seinen eigenen Lebensbereich betreffenden Umstände ein substantiierter und im wesentlichen widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu fordern. Bei erheblich widersprüchlichem, wechselndem oder im Laufe des Verfahrens sich steigerndem Sachvortrag ist die Glaubhaftmachung grundsätzlich als gescheitert anzusehen (BVerwG, Urteil vom 23.02.1989 - 9 C 32/87 -, Buchholz 310, § 108 VwGO, Nr. 215).
Hiervon ausgehend, konnte der Einzelrichter nicht die Überzeugung gewinnen, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Heimat Somalia mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Für seine Entscheidung hat das Gericht gem. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen. Deshalb kommt ein Anspruch auf die Gewährung von Asyl wegen politischer Verfolgung in Form fehlender Schutzgewährung durch Somalia gegen die Drohungen und Nachstellungen seitens des Scheichs Obah nicht in Betracht, weil in Somalia keine staatliche oder quasistaatliche Gewalt existiert, von der eine politische Verfolgung ausgehen könnte.
Eine das gesamte Gebiet oder zumindest einen wesentlichen Teil von Somalia einheitlich erfassende staatliche Gewalt existiert nicht. Das Element der „Staatlichkeit“ oder „Quasi-Staatlichkeit“ von Verfolgung darf nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10.08.2000 - 2 BvR 260/98 u.a. -) nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des „politisch" Verfolgten betrachtet und nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden. Es muss vielmehr in Beziehung zu der Frage gesetzt bleiben, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG aufweist, vor der dem davon Betroffenen Schutz gewährt werden soll. Weil politische Verfolgung von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, welcher der Verletzte unterworfen ist, muss politische Verfolgung grundsätzlich staatliche Verfolgung sein. Die Prüfung bestimmter staatstheoretischer Merkmale für die Annahme vorhandener oder neu entstehender Staatlichkeit wirkt mithin für die Beurteilung, ob Verfolgungsmaßnahmen die Qualität politischer Verfolgung haben, nicht schlechthin konstitutiv, sondern nur - wenn auch in gewichtiger Weise - indiziell. Maßgeblich für die Bewertung einer Maßnahme als politische Verfolgung ist, dass der Schutzsuchende einerseits in ein übergreifendes, das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordnendes Herrschaftsgefüge eingebunden ist, welches den ihm Unterworfenen in der Regel Schutz gewährt, andererseits aber wegen asylerheblicher Merkmale von diesem Schutz ausgenommen und durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen wird, was ihn in eine ausweglose Lage bringt, der er sich nur durch die Flucht entziehen kann. Die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen kann, beurteilt sich folglich maßgeblich danach, ob diese zumindest in einem „Kernterritorium" ein solches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität - im Sinne einer „übergreifenden Friedensordnung" tatsächlich errichtet hat.
Ein solcherart definiertes „hinreichend stabiles Kernterritorium“ fehlt derzeit und in absehbarer Zukunft in Somalia. Nach den jüngsten, in der den Beteiligten vorab übersandten Liste aufgeführten Erkenntnismitteln gibt es zur Überzeugung des Gerichts in Somalia derzeit und in absehbarer Zukunft weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene eine staatliche oder eine staatsähnliche Herrschaftsmacht, die in der Lage ist, staatliche Verfolgung im Sinne der dargestellten Grundsätze auszuüben. Mit Ausbruch des Bürgerkrieges in Somalia im Jahre 1991 ist die gesamtstaatliche Herrschaftsgewalt zusammengebrochen. Nach diesem Zusammenbruch hat sich weder auf gesamtstaatlicher noch auf regionaler Ebene eine neue staatliche und auch keine staatsähnliche Herrschaftsgewalt gebildet. Derzeit und in absehbarer Zukunft sind vielmehr die einzelnen Clans und Clanfamilien bzw. die jeweiligen Allianzen der wesentliche Machtfaktor in der somalischen Gesellschaft und Politik.
Im südlichen Somalia herrscht nach wie vor Bürgerkrieg zwischen wechselnden Allianzen, die sich aus unterschiedlichen Clans zusammensetzen. Seit Mai 2002 kommt es wieder regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Mittel- und Südsomalia. Der Herrschaftsbereich der im August 2000 geschaffenen nationalen Übergangsregierung TNG des Übergangspräsidenten Abdiqasim Salad Hassan ist auf Teile der Region Mogadischu beschränkt. In Nordwestsomalia wurde im Mai 1991 die Republik Somaliland gegründet. Nach kurzem Bürgerkrieg innerhalb des in Nordwestsomalia herrschenden Clans der Isaaq begann die Stabilisierung des Systems und der Wiederaufbau, der sich auch bis jetzt fortsetzt und bislang zu einer erkennbaren Form von Obrigkeitsverwaltung mit Regierung, Polizei, Gerichten und einem Steuersystem geführt hat. Auch in Nordostsomalia, das überwiegend vom Clan der Darod bewohnt wird, hat sich die politische Situation aufgrund des beträchtlichen Maßes an verwaltungsmäßiger Verbesserung stabilisiert; regionale Räte wurden eingesetzt und mündeten in die Gründung des Regionalstaates Puntland im August 1998.
Eine hinreichende Stabilität der Herrschaftsmacht konnte jedoch noch in keinem der genannten Gebiete aufgebaut werden. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die durch den Bürgerkrieg entstandenen Machtgebilde im Süden, Nordwesten und Nordosten Somalias voraussichtlich von Dauer und damit Vorläufer einer neuen staatlichen Struktur sind, von der eine staatliche Verfolgung i.S.d. Art. 16 a GG ausgehen könnte, und dass sich an der bestehenden Situation in absehbarer Zeit Wesentliches ändern wird (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Urteil vom 17.06.1999 - 23 B 99.30345 -, EzAR 043 Nr. 38; Hess.VGH, Urteil vom 26.06.1998 - 13 UE 294/98.A -; OVG Koblenz, Urteil vom 03.04.1998 - 10 A 11891/96 -; OVG Münster, Urteil vom 24.03.1998 - 1 A 10242/89.A -; BVerwG, Urteil vom 02.09.1997 – 9 C 40.96 --, BVerwGE 105, 187).
Aus demselben Grund kann dem Kläger Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht gewährt werden, denn auch insoweit ist das Vorliegen politischer Verfolgung tatbestandsbegründend. Der hierbei gültige Prognosemaßstab ist deckungsgleich mit dem im Asylanerkennungsverfahren nach Art. 16 a Abs. 1 und 3 GG anzuwendenden. Soweit sich der Kläger wegen der desolaten Situation in Somalia auf § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK beruft, hat dies aus Rechtsgründen ebenfalls keinen Erfolg. Denn diese Normen verbieten die Abschiebung eines Ausländers nur dann, wenn im Zielland landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch den Staat oder staatsähnliche Organisationen droht. Art. 3 EMRK schützt ebenso wie das Asylrecht nicht vor den allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen und anderen bewaffneten Konflikten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, 476, 477; Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 -, NVwZ 1997, 1127, 1128). Da gegenwärtig - wie vorstehend bereits dargelegt - keine staatliche Gewalt in Somalia besteht und die unterschiedlichen bewaffneten Kräfte keine quasistaatliche Gebietsgewalt ausüben, scheidet bereits deshalb die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK aus.
Der Kläger kann sich allerdings erfolgreich auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen. Nach dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Beruft sich ein Ausländer - wie hier der Kläger - lediglich auf allgemeine Gefahren i. S. d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die nicht nur ihm persönlich, sondern zugleich auch der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. Eine solche Regelung ist hinsichtlich Somalias nicht getroffen worden.
Der Kläger gehört nach seinen insofern keinen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit unterliegenden Bekundungen der besonderen und kleinen Bevölkerungsgruppe der Rer Hamar an. Hierbei handelt es sich nach den vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. insbesondere Prof. Dr. A. vom 26.11.2001 an das VG Hannover sowie Institut für Afrika-Kunde vom 17.03.1998 an den Hess.VGH - AZ: 13 UE 654/97 A -) um eine südsomalische Minderheit, deren Vorfahren arabische und persische Einwanderer waren, weshalb ihre Mitglieder unter anderem eine hellere Hautfarbe als ethnische Somalis haben. Die Angehörigen dieser Gruppe lebten vorzugsweise in der Stadt Mogadischu und fanden ihre Lebensgrundlagen in Handel, Verwaltung und Handwerk. Der weitaus überwiegende Teil dieses Clans hat Somalia inzwischen verlassen, den Verbliebenen wird eine Selbstverwaltung ihrer Wohnviertel und eine Rückgabe des während des Bürgerkriegs okkupierten Eigentums verwehrt. Wenn den Rer Hamar auch allein wegen der Clanzugehörigkeit keine unmittelbare Lebensgefahr mehr droht, sind sie dennoch Übergriffen Dritter oder durch Machthaber innerhalb der Reststrukturen des eigenen Clans weitgehend schutzlos ausgeliefert. Im Falle seiner Abschiebung nach Somalia müsste der Kläger gewärtig sein, durch Angehörige fremder Clans, deren Milizen sowie den im eigenen Clan dominanten Scheich Obah angegriffen zu werden, und damit jeglichen Übergriffen preisgegeben zu sein, ohne den Schutz des eigenen Clans erhalten zu können und ohne die Möglichkeit, sich ohne die notwendigen Gruppenbeziehungen Unterkunft, Lebensmittel, ärztliche Versorgung, Schutz und Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens zu beschaffen. In Somalia besteht jedenfalls für Personen in der vom Kläger geschilderten Situation nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der vorstehend geschilderten aktuellen Lage zur Zeit landesweit eine derart extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden somalischen Staatsangehörigen dieser Gruppe bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde mit der Folge, dass mit Blick auf die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199, 200; Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 -, NVwZ 1997, 1127, 1130f.). Bereits beim Verlassen des Flughafens von Mogadischu könnte der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen „Kombattanten“ des Bürgerkriegs oder Übergriffen räuberischer Banditen werden; es handelt sich auch nach den aktuellen Erkenntnismitteln nicht nur um eine lokal begrenzte und zudem nur für möglich erachteten Gefährdung, sondern um eine landesweite extreme Gefährdungslage im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dasselbe gilt für den Fall einer freiwilligen Ausreise (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997, aaO. S. 1131) und möglicher Einreise auf dem Seeweg über den Hafen von Mogadischu oder auf dem Landweg über einen der Nachbarstaaten Somalias, falls der dafür erforderliche Wechsel von einem Clangebiet zum anderen zwischen der Landesgrenze und dem Raum Mogadischu überhaupt möglich sein sollte.