Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2001, Az.: L 10 VI 3/99 ZVW
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2001
- Aktenzeichen
- L 10 VI 3/99 ZVW
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39428
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 30.11.1994 - AZ: S 7 VI 52/92
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. November 1994 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Impfschaden erlitten hat und ihm deshalb ein Versorgungsanspruch gegen den Beklagten zusteht (§§ 51, 52 Bundesseuchengesetz – BSeuchG -).
Am 10. September 1984 quetschte sich der 1928 geborene Kläger bei seiner Tätigkeit als Paketzusteller die Kuppe seines linken Zeigefingers. Er erhielt in diesem Zusammenhang am 10. September und 15. Oktober 1984 je eine Auffrischungsimpfung gegen Wundstarrkrampf durch Injektion von 0,5 ml Tetanol. Am 4. Oktober 1984 empfand der Kläger starke Schwindelgefühle und Gleichgewichtsstörungen und klagte ab 15. Oktober 1984 über eine andauernde Gangstörung. Er befand sich deswegen in fortlaufender ärztlicher Behandlung.
Mit Schreiben vom 28. November 1988 machte der Kläger geltend, durch die beiden Tetanusimpfungen am 10. September und 15. Oktober 1984 einen Impfschaden in der Form einer Polyneuropathie mit Gangstörung erlitten zu haben. Der Beklagte zog Unterlagen über die erfolgten ärztlichen Behandlungen bei, darunter einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 6. Mai 1985 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Klinik I. vom 14. März bis 12. April 1985. Dr. J. teilte darin als Diagnosen eine psychogene Gangstörung und eine blande Polyneuropathie bei latentem Diabetes mellitus mit. Der Beklagte holte ein Gutachten des Arztes für Impfwesen Prof. Dr. K. vom 12. Mai 1989 mit Ergänzung vom 2. Januar 1990 sowie ein allergologisches Gutachten des Prof. Dr. L. vom 9. August 1989 ein. Mit Bescheid vom 13. Februar 1990 lehnte der Beklagte sodann eine Beschädigtenversorgung ab, weil nach den Gutachten des Prof. Dr. K. ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Tetanusimpfungen und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht festzustellen sei. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine gutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. M. vom Zentrum für Hygiene und Humangenetik der Universitätsklinik N. vom 17. Dezember 1991 vor, in der dieser die Auffassung vertrat, dass die im März 1985 erstmals objektivierte Polyneuropathie ätiologisch auf die Tetanusschutzimpfung zurückzuführen sei. Demgegenüber hielt Prof. Dr. K. in zwei weiteren Stellungnahmen vom 25. Februar und 30. Februar 1992 unter Hinweis auf das ungewöhnlich lange zeitliche Intervall zwischen der ersten Impfung und dem Auftreten der Beschwerden an seiner Auffassung fest. Der Beklagte schloss sich erneut der Bewertung durch Prof. Dr. K. an und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 1992 zurück.
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim ein Gutachten des Neurologen Prof. Dr. O. vom 2. August 1993 eingeholt. Der Sachverständige hat eine schwere neurotische Fehlentwicklung in Form einer psychogenen Gangstörung diagnostiziert, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der erfolgten Schutzimpfung stehe. Daneben hätten sich diskrete Hinweise auf eine blande, sensorische Polyneuropathie gefunden, die am ehesten auf eine gestörte Glukosetoleranz zurückzuführen sei. Demgegenüber hat Prof. Dr. M. in einer weiteren Stellungnahme vom 20. Juli 1994 darauf hingewiesen, dass Polyneuropathien durch Tetanusschutzimpfungen verursacht werden könnten. Da sich im Frühjahr 1985 klinisch das Bild einer schon länger bestehenden Polyneuropathie gezeigt habe, sei ein zeitlicher Zusammenhang mit den Impfungen zu bejahen und deshalb ein ursächlicher Zusammenhang anzuerkennen.
Mit Urteil vom 30. November 1994 hat das SG Hildesheim den ablehnenden Bescheid des Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die beim Kläger bestehende Polyneuropathie Folge der stattgehabten Tetanusimpfung sei. Es hat den Beklagten ferner verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1988 Beschädigtenversorgung nach dem BSeuchG zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, dass nach der Stellungnahme des Prof. Dr. M. davon auszugehen sei, dass die Tetanusschutzimpfungen mit Wahrscheinlichkeit zu der festgestellten Polyneuropathie geführt hätten.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 20. Januar 1995 zugestellte Urteil am 15. Februar 1995 beim Landesozialgericht (LSG) Niedersachsen Berufung eingelegt (Az.: L 9 Vi 2/95). Der seinerzeit zuständige 9. Senat des LSG Niedersachsen hat zunächst ein Gutachten der Ärztin Dr. P. vom 7. August 1995 eingeholt. Nachdem der Kläger diese Sachverständige im Hinblick auf deren langjährige Berufstätigkeit bei dem Hersteller des hier verwandten Impfstoffes wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte, hat das LSG das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 14. März 1996 für begründet erachtet. Daraufhin hat das LSG ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. Q. vom Juni 1996 eingeholt. Der Sachverständige hat eine psychogene Gangstörung festgestellt und diese in keinem Ursachenzusammenhang mit den beiden Tetanusimpfungen gesehen. Sodann ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 23. Mai 1997 eingeholt worden. Dr. R. hat eine Polyneuropathie diagnostiziert, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die erfolgten Tetanusauffrischimpfungen zurückzuführen sei. Die durch diesen Impfschaden bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit 1988 90 vom Hundert.
In der mündlichen Verhandlung am 26. September 1997 hat der Kläger im Wege der Anschlussberufung beantragt, in Ergänzung des erstinstanzlichen Urteils festzustellen, dass eine Polyneuropathie mit schwerer Gangstörung Schädigungsfolge im Sinne des BSeuchG ist.
Der 9. Senat des LSG Niedersachsen hat mit Urteil vom 26. September 1997 auf die Berufung des Beklagten das angefochtene Urteil des SG Hildesheim aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lasse, dass der Kläger einen entschädigungspflichtigen Impfschaden erlitten habe. Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nicht zugelassen.
Auf die Beschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision durch Beschluss vom 22. April 1998 wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen. Sodann hat es auf die Revision des Klägers das Berufungsurteil vom 26. September 1997 mit Urteil vom 3. Februar 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den 10. Senat des LSG Niedersachsen zurückverwiesen. In den Gründen seines Urteils hat das BSG ausgeführt, dass der 9. Senat des LSG Niedersachsen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe, indem er diesem einen persönlichen Brief des Sachverständigen Prof. Dr. Q. vom 6. Juni 1996 vorenthalten habe. Nach dem Inhalt dieses Schreibens hätte ein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit des Sachverständigen aller Voraussicht nach Erfolg gehabt.
Der erkennende Senat hat im vorbereitenden Verfahren ein nach ambulanter Untersuchung erstattetes Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 26. September 2000 nebst einem nach Aktenlage erstatteten internistischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. T. vom 24. Mai 2000 eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt beider Gutachten Bezug genommen.
Der Beklagte meint weiterhin, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und den im Jahre 1984 erfolgten Tetanusauffrischimpfungen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne.
Der Beklagte beantragt,
1.das Urteil des SG Hildesheim vom 30. November 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
2.die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
1.die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 30. November 1994 zurückzuweisen,
2.das Urteil des SG Hildesheim vom 30. November 1994 dahin zu ändern, dass festgestellt wird, dass eine Polyneuropathie mit schwerer Gangstörung Schädigungsfolge im Sinne des BSeuchG ist.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, meint aber, dass die im Urteilstenor getroffenen Feststellungen ergänzt werden müssten.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 5. März 2001 den Sachverständigen Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die den Kläger betreffenden Akten des Beschädigten des Versorgungsamts Hannover vorgelegen. Ferner haben vorgelegen die den vom Kläger erlittenen Arbeitsunfall betreffenden Unfallakten der Unfallkasse Post und Telekom (früher: Bundespost-Ausführungsbehörde), die den Kläger betreffenden Schwerbehinderten-Akten des Versorgungsamts Hildesheim und die seinen Rechtsstreit gegen das Land Niedersachsen betreffenden Prozessakten des SG Hildesheim zum Az. S 17 Vs 222/89. Außerdem haben vorgelegen die Revisionsakten des BSG zum Az. B 9 VI 1/98 R. Die genannten Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die unselbständige Anschlussberufung des Klägers (§ 202 SGG i. V. m. §§ 521, 522 Zivilprozessordnung – ZPO -) hat in der Sache keinen Erfolg und ist deshalb zurückzuweisen gewesen.
Der Senat war nicht gehindert, aufgrund der mündlichen Verhandlung am 22. März 2001, zu der die Beteiligten ordnungsgemäß geladen worden sind, über Berufung und Anschlussberufung zu entscheiden. Der Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Verlegung des Termins ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 27. Februar 2001 abgelehnt worden, weil erhebliche Gründe hierfür im Sinne von § 202 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 ZPO nicht vorgelegen haben. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers war bereits mit Verfügung vom 10. Januar 2001 mitgeteilt worden, dass die mündliche Verhandlung am 22. März 2001 vormittags stattfinden sollte. Vor diesem Hintergrund hätte er im Einzelnen angeben müssen, weshalb eine Terminskollision nicht vermeidbar war. Hierzu hätte er wenigstens das entgegenstehende Strafverfahren genau benennen, die betreffende Terminsladung vorlegen und insbesondere darlegen müssen, weshalb eine anderweitige Terminierung in der Strafsache, ggf. am selben Tag mittags oder nachmittags, nicht möglich war. All dies ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geschehen. Selbst wenn jedoch eine Terminsüberschneidung unvermeidbar war, hätte der Prozessbevollmächtigte Ende Februar 2001, also mehr als drei Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung, für eine Terminsvertretung sorgen können und müssen. Die verbleibende Zeit hätte einem Vertreter ohne Weiteres eine sachgerechte Einarbeitung in den Streitstoff ermöglicht.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist nicht rechtswidrig. Entgegen der Auffassung des SG ist es nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht wahrscheinlich, dass die am 10. September und 15. Oktober 1984 erfolgten Tetanusimpfungen wesentliche Ursache oder Mitursache der beim Kläger diagnostizierten Gesundheitsstörungen einer Polyneuropathie und einer Gangstörung sind. Es handelt sich hierbei nicht um einen Impfschaden im Sinne von § 52 BSeuchG, so dass dem Kläger insoweit auch kein Versorgungsanspruch nach § 51 BSeuchG zusteht.
Nach § 51 Abs. 1 BSeuchG erhält Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch eine Impfung, die u. a. von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, einen Impfschaden erlitten hat. Ein Impfschaden ist nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Impfung anerkannt werden.
Zwar handelt es sich bei einer Tetanusimpfung um eine öffentlich empfohlene Impfung i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BseuchG (vgl. Runderlass des Nds. Sozialministers vom 30. April 1968 – NdsMBI . 1968, 498), nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Verwaltungsverfahren und in beiden sozialgerichtlichen Rechtszügen ist es nach Überzeugung des erkennenden Senats jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass zwischen den angeschuldigten Tetanusimpfungen und den geklagten Gesundheitsstörungen ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht. Es spricht nicht mehr für als gegen eine Ursächlichkeit; die für einen Zusammenhang sprechenden Umstände überwiegen nicht (zur Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nach § 52 BSeuchG vgl. Urteile des BSG vom 19. März 1986 – 9 a RVi 2/84 und 4/84 -). Dass ein Ursachenzusammenhang nicht als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden kann, beruht nicht auf unzureichenden Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft, sondern ergibt sich – wie auszuführen ist – aus der Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer sogenannten Kann-Versorgung im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG liegen deshalb nicht vor.
Der Senat legt seiner Beweiswürdigung nicht das Gutachten der Ärztin Dr. P. vom 7. August 1995 zugrunde. Dieses Gutachten ist nicht verwertbar, denn der Kläger hat die Sachverständige Dr. P. zu Recht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (vgl. Beschluss vom 14. März 1996). Ebenso muss das Gutachten des Prof. Dr. Q. vom Juni 1996 hinsichtlich der gerichtlichen Überzeugungsbildung außer Betracht bleiben. Auch dieser Sachverständige ist wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 406 Abs. 1, § 42 Abs. 2 ZPO), wie dies der Kläger im Revisionsverfahren unter Hinweis auf den “persönlichen Brief” des Sachverständigen vom 7. Juni 1996 zutreffend geltend gemacht hat. Nach dem Inhalt dieses Schreibens besteht berechtigtes Misstrauen gegen die unerlässliche Unparteilichkeit des Sachverständigen. Das gegen den vom Senat gehörten Sachverständigen Dr. S. gerichtete Ablehnungsgesuch des Klägers im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 5. März 2001 ist hingegen unbegründet. Dass der Sachverständige – wie vom Kläger vermutet und von ihm selbst eingeräumt – in anderem Zusammenhang für den Beklagten gutachterlich tätig geworden ist, begründet kein Misstrauen in seine Unparteilichkeit, denn Abhängigkeiten des Sachverständigen von dem Beklagten sind weder in diesem Umstand noch im Übrigen zu erkennen (vgl. Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 18. November 1985 – L 3 SB 96/85 – abgedruckt in Breithaupt 1986, S. 638 ff; vgl. auch Beschluss des BSG vom 8. Dezember 1998 – B 2 U 222/98 B -). Soweit der Kläger sein Ablehnungsgesuch gegen Dr. S. auf die von den Sachverständigen in seinem Gutachten niedergelegten Feststellungen und Bewertungen stützt, ergibt sich hieraus aus seiner Sicht ggf. eine Unrichtigkeit des Gutachtens, jedoch kein vernünftiger Anlass, an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Einer Vernehmung der in diesem Zusammenhang als Zeugin benannten Ehefrau des Klägers bedurfte es daher nicht.
Hinsichtlich der vom Kläger als Impfschäden geltend gemachten Gesundheitsstörungen sind zwei Krankheitsbilder zu unterscheiden: Eine im März/April 1985 in der Klinik I. elektroneurographisch nachgewiesene Polyneuropathie und die seit dem 4. Oktober 1984 beobachtete Gangstörung. Beide Erkrankungen sind nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die Tetanusimpfungen am 10. September und 15. Oktober 1984 (mit-) verursacht worden. Im Einzelnen:
Hinsichtlich der festgestellten Polyneuropathie schließt sich der Senat dem ihm nachvollziehbar und überzeugend erscheinenden Gutachten des Nervenarztes Dr. S. an, das dieser auf der Grundlage des Zusatzgutachtens des Internisten und Mikrobiologen Prof. Dr. T. erstattet hat. Dr. S. hat in Übereinstimmung mit dem im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter Dr. K. und dem im ersten Rechtszug tätig gewordenen Sachverständigen Prof. Dr. O. ausgeführt, dass in der medizinischen Wissenschaft seltene Fälle von durch Tetanusimpfungen verursachten Polyneuropathien bekannt geworden sind. Danach ist davon auszugehen, dass ein entsprechender Impfschaden möglich ist. Es ist jedoch nach der nachvollziehbar begründeten Auffassung von Dr. S. und den beiden anderen genannten, gutachterlich gehörten Ärzten nicht wahrscheinlich, dass auch im Fall des Klägers ein solcher Ursachenzusammenhang gegeben ist. Dabei ist berücksichtigt, dass der Kläger vor der im September 1984 erfolgten Impfung bereits siebenmal gegen Wundstarrkrampf geimpft worden war. Hier sprechen insbesondere folgende Umstände gegen einen mit Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Kausalzusammenhang: Polyneuropathien als Folge einer Tetanusimpfung treten nur extrem selten auf. Demgegenüber kommen viele andere Möglichkeiten als Auslöser einer solchen Erkrankung in Betracht. Neben toxischen Schädigungen können dies beispielsweise anderweitige Erkrankungen wie Diphtherie oder eine Glukoseunverträglichkeit sein. Der Kläger selbst gibt an, als Kind an Diphtherie erkrankt gewesen zu sein. Auch ist bei ihm am 4. Oktober 1984 in der Klinik und Polyklinik für Neurologie der U. ein erhöhter Blutzuckerwert von 188 mg/dl festgestellt worden. Allerdings geht der Senat davon aus, dass nach Maßgabe der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste bei ihm kein Diabetes mellitus vorliegt. Weiterhin konnte bei dem Kläger weder eine Unverträglichkeit gegen Tetanustoxoid noch eine lokale Hautreaktion im Injektionsbereich festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der genannten Punkte vermag der Senat im Anschluss an Dr. S. nicht festzustellen, dass mehr für einen Ursachenzusammenhang als dagegen spricht.
Die gegenteilige Auffassungen des Prof. Dr. M. und des Sachverständigen Dr. R. überzeugen demgegenüber nicht. Beide Ärzte stützen die Annahme eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs im Wesentlichen auf den von ihnen angenommenen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Impfungen und dem Auftreten der Polyneuropathie, den Ausschluss anderer möglicher Ursachen, die Anzahl der vorausgegangenen Tetanusimpfungen sowie auf allgemeine Billigkeitserwägungen. Diese Argumente halten nach Auffassung des erkennenden Senats einer kritischen Nachprüfung nicht stand. Andere mögliche Ursachen sind – wie ausgeführt – erkennbar und keines Falls auszuschließen. Die Zahl der stattgehabten Vorimpfungen besagt nach Überzeugung des Gerichts für sich genommen schon deswegen nichts, weil es offenbar in keinem früheren Impffall zu irgendwelchen Komplikationen gekommen ist. Allgemeine Billigkeitserwägungen, wie sie insbesondere Prof. Dr. M. angeführt hat, vermögen zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals nicht beizutragen. Ein Kausalzusammenhang kann wohl nach naturwissenschaftlichen Maßstäben und den Gesetzen der Logik festgestellt und begründet werden, nicht jedoch nach Maßgabe von Billigkeit. Schließlich kann auch dem von Prof. Dr. M. und Dr. R. betonten Gesichtspunkt des zeitlichen Zusammenhangs keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Tatsächlich ist die Polyneuropathie erst im März/April 1985 nachgewiesen worden, also rund fünf Monate nach der zweiten Tetanusimpfung. Zwar sprechen die erhobenen Befunde dafür, dass es sich bereits um einen älteren Befund handelte. Wann die Polyneuropathie jedoch erstmals aufgetreten ist, lässt sich nicht feststellen. Allerdings ist in der Klinik und Polyklinik für Neurologie der U. von Prof. Dr. V. am 4. Oktober 1984 ein links abgeschwächter Patellasehnenreflex und ein links fast erloschener Achillessehnenreflex festgestellt worden, was nach Auffassung des Sachverständigen Dr. S. als Hinweis darauf angesehen werden kann, dass möglicherweise bereits im Oktober 1984 Anzeichen einer Polyneuropathie vorlagen. Andererseits lässt sich nicht sicher annehmen, dass diese Befunde am 4. Oktober 1984 erstmals aufgetreten sind. Sie können durchaus auch schon vor der ersten Impfung am 10. September 1984 vorgelegen haben. Dies gilt um so mehr, als diese Befunde wie auch der Untersuchungsbefund im Frühjahr 1985 nicht aufgrund entsprechender funktioneller Beeinträchtigungen, sondern im Rahmen umfassender Untersuchungen zur Abklärung der vom Kläger geltend gemachten Gangstörungen gefunden worden sind. Bleibt damit im Ergebnis offen, wann die Polyneuropathie tatsächlich erstmals bestanden hat, so entfällt die sichere Feststellung eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen den beiden angeschuldigten Impfungen und dem Auftreten der Erkrankung.
Hinsichtlich der beim Kläger festgestellten Gangstörung ist es nach Überzeugung des erkennenden Senats auszuschließen, dass diese Erkrankung Folge der Tetanusimpfungen am 10. September und 15. Oktober 1984 ist. Zunächst ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine psychogene Gangstörung vor dem Hintergrund einer schweren neurotischen Fehlentwicklung handelt, die keine körperlichen Ursachen hat und in keinem Zusammenhang mit der im Frühjahr 1985 diagnostizierten Polyneuropathie steht. Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. O., die sich insoweit mit den Bewertungen durch Prof. Dr. V., Dr. H. und Prof. Dr. W. von der Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik der U. (Arztbrief vom 29. Juli 1985) decken. Keiner dieser Ärzte hat für die vorhandene Gangstörung organische Ursachen finden können, so dass die Diagnose einer psychogenen Gangstörung, wie sie die Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. O. im Einzelnen dargelegt haben, schlüssig erscheint. Auch Prof. Dr. M. und der Sachverständige Dr. R. haben in ihren Ausführungen keine sichere Zuordnung der Gangstörung zu der bejahten Polyneuropathie vorgenommen. So hat Prof. Dr. M. bereits in seiner Stellungnahme vom 13. November 1990 darauf hingewiesen, dass lediglich die Polyneuropathie als Impfschaden anerkannt werden könne, nicht jedoch das Beschwerdebild als Ganzes. Der Sachverständige Dr. R. ist in seinem Gutachten auf die Gangstörung als mögliche Folge der Impfungen ausdrücklich gar nicht eingegangen, sondern hat sich bei seinen Überlegungen zur Wahrscheinlichkeit einer kausalen Verursachung allein mit dem Krankheitsbild der Polyneuropathie befasst.
Der Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten nachvollziehbar begründet, dass die beiden Tetanusimpfungen im September und Oktober 1984 als Ereignis nicht geeignet waren, eine psychogene Gangstörung im Sinne einer Konversionsneurose zu verursachen. Dr. S. hat im Einzelnen aufgezeigt, dass langanhaltende seelische Störungen nach nervenärztlicher Erfahrung als Ursache einer ganz außergewöhnlichen Belastung bedürfen, wie zum Beispiel Einwirkungen in Kriegen, extreme Lebensbedingungen in Gefangenschaft, Betroffensein von terroristischen Aktivitäten - etwa in Folge einer Entführung -, Einwirkung von Folter, Todesgefahr, Katastrophen oder ähnliches. Es leuchtet ohne Weiteres ein, wenn der Sachverständige Dr. S. zu dem Schluss kommt, dass zwei nicht mit auffälligen Begleiterscheinungen verbundene Tetanusimpfungen keine Eingriffe von auch nur annähernd ähnlicher Intensität darstellen.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits lange vor den angeschuldigten Impfungen ähnliche Gesundheitsstörungen bei sich beobachtet hat. Aus dem Arztbrief des Nervenarztes Dr. X. vom 7. Januar 1985 ergibt sich, dass der Kläger ihm am 3. Januar 1985 mitgeteilt hat, dass bei ihm bereits Anfang der Siebzigerjahre für einige Wochen Gleichgewichtsstörungen beim Gehen mit Hin- und Hertorkeln aufgetreten seien. Danach besteht durchaus die Möglichkeit, dass die psychogene Gangstörung bereits lange vor den Impfungen im September und Oktober 1984 bestanden hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es aufgrund der problemlos verlaufenen Impfungen zu einer richtunggebenden Verschlimmerung eines eventuell vorbestehenden Leidens gekommen ist, sind weder von Dr. S. noch von einem anderen Sachverständigen aufgezeigt worden und für den erkennenden Senat auch im Übrigen auch nicht zu erkennen.
Weitere medizinische Ermittlungen hat der Senat nicht für geboten erachtet. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist durch die bei den Akten befindlichen ärztlichen Gutachten und Stellungnahme umfassend aufgeklärt, so dass insbesondere nicht die Notwendigkeit bestanden hat, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor. Der Rechtsstreit betrifft eine Beweiswürdigung im Einzelfall und wirft keine grundsätzlichen Fragen auf. Der Senat weicht mit seinem Urteil auch nicht von einer Entscheidung des BSG, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.