Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.07.2014, Az.: 4 AR 35/14

Bindungswirkung einer Verweisung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.07.2014
Aktenzeichen
4 AR 35/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 20835
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0709.4AR35.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover
LG Braunschweig

Fundstelle

  • RdE 2014, 404-406

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage der Begründung einer Zuständigkeit nach § 87 GWB im Falle einer (im Wesentlichen) auf Vorschriften des EnWG gestützten Klage.

Tenor:

Das Landgericht Braunschweig ist zuständig.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Gemeinde, nimmt die Beklagte, eine Energieversorgerin, die ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Braunschweig hat, klageweise auf Auskunft bezüglich Anlagen eines Stromverteilnetzes in Anspruch. Gestützt hat die Klägerin in der Klageschrift ihren Anspruch auf § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG i. V. m. § 242 BGB. Die Klage erhoben hat die Klägerin vor dem Landgericht Hannover mit der Begründung, dass sich dessen Zuständigkeit aus §§ 87, 89 Abs. 1 GWB i. V. m. § 7 Abs. 1 Ziff. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung Niedersachsen (ZustVO-Justiz) ergebe. Das Landgericht Hannover hat die Parteien darauf hingewiesen, dass es sich seiner Auffassung nach vorliegend nicht um eine Kartellsache i. S. v. § 87 GWB handele. Die Klägerin hat daraufhin beantragt, die Sache an das örtlich zuständige Landgericht Braunschweig zu verweisen. Nach erneuter Anhörung der Parteien hat das Landgericht Hannover sich durch Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und die Sache antragsgemäß an das Landgericht Braunschweig verwiesen. Das Landgericht Braunschweig hat durch Beschluss die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das Landgericht Hannover hat daraufhin die Sache dem OLG Celle zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt.

II.

Das Landgericht Braunschweig war gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hannover vom 6. Mai 2014 ist für das Landgericht Braunschweig bindend nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

1. Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (st. Rspr., vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11, juris Rn. 9). Ein Ausnahmefall in dem vorgenannten Sinn kann insbesondere dann gegeben sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11, juris Rn. 11), oder aber, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Beschlussgründen erörtert hat, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt ist (vgl. KG, Beschluss vom 14. Mai 2009 - 2 AR 15/09, juris Rn. 4).

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist der (ausführliche) Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hannover vom 6. Mai 2014 als zumindest vertretbar und damit nicht objektiv willkürlich zu bewerten.

aa) Das rechtliche Gehör der Parteien hat das Landgericht Hannover nicht verletzt. Es hat die Parteien vor seiner Entscheidung mit Verfügung vom 12. März 2014 auf die von ihm beabsichtigte Vorgehensweise hingewiesen.

bb) Die Entscheidung des Landgerichts Hannover ist nicht deshalb willkürlich im Sinne der o. g. Rechtsprechung, weil das Landgericht Hannover seine eigene (ausschließliche) Zuständigkeit nach § 87 GWB verneint hat.

Das Landgericht Hannover hat im Rahmen seiner Entscheidung die Vorschrift des § 87 GWB zur Kenntnis genommen und sich mit dieser (ausführlich) auseinandergesetzt. Es hat ausweislich der Gründe unter Ziff. I. seines Beschlusses insbesondere auch zur Kenntnis genommen, dass sowohl die Klägerin wie auch die Beklagte sich in ihren bislang zur Akte gereichten Schriftsätzen argumentativ u. a. auch auf Vorschriften des GWB gestützt haben. In diesem Rahmen war dem Landgericht Hannover ersichtlich auch bekannt und ist von ihm erwogen worden, dass im Grundsatz auch kartellrechtliche Einwände, die gegen die Klage vorgebracht werden, den Anwendungsbereich des § 87 GWB begründen können (vgl. Bornkamm in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., § 87 Rn. 22). Das Landgericht Hannover hat argumentativ begründet, dass und aus welchen Gründen es trotz des vorgenannten Umstands der Auffassung ist, dass vorliegend die Voraussetzungen des § 87 GWB nicht gegeben sind. Diese Begründung erscheint dem Senat jedenfalls nicht als derartig fernliegend, dass hieraus eine Willkür im Sinne der o. g. Rechtsprechung hergeleitet werden könnte.

Als solches zu Recht hat das Landgericht Hannover zunächst darauf abgestellt, dass die Klägerin in der Klageschrift als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch eine Norm aus dem EnWG nennt und sie zur Begründung dieses Anspruches mit weiteren Vorschriften aus den EnWG argumentiert. Zutreffend hat das Landgericht Hannover ferner ausgeführt, dass sich aus dem Umstand, dass in § 103 EnWG eine spezielle Zuständigkeitsregelung für Rechtsstreitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des EnWG vorhanden ist, im Umkehrschluss ergibt, dass es sich bei Rechtsstreitigkeiten, die (ausschließlich) dem Anwendungsbereich des EnWG unterfallen, gerade nicht um Kartellstreitsachen i. S. v. § 87 GWB handelt, da ansonsten die Vorschrift des § 103 EnWG überflüssig wäre (vgl. dazu auch Keßler in: Säcker, Energierecht, 3. Aufl., § 103 EnWG Rn. 1, 2). Soweit das Landgericht Hannover schließlich meint, dass der bloße Umstand, dass sich sowohl die Klägerin wie auch die Beklagte in ihren bislang zur Akte gereichten Schriftsätzen - jeweils knapp - auf Vorschriften des GWB bezogen haben, es nicht rechtfertigt, eine Zuständigkeit nach § 87 GWB zu begründen, erscheint das dem Senat als zumindest (noch) vertretbar und deshalb jedenfalls nicht willkürlich.

Das Landgericht Hannover ist bei seiner Argumentation im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass die bloße Behauptung von Parteien, dass sich ein Anspruch - oder die Negation eines Anspruches - aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ergibt, noch nicht zwingend die Zuständigkeit nach § 87 GWB begründet, vielmehr im Einzelfall zu prüfen ist, wie naheliegend bzw. vertretbar der jeweilige kartellrechtliche Einwand der Partei ist (vgl. z. B. OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2010 - 13 AR 9/10, juris Rn. 6). Das Landgericht Hannover hat auf dieser Grundlage die bisher zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien überprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem entsprechenden Vortrag der Parteien um keine im vorgenannten Sinne ernsthafte bzw. naheliegende Argumentation mit Vorschriften des GWB handelt. Ob dies in der Sache richtig ist, hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden; entscheidend ist allein, dass ihm nach Überprüfung der entsprechenden Schriftsätze der Parteien die Argumentation des Landgerichts Hannover als zumindest nicht völlig fernliegend erscheint: Dem Senat ist aus seiner bisherigen richterlichen Praxis bekannt, dass Rechtsstreitigkeiten aus dem (originären) Anwendungsbereich des EnWG jedenfalls nicht selten von den jeweiligen Parteien (hilfsweise) auch mit Argumentationen aus dem Bereich des GWB versehen werden, es hierauf im Einzelfall - zumindest häufig - im Ergebnis aber nicht ankommt, da das EnWG in den meisten dieser Fälle eine - dem GWB vorgehende - speziellere Regelung aufweist. Würde man dennoch in all den Fällen, in denen eine der beteiligten Parteien neben den eigentlich einschlägigen Vorschriften des EnWG hilfsweise auch mit solchen aus dem GWB argumentiert, den Anwendungsbereich des § 87 GWB bejahen, würde damit letzten Endes die Entscheidung des Niedersächsischen Verordnungsgebers unterlaufen, von der Ermächtigung des § 103 EnWG - anders als z. B. das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. Keßler, aaO., § 103 EnWG Rn. 3) - keinen Gebrauch zu machen. Aus diesem Grund hält es der Senat auch für geboten, bei Fallkonstellationen, in denen - wie vorliegend - die Klage in erster Linie auf Vorschriften des EnWG gestützt und lediglich hilfsweise, "am Rande" mit Regelungen aus dem GWB argumentiert wird, bei der Frage der Bejahung des Anwendungsbereiches des § 87 GWB eine gewisse Zurückhaltung vorzunehmen. Gemessen hieran erscheint die Entscheidung des Landgerichts Hannover, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 87 GWB vorliegend als nicht gegeben anzusehen, als zumindest vertretbar und damit nicht willkürlich.