Landgericht Braunschweig
Urt. v. 25.09.2002, Az.: 2 O 2817/01 (321)
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 25.09.2002
- Aktenzeichen
- 2 O 2817/01 (321)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35127
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2002:0925.2O2817.01.321.0A
Fundstellen
- AUR 2007, 65-66 (Volltext mit amtl. LS)
- NuR 2007, 778-779 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 04.09.2002 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist für das beklagte Land hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 15 338,76 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der am 03.01.1990 geborene Kläger begehrt die Zählung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht des beklagten Landes wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
Am 19.09.1998 nahm der Kläger zusammen mit seinen Eltern an einer Wanderung seiner Grundschule teil. Auf dem im Gebiet der Gemeinde Seesen am Ufer der Schildau gelegenen Wanderweg "Forellenstieg", der durch den im Eigentum des beklagten Landes stehenden Wald "Tannenbusch" führt, wurde der Kläger von einem umstürzenden Baum getroffen, der in ca. 5 m Höhe abbrach. Dieser Baum befand sich auf dem dem Wanderweg gegenüberliegenden Ufer der Schildau. Der Baum stürzte trotz sonnigen und windstillen Wetters sowie geraden Wuchses um, da er abgestorben und morsch war.
Der Kläger zog sich schwere Verletzungen zu. Er erlitt u. a. eine Schädelfraktur mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma, eine rechtsseitige Unterschenkelfraktur sowie einen Gesichtsfeldausfall von ca. 40 %. Wegen der Verletzungsfolgen wird im Übrigen auf den Schriftsatz des Klägers vom 19.09.2001 verwiesen.
Aufgrund der Verletzungsfolgen trat zunächst vom 20.09.1998 bis 26.02.1999 eine 100 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit ein. Heute beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit noch ca. 30 %. Der Kläger ist noch immer in seiner Leistungsfähigkeit in den Bereichen der allgemeinen Intelligenz, der Merkfähigkeit und der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkt. Auch leidet er noch unter einer Beinverlängerung im rechten Unterschenkelbereich.
Mit Vertrag vom 10.09.1997 hatte der Harz Club e.V. die Verkehrssicherungspflicht des Weges übernommen.
Der Kläger behauptet, der Forellenstieg sei ein stark frequentierter Europa-Wanderweg. Er meint, das beklagte Land habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25 000,00 DM sei angemessen.
Er beantragt daher,
das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 12 782,30 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu zahlen und
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 19.09.1998 auf dem Waldweg "Forellenstieg" in dem Waldstück Tannenbusch zukünftig entstehen, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Ermittlungsverfahren 600 UJs 47185/98 der Staatsanwaltschaft Braunschweig wurde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Ergänzend wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf alle Protokolle und sonstigen Aktenteile Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz gemäß der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das beklagte Land seine Verkehrssicherungspflichten auf den Harz Club e.V. übertragen hat. Jedenfalls ist nämlich keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gegeben.
Zwar haftet, wer auf seinem Grundstück einen Verkehr eröffnet oder zulässt, im Rahmen des Zumutbaren für dessen Verkehrssicherheit. § 14 BWaldG und § 4 S. 1 FFOG konkretisieren die Verkehrssicherungspflichten für einen Waldbesitzer jedoch dahingehend, dass die Benutzung des Waldes "auf eigene Gefahr" geschieht. Hiermit wollte der Gesetzgeber für den Waldbesitzer eine Haftungserweiterung über die "normale" Verkehrssicherungspflicht hinaus für typische Waldgefahren ausschließen (vgl. OLG Köln, NJW, RR 1987, S. 988). Vor diesen typischen Gefahren muss ein Waldbesitzer die Waldbesucher nur dann schützen, wenn er Anzeichen übersehen, verkannt oder missachtet hat, die auf eine besondere Gefahrenlage hindeuten ( BGH MDR 1974, S. 217). Darüber hinaus muss er die Besucher aufgrund seiner "normalen" Verkehrssicherungspflicht soweit möglich vor atypischen Gefahren schützen ( OLG Köln, NJW-RR 1987, S. 988 [OLG Köln 11.05.1987 - 7 U 308/86]).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass keine Verkehrssicherungspflicht verletzt wurde.
Es hat sich keine atypische Gefahr verwirklicht. Atypisch sind alle nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung mehr oder minder zwangsläufig vorgegebenen Zustände, insbesondere die vom Waldbesitzer selbst geschaffenen Gefahrenquellen (OLG Köln a.a.O.). Das Umstürzen eines Baumes stellt danach eine typische Waldgefahr dar. Es beruht auf einem natürlichen Prozess, nämlich darauf, dass ein Baum abstirbt und schließlich morsch wird. Ferner entspricht es auch der modernen und durch das Bundesnaturschutzgesetz vorgegebenen Bewirtschaftungsart, in einem Wald Totholz soweit wie möglich zu erhalten und seinem natürlichen Verfall anheim zu geben.
Anzeichen, die nach der Erfahrung vorliegend auf eine bevorstehende Verwirklichung dieser typischen Waldgefahr hinwiesen, wurden weder missachtet noch verkannt oder übersehen. Derartige Anzeichen waren nämlich nicht vorhanden. Der Baum wies keine Schieflage auf. Er unterschied sich äußerlich nicht von sonstigem Totholz, das üblicherweise und vom Gesetzgeber gewollt Merkmal eines dem Regime des Bundesnaturschutzgesetzes unterfallenden Waldes ist. Gefahren, die von derartigem Totholz ausgehen, beruhen letztlich auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur und sind daher als unvermeidbar und als eigenes Risiko hinzunehmen (vgl. BGH MDR 1974, S. 217), auch wenn diese sich, wie hier, auf tragische Weise verwirklichen. Es bedeutete eine Überforderung der an einen Waldbesitzer zu stellenden Anforderungen, wollte man von ihm verlangen, alle abgestorbenen Bäume in der Nähe von Wanderwegen auf ihre Umsturzgefahr zu untersuchen, wenn nicht besondere Anhaltspunkte für eine zeitlich nahe Gefahrverwirklichung vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert ist gemäß § 12 GKG i. V. m. den §§ 3, 5 ZPO festgesetzt worden (Klageantrag zu 1): 12 782,30 EUR; Klageantrag zu 2): 2 556,46 EUR).