Landgericht Aurich
Beschl. v. 08.02.2022, Az.: 7 T 293/21

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
08.02.2022
Aktenzeichen
7 T 293/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59287
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 03.09.2021 - AZ: 208 XVII K 1734
nachfolgend
BGH - AZ: XII ZB 85/22

Tenor:

Auf die Beschwerde vom 29.09.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 03.09.2021 aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 03.09.2021 hat das Amtsgericht Leer nach Einholung eines Sachverständigengutachtens Frau M. E. zur Betreuerin der Betroffenen für die Aufgabenkreise Sorge für Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-, Antrags und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der Vorsorgevollmacht vom 04.10.2012 bestellt. Zur Begründung hat das Amtsgericht u. a. ausgeführt, dass eine Betreuung der Betroffenen aufgrund der sehr weit fortgeschrittenen Demenz erforderlich sei. Bezüglich der Auswahl der Frau E. als Betreuerin hat das Amtsgericht ausgeführt, dass diese ein freundschaftliches Verhältnis zu der Betroffenen habe. Zu der Beschwerdeführerin, der Halbschwester der Betroffenen, habe die Betroffene zuletzt ein sehr schlechtes Verhältnis gehabt. Die Betroffene sei sogar nach erfolgter Kündigung durch die Beschwerdeführerin aus der Wohnung im Haus der Beschwerdeführerin ausgezogen. Das Amtsgericht ist daher im Ergebnis davon ausgegangen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und der Betroffenen zerrüttet sei und hat deshalb Frau E. zur Betreuerin bestellt.

Die Betroffene hat der Beschwerdeführerin am 04.10.2012 eine umfassende Vorsorgevollmacht für vermögensrechtliche und nicht vermögensrechtliche Angelegenheiten (namentlich: Gesundheitsangelegenheiten und Entscheidungen zur Aufenthaltsbestimmung und zu freiheitsentziehenden Maßnahmen) erteilt. Darüber hinaus hat sie angegeben, dass die Vollmacht im Außenverhältnis unbeschränkt gelten soll. Für den Fall, dass trotz oder neben der erteilten Vollmacht eine Betreuung angeordnet werden müsse, hat sie bestimmt, dass sodann die Beschwerdeführerin zur Betreuerin bestellt werden solle.

Am 22.12.2016 hat die Betroffene der jetzigen Betreuerin eine gleichlautende Vorsorgevollmacht erteilt.

Mit Beschluss vom 21.08.2019 hat das Amtsgericht daher die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, da die Betroffene ausreichend von der Bevollmächtigten, Frau E., vertreten werde. Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein. Diese Beschwerde wurde mit Beschluss des Landgerichts Aurich vom 18.11.2020 zurückgewiesen, da die Vorsorgevollmacht vom 04.10.2012 wirksam sei und daneben kein Raum für eine Betreuerbestellung bestehe. Zuvor wurde durch das Landgericht ein Gutachten dazu eingeholt, ob die Betroffene am 22.12.2016 (Beurkundung Vorsorgevollmacht zugunsten Frau E.) und am 04.10.2012 (Beurkundung Vorsorgevollmacht zugunsten der Beschwerdeführerin) geschäftsfähig war und in der Lage war, die Bedeutung und die Tragweite der jeweils erteilten Vollmacht zu ermessen. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Betroffene im Dezember 2016 geschäftsunfähig war. Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit im Jahr 2012 waren hingegen nicht ersichtlich.

II.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Aufgrund der (wirksam) erteilten Vorsorgevollmacht vom 04.10.2012 bestand keine Notwendigkeit, der Betroffenen für die o. g. Aufgabenkreise eine Betreuerin zu bestellen. Die Vorsorgevollmacht genießt insoweit Vorrang.

Auch eine Betreuerbestellung für den Aufgabenkreis „Widerruf der Vorsorgevollmacht vom 04.10.2012“ war und ist nicht veranlasst. Dieser Aufgabenkreis darf einem Betreuer nur dann übertragen werden, wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls der Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen nicht zur Abwehr eines Schadens für die Betroffene geeignet erscheinen (BGH, Beschluss vom 28.07.2015, XII ZB 674/14). Der mit der Ermächtigung des Betreuers zum Vollmachtwiderruf verbundene Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ist nur dann verhältnismäßig, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist, um Schaden von der Betroffenen abzuwenden. Hierbei ist stets zu berücksichtigen, dass der Vollmachtwiderruf seinerseits eine Betreuungsnotwendigkeit begründen und perpetuieren kann und dieses gerade dem mit der Vorsorgevollmacht verfolgten und durch § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB geförderten Zweck widerspricht, eine Betreuung zu vermeiden. Diese Schwere des in der Ermächtigung liegenden Grundrechtseingriffs erfordert zur Wahrung des aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Selbstbestimmungsrechts des Vollmachtgebers eine gesonderte gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit der Maßnahme (BGH, a. a. O.). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Betroffenen im Falle der (weiteren) Ausübung der Vorsorgevollmacht ein so erheblicher Schaden drohen könnte, der einen solchen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen rechtfertigen könnte. Die Betroffene hat sich zu einem Zeitpunkt, in dem sie noch voll geschäftsfähig war, dazu entschieden, der Beschwerdeführerin eine umfassende Vorsorgevollmacht zu erteilen. Zwar mag die im Jahre 2016 erteilte Vorsorgevollacht ein Indiz für ein gestörtes/schlechtes Verhältnis zwischen der Betroffenen und der Beschwerdeführerin darstellen, jedoch war die Betroffene ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. T. vom 19.10.2020 zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr geschäftsfähig. Dass der Betroffenen ein erheblicher Schaden drohen könnte, wenn die Beschwerdeführerin die Vorsorgevollmacht weiter ausübt, ist darüber nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden, weshalb der Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 03.09.2021 auch insoweit aufzuheben war.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist es jedoch nicht erforderlich, der Betroffenen die Beschwerdeführerin als Betreuerin zu bestellen, da die Vorsorgevollmacht vom 04.10.2012 wirksam ist und die Beschwerdeführerin dort umfassend von der Betroffenen bevollmächtigt wurde. Nach der Bestimmung des § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Nach der insoweit klaren gesetzlichen Regelung scheidet die Bestellung eines Betreuers aus, wenn die Angelegenheiten der Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer wahrgenommen werden können. Das Betreuungsrecht ist insoweit nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 1896 Abs. 2 BGB vom Grundsatz der Subsidiarität beherrscht. Der Wille der Betroffenen, den diese zu einer Zeit geäußert hat, in der sie zu einer eigenständigen Willensbildung uneingeschränkt in der Lage war, ist daher zwingend zu beachten. Es war daher nicht nötig, die Beschwerdeführerin zur Betreuerin zu bestellen, da diese bereits umfassend bevollmächtigt ist.

Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen hat die Kammer im Übrigen abgesehen, da keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.

Von der Erhebung von Kosten und Auslagen wird gemäß § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG abgesehen.