Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.01.2010, Az.: L 4 KR 44/09
Erstattung von Kosten für eine Behandlung mittels ambulanter synchroner Balneo-Photo-Dauertherapie durch die gesetzliche Krankenversicherung; Notwendigkeit des Bestehens eines Kausalzusammenhangs zwischen einer rechtswidrigen Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und dem Nachteil des Versicherten für einen Erstattungsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.01.2010
- Aktenzeichen
- L 4 KR 44/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 12438
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2010:0120.L4KR44.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 14.02.2001 - AZ: S 6 KR 1/01
Rechtsgrundlage
- § 13 Abs. 3 SGB V
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Kosten für eine Behandlung mittels ambulanter synchroner Balneo-Photo-Dauertherapie (Bade-PUVA-Therapie).
Der im Jahre 1983 geborene Kläger leidet an einer Vitiligo. Mit Schreiben vom 18. Juli 2000, eingegangen bei der Beklagten am 20. Juli 2000, beantragte sein behandelnder Arzt, der Facharzt für Dermatologie, Allergologie und Phlebologie Dr. D., für ihn die Gewährung einer Bade-PUVA-Therapie. Die Beklagte holte ein Aktengutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN), Dr. E., vom 9. August 2000 ein. Im Gutachten ist ausgeführt, dass die Bade-PUVA-Therapie nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheiden vom 18. August und 6. September 2000 ab. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2000).
Der Kläger hat am 3. Januar 2001 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und mitgeteilt, dass er bezüglich derselben Erkrankung einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Laser gestützte Keratinozyten-Therapie gestellt habe. Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2001 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folge das Leistungsrecht dem Leistungserbringungsrecht. Insofern seien die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (BA) über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden maßgebend. Dabei handele es sich um untergesetzliche Rechtsnormen, die verbindlich festlegen würden, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen seien. Der BA habe die Bade-PUVA-Therapie nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen anerkannt. Bei dieser Entscheidung sei er nicht über seine gutachterliche Kompetenz hinausgegangen. Es bestehe daher kein Anspruch des Klägers auf Gewährung der Bade-PUVA-Therapie.
Gegen diese am 20. Februar 2001 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 15. März 2001 Berufung eingelegt und zahlreiche Unterlagen zu den Akten gereicht. Seine Behandlung durch Dr. D. habe mittlerweile ganz erheblichen Erfolg gehabt. Es lägen sowohl eine ausreichende Erprobung der Bade-PUVA-Therapie, umfangreiche Studienergebnisse, die Plausibilität des Behandlungsansatzes, eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung und die hohe Wertigkeit des Heilversuches im Vergleich zu den bestehenden Behandlungsalternativen der Regelversorgung vor. Alle herkömmlichen Behandlungsmethoden seien erfolglos gewesen. Inzwischen behandele auch die Fachklinik F. in G. mittels Bade-PUVA-Therapie. Das SG habe es versäumt, sich über den tatsächlichen Umfang der Erkrankung des Klägers und die damit verbundenen erheblichen psychischen und psychosozialen Belastungen zu informieren.
Der Senat hat durch den damaligen Berichterstatter am 23. Juni 2004 einen Erörterungstermin durchgeführt und im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Verfahren Az.: 1 BvR 347/98 auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2009 - eingegangen am 2. Februar 2009 - hat der Kläger das Verfahren aufgenommen und zur Begründung seiner Berufung auf den Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 im Verfahren Az.: 1 BvR 347/98 verwiesen. Die Voraussetzungen, von denen das BVerfG die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei vom BA nicht anerkannten neuen Behandlungsmethoden abhängig mache, lägen bei ihm - dem Kläger - vor. Die Bade-PUVA-Therapie habe bei ihm vollen Erfolg gehabt. Zwar fordere das BVerfG eine lebensbedrohliche Erkrankung, doch die Ausführungen des BVerfG bezögen sich auch auf andere Krankheiten, insbesondere auf seltene Krankheiten wie die Vitiligo. Die Ausführungen des BVerfG seien generell gültig und daher auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 14. Februar 2001 und die Bescheide der Beklagten vom 18. August und 6. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2001 aufzuheben;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die entstandenen Kosten für die Bade-PUVA-Therapie in Höhe von insgesamt 2.123,56 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung und ihre Bescheide für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die Berufung ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die von ihm durchgeführte Bade-PUVA-Therapie.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist - nachdem die Bade-PUVA-Therapie bereits erbracht und von ihm bezahlt wurde -§ 13 Abs. 3 SGB V in der seinerzeit geltenden Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S 3853). Diese Vorschrift lautet:
"Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Voraussetzung 1) oder hat sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt (Voraussetzung 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."
Die Voraussetzung 1 ist nicht gegeben, weil keine unaufschiebbare Behandlung im Sinne eines Notfalles (Voraussetzung 1) vorlag.
Die Beklagte hat die Leistungsgewährung auch nicht zu Unrecht abgelehnt (Voraussetzung 2).
Nach der Rechtsprechung des BSG muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (der rechtwidrigen Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Kausalzusammenhang bestehen. Das bedeutet zum Einen, dass die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Behandlung hätte gewähren müssen. Zum Anderen bedeutet es, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte. Ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen oder deren Entscheidung abzuwarten (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 13 SGB V Nr. 15 Seite 74). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2005, Az: L 4 KR 83/04; Beschluss vom 3. August 2006, Az: L 4 KR 57/05).
Der Kläger hat durch seinen behandelnden Arzt Dr. D. mit Schreiben vom 18. Juli 2000 einen Leistungsantrag bezüglich der Bade-PUVA-Therapie bei der Beklagten gestellt. Dieser Antrag ist am 20. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangen. Ausweislich der Rechnung des Dr. D. vom 9. November 2000 hat die erste Bade-PUVA-Therapie aber bereits am 18. Juli 2000 - und damit vor Antragstellung - stattgefunden. Damit ist der Beschaffungsweg für die gesamte durchgeführte Bade-PUVA-Therapie nicht eingehalten. Denn nach der Bekundung des Dr. D. im Antragsschreiben vom 18. Juli 2000 plante er "zunächst 20 Initial- und 40 Erhaltungstherapien, da es sich bei der Behandlung der Vitiligo um eine über mehrere Jahre andauernde Dauertherapie" handele.
Abgesehen von der Nichteinhaltung des Beschaffungsweges ist der Tatbestand des § 13 Abs. 3 SGB V (Voraussetzung 2) auch deshalb nicht erfüllt, weil die Bade-PUVA-Therapie zur Behandlung der Vitiligo nicht zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gehört.
Nach der Rechtsprechung des BSG gilt der Grundsatz, dass eine neue ambulante Behandlungsmethode erst dann zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehört, wenn sie von dem in den hier streitbefangenen Jahren 2000/2001 zuständigen BA, dem heutigen Gemeinsamen Bundesausschuss (GemBA), anerkannt war (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - Az.: B 1 KR 15/08 R). Das ist bei der Bade-PUVA-Therapie nicht der Fall. Vielmehr hat der BA die ambulante Bade-PUVA-Therapie mit Beschluss vom 10. Dezember 1999 ausdrücklich abgelehnt.
Bekanntermaßen teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des BSG, dass eine Behandlungsmethode erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, wenn sie vom Bundesausschuss anerkannt ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede neue Behandlungsmethode in die Leistungspflicht der Krankenkassen fällt. Das ist entsprechend dem Grundgedanken des § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V erst dann der Fall, wenn die Behandlungsmethode hinsichtlich ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 8.11.2006 - Az.: L 4 KR 45/06). Hat der Bundesausschuss eine neue Methode aufgrund eines Prüfverfahrens aber bereits abgelehnt, sind hier enge Anforderungen zu stellen. Das gilt besonders in den Fällen, in denen der Bundesausschuss eine Methode nach einigen Jahren erneut geprüft und wiederum abgelehnt hat. Das ist hier der Fall. Mit Beschluss vom 13. März 2008 hat der Gemeinsame Bundesausschuss erneut die Anerkennung der Bade-PUVA-Therapie zur Behandlung der Vitiligo abgelehnt.
Die Begründung des Beschlusses steht im Ergebnis in Einklang mit den Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur Phototherapie und Photochemotherapie vom April 2007. In Ziffer 8 dieser Empfehlungen wird ausgeführt, dass die Bade-PUVA-Therapie für die Behandlung der Vitiligo nur eine Option darstellt, die wegen der potenziellen akuten und chronischen Risiken außerdem strengen Anforderungen unterliegt (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften-Leitlinien-Register Nr. 013/029 in www.uni-duesseldorf.de/AWMF/11/013-029.hmt). Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Bade-PUVA-Therapie eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode ist. Sie gehört daher nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen.
Ein Ausnahmefall liegt nicht vor.
Die Vitiligo ist keine seltene Krankheit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil sie immerhin bei etwa 0,5 bis 2 Prozent der Bevölkerung auftritt (vgl. de.wikipedia.org/wiki/Vitiligo).
Auch ein Systemversagen scheidet aus. Der Bundesausschuss hat den Antrag auf Empfehlung der Bade-PUVA-Therapie nicht verzögert bearbeitet, sondern bereits vor dem Beginn der Behandlung des Klägers im Juli 2000 seine ablehnende Entscheidung getroffen.
Schließlich sind auch die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung nicht erfüllt. Nach dem Beschluss desBVerfG vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98) setzt die verfassungskonforme Auslegung voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt, dass keine andere Therapie verfügbar ist und dass die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht.
Der Senat kann offen lassen, ob - wie der Kläger meint - die zweite und die dritte Voraussetzung für das Vorliegen eines Ausnahmefalles nach der Rechtsprechung des BVerfG vorliegt. Denn die Vitiligo des Klägers ist keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung, auch wenn sie den Kläger insbesondere psychisch sehr beeinträchtigt hat. Nach der Rechtsprechung des BSG ist das Kriterium einer Krankheit, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vergleichbar ist, enger auszulegen, als das Kriterium einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Anwendung des sog. Off-Label-Use. Entscheidend ist - so das BSG -, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs in näherer Zeit zu konkretisieren droht. Hinsichtlich des Todes wird eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik gefordert (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 30/06 R und vom 5. Mai 2009, Az.: B 1 KR 15/08 R). Dass diese Voraussetzung bei der Vitiligo vorliegt oder vorlag, hat der Kläger selbst nicht behauptet.
Nach allem kann die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.