Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.07.2006, Az.: 2 K 592/04

Abhängigkeit einer betrieblichen Tätigkeit als Seelotse von der Zulassung als Träger einesöffentlichen Amtes; Betriebsaufgabe nach dem Wegfall der Tätigkeitsvoraussetzung; Bestallung als unabdingbare Betriebsgrundlage für die Fortführung des Betriebes; Aktivierungsgebot der "Überbrückungsgelder" bei der Ermittlung des Übergangsgewinns in der Aufgabebilanz ; Berücksichtigung der"Überbrückungsgelder" als nachträgliche Betriebseinnahmen im Folgejahr

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
05.07.2006
Aktenzeichen
2 K 592/04
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2006, 25051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0705.2K592.04.0A

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 2002

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Betriebsaufgabegewinn eines Lotsen hinsichtlich der "Überbrückungsgelder" nach dem Ende der Bestallung

Redaktioneller Leitsatz

Erhält ein Seelotse aufgrund der Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit ein Überbrückungsgeld, ist dieses nicht als Aufgabegewinn zu qualifizieren. Es ist erst als nachträgliche Betriebseinnahme im Zeitpunkt des Zuflusses zu erfassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob zum Ende des Streitjahres ein Übergangsgewinn zusätzlich zu erfassen ist.

2

Der Kläger übte bis in das Streitjahr seine aktive Tätigkeit als Lotse im Lotsrevier der Lotsenbrüderschaft X aus und erzielte daraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Für die Tätigkeit war er von der zuständigen Aufsichtsbehörde bestallt worden. Diese Bestallung war Voraussetzung der Berufsausübung. Die Abrechnung der erwirtschafteten Lotsgelder nach der Lotstarifordnung erfolgte u.a. über die Lotsenbrüderschaft X, einer Körperschaftöffentlichen Rechts, entsprechend ihrer Satzungsbestimmungen in der so genannten "Lotsgeldverteilungsordnung (LGVO)".

3

Der Kläger vollendete im Dezember des Streitjahres (2002) das 65-zigste Lebensjahr. Er gab seine aktive Tätigkeit auf, da gemäß § 18 des Gesetzes über das Seelotsenwesen die Bestallung des Klägers mit Ende des Monats, in dem er das 65. Lebensjahr vollendete, erlosch. Ab Januar des Folgejahres bezog er eine Rente der Seekasse.

4

Die Lotsenbrüderschaft, von der er bereits bisher alle Einnahmen erzielt hatte, zahlte ihm nach der Aufgabe der aktiven Tätigkeit noch folgende Beträge:

Abrechnung für November 20027.742 EUR
Abrechnung für Dezember 20027.784 EUR15.526 EUR
Januar 20034.964 EUR
Februar 20034.466 EUR
März 20035.511 EUR14.941 EUR
30.467 EUR
5

Die Zahlungen für November und Dezember 2002 entsprachen dem Entgeltanspruch des Klägers nach der LGVO für die Monate seiner aktiven Tätigkeit. Lediglich die Abrechnung erfolgte, wie auch sonstüblich, im Nachhinein, nachdem die anderen beteiligten Stellen ihre Abrechnungen erstellt hatten. Für die Zwischenzeit erhielt der Kläger jeweils Zinsen.

6

Nach Ziffer 19 der LGVO stand dem Kläger nach dem Ausscheiden für weitere 3 Monate der so genannte 2/3 Anteil aus den Lotsgeldern für die jeweiligen Monate zu. Daraus resultierten die Zahlungen für Januar - März 2003. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Lotsengeld Verteilungsverordnung verwiesen.

7

In seiner Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG erfasste der Kläger die ihm erst im Folgejahr zugeflossenen Zahlungen der Lotsenbrüderschaft noch nicht. Erst in seiner Gewinnermittlung für das Folgejahr berücksichtigte der Kläger (nachträgliche) Einnahmen von der Lotsenbrüderschaft für November 2002 bis März 2003 i.H.v. insgesamt 30.488 EUR (incl. Zinsen) als Betriebseinnahmen.

8

Das FA wich von der Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr 2002 ab, indem es die Einnahmen des Klägers als Seelotse um 30.488 EUR (Zahlungen aus 2003). Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage in der Hauptsache.

9

Der Kläger ist der Ansicht, die Zuflüsse des Jahres 2003 seien auch erst im Einkommensteuerbescheid 2003 zu berücksichtigen. Bei den Zahlungen für Januar - März 2003 handele es sich um Leistungen, die dazu bestimmt seien, Einkommensengpässe für die Zeit bis zur Auszahlung der Rente zu überbrücken ("Überbrückungsgeld"). Ein Anspruch auf dieses Überbrückungsgeld bestehe nicht. Bis zum Ende des Streitjahres habe noch nicht festgestanden, in welcher Höhe der Kläger"Übergangsgeld" würde beanspruchen können. Dies sei erst im Februar des Folgejahres ermittelt worden. Daher habe in einerÜbergangsbilanz eine entsprechende Forderung i.H.v. letztlich 14.941 EUR noch nicht aktiviert werden können. Zudem habe der Kläger seinen Betrieb gar nicht aufgegeben, sondern unentgeltlich auf seinen Nachfolger übertragen. Dann entfalle die Pflicht zum Wechsel der Gewinnermittlungsart nach § 4 EStG.

10

Die Kläger beantragen,

den Gewinn aus selbständiger Arbeit um 14.941 EUR zu ermäßigen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

12

und hält an seiner Rechtsansicht fest, der Kläger habe als Lotse eine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Diese Tätigkeit habe er zum Jahresende des Streitjahres mit dem Auslaufen der Bestallung aufgegeben, so dass ein Übergangsgewinn zu ermitteln sei. Sämtliche Zahlungen des Jahres 2003 seien daher als Forderungen zu aktivieren gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

14

Das FA durfte die Beträge des"Übergangsgeldes" i.H.v. 14.941 EUR nicht im Streitjahr den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit nach§ 18 EStG hinzurechnen.

15

Zutreffend ist das FA aber davon ausgegangen, dass der Kläger seinen Betrieb zum Jahresende 2002 zwangsweise aufgeben musste. Die Beträge des "Übergangsgeldes" durfte das FA dabei im Streitjahr aber weder als Aufgabe- noch als Übergangsgewinn berücksichtigen.

16

Eine Betriebsaufgabe liegt vor, wenn die für die Fortführung des Betriebes unabdingbaren Betriebsgrundlagen auf Dauer entfallen (§§ 18, 16 EStG). Sofern die betriebliche Tätigkeit von der Zulassung als Träger eines öffentlichen Amtes abhängt, führt die Entlassung aus diesem Amt wegen der Bindung der Berufsausübung an die Person des Amtsinhabers zur Betriebsaufgabe (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1983 IV R 156/80, juris, zur Entlassung eines Notars aus seinem Amt). Nach dem Wegfall der Tätigkeitsvoraussetzung kann ein solches Amt nicht fortgeführt werden. Ebenso verhält es sich im Streitfall, da der Kläger mit dem Erlöschen der Bestallung zum 31. Dezember 2002 Kraft Gesetzes (§ 18 des Gesetzes über das Seelotsenwesen) nicht weiter als Seelotse tätig sein durfte. Damit waren die für die Fortführung des Betriebes unabdingbaren Betriebsgrundlagen - die Bestallung - auf Dauer entfallen und dadurch eine weitere betriebliche Tätigkeit unmöglich geworden.

17

Auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe ist sodann zutreffend eine Aufgabebilanz nach § 4 Abs. 1 EStG aufzustellen gewesen. In dieser Aufgabebilanz waren allerdings die noch von der Lotsenbrüderschaft später gezahlten "Übergangsgelder" nicht als Forderungen zu aktivieren.

18

Diese Leistungen gewähren die Lotsenbrüder ihren ausgeschiedenen Kollegen nach Ziffer 19 Satz 2 LGVO einmalig für die ersten drei Monate nach dem Ausscheiden, um persönliche Härten aufzufangen. Die Ansprüche entstehen ausweislich der Satzung erst nach dem Ausscheiden des Lotsen und dann für 3 Monate und damit im Streitfall erst zu Beginn des Januar 2003. Da die Forderung somit am 31. Dezember 2002, dem Stichtag für die Ermittlung des Übergangsgewinns, noch nicht entstanden war, konnten die "Überbrückungsgelder" nicht als Forderungen aktiviert werden. - Im Übrigen stand deren Höhe zum Jahresschluss 2002 noch nicht einmal fest. Die "Überbrückungsgelder" richteten sich nach den von der Lotsenbrüderschaft erst in der Zukunft (in den Monaten Januar - März 2003) erzielten Einnahmen. Diese waren am Bilanzstichtag noch nicht bekannt. -

19

Bei den "Überbrückungsgeldern" dürfte es sich daher um nachträgliche Betriebseinnahmen i.H.v. 14.941 EUR handeln, die gemäß §§ 18, 24 Nr. 2 EStG erst im Folgejahr zu berücksichtigen sein dürften. Die Leistung der Lotsenbrüderschaft entspricht dem so genannten"Gnadenvierteljahr" bzw. der (früheren) Regelung bei Kassenärztlichen Vereinigungen aus einer so genannten "erweiterten Honorarverteilung" (vgl. BFH-Urteile vom 14. April 1966 IV 335/65, BStBl III 1966, 458 und vom 22. September 1976 IV R 112/71, BStBl II 1977, 29; ebenso Herrmann/ Heuer/ Raupach -Horn, EStG, § 24 Anm. 73 und Schmidt-Wacker, EStG § 28 Rz. 255). Auch diese Leistungen sind nach der Rechtsprechung als nachträgliche Betriebseinnahmen im Zeitpunkt des Zuflusses zu erfassen, da sie zwar mit dem Betrieb zusammenhängen, jedoch ohne Ausfluss einer Leistung des Betriebsinhabers zu sein. Auch gehören sie nicht zum Aufgabegewinn (BFH-Urteil vom 14. April 1966, a.a.O.).