Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.11.2019, Az.: 1 A 394/17

Bürgerbegehren; Kommunalverfassungsstreit; Schadensersatz; Treuwidrigkeit; unzulässiges Bürgerbegehren; Vertragsbruch

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
27.11.2019
Aktenzeichen
1 A 394/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69911
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Begriff "gesetzeswidriges Ziel" in § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8, Alt. 1 NKomVG ist weit auszulegen. Die Gesetzwidrigkeit ist als Rechtswidrigkeit zu verstehen und kann sich auch aus der Unvereinbarkeit mit einer vertraglichen Verpflichtung ergeben.

Tatbestand:

Die Kläger begehren eine positive Zulässigkeitsentscheidung über das von ihnen bei dem Flecken A-Stadt angezeigte Bürgerbegehren nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG, wonach der Hauptausschuss (hier der beklagte Verwaltungsausschuss) festzustellen hat, dass die Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 3 Satz 1 bis 3 und Abs. 2 NKomVG vorliegen.

Der Rat des Flecken A-Stadt beschloss am 03.02.2017, die Einwohnerinnen und Einwohner zu befragen, ob die Wasserversorgung des Gemeindegebietes wie bisher durch die Gemeindewerke A-Stadt GmbH & Co. KG (nachfolgend: Gemeindewerke A-Stadt) mit (hartem) lokalen Wasser aus zwei Brunnen und einer Quelle erfolgen oder zu einer Versorgung des Gemeindegebietes mit (weichem) Harzwasser durch die Stadtwerke B-Stadt AG (nachfolgend: Stadtwerke B-Stadt) gewechselt werden solle. 54 % der Befragten stimmten am 24.09.2017 der künftigen Trinkwasserversorgung des Gemeindegebiets durch die Stadtwerke B-Stadt zu.

Eine weitere zuvor im Rat am 03.02.2017 diskutierte Variante, nämlich die Haushalte mit eigenem lokalem Wasser zu versorgen, welches zuvor durch die sogenannte Nanofiltration aufbereitet wird und dadurch einen geringeren Härtegrad erreicht, fand im Rat keine Mehrheit. Im Vorwege wurde diese Möglichkeit im Rat des Beklagten zwar geprüft, jedoch aus mehreren Gründen nicht weiterverfolgt.

Das Ergebnis der durchgeführten Einwohnerbefragung wurde in der 21. nicht öffentlichen Sitzung des Beklagten am 30.10.2017 beraten und zustimmend zur Kenntnis genommen. Dort heißt es u. a.:

„Der Gemeinderat hat am 03.02.2017 in seiner Sitzung beschlossen, die Einwohnerinnen und Einwohner zu befragen. Für Bürgermeister I. ist es nunmehr folgerichtig, dem Votum auch zu folgen […]

Beigeordneter C. bittet darum, den Beschluss um den Satz zu ergänzen, wonach der Gemeinderat das Ergebnis der Einwohnerbefragung zunächst zustimmend zur Kenntnis nimmt. Dem wird nach kurzer Diskussion gefolgt.“

Beschlussvorschlag:

Der Gemeinderat nimmt das Ergebnis der Einwohnerbefragung zustimmend zur Kenntnis.

Die Wasserversorgung im Flecken A-Stadt soll dahingehend erfolgen, dass die Gemeindewerke A-Stadt GmbH & Co. KG Wasser der Stadtwerke B-Stadt AG beziehen. Die Gemeindewerke A-Stadt GmbH & Co. KG werden gebeten, entsprechende Beschlüsse in ihren Gremien zu fassen.

Die in den Aufsichtsrat der Gemeindewerke A-Stadt GmbH & Co. KG entsandten Vertreter des Flecken A-Stadt werden angewiesen, in den Gremien der Gemeindewerke A-Stadt GmbH & Co. KG einheitlich im Sinne dieses Beschlusses zu handeln.“

Am 01.11.2017 zeigten die Kläger gegenüber dem Beklagten ein Bürgerbegehren mit folgender Fragestellung an:

„Sollen die Haushalte im Gebiet des Flecken A-Stadt mit Trinkwasser mittleren Härtegrades (11 Grad d. H.) und mit eigenem Wasser aus den drei Brunnen und einer Quelle versorgt werden?“

Ferner stellten sie einen Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens vorab nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG.

Am 03.11.2017 wurde im Gemeinderat des Flecken A-Stadt die Frage der künftigen Wasserversorgung ausführlich erörtert und mehrheitlich entsprechend der Beschlussempfehlung des Beklagten vom 30.10.2017 entschieden. Zudem wurde unter Tagesordnungspunkt 4.2 auf das Bürgerbegehren vom 01.11.2017 hingewiesen.

Am 09.11.2017 wurde im Aufsichtsrat der Gemeindewerke A-Stadt der Beschluss gefasst, die Geschäftsführung zu beauftragen, einen Vertrag mit den Stadtwerken B-Stadt abzuschließen. Im Nachgang wurde zwischen den Gemeindewerken A-Stadt und den Stadtwerken B-Stadt am 12.01.2018 ein Wasserlieferungsvertrag mit einer zwölfjährigen Mindestlaufzeit geschlossen. § 1 Nr. 2 des Wasserlieferungsvertrages verpflichtet die Gemeindewerke A-Stadt, ihren Fremdwasserbedarf bis zur Ausschöpfung einer vereinbarten Jahresmenge ausschließlich über die Stadtwerke B-Stadt zu beziehen. Eine ordentliche Kündigung wurde im Vertrag bis zum 31.12.2029 ausgeschlossen (§ 4 Nr. 1). Ferner bestimmt der Vertrag in § 4 Nr. 3 die außerordentliche Kündigung wie folgt:

„Das Recht der Vertragspartner zur außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages aus wichtigem Grund bleibt unberührt. Ein wichtiger Grund liegt für die Vertragspartner jeweils insbesondere vor, wenn aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung der Vertragspartner zur Preisanpassung seiner Wasserpreise verpflichtet ist. Ein wichtiger Grund liegt seitens des Lieferers des Weiteren vor, wenn dem Lieferer dessen Vorliefervertrag über die Wasserlieferung mit den J. GmbH gekündigt wird […].

Im Rahmen einer Wirtschaftsklausel (§ 5 Nr. 2) heißt es zudem:

„Eine Anpassung aufgrund dieser Regelung kommt nicht in Betracht, sofern die Veränderung von Umständen von einem Vertragspartner verschuldet ist oder in dessen Risikosphäre fällt. Dies gilt entsprechend für Umstände, die sich auf das bei Vertragsabschluss zwischen den Vertragspartnern bestehende Äquivalenzverhältnis nicht auswirken und für Umstände, die die Vertragspartner bei Vertragsschluss voraussehen konnten.“

In der Sitzung des Beklagten am 13.11.2017 wurde beschlossen, das angezeigte Bürgerbegehren als unzulässig zu erachten, da die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 NKomVG nicht vorlägen. Dies wurde den Klägern mit Schreiben vom darauffolgenden Tage mitgeteilt.

Hiergegen haben die Kläger mit Schriftsatz vom 29.11.2017, eingegangen bei Gericht am 11.12.2017, Klage erhoben.

Sie meinen, die bestehenden vertraglichen Verpflichtungen zwischen den Gemeindewerken A-Stadt und den Stadtwerken B-Stadt könnten dem Bürgerbegehren nicht entgegengehalten werden. Der Flecken A-Stadt müsse über seine beherrschende Stellung in den Gemeindewerken A-Stadt entweder eine Vertragsbeendigung durch Kündigung oder einen Aufhebungsvertrag ernstlich prüfen bzw. wenn möglich herbeiführen. Jedenfalls sei das Bürgerbegehren auf eine Grundsatzentscheidung gerichtet, bei der es unerheblich sei, dass diese gegen vertragliche Bindungen verstoße bzw. der Flecken A-Stadt müsse bei mangelnder Umsetzungsmöglichkeit die politische Verantwortung dafür übernehmen. Denn ein Bürgerentscheid betreffend eine Grundsatzentscheidung müsse nicht zwingend umgesetzt werden.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, bekanntzugeben, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 - 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) vom 17.12.2010 in der aktuell geltenden Fassung bezüglich des dem Flecken A-Stadt am 01.11.2017 angezeigten Bürgerbegehrens „Weiches Wasser A-Stadt“ vorliegen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Gemeindewerke A-Stadt seien mit den Stadtwerken B-Stadt AG langfristige vertragliche Verpflichtung eingegangen. Diese könnten nicht einfach einseitig gekündigt werden, sodass das Bürgerbegehren auf ein unmögliches Ziel gerichtet sei. Bei einer einseitigen Loslösung vom Vertrag drohten dem Beklagten über seine 60 prozentige Beteiligung Schadensersatzforderungen. Sofern das Ziel des Bürgerbegehrens so zu verstehen sein sollte, eine Entscheidung über eine Neugestaltung der Wasserversorgung nach Ablauf der zwölfjährigen Vertragslaufzeit zu erreichen, sei dies unzulässig, da die vorhandenen Sachinformationen nicht ausreichten, um den Bürger über das Thema entscheiden zu lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, das Verhandlungsprotokoll vom 27.11.2019 sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist als Leistungsklage statthaft, weil die Entscheidung des Hauptausschusses über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens mangels unmittelbarer rechtlicher Außenwirkung i. S. v. § 35 VwVfG kein Verwaltungsakt ist. Die Kläger sind auch gemeinsam klagebefugt, § 42 Abs. 2 VwGO. Die Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens in ihrer Gesamtheit können ungeachtet dessen, dass dies in Niedersachsen nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, gegen die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens Leistungsklage erheben. Denn mit dem Antrag auf Einleitung eines Bürgerbegehrens nach § 32 NKomVG ist zwischen den Klägern und dem Beklagten ein kommunalverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis begründet worden, welches den Klägern eine wehrfähige Innenrechtsposition vermittelt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 15.02.2011 – 10 LB 79/10 –, juris, Rn. 30; Beschluss vom 07.05.2009 – 10 ME 277/08 –, juris, Rn. 16; Beschluss vom 08.12.1997 – 10 M 5396/97 –, juris, Rn. 2; jeweils m. w. N.). Richtiger Klagegegner ist der Hauptausschuss (hier: der beklagte Verwaltungsausschuss) als Funktionsträger, von dem eine positive Zulässigkeitsentscheidung nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG verlangt wird. Nach den hier anzuwendenden Grundsätzen des Kommunalverfassungsstreitverfahrens ist richtiger Klagegegner nicht der Rechtsträger der betroffenen Organe, sondern das Organ oder der Organteil, demgegenüber die geltend gemachte Innenrechtsposition bestehen soll oder dem die behauptete Rechtsverletzung anzulasten ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 15.02.2011, a. a. O., Rn. 41).

Die auch im Übrigen zulässige Klage ist aber unbegründet.

Das Bürgerbegehren ist nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8, Alt. 1 NKomVG unzulässig, da es eine Angelegenheit zum Gegenstand hat, welche ein gesetzeswidriges Ziel verfolgt.

Der Begriff "gesetzeswidriges Ziel" ist weit auszulegen, denn die Gemeinde ist nicht nur an Gesetze, sondern an das gesamte Recht gebunden. Die Gesetzwidrigkeit ist als Rechtswidrigkeit zu verstehen und kann sich nicht nur aus einem gesetzlichen Verbot ergeben.

Ein Bürgerbegehren ist auch dann gesetzeswidrig, wenn dessen Umsetzung einen Verstoß gegen bestehende vertragliche Verpflichtungen bedeutet und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Gemeinde z. B. durch ein einseitiges Rücktritts- oder Kündigungsrecht oder durch einen Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. -aufhebung von den eingegangenen vertraglichen Bindungen lösen kann (vgl. VGH BW, Urteil vom 21.04.2015 – 1 S 1949/13 –, juris, Rn. 89; VG Bayreuth, Urteil vom 27.09.2016 – B 5 K 15.982 –, juris, Rn. 38 f.; VG Weimar, Urteil vom 25.11.2015 – 3 K 1276/14 We –, juris, Rn. 19 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 17.07.2009 – 7 K 3229/08 –, juris, Rn. 111; VG Ansbach, Urteil vom 06.07.2006 – AN 4 K 06.00437 –, juris, Rn. 39 ff.; VG Stade, Urteil vom 07.09.2001 – 1 A 587/00 –, juris; Thiele, NKomVG, 2012, § 32, S. 73; Ipsen, NKomVG, 2011, § 32, Rn. 23; Wessels, Rechtliche Beurteilung der Ausnahmetatbestände und deren Umgehungsgefahr bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 2013, S. 394 m. w. N.; offengelassen von Nds. OVG, Beschluss vom 22.10.1999 – 10 L 1946/99 –, juris, Rn. 3).

Die weite Auslegung des Wortlauts „gesetzeswidrig“ ergibt sich aus dem Rechtstaatsprinzip. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung hat die Gemeinde rechtmäßig zu handeln. Das Prinzip der Vertragstreue stellt einen elementaren Rechtsgrundsatz dar. Die Bindungswirkung von Verträgen schützt das Vertrauen der Parteien auf die durch das Rechtsgeschäft geschaffene Rechtslage. Die Zulässigkeit von Bürgerentscheiden trotz anderslautender vertraglicher Verpflichtungen würde das Vertrauen in die Bindungswirkung von Verträgen mit kommunalen Vertragspartnern nachhaltig erschüttern und damit die Handlungsfähigkeit der Kommunalorgane erheblich beeinträchtigen (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 17.07.2009, a. a. O., Rn. 112).

Vorliegend würde das Bürgerbegehren samt nachfolgendem erfolgreichen Bürgerentscheid dazu führen, dass der Flecken A-Stadt seinen (gesellschaftsrechtlich) beherrschenden Einfluss auf die Gemeindewerke A-Stadt dazu nutzen müsste, diese zu einem Vertragsbruch zu veranlassen. Denn eine vertragsgemäße Loslösung vom zwischen den Gemeindewerken A-Stadt und den Stadtwerken B-Stadt am 12.01.2018 geschlossenen Wasserlieferungsvertrag ist für die Gemeindewerke A-Stadt auf absehbare Zeit nicht möglich.

Eine ordentliche Kündigung scheidet angesichts der in § 4 Nr. 1 des Wasserlieferungsvertrags geregelten Mindestvertragslaufzeit bis zum 31.12.2029 aus.

Eine außerordentliche Kündigung kommt weder nach den vertraglichen noch nach gesetzlichen Bestimmungen in Betracht. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt in Übereinstimmung mit § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB nach § 4 Nr. 3 des Wasserversorgungsvertrages unberührt.

Die im Vertrag typisierten außerordentlichen Kündigungsgründe sind nicht einschlägig.

Darüber hinaus liegt gemäß § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB ein wichtiger Grund (der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt) vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dies ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen. Ein wichtiger Grund ist regelmäßig etwa dann gegeben, wenn einem der Vertragspartner aus Gründen, die nicht in seinem Verantwortungsbereich liegen, eine weitere Nutzung der Leistungen des anderen Vertragspartners nicht mehr zumutbar ist. Hingegen lässt sich auf Vorgänge, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, eine Kündigung allenfalls in Ausnahmefällen stützen. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen. Das Kündigungsrecht trägt damit auch dem Umstand Rechnung, dass sich bei einem auf Dauer angelegten Vertragsverhältnis im Laufe der Zeit unvorhergesehene Umstände einstellen können, die die Parteien – wären sie ihnen bekannt gewesen – bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 52/09 –, juris, Rn. 15; Urteil vom 26.09.1996 – I ZR 265/95 –, BGHZ 133, 316, 320 f.; Gaier, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2019, BGB, § 314 Rn. 17; jeweils m. w. N.).

Vorliegend läge der Grund für die Kündigung, nämlich ein durch einen Bürgerentscheid hervorgerufener geänderter politischer Wille (vgl. § 33 Abs. 4 Satz 1 NKomVG) allein im Risikobereich der kündigenden Gemeidewerke A-Stadt, bezüglich derer der Flecken A-Stadt eine beherrschende Stellung innehat. Nach dem Vertrag und dem Vertragszweck wollten die Stadtwerke B-Stadt das Risiko eines geänderten politischen Willens in Bezug auf die Wasserversorgung des Flecken A-Stadt nicht übernehmen. Dies ergibt sich zum einen im Umkehrschluss zu den typisierten außerordentlichen Kündigungsgründen, die nur rechtliche und wirtschaftliche Zwänge in den Blick nehmen, aber gerade keine politischen. Zum anderen zeigt dies auch § 5 Nr. 2 des Wasserlieferungsvertrags, der eine Vertragsanpassung ausdrücklich für Fälle ausschließt, bei denen die tatsächliche Änderung der Umstände in die Risikosphäre eines Vertragspartners fällt.

Außerdem handelt es sich auch nicht um unvorhergesehene Umstände, die die Parteien – wären sie ihnen bekannt gewesen – bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten. Es ist schon zweifelhaft, ob sich die Stadtwerke B-Stadt auf einen Vertrag eingelassen hätten, der eine Lösungsmöglichkeit bei Bürgerentscheiden vorgesehen hätte.

Außerdem handelt es sich auch nicht um einen unvorhersehbaren Umstand, da das Bürgerbegehren bereits vor Vertragsschluss vorgelegen hat. Es kann bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Vertragspartner diesbezüglich im Bild waren.

Auch § 5 Nr. 2 des Wasserlieferungsvertrags lässt sich die Wertung entnehmen, dass sich ein Vertragspartner zur Vertragslösung oder -anpassung nicht auf Risiken berufen können soll, die ihm bei Vertragsschluss bekannt waren. Der Umstand des Vorliegens eines Bürgerbegehrens war jedenfalls den Gemeindewerken A-Stadt bekannt. Die Vertreter im Aufsichtsrat müssen sich das Wissen des Rates und des Verwaltungsausschusses und die Gemeindewerke A-Stadt wiederum müssen sich das Wissen ihres Aufsichtsrates zurechnen lassen. Die Zurechnung ergibt sich jeweils unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 166 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.1989 – V ZR 246/87 –, NJW 1990, 975, 976; Freitag, in: Heidel/Schall, Handelsgesetzbuch, 3. Auflage 2019, § 125 Rn. 19; jeweils m. w. N.).

Bei vertragswidriger Loslösung vom Wasserlieferungsvertrag würde den Gemeindewerken A-Stadt ein Schadensersatzanspruch der Stadtwerke B-Stadt nach §§ 280, 281 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 BGB drohen (entgangener Gewinn bis zur ordentlichen Kündigungsmöglichkeit). Nach § 1 Nr. 2 des Wasserlieferungsvertrags sind die Gemeindewerke A-Stadt verpflichtet, bis zur Ausschöpfung der vereinbarten Jahresmenge ihren Fremdwasserbedarf ausschließlich bei den Stadtwerken B-Stadt zu decken. Diese Abnahmepflicht würde schuldhaft (§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 276 Abs. 1 BGB) verletzt werden, wenn die Gemeindewerke A-Stadt wieder auf die Wasserversorgung durch die eigenen drei Brunnen und die Quelle umstellten.

Die Unzulässigkeit nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8, Alt. 1 NKomVG wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Ziel des Bürgerbegehrens nicht auf den Bruch des bestehenden Vertrages mit den Stadtwerken B-Stadt gerichtet sein könnte, weil „lediglich“ ein Grundsatzbeschluss gewollt sei.

Denn eine Auslegung des Bürgerbegehrens dahingehend, dass es erst auf eine Umstellung der Wasserversorgung nach Auslaufen des Vertrages (in zwölf Jahren) gerichtet sei, ist unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsregeln (vgl. §§ 133, 157 BGB) nicht möglich. Auch kann das Bürgerbegehren nicht dahingehend verstanden werden, es stelle nur eine unverbindliche Vorgabe für die weitere Ausrichtung der lokalen Wasserversorgungspolitik des Flecken A-Stadt dar, die nicht zwingend umzusetzen wäre.

Maßgeblich ist, wie das Bürgerbegehren ausgehend vom Wortlaut und nach Treu und Glauben zu verstehen ist. Dabei ist zu beachten, dass eine wohlwollende Auslegung bei Mehrdeutigkeit nicht in Betracht kommt. Zur Auslegung ist zudem der Begründungstext heranzuziehen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 21.05.2012 – 10 LA 3/11 –, juris, Rn. 23 m. w. N.). Aus diesem lässt sich deutlich erkennen, dass das Bürgerbegehren nicht darauf gerichtet ist, eine Grundsatzentscheidung in ferner Zukunft herbeizuführen, sondern vielmehr die Beibehaltung des eigenen K. Wassers zum Ziel hat. Zum einen wird auf die durchgeführte Einwohnerbefragung eingegangen, bei der die Alternative der Nanofiltration nicht zur Wahl gestellt worden sei. Dies will das Bürgerbegehren nachholen und die Bürger über das abstimmen lassen, was sie bei der Einwohnerbefragung nicht konnten. Zum anderen heißt es im Begründungstext „Warum wollen wir das K. Wasser behalten? Wir behalten unsere Unabhängigkeit […] Die Wasserschutzgebiete kommen nicht auf den Prüfstand.“ Auch diese Passagen machen nur Sinn bei einer zeitnahen (zwingenden) Änderung der Wasserversorgung.

Außerdem erscheinen derartige Auslegungen auch deswegen fernliegend, weil die Verfasser des Bürgerbegehrens von der (damals zukünftigen) vertraglichen Bindung noch nichts wissen konnten. Denn das Bürgerbegehren wurde formuliert, als der Vertrag noch nicht geschlossen war und dessen Inhalt (Vertragsbindungsdauer) auch nicht bekannt war.

Auch der Hinweis der Kläger, es sei lediglich ein Grundsatzbeschluss gewollt, stellt den Verstoß gegen § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 NKomVG nicht in Frage. Bei einem Grundsatzbeschluss durch einen Bürgerentscheid wird eine Grundsatzentscheidung getroffen, die noch durch Detailentscheidungen im Kompetenzbereich der Vertretung ausgefüllt werden müssen (vgl. dazu und zur grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Beschlüsse Nds. OVG, Beschluss vom 07.05.2009 – 10 ME 277/08 –, juris, Rn. 20; Wefelmeier, in: Blum u. a., KVR Nds., § 32 NKomVG Rn. 11; jeweils m. w. N.). Unabhängig von der Zulässigkeit von Grundsatzbeschlüssen kann das Bürgerbegehren aus den soeben genannten Gründen schon nicht als Grundsatzbeschluss aufgefasst werden, der bloß eine unverbindliche Marschroute für die Zukunft der Wasserversorgung im Flecken A-Stadt darstellt.

Darüber hinaus finden sich im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte darauf, dass § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 NKomVG bei Grundsatzbeschlüssen keine Anwendung finden soll. Die Kammer folgt der Argumentation der Kläger nicht, wonach ein etwaiger Bürgerentscheid den Flecken A-Stadt nicht binde und er diesen – falls eine Lösung vom Vertrag nicht möglich sei – schlicht ignorieren und die politischen Konsequenzen dieses Verhaltens tragen könne. Denn nach § 33 Abs. 4 Satz 1 NKomVG steht ein verbindlicher Bürgerentscheid einem Beschluss der Vertretung gleich. Beschlüsse der Vertretung wiederum hat der Bürgermeister als Hauptverwaltungsbeamter gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auszuführen (vgl. zur grundsätzlichen Umsetzungspflicht Wefelmeier, a. a. O., § 33 Rn. 21 m. w. N.). Zwar mag es rein tatsächlich Fälle geben, in denen eine Kommune einen Bürgerentscheid nicht umsetzt. Dies sagt aber nichts über die rechtliche Zulässigkeit eines solchen Verhaltens aus. Folgte man der Argumentation der Kläger, liefe die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 NKomVG leer. Zudem würde die Kommune in die politische Verantwortung für Entscheidungen gezwungen, die sie nur unter Inkaufnahme anderer (erheblicher) Nachteile für sich treffen könnte.

Die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 NKomVG wird auch nicht durch § 32 Abs. 7 NKomVG ausgeschlossen. Nach § 37 Abs. 7 NKomVG darf bis zu dem Tag, an dem der Bürgerentscheid stattfindet, eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung nicht mehr getroffen und mit dem Vollzug einer solchen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt ist, es sei denn, dass die Kommune hierzu gesetzlich verpflichtet ist.

Zwar hat der Rat des Beklagten in Kenntnis des Bürgerbegehrens beschlossen, die in den Aufsichtsrat der Gemeindewerke A-Stadt entsandten Vertreter des Beklagten anzuweisen, in den Gremien der Gemeindewerke A-Stadt für einen Wasserbezug durch die Stadtwerke B-Stadt zu stimmen. Und der aufgrund dessen geschlossene Vertrag hat den Grund der vertraglichen Bindung und damit auch der Gesetzwidrigkeit geschaffen. Jedoch fällt der Beschluss des Beklagten in der Ratssitzung vom 03.11.2017 weder in den Anwendungsbereich des § 32 Abs. 7 NKomVG noch ist dieser treuwidrig.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 32 Abs. 7 NKomVG tritt eine Sperrwirkung für dem Begehren entgegenstehende Entscheidungen der Kommune und deren Vollzug erst mit Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ein. Damit ist die Zulässigkeitsfeststellung nach § 32 Abs. 6 NKomVG – also diejenige nach der Unterschriftensammlung – gemeint. Eine positive Entscheidung des Hauptausschusses nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG vermag die Sperrwirkung nicht auszulösen (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 28.03.2019 – 1 B 1368/19 –, juris, Rn. 21; Wefelmeier, in: KVR-NKomVG, Stand: Januar 2018, § 32 Rn. 126).

Vorliegend haben die Kläger das Bürgerbegehren am 01.11.2017 angezeigt und eine Entscheidung nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG beantragt, sodass im Zeitpunkt des Ratsbeschlusses am 03.11.2017 schon keine vorgezogene Zulässigkeitsentscheidung nach § 32 Abs. 3 Satz 5 NKomVG durch den Hauptausschuss vorlag, die erst am 14.11.2017 erging. Erst recht lag keine Entscheidung nach § 32 Abs. 6 NKomVG vor, die das Quorum nach § 32 Abs. 4 und 5 NKomVG voraussetzt.

Im Übrigen gibt das Verhalten des Beklagten auch keinen Anlass für die Annahme, dass er dem Bürgerbegehren bewusst treuwidrig die rechtliche Grundlage entziehen wollte.

Zu einer treuwidrigen Verhinderung eines Bürgerentscheids führt das Thüringer OVG im Beschluss vom 19.11.2015 (3 EO 363/15 –, juris, Rn. 35) aus:

„Die Gemeindeorgane unterliegen den Handlungsschranken, die sich aus dem im Staatsrecht entwickelten und auf das Verhältnis der Gemeindeorgane zur Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens übertragbaren Grundsatz der Organtreue ergeben. Dieser verpflichtet hier die Gemeindeorgane, sich so gegenüber dem Bürgerbegehren zu verhalten, dass dieses seine gesetzlich eröffnete Entscheidungskompetenz ordnungsgemäß wahrnehmen kann, mit anderen Worten, dass bei der Ausübung der gemeindlichen Kompetenzen von Rechts wegen auf die Willensbildung der Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens Rücksicht zu nehmen ist (OVG Münster, Beschluss vom 6. Dezember 2007 - 15 B 1744/07 - juris Rdn. 39; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 1 S 1509/11 -, juris Rdn. 34). Diese Treuepflicht ist allerdings wegen der Gleichwertigkeit von Entscheidungen der Gemeindeorgane einerseits und von Bürgerentscheiden andererseits nicht schon dann verletzt, wenn die Entscheidung des Gemeindeorgans dem Bürgerentscheid zuvorkommt. Ein in diesem Sinne treuwidriges Handeln eines Gemeindeorgans setzt vielmehr voraus, dass dessen Handeln - sei es in der Sache selbst oder hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunkts - bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war, sondern dem Zweck diente, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 6. Dezember 2007 - 15 B 1744/07 - juris Rdn. 40).“

Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an und macht sich diese zu Eigen.

Der Ratsbeschluss vom 03.11.2017 war erkennbar von einem sachlichen Grund getragen und diente nicht dem Zweck, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen. Der Beschlussvorschlag ist erkennbar von dem Willen bestimmt, das Ergebnis der Einwohnerbefragung politisch über den Einfluss auf die Gemeindewerke A-Stadt umzusetzen.

Denn aus dem im Sachverhalt zitierten Auszug aus der Niederschrift der 21. nicht öffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses am 30.10.2017 wird deutlich, dass der Verwaltungsausschuss den Beschlussvorschlag für die Ratssitzung am 03.11.2017 schon vor dem Eingang des Bürgerbegehrens verfasst hatte. Inhaltlich ging es dem Verwaltungsausschuss darum, dem Votum der Bürger in der Einwohnerbefragung zuzustimmen und dieses umzusetzen. Auch finden sich in dem Auszug aus der Niederschrift der 7. Sitzung des Gemeinderats am 03.11.2017 mehrfach Hinweise darauf, dass die Einwohnerbefragung vom Rat respektiert werden solle. Vor diesem Hintergrund kann weder in der Sache selbst noch hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunktes davon ausgegangen werden, der Ratsbeschluss am 03.11.2017 habe der Verhinderung des Bürgerbegehrens gedient.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen. Es liegt weder eine Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung vor, noch haben vorliegend relevante Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung.