Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.07.2009, Az.: 4 OA 142/09
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.07.2009
- Aktenzeichen
- 4 OA 142/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50645
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Kläger zu 2. bis 4. wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichterin der 4. Kammer - vom 13. Mai 2009 geändert.
Der Wert des Gegenstandes wird für den Rechtsstreit 4 A 240/07 auf 7.508,16 EUR (in Worten: siebentausendfünfhundertacht 16/100 EUR) festgesetzt. Der Wert des am 10. Februar 2009 in diesem Verfahren geschlossenen Vergleichs übersteigt diesen Gegenstandswert um 14.882,80 EUR (in Worten: vierzehntausendachthundertzweiundachtzig 80/100 EUR).
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Gerichtsgebühren werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die von den Prozessbevollmächtigten der Kläger zu 2. bis 4. gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes im eigenen Namen erhobene Beschwerde ist statthaft (§§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG) und wurde fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt, das der Beschwerde nicht abgeholfen hat (§ 33 Abs. 4 Satz 1 RVG). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 2 und 3 RVG), insbesondere ist der Beschwerdewert erreicht. Der Unterschiedsbetrag zwischen einer Gesamtvergütung, die nach dem festgesetzten Gegenstandswert und dem mit der Beschwerde erstrebten Wert berechnet wird (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., § 33 Rn. 14), übersteigt 200 EUR. Über die Beschwerde entscheidet nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 RVG der Einzelrichter.
Die Beschwerde ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Gegenstandswert bestimmt sich in gerichtskostenfreien Verfahren nach § 23 Abs. 3 RVG (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.2007 - 6 PB 18/06 -, juris, Rn. 1; Hessischer VGH, Beschl. v. 9.4.2008 - 22 TL 2257/07 -, juris, Rn. 1; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., RVG, § 23 Rn. 13; a.A. Bayerischer VGH, Beschl. v. 29.12.2006 - 17 P 06.2136 u.a. -, juris, Rn. 2: entsprechende Anwendung von § 23 Abs. 1 RVG). Ergibt sich - wie hier - aus den nach Satz 1 dieser Regelung anwendbaren Vorschriften der §§ 18 Abs. 2, 19 bis 23, 24 Abs. 1, 2, 4, 5 und 6, 25, 39 Abs. 2 und 3 sowie 46 Abs. 4 KostO für die Bestimmung des Gegenstandswertes nichts und steht dieser auch sonst nicht fest, ist der Gegen-standswert gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen; nur bei fehlenden genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit 4.000 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 EUR anzunehmen (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG). Das hiernach vom Gericht auszuübende Ermessen hat sich analog § 52 Abs. 1 GKG grundsätzlich an der sich aus dem Antrag des Klägers bzw. im Rechtsmittelverfahren des Rechtsmittelführers für diesen ergebenden Bedeutung der Sache zu orientieren. Abzustellen ist auf sein wirtschaftliches Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen.
Hier begehrten die Kläger zu 2. bis 4 mit ihrer Klage vom 7. Dezember 2004, "den Rücknahmebescheid vom 4.2.2004 . in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4.11.2004 . aufzuheben". Mit diesem angefochtenen Bescheid hatte der Beklagte seinen vorausgehenden Bescheid vom 27. Januar 2004, mit der er der am 8. Februar 2006 verstorbenen und später von den Klägern beerbten Frau E. B. "Hilfe zur Pflege gemäß § 68 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)" ab dem 1. Januar 2004 gewährt hatte, mit Wirkung ab dem 1. März 2004 zurückgenommen und ab diesem Zeitpunkt Hilfeleistungen - in wechselnder Höhe, siehe die Bescheide vom 17. März 2004, 17. Juni 2004, 13. September 2004, 2. März 2005, 31. Mai 2005, 12. Juli 2005 und 3. Januar 2006 - nur noch darlehensweise nach § 89 BSHG erbracht.
Der Gegenstandswert des Hauptsacheverfahrens orientiert sich damit an dem wirtschaftlichen Interesse an der Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 4. Februar 2004. Dieses entspricht dem wirtschaftlichen Interesse am Erhalt der mit dem zurückgenommenen Bescheid vom 27. Januar 2004 gewährten (wiederkehrenden) Leistungen nach § 68 BSHG. Streiten die Beteiligten um die Gewährung solcher laufender Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe, so setzen die mit diesen Streitigkeiten befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung einen Gegenstandswert fest, der sich nach dem Jahreswert der streitigen Leistung bemisst, wobei sich der Jahreswert nach dem in diesem Zeitraum liegenden höchsten monatlichen Betrag richtet. Weil die Dauer des Vorverfahrens für den Rechtsschutzsuchenden nicht oder kaum zu beeinflussen ist, regelmäßig aber davon ausgegangen werden darf, dass die Behörde einer gerichtlichen Entscheidung für einen bestimmten Zeitraum auch ohne weitere Verfahren in der Folgezeit entsprechen wird, ist das wirtschaftliche Interesse des Rechtsschutzsuchenden unabhängig von der materiellen Rechtskraft der Entscheidung nach einem von dem zu überprüfenden Zeitraum gelösten Umstand zu beurteilen. Dies ist durch die genannte Praxis der Senate sichergestellt (Senatsbeschl. v. 15.6.1999 - 4 O 2330/99 -; v. 12.11.2003 - 4 OA 475/03 -;vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 16.10.1995 - 5 C 3.95 -). Etwas anderes gilt nur dann, wenn schon vor Beginn des Verfahrens, in dem um laufende Leistungen gestritten wird, fest steht, dass der streitige Zeitraum wegen Wegfalls des Bedarfs kürzer als ein Jahr ist. In diesem Fall ist für die Festsetzung des Gegenstandswerts nicht der Jahresbetrag, sondern der in dem streitigen Zeitraum anfallende - geringere - Leistungsbetrag maßgebend (Senatsbeschl. v. 28.3.2003 - 4 LB 137/02 -).
Nach diesen Maßgaben ist das Verwaltungsgericht zwar grundsätzlich zutreffend vom Jahresbetrag der streitigen Leistung ausgegangen. Nur hat es nicht den in diesem Jahreszeitraum, der hier vom 1. März 2004 bis 28. Februar 2005 dauerte, liegenden höchsten monatlichen Betrag angewandt. Dieser liegt ausweislich des Bescheides des Beklagten vom 2. März 2005 bei 625,68 EUR für den Monat Januar 2005 (Bl. 100 der Beiakte A) und nicht, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, bei der im Bescheid des Beklagten vom 13. September 2004 für die Zeit ab Juli 2004 ausgewiesenen Höhe von 484,78 EUR (Bl. 76 der Beiakte A). Dementsprechend war die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu ändern und auf 7.508,16 EUR (= 12 Monate x 625,68 EUR/Monat) zu erhöhen.
Darüber hinaus ist bei der Festsetzung des Gegenstandswertes zu berücksichtigen, dass der in der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2009 geschlossene Vergleich neben dem rechtshängigen Anspruch auf Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 4. Februar 2004 (Absatz 1 Satz 2 des Vergleiches) auch bis dahin nicht rechtshängige Ansprüche einbezieht. In Absatz 1 Satz 1 des Vergleiches verzichtet der Beklagte nämlich "auf die Rückforderung der Kosten, die für die Unterbringung der Frau B. im Alten- und Pflegeheim F. im Rahmen der Sozialhilfe entstanden sind". Dies bezieht sich offensichtlich auf die nach dem 1. März 2004 auf der Grundlage des § 89 BSHG lediglich darlehensweise erbrachten Hilfeleistungen und einen etwaigen Rückzahlungsanspruch des Beklagten aus dem Darlehensvertrag. Insoweit geht der Vergleich über den Streitgegen-stand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hinaus. Dieses hatte, wie bereits dargelegt, bis zum Vergleichsschluss lediglich die Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 4. Februar 2004 - und damit verbunden die nicht nur darlehensweise auf der Grundlage des § 89 BSHG, sondern auf der Grundlage des § 68 BSHG erfolgende fortlaufende Gewährung der Hilfe zur Pflege - zum Gegenstand. Einen Rückforderungsanspruch aus dem Darlehensvertrag hatte der Beklagte hingegen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, sondern im Schriftsatz vom 11. März 2008 ausdrücklich auf eine sich gegebenenfalls anschließende Geltendmachung in einem zivilgerichtlichen Verfahren verwiesen. Bis zum Vergleichsschluss am 10. Februar 2009 war der Rückforderungsanspruch nicht Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Daher ist es gerechtfertigt, den Gegenstandswert für den geschlossenen Vergleich um den Vergleichsmehrwert zu erhöhen. Dieser Wert entspricht dem vom Beklagten behaupteten Rückforderungsanspruch, dessen Höhe die Beschwerdeführer und der Beklagte übereinstimmend mit 14.882,80 EUR beziffert haben.
Das Beschwerdeverfahren nach § 33 Abs. 3 RVG ist anders als das Verfahren nach § 33 Abs. 9 RVG grundsätzlich nicht gerichtsgebührenfrei. Nach Ziff. 5502 a.E. der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis) kann das Gericht - wie hier geschehen - bei einer nur teilweise zurückgewiesenen Beschwerde aber nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 Satz 2 Halbsatz 2 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).