Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.06.2023, Az.: 1 WF 65/23

Erfallen der Einigungsgebühr im Sorgerechtsverfahren nach Verständigung über die Erteilung einer umfassenden Sorgerechtsvollmacht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
19.06.2023
Aktenzeichen
1 WF 65/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 23768
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2023:0619.1WF65.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 09.03.2023 - AZ: 252 F 55/22

Fundstellen

  • NZFam 2023, 953
  • RVG prof 2023, 145

Amtlicher Leitsatz

Eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne liegt vor, wenn die Eltern in einem sorgerechtlichen Verfahren übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben, nachdem sie sich zuvor darüber verständigt haben, dass dem einen Elternteil eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt werden und es deshalb bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben soll.

In der Familiensache
der Frau J. L.,
- Antragstellerin/Kindesmutter -
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin B. G.,
Geschäftszeichen: 112/22,
gegen
Herrn B. W.,
- Antragsgegner/Kindesvater -
weitere Beteiligte:
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig, Münzstraße 17, 38100 Braunschweig,
Geschäftszeichen: A 43 29/22 (2),
- Beschwerdeführer -
hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. E. als Einzelrichterin am 19. Juni 2023 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 09.03.2023 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Das Verfahren betrifft die aus der Landeskasse zu erstattende Rechtsanwaltsvergütung in einem Sorgerechtsverfahren.

Mit Schriftsatz vom 17.03.2022 hat die Kindesmutter die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die beiden minderjährigen Töchter der Beteiligten beantragt. Das Gericht hat für die Kinder einen Verfahrensbeistand bestellt und eine Stellungnahme des Jugendamts eingeholt. Mit Beschluss vom 14.07.2022 hat es der Mutter Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt. Im Termin am 14.09.2022 sind die Beteiligten persönlich angehört worden. Ferner wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls die Sach- und Rechtslage hinsichtlich einer gütlichen Einigung und der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht seitens des Vaters erörtert. Sodann unterzeichnete der Vater eine Generalvollmacht, die als Anlage zum Protokoll genommen wurde. Die Mutter erklärte, sie werde die Vollmacht bei der Schule und beim Kinderarzt hinterlegen und den Vater unterrichten, wenn sie von der Vollmacht Gebrauch mache. Daraufhin haben die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung des Verfahrens erklärt. Das Gericht hat sodann protokolliert, dass aufgrund der Einigung der Beteiligten und der Erteilung der Vollmacht von einer vergleichsweisen Regelung ausgegangen werde. Ferner hat es beschlossen, die der Kindesmutter bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf die vergleichsweise Einigung zu der Generalvollmacht zu erstrecken.

Mit Antrag vom 14.09.2022 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter die Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung i.H.v. insgesamt 1.181,67 € beantragt. Dabei hat sie auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG i.H.v. 278,00 € geltend gemacht. Das Amtsgericht hat nach Anhörung des Bezirksrevisors unter Absetzung der Einigungsgebühr nebst anteiliger Umsatzsteuer die Vergütung durch Beschluss vom 15.12.2022 auf insgesamt 850,85 € festgesetzt.

Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter vom 16.02.2023 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts die Vergütungsfestsetzung durch Beschluss vom 09.03.2023 dahingehend geändert, dass auch die Kosten für die Einigungsgebühr i.H.v. 278,00 € nebst anteiliger Umsatzsteuer festzusetzen sind. Sie hat ausgeführt, die Beteiligten hätten sich im Termin am 14.09.2022 dahingehend verglichen, dass eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und das Verfahren dann übereinstimmend für erledigt erklärt werden solle. Dieser Beschluss ist dem Bezirksrevisor gemäß Verfügung vom 27.03.2023 formlos übersandt worden.

Mit Schreiben vom 13.04.2023, beim Amtsgericht eingegangen am 14.04.2023, hat der Bezirksrevisor hiergegen Beschwerde eingelegt und diese nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 26.04.2023, auf das wegen der Einzelheiten seines Vorbringens Bezug genommen wird, begründet. Er macht insbesondere geltend, eine Einigungsgebühr könne nicht allein dadurch anfallen, dass das Gericht protokolliere, dass es sich um eine vergleichsweise Regelung handeln solle. Für die abgegebene Erledigungserklärung entstehe keine Einigungsgebühr.

Mit Verfügung vom 14.05.2023 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 2 RVG zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Einigungsgebühr gem. Nr. 1003, 1000 VV RVG ist im vorliegenden Fall angefallen. Gem. Nr. 1000 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. In Kindschaftssachen entsteht die Gebühr gemäß Nr. 1003 Abs. 2, 2. Alternative VV RVG auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Erforderlich ist daher ein Vertrag oder - im Falle der fehlenden Verfügungsbefugnis über den Verfahrensgegenstand - eine gemeinsame Empfehlung für die Regelung des Verfahrensgegenstandes an das Amtsgericht. Nicht ausreichend sind demgegenüber eine Beendigung des Rechtsstreits durch Anerkenntnis oder Verzicht i.S.v. Nr. 1000 S. 2 VV RVG oder eine einseitige Erledigungserklärung ohne eine vorausgehende Einigung (KG Berlin, Beschluss vom 15.04.2019 - 19 WF 15/19, juris Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 08.04.2013 - 10 WF 105/13, juris Rn. 6). Hingegen liegt eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne vor, wenn sich die Eltern vor einer Erledigungserklärung darüber verständigt haben, dass dem einen Elternteil eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt werden und es deshalb künftig bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben soll (vgl. KG Berlin, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.11.2015 - 4 WF 174/15, juris Rn. 9 f., so auch die nicht veröffentlichten Entscheidungen des hiesigen Oberlandesgerichts in den Verfahren zu den Az. 1 WF 102/19 und 2 WF 206/20).

Ebenso liegt es auch hier. Ausweislich des Verhandlungsprotokolls haben die Beteiligten die Sach- und Rechtslage hinsichtlich einer gütlichen Einigung und der Erteilung einer Vollmacht seitens des Vaters erörtert, bevor der Vater dann die Vollmacht unterzeichnet und die Mutter Erklärungen betreffend die Nutzung derselben abgegeben hat, woraufhin die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung des Verfahrens erklärt haben. Aus diesem Ablauf der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass die Beteiligten sich vor der Abgabe der Erledigungserklärungen darüber geeinigt hatten, dass es aufgrund der Erteilung der Vollmacht bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben sollte. Damit haben sie einen Vertrag über den Verfahrensgegenstand geschlossen, der sich nicht lediglich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. Dass die Eltern eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne erzielt haben, wird zudem dadurch bestätigt, dass die verhandlungsführende Richterin ausdrücklich im Protokoll festgehalten hat, dass aufgrund der Einung der Beteiligten und der Erteilung der Vollmacht von einer vergleichsweisen Regelung ausgegangen werde.

Der Annahme einer Einigung steht auch nicht entgegen, dass diese sich nicht auf die Verfahrenskosten erstreckt hat. Ausreichend ist, dass dem Gericht aufgrund der Einigung eine Entscheidung in der Hauptsache erspart wurde. Dass sich die Beteiligten auch über die Kosten des Verfahrens einigen (so OLG Celle, a.a.O., juris Rn. 7), ist nicht zu fordern, da das Familiengericht gem. § 81 Abs. 1 S. 3 FamFG stets über die Kosten zu entscheiden hat und die Entscheidung gerade im Fall einer Einigung in der Regel keinerlei Begründungsaufwand erfordert (vgl. OLG Oldenburg, a.a.O., Rn. 11). Zudem besteht auch in Familienstreitsachen und Zivilsachen kein Zweifel daran, dass eine Einigungsgebühr entsteht, wenn die Parteien bzw. Beteiligten einen Vergleich abschließen, die Kostenentscheidung aber gem. § 91 a ZPO dem Gericht überlassen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.

Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 i.V.m. 33 Abs. 6 RVG nicht statthaft.