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Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.06.2023, Az.: 1 UF 25/23

Durchführung des Versorgungsausgleichs hinsichtlich Anrechten aus der Rentenversicherung für langjährig Versicherte trotz Geringfügigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
05.06.2023
Aktenzeichen
1 UF 25/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 43966
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2023:0605.1UF25.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hann. Münden - 20.02.2023 - AZ: 6 F 26/22

Fundstelle

  • NJW 2023, 2951-2952

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG ist der mit der Teilung von Anrechten auf Grundrentenzuschlag verbundene Verwaltungsaufwand in Folge der dadurch veranlassten jährlichen Prüfung der Einkommensanrechnung nach § 97a Abs. 6 SGB VI regelmäßig als nicht unerheblich zu gewichten.

  2. 2.

    Auf der anderen Seite ist die wirtschaftliche Bedeutung des Ausgleichs für den Ausgleichsberechtigten zu beachten, die insbesondere bei beengten finanziellen Verhältnissen und einem wirtschaftlich nicht völlig bedeutungslosen Ausgleichswert den Ausschlag für den Ausgleich geben kann.

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung ./. wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hann.Münden vom 20.02.2023 in Ziffer II. des Entscheidungstenors um folgenden Absatz ergänzt:

Zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung ./. (Versicherungsnummer ./.) wird im Wege der internen Teilung zu Gunsten des Antragsgegners ein Anrecht in Höhe von 0,4429 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (Grundrentenzuschlag) auf dessen Versicherungskonto bei der Deutschen Rentenversicherung ./. (Versicherungsnummer ./.), bezogen auf den 31.01.2022, übertragen.

II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

III. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die im Scheidungsverbund getroffene Entscheidung über den Versorgungsausgleich.

Die Antragstellerin hat in der für den Versorgungsausgleich relevanten Ehezeit vom TT.MM.2006 bis zum TT.MM.2022 Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung ./. zu Versicherungsnummer ./. erworben. Der Versorgungsträger hat in der Auskunft vom TT.MM.2022 hinsichtlich der allgemeinen Rentenversicherung einen Ehezeitanteil von 5,8029 Entgeltpunkten mitgeteilt und einen Ausgleichswert von 2,9015 Entgeltpunkten vorgeschlagen. Ferner besteht nach der Auskunft ein ehezeitlicher Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrentenzuschlag) in Höhe von 0,8858 Entgeltpunkten, von denen nach dem Vorschlag 0,4429 Entgeltpunkte ausgeglichen werden sollen. Der Antragsgegner hat ausweislich der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung ./. vom TT.MM.2023 kein ehezeitliches Anrecht auf Grundrentenzuschlag erworben.

Auf den am TT.MM.2022 zugestellten Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20.02.2023 die am TT.MM.2006 geschlossene Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Hinsichtlich der Anrechte der Antragstellerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat es lediglich die in der allgemeinen Rentenversicherung erworbenen Entgeltpunkte berücksichtigt und den Grundrentenzuschlag unerwähnt gelassen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Deutsche Rentenversicherung ./. mit ihrer Beschwerde vom 07.03.2023, mit der sie geltend macht, im Rahmen der Durchführung des Versorgungsausgleichs sei auch eine Aussage über den Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung zu treffen.

Die Antragstellerin hat sich zu der Beschwerde zustimmend geäußert und angegeben, ihr Anrecht aus dem Grundrentenzuschlag mit einem Ausgleichswert von 0,4429 Entgeltpunkten sei zu berücksichtigen. Der Antragsgegner hat nicht zu der Beschwerde Stellung genommen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde führt dazu, dass hinsichtlich des Anrechts der Antragstellerin aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ein Ausgleich im Wege der internen Teilung durchzuführen ist.

1.

Bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung i.S.v. § 76 g SGB VI handelt es sich um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht gemäß § 2 Abs. 2 VersAusglG (vgl. BGH, Beschluss vom 01.03.2023 - XII ZB 360/22, juris Rn. 8). Es ist auf eine Rente gerichtet, dient der Absicherung im Alter oder bei Invalidität und wird auch durch Arbeit geschaffen und aufrechterhalten, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11).

2.

Das Anrecht ist auch ausgleichsreif i.S.v. § 19 Abs. 2 VersAusglG. Insbesondere ist es hinreichend verfestigt i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG. Maßgebend ist insoweit, ob der Versorgungswert in seiner Bezugsgröße dem Grund und der Höhe nach nicht mehr beeinträchtigt werden kann. Dies ist hier unabhängig davon der Fall, ob künftig unter Berücksichtigung der nach § 97 a SGB VI durchzuführenden Einkommensanrechnung eine Grundrente zu leisten sein sollte oder nicht. Denn diese Frage wirkt sich von vornherein nicht auf die Bezugsgröße des Anrechts - nämlich Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung - aus und stellt daher die hinreichende Verfestigung des Stammrechts als solches nicht infrage (BGH, a.a.O., Rn. 19).

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Ausgleich für den Antragsgegner unwirtschaftlich wäre i.S.v. § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann grundsätzlich nicht bereits im Versorgungsausgleichsverfahren festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs führt. Denn ob es zu einer Einkommensanrechnung kommt, ergibt sich erst im laufenden Leistungsbezug und kann sich zudem jährlich ändern (BGH, a.a.O., Rn. 22).

3.

Auch die Geringfügigkeit des Anrechts steht der Durchführung des Ausgleichs im vorliegenden Fall nicht entgegen.

Für die Geringfügigkeitsprüfung ist hier § 18 Abs. 2 VersAusglG einschlägig. Die Entgeltpunkte für langjährige Versicherung stellen ein eigenständiges Anrecht dar, das im Versorgungsausgleich gesondert intern zu teilen ist und deshalb den allgemeinen Entgeltpunkten weder hinzugerechnet noch im Rahmen der Geringfügigkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG gegenübergestellt werden darf (BGH, a.a.O., Rn. 25 sowie Beschluss vom 01.03.2023 - XII ZB 444/22, juris Rn. 14; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.01.2023 - 11 UF 204/22, juris Rn. 29).

Der Ausgleichswert des Anrechts der Antragstellerin auf Grundrentenzuschlag ist gering im Sinne von § 18 Abs. 3 VersAusglG. Der korrespondierende Kapitalwert beträgt 3.204,64 € und ist damit nicht größer als 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV am Ende der Ehezeit (Bezugsgröße im Jahr 2022: 3.290,00 €, 120 % hiervon: 3.948,00 €).

Im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gleicht der Senat dieses Anrecht trotz seiner Geringfügigkeit aus. Bei der Ermessensausübung sind in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2016 - XII ZB 490/15, juris Rn. 7; OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.05.2022 - 11 UF 283/22, juris Rn. 12). Andererseits findet der Ausschluss eines Ausgleichs von Bagatellanrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung seine Grenze in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes (BGH, a.a.O., Rn 8). Unter diesem Aspekt hat trotz Geringwertigkeit des betroffenen Anrechts regelmäßig ein Ausgleich zu erfolgen, wenn dieser nur einen geringen Verwaltungsaufwand erfordert, weil der Versorgungsträger ohnehin Umbuchungen auf den Konten vornehmen muss, so dass eine Einschränkung des Halbteilungsgrundsatzes nicht gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30.11.2011 - XII ZB 344/10, juris Rn. 42). Darüber hinaus sind bei der Ermessensentscheidung auch die konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute einschließlich ihrer Versorgungssituation zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 12.10.2016 - XII ZB 372/16, juris Rn. 14).

Vorliegend entsteht zwar für den Rentenversicherungsträger aufgrund der beim Antragsgegner in Folge des Versorgungsausgleichs gebotenen jährlichen Prüfung der Einkommensanrechnung nach § 97 a Abs. 6 SGB VI neben der bloßen Umbuchung von Entgeltpunkten ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand. Diesen gewichtet der Senat trotz des automatisierten Datenabgleichs auch nicht als gänzlich unerheblich (ebenso OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.05.2022 - 11 UF 283/22, juris Rn. 13; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.01.2023 - 11 UF 204/22, juris Rn. 31; a.A. OLG Bamberg, Beschluss vom 31.08.2022 - 7 UF 161/22, juris Rn. 20; Beschluss vom 02.11.2022 - 2 UF 136/22, juris Rn. 20).

Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Ausgleichs für den Antragsgegner vorliegend nicht als völlig geringfügig eingeordnet werden kann. Der Ausgleich von 0,4429 Entgeltpunkten würde auf der Grundlage des derzeitigen Rentenwerts zu einer monatlichen Rentenzahlung i.H.v. 15,14 € führen. Ein solcher Betrag kann bei beengten finanziellen Verhältnissen, von denen in Anbetracht des Versicherungsverlaufs des Antragsgegners vorliegend auszugehen ist, durchaus von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Relevanz sein. Zudem liegt der korrespondierende Kapitalwert von 3.204,64 € relativ dicht an der einschlägigen Geringfügigkeitsgrenze von 3.948,00 €. Zur Wahrung des Halbteilungsgrundsatzes erachtet der Senat daher hier die Durchführung des Ausgleichs des Grundrentenzuschlags als sachgerecht.

III.

Der Senat sieht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung eines Termins zur persönlichen Anhörung der geschiedenen Ehegatten nach § 221 Abs. 1 FamFG ab, da diese in erster Instanz am TT.MM.2023 erfolgt ist und von einer erneuten mündlichen Erörterung keine zusätzlichen Erkenntnisse über den schriftlichen Vortrag der Beteiligten hinaus zu erwarten sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 150 Abs. 1, Abs. 3 FamFG. Wegen des Erfolgs der Beschwerde wird von einer Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abgesehen.

Der Beschwerdewert richtet sich nach §§ 40 Abs. 1, 50 Abs. 1 FamGKG. Danach ist für jedes Anrecht 10 % des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten anzusetzen, wobei insgesamt ein Wert von 1.000,00 € nicht zu unterschreiten ist. Vorliegend beträgt das relevante Einkommen der Ehegatten ausweislich des Protokolls der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung 5.520,00 €. Da die Beschwerde nur ein Anrecht betrifft, ergäbe sich ein Beschwerdewert von 552,00 €, so dass vorliegend der Mindestwert von 1.000,00 € einschlägig ist.

In Anbetracht der divergierenden oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung zur Geringfügigkeitsprüfung bei Anrechten auf Grundrentenzuschlag ist gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde zuzulassen.