Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.04.2013, Az.: 1 A 28/13

kommunaler Abgeordneter; Abgeordneter; Akteneinsicht; Kommunalrecht; Ratsmitglied

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
25.04.2013
Aktenzeichen
1 A 28/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64471
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das kommunale Akteneinsichtsrecht ist nicht von einem "Kontrollzweck" abhängig. Es darf ohne Begründung, insbesondere auch präventiv und zu ("reinen") Informationszwecken ausgeübt werden.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte sich ursprünglich zu Unrecht geweigert hat, der Klägerin Einsicht in die von ihr im Antragsschreiben vom 26.10.2012 genannten Verträge zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits um die Voraussetzungen des kommunalrechtlichen Akteneinsichtsrechts.

Mit Schreiben vom 26.10.2012 beantragte die Klägerin beim Beklagten, ihr durch ihren Vorsitzenden Akteneinsicht in insgesamt vier bestimmt bezeichnete Verträge der Stadt mit der E. mit allen Zusätzen, Änderungen und Ergänzungen zu gewähren. Sie nahm dabei Bezug auf die beigefügte Auflistung von sog. F., die der Beklagte auf eine Anfrage der Ratsfraktion „Piraten“ vorgelegt hatte.

Zur Begründung ihres Antrags führte die Klägerin aus, es gelte zu überwachen und zu kontrollieren, ob diese Verträge innerhalb des Kompetenzbereichs derer lagen, die sie abgeschlossen haben und ob sie weiter inhaltlich zum Nutzen und Vorteil der Bürgerinnen und Bürger der Stadt aufgesetzt wurden.

Mit zwei gesonderten, von den jeweils zuständigen Dezernenten stellvertretend unterzeichneten Schreiben vom 04.12.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er in beiden Schreiben im Wesentlichen gleichlautend aus:

Die Begründung des Akteneinsichtsantrags erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Es fehle an der Darlegung eines konkreten Kontrollinteresses. Das Recht auf Akteneinsicht diene als Kontrollrecht des Rates ausschließlich dem Zweck der Überwachung der Durchführung von Beschlüssen und des sonstigen Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten. Diese Zweckgebundenheit folge aus der Systematik des § 58 Abs. 4 Satz 3 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG). Der Antragsteller müsse zudem schlüssig begründen, welche Anhaltspunkte es für die Kontrollnotwendigkeit gebe. Der Kontrollzweck könne von der Verwaltung nur dann überprüft werden, wenn nicht allein der Gesetzestext formelhaft wiederholt oder nur pauschal oder pro forma ein Kontrollzweck benannt werde, für den es keinen hinreichend konkreten Anlass bzw. ein konkretes Kontrollinteresse gebe.

Mit Schreiben vom 12.12.2012 wandte sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des Beklagten und wiederholte ihr Akteneinsichtsbegehren, zu dessen Begründung sie auf die Kontrollpflicht des Rats sowie darauf hinwies, dass Transparenz und Kontrolle der Verwaltung geeignet seien, vorbeugend „Schlamperei, Korruption und Begünstigung einer Verwaltung“ entgegen zu wirken.

Unter dem 20.12.2012 lehnte der Beklagte die Akteneinsicht erneut im Wesentlichen mit der Begründung ab, das Begehren sei ausschließlich darauf angelegt, allgemeine Informationen im Rahmen der kommunalpolitischen Arbeit zu beschaffen, die nach dem Gesetz allein dem Auskunftsrecht einzelner Abgeordneter nach § 56 Satz 2 NKomVG vorbehalten sei. Ein überprüfbarer Kontrollzweck sei nicht plausibel dargelegt worden. Diese rechtliche Bewertung sei in einer vergleichbaren Angelegenheit vom Niedersächsischen Innenministerium mit Schreiben vom 28.09.2012 bestätigt worden.

Mit ihrer am 07.01.2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hat zunächst sinngemäß beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr Akteneinsicht in die von ihr benannten vier Verträge zu gewähren. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Mit Schreiben vom 14.03.2013 hat sie weitere „konkrete Gründe“ geltend gemacht und u.a. dargelegt, es gelte zu kontrollieren, dass zwischen dem namentlich bezeichneten Münzhändler und dem Beklagten keine Geschäftspraktiken bestünden, die die „Grenzen der Legalität tangieren“ und „grenzwertige Geschäftspraktiken aus dem Münzhandel“ nicht auf die vom Beklagten abgeschlossenen Verträge übertragen würden. Im Schreiben vom 02.04.2013 bezweifelte die Klägerin die Vollständigkeit der vorgelegten Liste.

Unter dem 15.04.2013 teilte der Beklagte der Klägerin daraufhin mit, er werte ihre Ausführungen in den beiden vorangegangenen Schriftsätzen nunmehr als hinreichend einzelfallgenaue Darlegung eines Kontrollzwecks, auch wenn sie mit Verunglimpfungen einhergingen. Demgemäß werde er schnellstmöglich den Zugang zu den Vorgängen ermöglichen.

Die Klägerin hat daraufhin ihren Klageantrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr,

festzustellen, dass der Beklagte bereits aufgrund ihres Antrags vom 26.10.2012 verpflichtet war, ihr Einsicht in die Akten mit den vier genannten Verträgen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung fest und verteidigt sie ergänzend damit, dass er sich selbstverständlich an die Erlasse des Innenministeriums halte, da dieses Ministerium eine gegenüber den Kommunen mit Weisungskompetenz ausgestattete vorgesetzte Verwaltungsbehörde sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (Hefter I und II) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nach sachdienlicher Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO) als Feststellungsklage zulässig.

Mittels einer Klage nach § 43 VwGO kann das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Hierzu zählen auch die durch organschaftliche (funktionelle) Befugnisse und Verpflichtungen gekennzeichneten Rechtsbeziehungen zwischen Organen oder Organteilen von Kommunen. Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist gegeben. Anhand eines konkreten Sachverhaltes ist zwischen den beteiligten Organen der Stadt Braunschweig streitig, ob die Einsichtnahme in die eingangs genannten Verträge schon mit der ursprünglichen Antragstellung (ohne noch eingehendere Begründung) hätte gewährt werden müssen.

Die Klägerin besitzt das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse, obgleich der Beklagte die mit der zunächst erhobenen Leistungsklage erstrebte Akteneinsicht zwischenzeitlich gewährt hat und das Rechtsverhältnis insoweit einen vergangenen Streit betrifft. Denn der Konflikt äußert über seine konkrete Beendigung hinaus noch Wirkungen für die Zukunft. Der Beklagte hat angekündigt, er werde auch zukünftig Anträge auf Akteneinsicht ablehnen, wenn keine aus seiner Sicht hinreichende Darlegung des Kontrollanlasses für ein Akteneinsichtsgesuch erfolge. Bei einer Wiederholungsgefahr ist regelmäßig ein Feststellungsinteresse gegeben.

Vor diesem Hintergrund scheitert die Zulässigkeit auch nicht an der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO). Der Klägerin darf aus Gründen der Effektivität ihrer Funktionsrechte nicht zugemutet werden, den nächsten Konflikt abzuwarten, um (erst) dann (erneut) eine gerichtliche Klärung anstreben zu können.

Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte war verpflichtet, dem Akteneinsichtsbegehren der Klägerin zu entsprechen, ohne inhaltliche Anforderungen an dessen Begründung zu stellen. Das kommunale Akteneinsichtsrecht ist nicht von einem „Kontrollzweck“ abhängig; es darf insbesondere auch zu („reinen“) Informationszwecken ausgeübt und ein Akteneinsichtsantrag muss nicht begründet werden.

Dies folgt aus § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG. Danach ist einzelnen Abgeordneten Einsicht in die Akten u.a. dann zu gewähren, wenn eine Fraktion oder eine Gruppe dies verlangt. Abgesehen von den durch § 6 Abs. 3 Satz 1 NKomVG bestimmten Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen und für die das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich nicht gilt (§ 58 Abs. 3 Satz 4 NKomVG), besteht es seinem Wortlaut gemäß ohne (weitere) gegenständliche Einschränkung.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich ein Beleg für seine gegensätzliche Auffassung auch nicht aus der „Systematik“ des Gesetzes. Zwar kann für den Inhalt einer Einzelvorschrift auch ihre Stellung im normativen Gesamtgefüge bedeutsam sein. Selbst mit Rücksicht allein auf den Inhalt des § 58 Abs. 4 NKomVG und erst Recht mit Blick auf den weiteren Inhalt des Gesetzes finden sich jedoch nicht nur keinerlei Anhaltspunkte für die vom Beklagten angenommene Beschränktheit des Akteneinsichtsrechts. Bei unverfälschter, inhaltlich richtiger Würdigung der entsprechenden Normgehalte wird die Auffassung des Beklagten vielmehr auch durch die Systematik des Gesetzes widerlegt.

Die vom Beklagten aufgegriffene Auffassung, das Akteneinsichtsrecht des § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG diene „ausschließlich der Überwachung der Durchführung von Beschlüssen und des sonstigen Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten“ (so insbes. Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 58 Anm. 4, S. 161), führt zwar „systematische“ Überlegungen an und argumentiert (sinngemäß) mit der Annahme, dass das Akteneinsichtsrecht einer Fraktion oder einer Gruppe kaum weiter reichen könne, als das Auskunftsrecht der Vertretung. Sie stellt dabei jedoch entscheidend darauf ab, dass auch der Auskunftsanspruch der Vertretung nur bei einem hinreichenden Kontrollanlass sowie einer entsprechenden Begründung bestünde. Insoweit legt sie einen verengten Kontrollbegriff zugrunde, der sich nur scheinbar aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 4 NKomVG ergibt, dessen Sätze 1 und 2 lauten:

1Die Vertretung überwacht die Durchführung ihrer Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. 2Sie kann zu diesem Zweck vom Hauptausschuss und von der Hauptverwaltungsbeamtin oder dem Hauptverwaltungsbeamten die erforderlichen Auskünfte verlangen.“

Dass die Vertretung (alle) Auskünfte soll verlangen dürfen, die ihrem Auskunftsbegehren Rechnung tragen und in dem Sinne erforderlich sind, bedeutet keineswegs, dass die Vertretung nur einen gegenständlich beschränkten Auskunftsanspruch hat, der von einer (nicht selbstbestimmten) Kontroll-Erforderlichkeit abhängt. Wer - wie der Beklagte - die Erforderlichkeit auch auf die Voraussetzungen des Auskunftsrechts der Vertretung bezieht und dem Kontrollberechtigten deshalb aufbürdet, gegenüber dem zu Kontrollierenden substanziell zu begründen, ob ein hinreichender Kontrollanlass besteht und ob die geforderte Auskunft zumindest auch bzw. allein diesem Zweck diene, macht das Auskunftsrecht von einem Umstand abhängig, der rechtsstaatlichen Ansprüchen an Bestimmtheit und Nachvollziehbarkeit - wie auch der Verlauf des hier zu beurteilenden Konflikts zeigt - praktisch nicht genügen kann. Die vom Beklagten behauptete Begründungsobliegenheit führt nicht nur zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten, sondern gefährdet in ihrer praktischen Anwendung auch die Handlungs-Möglichkeiten kommunaler Selbstverwaltung; sie provoziert insbesondere (Begründungs-) Zuspitzungen, die das kommunalpolitische Klima destruktiv belasten müssen. Gegen die Richtigkeit der auch vom Beklagten vertretenen Auffassung spricht vor allem, dass sie fundamentalen Prinzipien der Rechtsordnung widerspricht. In einem demokratischen Rechtsstaat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 NV) und auch in Gemeinden eine Volksvertretung vorhanden sein muss (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art 57 Abs. 2 NV), darf ein Überwachungsrecht der Volksvertretung nicht dahin gedeutet werden, dass das auch auf einfachgesetzlicher Ebene gewollte Verhältnis zwischen Überwachtem und Überwachendem praktisch umgekehrt wird. Das wäre jedoch der Fall, wenn die Berechtigung der (Volks-) Vertretung, die zugleich Hauptorgan der Kommune (§ 45 Abs. 1 Satz 1 NKomVG), oberste Dienstbehörde, höhere Dienstvorgesetzte und Dienstvorgesetzte des Hauptverwaltungsbeamten (§ 107 Abs. 5 NKomVG) ist, von dem (stets) zu überwachenden Hauptverwaltungsbeamten Auskünfte nur verlangen dürfte, wenn er einen aus seiner Sicht hinreichend begründeten Kontrollanlass akzeptiert. Die in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen unverzichtbare Tätigkeit einer „Volksvertretung“ besteht nicht nur in einer retrospektiven Kontrolltätigkeit, sondern umfasst auch die demokratische (politische) Überwachung des Hauptverwaltungsbeamten. Diese Überwachung hat stets, ohne konkretisierten Anlass gleichsam alltäglich stattzufinden und erfüllt in der Regel bereits durch ihre Existenz einen demokratischen Zweck, der auf politisch verantwortliche, nachvollziehbare Entscheidungen abzielt. Ihr kommt auch eine begleitende und vorbeugende Funktion zu (zur auch präventiv wirkenden Überwachung bereits VG Gießen, B. v. 16.01.2007, NVwZ 2007, 1218 [VGH Baden-Württemberg 21.11.2006 - 9 S 987/06]; Blum, Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 40 Rn. 172; zur präventiven Bedeutung von Kontrollmöglichkeiten vgl. ferner BVerwG, B. v. 11.10.2010 - 6 P 16/09 -, juris Rn. 19, und die erkennende Kammer im Urteil vom 29.11.2012 - 1 A 33/12 -, juris Rn. 23 zum Wahlprüfungsrecht). Es liegt auf der Hand, dass es für diese Überwachungsfunktion unverzichtbar ist, dass sich (auch) die (gesamte) Vertretung nicht zuletzt durch ihr Auskunftsverlangen über die Angelegenheiten der Kommune umfassend informieren kann.

Der nunmehr durch § 56 Satz 2 NKomVG jedem Mitglied der Vertretung gewährte Auskunftsanspruch, der unstreitig unabhängig von anlassabhängigen Kontrollzwecken ist, belegt einmal mehr, dass prinzipiell alle dem Hauptverwaltungsbeamten verfügbaren Informationen über Angelegenheiten der Verwaltung allen Mitgliedern der Vertretung unabhängig von anlassbezogenen Kontrollen (rechtfertigungsfrei) zugänglich sein müssen (vgl. dazu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 25.04.2013 - 1 A 1 A 225/12-). Auch vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, der Vertretung als Ganzes (weiterhin) nur einen prinzipiell beschränkten Auskunftsanspruch zuzubilligen, der von einem hinreichend dargelegten Überwachungs-Anlass abhängig wäre (dies verkennt allerdings auch Blum, a.a.O., § 40 NGO Rn. 171).

Mit dem prinzipiell unbeschränkten Informationsrecht für die Abgeordneten und einem nicht lediglich anlassbezogenen Verständnis der Überwachungsfunktion der Vertretung muss nicht zuletzt aus systematischen Gründen auch eine Zweck-Beschränkung des Akteneinsichtsrechts entfallen. Es kann zu Informationszwecken ausgeübt werden und es kann auch dadurch eine (und sei es präventive) umfassende, rechtliche wie politische Wirksamkeit entfalten. Mit Blick auf das hier zu beurteilende Akteneinsichtsrecht einer Fraktion verkennt die vom Beklagten vertretene Auffassung im Übrigen, dass es beim Akteneinsichtsrecht (in erster Linie) nicht um ein Recht der Vertretung, sondern um ein Recht geht, das (bereits) einer qualifizierten Minderheit der Vertretung zusteht, die durchaus auch ein anderes Informations- und Aufklärungsinteresse haben kann, als die Mehrheit der Vertretung.

Dass der Gesetzgeber mit diesem Minderheitenrecht nicht nur ein weiteres Mittel im Dienste des (angeblich beschränkten) Überwachungsrechts der Vertretung („als der eigentlichen Kontrolleurin“, so bezeichnenderweise Thiele, a.a.O.) gewähren wollte, sondern eine spezielle Möglichkeit zur qualifizierten Information der Mitglieder der Vertretung intendiert war, zeigt schließlich auch die Entstehungsgeschichte dieses Akteneinsichtsrechts.

Seinem Wortlaut nach war das Akteneinsichtsrecht in § 40 Abs. 3 NGO in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.10.1977 (Nds. GBBl. S. 497) noch als ein Mittel des (gesamten) Rats ausgestaltet, das im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Auskunftsverlangen formuliert war. Diese Vorschrift lautete:

„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor die erforderlichen Auskünfte verlangen und durch einen von ihm bestimmten Ausschuß oder einzelne von ihm beauftragte Ratsherren Einsicht in die Akten nehmen. Dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz 1)“

Mit der Neuregelung durch Art I Nr. 9 Buchst. c des Achten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18.02.1982 (Nds GVBl. S. 53), die am 01.07.1982 in Kraft trat, wurde erstmals auch einer Minderheit des Rats ein Akteneinsichtsrecht eingeräumt, das nunmehr auch textlich von dem daneben verbliebenen Akteneinsichtsrecht des Rats verselbständigt war. § 40 Abs. 3 NGO (Fassung 1982) lautete:

„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor die erforderlichen Auskünfte verlangen. Auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder des Rats ist einzelnen Ratsherren Einsicht in die Akten zu gewähren. Diese Rechte gelten nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen

(§ 5 Abs. 3 Satz 1)."

Die mit der Einführung eines weiteren Akteneinsichtsrechts verbundene Ablösung vom Akteneinsichtsrecht des Rates blieb zunächst weitgehend folgenlos bzw. unbeachtet. Der im Niedersächsischen Innenministerium tätige Ministerialrat G. erkannte zwar, dass nach dem Wortlaut nunmehr „nur noch für das Auskunftsverlangen die Überwachung der Verwaltung durch den Rat als Zweck bezeichnet (ist), während die Akteneinsicht als Minderheitsrecht ausgestaltet ist, ohne dass ausdrücklich auf den Kontrollzweck Bezug genommen wird“. In seinem vom Beklagten als Beleg für die Richtigkeit seiner Auffassung zitierten Beitrag „Das Akteneinsichtsrecht der Ratsminderheit“ (NStV-N 1/1983, 10, ganz ähnlich auch Thiele, Probleme des Auskunftsverlangens und des Akteneinsichtsrechts“, dng 1983, 110, 111) führte er jedoch aus:

„Gleichwohl ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dass das Akteneinsichtsrecht auch künftig ausschließlich dem Zweck der Überwachung der Verwaltung dient, nicht dagegen der Befriedigung von Informationsbedürfnissen außerhalb von Kontrollfunktionen. Ausgangspunkt der Neuregelung des § 40 Abs. 3 NGO war der Vorschlag der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts, zur Kontrolle der Verwaltung auch einer Minderheit das bis dahin nur der Ratsmehrheit zustehende Akteneinsichtsrecht zuzubilligen, weil auf diese Weise ein immerhin mögliches Zusammenspiel zwischen Minderheit und Verwaltung verhindert oder unterbunden werden könnte. Diesen Vorschlag und seine Intention hat die Landesregierung in ihrem Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung der NGO und NLO v. 22.10.1980 übernommen und für den § 40 Abs. 3 NGO folgende Fassung vorgesehen:

„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor die erforderlichen Auskünfte verlangen und durch einen von ihm bestimmten Ausschuß oder einzelne von ihm beauftragte Ratsherren Einsicht in die Akten nehmen. Auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder des Rats ist einem einzelnen Ratsherrn Einsicht in die Akten zu gewähren. Dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz 1)“

Bei dieser Formulierung kann das Akteneinsichtsrecht nur zu Überwachungszwecken ausgeübt werden, und zwar sowohl vom Rat als auch von der Minderheit. Wie die in engem Zusammenhang mit den Überwachungsaufgaben des Rats stehende Regelung des Rechts erkennen läßt, war die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten für Ratsminderheiten nicht beabsichtigt; das hat der Gesetzgeber noch einmal bestätigt, indem er den Vorschlag der F.D.P.-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, einzelnen Ratsherren auf ihr Verlangen Einsicht in die Akten zu gewähren, nicht aufgegriffen hat. Die Gesetz gewordene Fassung des § 40 Abs. 3 NGO stellt lediglich eine kürzere und präzisere Formulierung des Vorschlags der Regierungsvorlage dar, bedeutet also keine inhaltliche Veränderung. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Einsicht in die Akten nur zu Kontrollzwecken verlangt werden kann.“

Ob die zitierten Schlussfolgerungen Thieles zur damaligen Zeit nachvollziehbar waren und zutrafen, kann hier dahinstehen. Fest steht, dass sie die Rechtspraxis geprägt haben. Vor diesem Hintergrund kam die auf Beschluss des Niedersächsischen Landtags vom 22.02.1991 eingesetzte Enquete-Kommission zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts, der 3 Sachverständige und 9 Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Fraktionen angehörten, (mehrheitlich) zu dem Ergebnis, die angenommene „Beschränkung der Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte auf den Kontrollzweck aufzuheben und diese Rechte gleichermaßen als allgemeine Informationsbeschaffungsrechte wie als Kontrollrechte auszugestalten. Das Auskunftsrecht soll jedem Mandatsträger zustehen. Die Ausübung des Akteneinsichtsrechts durch einzelne Mandatsträger soll das Verlangen mindestens einer Fraktion voraussetzen.“ (Bericht der Enquete-Kommission vom 06.05.1994, LT-Drs. 12/6260, S. 31).

Zu den Gründen, das Akteneinsichtsrecht auch „zur allgemeinen Informationsbeschaffung“ zu gewähren, führte die Kommission in ihrem Bericht (a.a.O.) aus:

„Dies verbessert die Informationsmöglichkeiten der ehrenamtlich Tätigen und kann zu einer größeren Transparenz des Verwaltungshandelns, einer besseren Kontrolle der Verwaltung und zu einer Reduzierung ihres Informationsvorsprungs beitragen. Ohne weiteres können die Mandatsträger dann auch außerhalb ihrer Kontrollaufgaben Informationen von der Verwaltung beanspruchen. Dies kann z.B. die Vorbereitung kommunalpolitischer Initiativen wesentlich erleichtern. …

Intensiv erörtert hat die Enquete-Kommission, ob das Akteneinsichtsrecht jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten oder nur Teilen der Vertretungskörperschaften zustehen soll. Einzelne Kommissionsmitglieder sprechen sich für die Beibehaltung des Akteneinsichtsrechts in seiner derzeitigen Fassung aus … Nach ihrer Auffassung hat sich das Quorum von 25 v.H. der Ratsmitglieder oder Kreistagsabgeordneten bewährt. … Anderer Kommissionsmitglieder wollen das Akteneinsichtsrecht zukünftig jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten einräumen ….Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder ist demgegenüber der Auffassung, dass die Akteneinsicht durch einzelne Mandatsträger zukünftig von dem Verlangen mindestens einer Fraktion abhängig sein soll. In der kommunalpolitischen Praxis ermöglicht die nach geltendem Recht erforderliche Zahl von einem Viertel der Ratsmitglieder oder Kreistagsabgeordneten in erster Linie den großen Fraktionen die Einsichtnahme in Akten und benachteiligt damit zugleich die Fraktionen, deren Mitgliederzahl dieses Quorum nicht erreicht. Durch den Verzicht auf die Mindestzahl von Mandatsträgern und die Anknüpfung an den Fraktionsstatus wird diese Benachteiligung vermieden. Zugleich werden die Informations- und Kontrollmöglichkeiten der ehrenamtlich Tätigen verbessert, ohne die Verwaltung und deren Arbeitsfähigkeit übermäßig zu belasten. Ein Mißbrauch dieses Akteneinsichtsrechts ist nicht zu befürchten, da die Fraktionen für ihr Handeln politisch verantwortlich gemacht werden können. …

Das Auskunftsrecht soll die übliche Form der Informationserlangung darstellen, und daher jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten zur Verfügung stehen, während das demgegenüber qualifizierte Instrument der Akteneinsicht auch einer weitergehenden Willensbildung unterliegen soll. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird durch die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Auskunfts- und Akteneinsichtsrechts unterstrichen.“

Der unstreitig zur Umsetzung (auch) dieser Empfehlung der Enquete-Kommission mit dem Gesetz zur Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts vom 22.08.1996 geänderte § 40 Abs. 3 NGO sah demgemäß die folgende Textfassung vor:

„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte verlangen. Zum Zwecke der Überwachung und zum Zwecke der eigenen Unterrichtung kann jede Ratsfrau und jeder Ratsherr von der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen. Auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder des Rates oder von einer Fraktion oder Gruppe ist einzelnen Ratsfrauen oder Ratsherren Einsicht in die Akten zu gewähren. Diese Rechte gelten nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz 1).“

Das seit 1996 jedem kommunalen Abgeordneten ausdrücklich gewährte Auskunftsrecht ist in der Folgezeit aus dem textlichen Zusammenhang mit der Überwachungsfunktion des § 40 Abs. 3 NGO herausgelöst und mit der Novelle vom 22.04.2005 (Nds. GVBl. S. 110) in dem daneben bereits im Jahre 2001 „zum Zwecke der eigenen Unterrichtung“ eingeführten Auskunftsanspruch aufgegangen (vgl. Blum, a.a.O., § 40 NGO, Rn. 169 m. w. Nw.), ohne dass der Gesetzgeber dabei das Akteneinsichtsrecht verändern und es zu einem anlassabhängigen, nur zu (retrospektiven) Kontrollzwecken gewährten Recht umgestalten wollte.

Dem steht nicht entgegen, dass das Akteneinsichtsrecht nicht als ein individuelles Mitgliedschaftsrecht ausgestaltet ist, sondern nur durch zumindest zwei Mitglieder einer Vertretung, die eine Gruppe bilden, ausgeübt werden kann. Damit ist keine sachlich-inhaltliche Beschränkung verbunden, sondern - wie gezeigt - eine verfahrensmäßige Absicherung gegen missbräuchliche Ausnutzung gewollt, die auf erhöhte Rationalität des Begehrens setzt.

Rechtswidrig war die Verweigerung der Akteneinsicht auch, soweit sie sich auf die Verträge (mit den laufenden Nr. 7 und 25) bezogen hat, in die die Klägerin durch ihren Vorsitzenden bereits am 23.07.2009 Akteneinsicht genommen hatte, nachdem der Beklagte einen Kontrollzweck wegen der kurz zuvor erfolgten Ergänzung des Schenkungsvertrags und seiner bevorstehenden Umsetzung akzeptiert hatte. Das Akteneinsichtsrecht der Klägerin war damit nicht erschöpft. Es kann bis zur Grenze des erkennbaren Missbrauchs mehrfach ausgeübt werden. Denn die Akten dienen auch den nach § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG berechtigten Ratsmitgliedern, da auch die Vertretung und ihre Untergliederungen (konstitutive) Teile der gegliederten kommunalen (Selbstverwaltungs-) Organisation und funktionaler Teil der kommunalen (Selbst-) Verwaltung sind (vgl. Nds. OVG, U. v. 04.08.1994 - 10 L 5985/92 -, juris Rn 3.).

Das Begehren der Klägerin hat Angelegenheiten nicht berührt, die im Sinne des § 6 Abs. 3 Satz 1 NKomVG der Geheimhaltung unterlagen, und auf die sich das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich nicht erstreckt (§ 58 Abs. 3 Satz 4 NKomVG). Geheimhaltungsbedürftige Angelegenheiten in diesem Sinne liegen nur vor, wenn ihre Geheimhaltung besonders vorgeschrieben oder im Einzelfall von der dazu befugten staatlichen Behörde speziell angeordnet ist. Eine (durch Bundes- oder Landesgesetz) vorgeschriebene besondere Geheimhaltungsbedürftigkeit war unstreitig nicht betroffen.

Bei den hier in Rede stehenden Verträgen kann auch nicht angenommen werden, dass eine im Einzelfall dazu befugte staatliche Behörde besondere Geheimhaltung angeordnet hätte. Das vom Beklagten angeführte Schreiben des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 28.09.2012 ist schon seinem Inhalt nach nicht dazu bestimmt, eine solche Anordnung zu treffen. Die dort geschilderte Rechtsauffassung, die der Beklagte sich („selbstverständlich“) zu Eigen gemacht hat, trifft im Übrigen - wie gezeigt - nicht zu und hätte ihn auch mit Blick auf die kommunalaufsichtliche Funktion dieses Ministeriums (§ 171 Abs. 1 NKomVG) nicht binden können. Eine Kommunalaufsichtsbehörde kann gesetzwidrige Beschlüsse und Maßnahmen einer Kommune beanstanden (§ 173 NKomVG). Sie darf aber nicht ohne besondere Ermächtigung eigenverantwortliches kommunales Handeln durch verbindliche Vorgaben für die Rechtsanwendung steuern (Smollich, NKomVG, § 173 Rn. 6 m.w.Nw.) und wollte dies mit dem zitierten Schreiben auch nicht.

Der Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO zu. Unbeschadet der womöglich weitreichenden Bedeutung einer Entscheidung kann eine grundsätzliche Bedeutung nur angenommen werden, wenn die zu entscheidende Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Dies ist sie nicht, wenn sie sich ohne weiteres und unmittelbar aus dem Gesetz heraus beantworten lässt und keine Zweifel bestehen (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 10 m. w. Nw.). Das ist hier der Fall.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.