Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 16.04.2013, Az.: 6 A 204/12

Benachteiligungsverbot; Chancengleichheit; Dyskalkulie; Grundsätze der Leistungsfestellung und -bewertung; Legasthenie; Nachteilsausgleich; Notenschutz

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
16.04.2013
Aktenzeichen
6 A 204/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64339
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das niedersächsische Schulrecht steht, etwa bei einer Dyskalkulie, einem Notenschutz, also der Nichtberücksichtigung einer Note und der ihr zugrunde liegenden Leistungen (insbesondere bei Versetzungsentscheidungen) entgegen. Ein Nachteilsausgleich ist jedoch zulässig.

2. Ein Anspruch auf Notenschutz ergibt sich zudem weder aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit bei schulischen Leistungsbewertungen (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) noch aus dem Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

Tatbestand:

Die am K. 1999 geborene Klägerin begehrt einen Notenschutz für das Fach Mathematik.

Sie leidet unter Dyskalkulie, einer Rechenschwäche, die auf einer Beeinträchtigung des arithmetischen Denkens beruht. Deswegen absolviert sie seit dem 25.09.2008 am Institut für Mathematisches Lernen Braunschweig (IML) einer Lerntherapie.

Die Klägerin wurde 2006 für ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt. Seit Beginn des Schuljahrs 2006/2007 besuchte sie die Grundschule L.. Hier zeigten sich von Anfang an Schwierigkeiten beim Rechnen, die im zweiten Schuljahr zu einer zieldifferenten Beschulung im Fach Mathematik führten. Die Klägerin nahm am Förderunterricht für Mathematik teil. Im dritten Schuljahr bekam sie keine Note in Mathematik, weil sie an dem Mathematikunterricht der Klasse 3 nicht teilnahm. Sie erhielt stattdessen individuelle Fördermaßnahmen. Dasselbe gilt für das vierte Schuljahr. Die Klägerin wurde mit Beschluss der Klassenkonferenz vom M. 2011 in den fünften Schuljahrgang versetzt.

Seit dem Schuljahr 2011/2012 geht die Klägerin auf den Realschulzweig der Beklagten. Im Halbjahreszeugnis der fünften Klasse erhielt sie in Mathematik eine „fünf“ und in den übrigen Fächern die Noten „drei“ oder „vier“ (sowie in Sport eine „zwei“). So verhielt es sich auch mit dem Zeugnis zum Ende des fünften Schuljahrs (Sport „drei“).

Während des laufenden Schuljahrs beantragte die Klägerin mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 26.02.2012 bei der Beklagten, sie möge beschließen, dass ihre Zeugnisnote in Mathematik bei der Entscheidung, ob eine Versetzung in die nächsthöhere Jahrgangsstufe stattfinde, unberücksichtigt bleibe. Zur Begründung führte sie an, aufgrund ihrer Dyskalkulie erreiche sie im Bereich Mathematik ein deutlich geringeres Leistungsniveau als dem Alter und der Jahrgangsstufe angemessen wäre. Ein Zwischenbericht des IML vom 10.12.2010 belege ein geringes Lerntempo und eine geringe Aufnahmefähigkeit. Sie müsse sich jeden Lernschritt schwer erarbeiten, habe aber im Laufe der Therapie eine gute Entwicklung genommen. Aufgrund der Rechenschwäche werde es ihr auf absehbare Zeit nicht möglich sein, das Klassenziel im Bereich Mathematik zu erreichen. Es stehe zu erwarten und zu befürchten, dass Benotungen stets nur ein Niveau erreichten, das eine Versetzung in die nächsthöhere Jahrgangsstufe ausschließe. Die Rechenschwäche sei eine Behinderung, weshalb eine Benachteiligung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG durch die beantragte Maßnahme vermieden werden müsse. Andere Maßnahmen wie die Förderung in der Schule versprächen keinen Erfolg.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.03.2012 unter Verweis auf den inzwischen aufgehobenen Runderlass des MK zur „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ vom 04.10.2005 (SVBl. S. 560) ab. Danach sei ein Abweichen von den Maßstäben der Leistungsbewertung bei Rechenschwierigkeiten nur in der Grundschule und im Primarbereich der Förderschule zulässig. An einer Schule im Sekundarbereich I könne dem Antrag der Klägerin nicht stattgegeben werden.

Die Klägerin wandte sich daraufhin an die Landesschulbehörde und machte geltend, die Entscheidung der Beklagten sei rechtswidrig. Sie trug u. a. erneut vor, ein die Versetzung sicherndes Niveau habe sie mit der Therapie im IML und anderen Maßnahmen nicht erreicht.

Die Landesschulbehörde teilte der Klägerin mit Schreiben vom 17.04.2012 mit, sie könne den „Hinweis“ der Beklagten vom 01.03.2012 nur wiederholen. Der Erlass vom 04.10.2005 (s. o.) stehe dem Antrag entgegen. Es könne aber ein individueller Nachteilsausgleich gewährt werden, um Schüler besonders zu fördern.

Mit der am 30.07.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie trägt ergänzend vor, sie werde gegenüber anderen Schülern nicht bevorzugt, weil diese nicht durch eine Behinderung am Erreichen des Klassenziels gehindert seien. Es bestehe für die Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund. Der beantragte Notenschutz sei auch verhältnismäßig, weil es keine anderen Möglichkeiten gebe, den Nachteil aufgrund der Behinderung auszugleichen. Von der Beklagten würden keine hinreichenden, auf sie zugeschnittene Fördermaßnahmen im Rahmen eines Nachteilsausgleichs angeboten und auch im Klageverfahren nicht genannt. Anders als bei einer Rechtschreibschwäche sei eine Schreibzeitverlängerung oder die Verwendung eines Wörterbuchs nicht geeignet. Daher bleibe nur ein Notenschutz.

Die Lerntherapie bei dem Institut IML habe Fortschritte im Rechnen gebracht. Sie liege aber ca. 2 Jahre hinter dem Leistungsstand der Klasse zurück.

Sie sei nur deshalb in die Jahrgangsstufe sechs versetzt worden, weil ihr Vater an die Mathematik-Lehrerin geschrieben und auf die Rechenschwäche hingewiesen habe. Daraufhin sei es möglich gewesen, ihr bei einem Leistungsstand zwischen fünf und sechs die Note fünf zu geben (rechnerisch Note 5,5). Die Klägerin hat dazu ein Schreiben der Mathematik-Lehrerin N. u. a. zu der Beurteilung im Fach Mathematik vom 01.09.2012 vorgelegt.

Eine positive Entwicklung sei bei den schulischen Leistungen im schriftlichen Bereich nicht zu verzeichnen. Das Erarbeiten der Note mangelhaft sei nicht als Fortschritt zu bewerten. An den Zeugnissen sei eine Besserung nicht ablesbar. Sie habe im laufenden Schuljahr wieder ein ungenügend in einer Klassenarbeit erhalten, so dass die Prognose ihrer schulischen Entwicklung nicht günstig sei. Wegen der Möglichkeit, die Note fünf durch andere Noten auszugleichen, dürfe ihr die beantragte Unterstützung nicht verwehrt werden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 01.03.2012 sowie des Bescheides der Niedersächsischen Landesschulbehörde – Regionalabteilung Braunschweig – vom 17.04.2012 zu verurteilen, ihr einen Ausgleich für behinderungsbedingte Nachteile bei der Entscheidung über die Versetzung in die nächsthöhere Jahrgangsstufe insoweit zu gewähren, als ihre Benotung in dem Fach Mathematik bei der Entscheidung über die Versetzung nicht berücksichtigt wird,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 01.03.2012 sowie des Bescheides der Niedersächsischen Landesschulbehörde – Regionalabteilung Braunschweig – vom 17.04.2012 zu verurteilen, ihren Antrag vom 26.02.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin habe keinen Anspruch auf den begehrten Notenschutz, der dem Schulrecht nicht zu entnehmen sei. Der staatliche Schutzauftrag aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erfordere hier nicht, u. U. für die gesamte weitere Schullaufbahn die Bewertung im Fach Mathematik entfallen zu lassen. Vorrangig seien andere Maßnahmen, insbesondere solche des Nachteilsausgleichs und der individuellen Förderung, zu ergreifen. Diese erhalte die Klägerin durch ihre Eltern, die Therapie beim IML und die Unterstützung der Fachlehrerin. Letztere berücksichtige die Rechenschwäche bei der Notenvergabe, stehe für Fragen im Unterricht zur Verfügung und gebe ihr bei schriftlichen Aufgaben eine Hilfestellung.

Die Klägerin durchlaufe zudem eine positive individuelle Entwicklung, welche auch der Zwischenbericht des IML vom 10.12.2010 hervorhebe. Danach werde die begabte Klägerin ihre Defizite aufholen. Es sei notwendig, sie auf dem damit verbundenen längeren Prozess zu begleiten und ihr nicht schon jetzt durch einen Notenschutz die Fähigkeit zur Weiterentwicklung in der Mathematik von vornherein abzusprechen, was demotivierend wirken könne.

Die Zeugnisse der 5. und 6. Klasse ließen nicht erwarten, dass die Klägerin zum nächsten Schuljahr nicht versetzt werde. Die Klägerin könne die Note mangelhaft im Fach Mathematik durch andere Noten, etwa in Deutsch und Englisch, ausgleichen. Daher fehle der Klage schon das Rechtsschutzbedürfnis.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist bereits unzulässig.

Der Klägerin fehlt das für jedes gerichtliche Verfahren notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Derzeit benötigt sie keine gerichtliche Hilfe, um ihre Interessen zu wahren, denn sie kann die Entscheidung der Klassenkonferenz über die Versetzung auf der Grundlage des zum Schuljahresende erteilten Zeugnisses abwarten und sich dann ggf. gegen diese Entscheidung mit einem Widerspruch und einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Verwaltungsgericht wenden.

Außerdem ist ein Notenschutz nach den letzten drei Zeugnissen der Klägerin nicht erforderlich, weil ihre Versetzung nach dem gegenwärtigen Stand nicht gefährdet ist. Legt man das Halbjahreszeugnis der Beklagten vom 30.01.2013 zugrunde, so wird die Klägerin bei gleichbleibenden Noten in die siebte Jahrgangsstufe versetzt. Denn sie hat nur im Fach Mathematik die Note fünf, welche sie nach § 4 Abs. 1 der Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung (v. 19.06.1995, Nds. GVBl. S. 184, zul. geänd. d. VO v. 10.05.2012, Nds. GVBl. S. 122) nicht durch bessere Noten in anderen Fächern ausgleichen müsste. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 2 dieser Verordnung müsste sie mangelhafte Leistungen in zwei Fächern durch befriedigende Leistungen in zwei Ausgleichsfächern ausgleichen, wobei sie das Fach Mathematik nur durch ein „befriedigend“ in Deutsch oder einer Pflicht- oder Wahlpflichtfremdsprache ausgleichen könnte. Erhielte die Klägerin in Mathematik ein „ungenügend“, könnte sie diese Note durch eine gute Leistung in einem Ausgleichsfach oder durch befriedigende Leistungen in zwei Ausgleichsfächern wettmachen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstaben a und b der Verordnung). Die Klägerin müsste also z. B. in Deutsch von einer „drei“ (s. Halbjahreszeugnis) auf eine „zwei“ kommen, um trotz einer solchen, von ihren Eltern in der mündlichen Verhandlung für möglich gehaltenen Verschlechterung in Mathematik versetzt zu werden. Ob die für die Versetzung zuständige Klassenkonferenz von der Möglichkeit des Ausgleichs Gebrauch macht, steht in ihrer pflichtgemäßen Beurteilung, in welche die unter pädagogischen und fachlichen Gesichtspunkten wesentlichen Umstände des Einzelfalls einzubeziehen und mögliche Fördermaßnahmen zu berücksichtigen sind (§ 4 Abs. 3 der Verordnung).

Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. So handelt es sich um eine Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 2 VwGO mit dem Ziel, eine verbindliche Entscheidung der Beklagten für Versetzungen zu erreichen, die in Form eines Verwaltungsakts erfolgen müsste. Das nach § 8 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Nds. AG VwGO i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO erforderliche Vorverfahren ist durchgeführt worden. Die Entscheidung der Beklagten vom 01.03.2012 ist in Form eines Bescheids ergangen, was im letzten Absatz des Schreibens auch deutlich gemacht wird. Die Landesschulbehörde hat den Antrag am 17.04.2012 ebenfalls zurückgewiesen. Darin liegt eine Widerspruchsentscheidung. Auf die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO für die Klageerhebung kommt es nicht an, weil der Widerspruchsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthält (Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden.

II. Die Klage wäre mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag auch unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Notenschutz. Der Bescheid der Beklagten vom 01.03.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin damit nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

1. Das niedersächsische Schulrecht steht einem Notenschutz entgegen. Unter Notenschutz ist eine Nichtberücksichtigung der Note, und infolgedessen der zugrunde liegenden mündlichen und schriftlichen Leistungen, in einem oder mehreren Fächern, insbesondere bei Versetzungsentscheidungen, zu verstehen. Davon zu unterscheiden ist der Nachteilsausgleich, der auf eine Änderung der äußeren Bedingungen der Leistungsfeststellung durch z. B. eine Schreibzeitverlängerung oder eine Nutzung technischer Hilfsmittel zielt (vgl. Behrens/Wachtel, Nachteilsausgleich in der Schule, SVBl. 5/2008).

Schulrechtlich ist lediglich ein Nachteilsausgleich, nicht jedoch ein Notenschutz möglich. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 der Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung (a. a. O.) ist eine Schülerin oder ein Schüler zu versetzen, wenn die Leistungen in allen Pflicht- und Wahlpflichtfächern mindestens mit „ausreichend“ bewertet worden sind, wobei nicht ausreichende Leistungen ausgeglichen werden können (s. o.). Der Versetzungsentscheidung ist das am Ende des Schuljahrs erteilte Zeugnis zugrunde zu legen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung). Einzelheiten über die Erteilung von Zeugnissen regelt das Kultusministerium in dem Runderlass „Zeugnisse in den allgemeinbildenden Schulen“ (v. 05.12.201, SVBl. 2012 S. 6, zul. geänd. d. Rd.Erl. v. 05.03.2012, SVBl. 2012 S. 267). Danach sind Zeugnisse in der Realschule als Notenzeugnisse zu erteilen (Nr. 1.2 Satz 1). In Notenzeugnissen werden Bewertungen mittels Notenbezeichnungen und Notenziffern vorgenommen (Nr. 1.2 Satz 1). Die Bewertungen, die zu den Noten führen, erfolgen auf der Grundlage von Beobachtungen im Unterricht sowie von mündlichen, schriftlichen und anderen fachspezifischen Lernkontrollen (Nr. 3.1. Satz 1). Sie beziehen sich auf die Lernentwicklung und die Leistungen der Schülerin oder des Schülers in dem auf dem Zeugnis angegebenen Berichtszeitraum (Nr. 3.1. Satz 2). Damit ist schulrechtlich nicht nur eine Versetzungsentscheidung auf der Grundlage von Noten vorgeschrieben. Es ist schulrechtlich gerade auch kein Raum für das von der Klägerin angestrebte Absehen von der Benotung aufgrund ihrer Dyskalkulie.

Die Klassenkonferenz hat allerdings bei der Entscheidung über die Anwendung von Ausgleichsregelungen gem. § 4 Abs. 3 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung auch Umstände einzubeziehen, die sich auf das Lernverhalten und Leistungsvermögen auswirken. Dies kann auch eine Rechenschwäche in Form einer Dyskalkulie sein.

Im Übrigen gibt auch der Runderlass „Die Arbeit in der Realschule“ (v. 27.04.2010, SVBl. S. 182) der Beklagten keine Möglichkeit, von der Bewertung der Mathematik-Leistung der Klägerin im Zeugnis abzusehen (s. zu Nr. 6 Leistungsbewertung, Versetzungen etc.). Ebenso wenig ist ein Notenschutz nach der Verordnung zum Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung (v. 22.01.2013, Nds. GVBl. S. 23, SVBl. 2013, 66), die Kinder mit Behinderung oder drohender Behinderung betrifft, sowie den dazu erlassenen „Ergänzenden Bestimmungen“ (Rd.Erl. v. 31.01.2013, SVBl. S. 67) vorgesehen.

Der „Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ vom 04.10.2005 (SVBl. S. 560), auf den sich die Beteiligten bezogen haben, ist zum 31.12.2012 ersatzlos aufgehoben worden. Er ließ bei Rechenschwierigkeiten ohnehin nur für die Grundschule und den Primarbereich der Förderschule ein Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung, etwa in Form eines zeitweiligen Verzichts auf eine Bewertung von Klassenarbeiten während der Förderphase, zu, und dies auch nur in besonders begründeten Ausnahmefällen (Nr. 4.1 Abs. 1 Satz 2).

Für behinderte Schülerinnen und Schüler kann weiterhin ein Nachteilsausgleich bei schriftlichen Arbeiten z. B. durch Pausen, längere Bearbeitungsdauer, Anpassung der Aufgabenformate, zusätzliche Hilfsmittel gewährt werden (Nr. 5 des Erlasses „Schriftliche Arbeiten in den allgemein bildenden Schulen“ v. 22.03.2012, SVBl. S. 266, vgl. auch den aufgehobenen Erlass v. 04.10.2005 zu Nr. 4.1 Abs. 4 u. 5: dort wurden genannt: Ausweitung der Arbeitszeit, z. B. bei schriftlichen Lernkontrollen, didaktische und technische Hilfsmittel, Entwickeln von dem Leistungsstand angepassten Aufgabenstellungen, Einordnen der schriftlichen und mündlichen Leistung unter dem Aspekt des erreichten Lernstands mit pädagogischer Würdigung und Einsatz elektronischer Medien). Ein Notenschutz gehört ungeachtet des so formulierten Klageantrags nicht zu den schulrechtlich vorgesehenen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs. Derzeit erhält die Klägerin insofern bereits Unterstützung durch die Mathematik-Lehrerin. Diese legt in ihrer Stellungnahme vom 01.09.2012 dar, während des gesamten Jahres habe ein schriftlicher und telefonischer Kontakt zu der behandelnden Psychologin bestanden (Dr. O. vom IML). Auch hätten zwischen ihr und den Erziehungsberechtigten telefonische und persönliche Gespräche über die Leistungen und den Entwicklungsstand der Klägerin stattgefunden. Nach Absprache mit der Psychologin und den Erziehungsberechtigten habe sie der Klägerin die Bearbeitung von Arbeitsblättern ermöglicht, während die Mitschüler zusätzliche erweiterte Denkaufgaben bearbeitet hätten. Sie habe sich weiterhin bemüht, ihr im Rahmen der unterrichtlichen Möglichkeiten täglich fünf bis zehn Minuten individuelle Hilfe zukommen zu lassen. Diese Hilfe habe sie auch bei den schriftlichen Arbeiten erhalten, um einen für die Klägerin bestmöglichen Erfolg zu erzielen. Es sei ihr tatsächlich gelungen, sich eine mangelhafte, nicht ungenügende Note zu erarbeiten. Die Einzelnoten für die Klägerin seien am Leistungsstandard der Klasse 5 der Realschule gemessen worden. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, sollte aber von den beiden Seiten überlegt werden, welche (weiteren) Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs für die Klägerin sinnvoll sind.

2. Ein Anspruch auf Notenschutz ergibt sich ferner nicht aus dem Verfassungsrecht. Der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) ermöglicht den Schulbehörden kein Abweichen von den die Benotung tragenden Maßstäben der Leistungsfeststellung und –bewertung.

Der im Prüfungsrecht maßgebliche Grundsatz der Chancengleichheit gilt auch bei der Bewertung schulischer Leistungen. Danach muss gewährleistet sein, dass Prüflinge bzw. hier Schüler ihre Prüfungsleistungen (schulischen Leistungen) möglichst unter gleichen äußeren (Prüfungs-) Bedingungen erbringen können und die gleichen Maßstäbe für die Bewertung einer Leistung gelten. Dies wird durch die formale Gleichbehandlung aller Prüflinge und Schüler gesichert. Im Einzelfall kann es aus Gründen der Chancengleichheit darüber hinaus erforderlich sein, zum Ausgleich von in der Person des Prüflings (Schülers) liegenden Einschränkungen oder sonstigen Nachteilen spezielle (Prüfungs-) Vergünstigungen zu gewähren, die dem eingeschränkten Kandidaten/Schüler die gleichen Chancen einräumen, den (Prüfungs-) Anforderungen zu genügen. Daraus kann sich ein Anspruch auf Maßnahmen des Nachteilsausgleichs ergeben (vgl. Schl.-Holst. VG, Urt. v. 10.06.2009 – 9 A 208/08 – , juris, unter Verweis auf die prüfungsrechtliche Rechtsprechung des BVerwG im Urt. v. 17.02.1984 – 7 C 67.82 - , BVerwGE 69, 46; ebs. Nds. OVG, Beschl. v. 10.07.2008 – 2 ME 309/08 –, juris; Thüringer OVG, Beschl. v. 17.05.2010 – 1 EO 854/10 – , juris). Eine rechtserhebliche Chancenungleichheit kann insbesondere dann festgestellt werden, wenn lediglich die mechanische Darstellungsfähigkeit beeinträchtigt ist, auch wenn sie auf einem dauernden Defekt beruht. Damit ist ein Nachteilsausgleich dann geboten, wenn die Behinderungen außerhalb der durch die Prüfung zu ermittelnden Fähigkeiten liegen und das Prüfungsergebnis negativ beeinflussen können, wie beispielsweise die manuelle Fertigkeit des Schreibens oder der sprachlichen Artikulation (Nds. OVG, Beschl. v. 25.03.2011 – 2 ME 52/11 -, nicht veröffentlicht). Eine Überkompensation der Nachteile dient jedoch nicht der Wiederherstellung der Chancengleichheit, sondern würde den Anspruch der Mitschülerinnen und –schüler auf Chancengleichheit verletzen (Nds. OVG, Beschl. v. 20.09.2012 sowie Beschl. v. 25.03.2011, jew. a. a. O.)

Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Nds. OVG) zu legasthenen Schülern ist ein – über den Nachteilsausgleich hinausgehender – Notenschutz jedenfalls nicht mehr mit der durch den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit allein gebotenen Schaffung von gleichen Ausgangsbedingungen für den legasthenen Schüler und seine nicht behinderten Mitschüler vereinbar. Er ist vielmehr auf die Bevorzugung des von Legasthenie betroffenen Schülers gerichtet, indem diesem gegenüber auf bestimmte Leistungsanforderungen verzichtet werden soll, die den Mitschülern – unabhängig von ihrer intellektuellen Begabung – abverlangt werden. Eine Kompensation der durch die Legasthenie bedingten Benachteiligung durch die Absenkung – oder bei einem Diktat gar durch die Befreiung – von geltenden Prüfungsanforderungen lässt sich dem geltenden Recht und insbesondere auch dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht entnehmen. Diesbezüglich kann sich ein Antragsteller auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG berufen. Denn aus dem Benachteiligungsverbot wegen Behinderung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann ein unmittelbarer Leistungsanspruch nicht hergeleitet werden, da es sich um ein grundrechtliches Abwehrrecht handelt, dessen Aktualisierung dem Gesetzgeber obliegt (Nds. OVG, Beschl. v. 10.07.2008, a. a. O. unter Verweis u. a. auf OVG NW, Beschl. v. 16.11.2007 – 6 A 2171/05 –, NVwZ-RR 2008, 271 f., ebs. Nds. OVG, Beschl. v. 25.03.2011, a. a. O.; Beschl v. 20.09.2012 – 2 LA 234/11 –, nicht veröffentlicht, vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 08.10.1997 – 1 BvR 9/97 –, juris).

Diese Rechtsprechung ist auf die Rechenstörung in Form einer Dyskalkulie zu übertragen. Die Rechtsauffassung, dass ein Notenschutz in der Regel nicht zulässig ist, wird von der (übrigen) verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (Hess. VGH, Beschl. v. 8.12. 2011 - 7 A 2621/10 -, juris, v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09.Z -, NVwZ-RR 2010, 767; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.6.2009 - OVG 3 M 16.09 -, juris; VG Aachen, Urt. v. 13.11.2009 - 9 K 25/09 -, juris; VG München, Beschl. v. 8.9.2009 - M 3 E 09.4056 -, juris; Schl.-Holst. VG, Urt. v. 10.6.2009 - 9 A 208/08 -, juris; VG Köln, Beschl. v. 26.9.2008 - 10 L 1240/08 -, juris).

Eine Bevorzugung der Klägerin durch Abweichen von den Grundsätzen der Leistungsbewertung ist hier gerade deshalb nicht gerechtfertigt, weil bei der vorliegenden Rechenstörung die schon erwähnten Maßnahmen des Nachteilsausgleichs zu einer Verbesserung der mathematischen Leistungen beitragen. In der fünften und sechsten Klasse hat die Klägerin jedenfalls im mündlichen Bereich eine mangelhafte und eben keine ungenügende Leistung erreicht, was gegen eine Wirkungslosigkeit der Hilfen spricht. Die Klägerin führt darüber hinaus eine Lerntherapie bei dem Institut IML durch, die zu Fortschritten geführt hat. So wird ihr zwei Jahre nach Therapiebeginn bescheinigt, ein durchaus begabtes Mädchen zu sein, das seine Entwicklungsdefizite im Lauf der Zeit aufholen werde (Bericht v. 12.10.2010, S. 3). Sie fühle sich in der Therapiestunde wohl und arbeite motiviert mit der Therapeutin zusammen (Bericht S. 2).

Ob eine Dyskalkulie überhaupt eine Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist, muss danach nicht entschieden werden (vgl. dazu Thür. OVG, Beschl. v. 17.05.2010, a. a. O.).

3. Ob ein Abweichen von den Grundsätzen der Leistungsfeststellung und -bewertung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Betracht kommt, wenn alle denkbaren und möglichen Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs ausgeschöpft sind und gleichwohl die Beeinträchtigung nicht angemessen kompensiert werden kann (so Hess. VGH, Beschl. v. 05.02.2010 – 7 A 2406/09.Z –, juris Rn. 44), kann offen gelassen werden (Nds. OVG, Beschl. v. 25.03.2011, a. a. O.).

Mangels Zulässigkeit der Klage und mangels Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Notenschutz konnte auch der Hilfsantrag auf eine erneute Entscheidung der Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts keinen Erfolg haben.