Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 10.12.2013, Az.: 2 A 6900/12

Anerkennung als Flüchtling; Asyl; Syrien; Dublin II; Ungarn; Isolierte Anfechtungsklage im Dublin-Verfahren; Wiederaufgreifen des Asylverfahrens

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.12.2013
Aktenzeichen
2 A 6900/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64484
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft leitet sich mit der Fassung des AsylVfG vom 1. Dezember 2013 direkt aus § 3 Abs. 1 AsylVfG und nicht mehr aus § 60 Abs. 1 AufenthG ab.
2. Syrer, die illegal ausreisen, sich im Ausland aufhalten und dort einen Asylantrag stellen, erfüllen grundsätzlich die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG.
3 .Eine Abweichung von diesem Grundsatz kann sich aus dem Einzelfall ergeben.

Tenor:

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids D. verpflichtet, in der Person der Klägerin die Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft festzustellen.

Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die E. geborene, derzeit schwangere Klägerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und  yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Sie ist seit dem F. 2010 mit dem ehemals syrischen Staatsangehörigen Herrn G. verheiratet. Dieser lebt in der Bundesrepublik und wurde 2001 eingebürgert. Die Klägerin reiste am H. in das Bundesgebiet ein. Sie beantragte am I. ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am J. gab sie an, aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in Syrien nach Deutschland gekommen zu sein. Die wirtschaftliche Lage der Familie sei schlechter geworden. Zudem seien viele Mädchen entführt worden. Sie habe mit ihrem Ehemann zusammen leben wollen, so dass dies auch ein wesentlicher Grund ihrer Ausreise aus Syrien gewesen sei.

Die Klägerin verließ Syrien am K. und reiste über die Türkei nach Griechenland ein, bevor sie von dort aus über den Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangte. Zuvor hatte sie vergeblich versucht, ein Visum für ihre Einreise zu erhalten.

Mit Bescheid D. - zugestellt am L. - lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben sind und hinsichtlich Syriens ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz vorliegt. Zur Begründung wird ausgeführt, die Klägerin habe aufgrund der sogenannten sicheren Drittstaatenregelung keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG, da sie über Griechenland in die Bundesrepublik eingereist sei. Es bestehe auch kein Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Die Klägerin habe nicht glaubhaft dargetan, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung drohe. Sie berufe sich lediglich auf die allgemeine Sicherheitslage. Es habe weder Probleme mit den syrischen Behörden noch Übergriffe auf ihre Person gegeben. Allerdings sei angesichts der derzeitigen Rückkehrprognose für syrische Staatsangehörige vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG auszugehen.

Die Klägerin hat am M. Klage erhoben und trägt zur Begründung vor:

Der Bescheid sei teilweise rechtswidrig. In ihrer Person lägen die Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Denn es bestehe bei ihr nach derzeitigem Stand mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, nach einer Rückkehr nach Syrien von Angehörigen der syrischen Ordnungsmacht gefoltert oder anderer asylrelevanter Maßnahmen unterzogen zu werden. Nach ständiger Auskunftslage würden zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise nach Syrien zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt und danach ggf. inhaftiert und gefoltert. Das Regime in Syrien sehe auch diejenigen als seine Feinde an, die ihre Ablehnung des Systems durch ihre vorherige Flucht in das Ausland öffentlich geäußert haben. In der Bundesrepublik sei sie exilpolitisch aktiv gewesen. Ihrem Ehemann sei vor seiner Einbürgerung im N. wahrscheinlich gemäß § 51 AuslG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Belege dafür könne sie allerdings nicht beibringen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides D. zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihr die Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Syriens vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt ihre Verfügung.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrer Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsyllVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Allerdings kann sie diesen Status nicht aus § 26 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 5 AsylVfG in der hier anzuwendenden (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) Fassung vom 28. August 2013 von ihrem Ehemann ableiten. Nach dieser Norm kann der Ehegatte einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuerkannt wurde, denselben Status von diesem sog. Stammberechtigten ableiten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zwar spricht einiges dafür, dass der Ehemann der Klägerin vor seiner Einbürgerung im Jahr 2001 aus § 51 AuslG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen hat. Auch gilt § 26 Abs. 5 AsylVfG für sog. Altfälle,in denen wie hier das Asylverfahren des Stammberichtigten noch vor der Schaffung des Flüchtlingsschutzes für Familienangehörige in § 26 AsylVfG im Jahr 2005 abgeschlossen worden ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. Dezember 2007 - 13 LA 71/07 -, juris). Dennoch muss für den Anspruch aus § 26 AsylVfG der Stammberechtigte seinen Status noch innehaben. Durch die Einbürgerung des Ehemanns der Klägerin ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aber nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erloschen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 7. September 2010 - 111 LA 392/09 -, juris; GK-AsylVfG, § 73 Rn. 42 m.w.N.).

Die Klägerin erfüllt aber in ihrer Person die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann sind gemäß § 3c Nr. 1, 2 und 3 AsylVfG der Staat (Nr.1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Gemäß § 3a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG gelten Handlungen als Verfolgung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AsylVfG zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylVfG).

Die Klägerin wurde unstreitig nicht vorverfolgt. Unabhängig hiervon ist aufgrund der aktuellen Situation in Syrien von Verfolgung der Klägerin im vorgenannten Sinne auszugehen. Dies folgt aus ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und ihrem Aufenthalt im Ausland. Diese Handlungen werden vom syrischen Staat derzeit als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst und ein Asylantragsteller hat bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover (Urteil vom 8. Mai 2013 - 1 A 5409/12 -, juris) und der des OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris). Das OVG Sachsen-Anhalt führt aus:

„…Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.

Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).

Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).

Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.

Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.

Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.

Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim A. dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim A. ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte A. war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.

Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).

Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).

Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)

Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).

Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).

Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).

Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.

Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).

In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.

So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.

Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.

Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.

Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.

Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).

Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.

So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.

Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).

Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).

Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).

Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.

Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom O. an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht…“

Diesen überzeugenden Ausführungen, denen auch der VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 19.06.2013 (Az: A 11 S 927/13 -, asyl.net) beigetreten ist, schließt sich die Kammer an.

Dem hiergegen vom Oberverwaltungsgericht NRW im Beschluss vom 07.05.2013 (Az: 14 A 1008/13. A - juris) vorgebrachte Argument, es sei lebensfremd anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische und das politische und psychische Überleben kämpfen und dabei bereits die Kontrolle über erhebliche Landesteile verloren habe, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen, kann die Kammer nicht folgen. Das Oberverwaltungsgerichts NRW stellt im Wesentlichen mit seiner Argumentation in Frage, ob das Regime Assad noch über ausreichende, flächendeckende Staatsgewalt verfügt. Über diese verfügt es aber derzeit.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Staaten stellen in sich befriedete Einheiten dar, die nach innen alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen durch eine übergreifende Ordnung in der Weise relativieren, dass diese unterhalb der Stufe der Gewaltsamkeit verbleiben und die Existenzmöglichkeit des Einzelnen nicht Frage stellen, insgesamt also die Friedensordnung nicht aufheben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, BVerfGE 80, 315, 334). Eine solche, die Lebensverhältnisse der in einem bestimmten Gebiet lebenden Menschen regelnde und befriedende Ordnung setzt das Bestehen einer hinreichend verfassten und organisierten Staatsmacht voraus, die in der Lage ist, die Herrschaftsgewalt gegenüber den ihr Unterworfenen durchzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - BVerwG 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 43, 45). Eine hinreichend verfasste und organisierte Staatsmacht liegt nur dann vor, wenn Institutionen bestehen, die dazu legitimiert sind, den Lebensverhältnissen in dem betreffenden Staatsgebiet eine grundlegende, allgemeinverbindliche Ordnung zu geben und deren Einhaltung im Staatsgebiet zu überwachen und sicherzustellen. Die Durchsetzung der staatlichen Friedensordnung ist nur dann möglich, wenn die staatlichen Institutionen über ihnen unterstellte und ihnen verantwortliche Staatsorgane und überdies über ausreichende militärische und sonstige Machtmittel verfügen, die dem Staat in seinem Gebiet eine effektive Gebietsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit sichern und gewährleisten, dass er seine Bürger gegen kriminelle Gewalt und politisch begründete Übergriffe nichtstaatlicher Dritter schützen und sich gegebenenfalls auch gegen separatistische, revolutionäre oder terroristische Bestrebungen, die die Staatsordnung ablehnen, behaupten kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.). Nur wenn eine staatlich gewährleistete Friedensordnung grundsätzlich besteht, ist es denkbar, dass der Staat einzelne seiner Gewalt unterworfene Personen hieraus durch gezielte Eingriffe in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter ausschließen und damit politisch verfolgen kann, denn die Macht zu schützen schließt die Macht, Einzelnen diesen Schutz zu versagen und sie zu verfolgen, mit ein. Ein nach den dargestellten Grundsätzen schutz- und verfolgungsmächtiger Staat ist im asylrechtlichen Sinne auch verantwortlich für politisch begründete Verfolgungsmaßnahmen Dritter, wenn er ihm prinzipiell zur Verfügung stehende Mittel nicht zur Abwehr derartiger Übergriffe einsetzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.). An einer staatlichen oder einem Staat zurechenbaren Verfolgung fehlt es deshalb zunächst dann, wenn sich in dem für die asylrechtliche Beurteilung maßgeblichen Gebiet ein Staat als organisierte Herrschaftsgewalt nicht herausgebildet hat oder wenn der Staat durch Auflösung seiner Institutionen und Organe vollständig untergegangen ist. In einer solchen Situation kann ein vollständiges Machtvakuum bestehen oder entstehen, in dem die in diesem Gebiet lebenden Personen schutzlos einem völligen Chaos, zügelloser Anarchie oder unkontrollierter Willkür ausgesetzt sind. Möglich ist aber auch, dass in dem betreffenden Gebiet mangels eines hinreichend verfassten und organisierten Staatswesens oder nach dem Zusammenbruch des Staates vorstaatliche Verhältnisse herrschen und die Machtausübung - ebenso wie die Fähigkeit zur Schutzgewährung und zur Ergreifung von Verfolgungsmaßnahmen - allein in der Hand einzelner Familien, Sippen, Clans, Stammesgruppen, örtlicher Potentaten oder Militärkommandeure liegt, die ohne Bindung an übergeordnete Regeln und ohne Kontrolle staatlicher Gewalten lediglich eine persönliche oder örtlich begrenzte Ordnung gewährleisten. Vor solchen Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt kann kein asylrechtlicher Schutz gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.). Büßt der Staat im gesamten Staatsgebiet oder in Teilen dieses Gebietes seine effektive Gebietsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit ein und nimmt er - etwa in einem offenen Bürgerkrieg oder in bestimmten Krisensituationen eines Guerilla-Krieges - nunmehr die Rolle einer um die Macht kämpfenden Partei ein, ohne noch als effektive übergreifende Ordnungsmacht vorhanden zu sein, so sind auch von ihm ausgehende Verfolgungsmaßnahmen asylrechtlich unbeachtlich, wenn sie in typischer Weise militärisch geprägt sind und der Rückeroberung des verlorenen Gebietes dienen. Anderes gilt dann, wenn die staatlichen Kräfte den Kampf in einer Weise führen, die auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, vollends dann, wenn die Handlungen der staatlichen Kräfte in eine gezielte physische Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des gesamten ausländischen Bevölkerungsteils umschlagen. Behauptet der Staat hingegen seine prinzipielle Gebietsgewalt oder erlangt er sie - trotz des fortdauernden Bürgerkriegs - in dem betreffenden Gebiet zurück, so besteht auch die Möglichkeit asylrelevanter politischer Verfolgung aus einer Überlegenheitsposition fort oder entsteht aufs Neue (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.). Hat der Staat als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen in bestimmten Teilen des Staatsgebietes seine Gebietsgewalt und die Fähigkeit zu ihrer baldigen Rückgewinnung endgültig verloren oder ist in diesen Gebieten die Staatsgewalt aus sonstigen Gründen zusammengebrochen, können Zurechnungsobjekt einer politischen Verfolgung im asylrechtlichen Sinne auch nichtstaatliche Kräfte sein, soweit sie, wenn sie sich nicht ohnedies von dem Staat separiert und einen eigenen Staat gebildet haben oder als "Gegenregierung" nunmehr selbst den Staat repräsentieren, die staatliche Gewalt an sich gerissen oder in dem von ihnen kontrollierten Bereich eine selbständige Herrschaftsstruktur errichtet haben und eine eigene staatsähnliche Gewalt ausüben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.).Allerdings sind die inhaltlichen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um von einem staatsähnlichen und zu asylrechtlich relevanter Verfolgung fähigen Machtgebilde sprechen zu können, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht hinreichend geklärt. Es ist wohl zu fordern insoweit auf die Ausübung einer gewissen hoheitlichen Gewalt oder auf das Bestehen zumindest rudimentär vorhandener organisatorischer Strukturen abzustellen, mit deren Hilfe die Ordnung innerhalb des fraglichen Machtbereichs in gewissem Umfang gewährleistet werden kann, wobei etwa an polizeiähnliche Einrichtungen zum Schutze der Gebietsbewohner gegen Übergriffe Dritter, an Institutionen zur Schlichtung aufkommender Streitigkeiten und an Vorkehrungen mit dem Ziel, das beherrschte Gebiet und seine Bewohner nach außen zu verteidigen, gedacht werden könnte (in sinngemäßer Anlehnung an BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81). Weiteres Erfordernis für die Annahme staatsähnlicher und damit zu asylrechtlich relevanter Verfolgung fähiger Machtgebilde ist einer den fraglichen Herrschaftsbereich kennzeichnenden regional wie personal übergreifenden Friedensordnung. Das Bestehen einer solchen übergreifenden Friedensordnung kennzeichnet zum einen den Staat im eigentlichen Sinne und ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O.) Anknüpfungspunkt für die Annahme einer die Gewährung von Asyl auslösenden staatlichen Verfolgung im Wege der Ausgrenzung Einzelner aus eben dieser Friedensordnung. Ein im Grundsatz zu asylrechtlich relevanter Verfolgung fähiges Herrschaftsgebilde kann daher nur dann anerkannt werden, wenn es gerade dieses Kriterium erfüllt und sich insoweit etwa von bloßen Einflussbereichen, Hauptquartieren oder sonstigen machtsichernden Gebietsstrukturen unterscheidet, die von um die Macht kämpfenden Rebellenführern, Clanchefs oder sonstigen Potentaten errichtet werden. Kennzeichnend für eine übergreifende Friedensordnung im vorgenannten Sinne ist im Wesentlichen der Umstand, dass sie nach dem erkennbaren Selbstverständnis des fraglichen Herrschaftsgebildes darauf ausgerichtet ist Ordnung nicht nur für den Kreis der jeweiligen Machthaber und der ihnen sonst verbundenen Kreise zu gewährleisten, sondern grundsätzlich für alle in deren Macht- und Einflussbereich lebenden Menschen. Das Herrschaftsgebilde darf daher nach seinem erkennbaren Selbstverständnis sich in der Weise definieren, dass bestimmte Personen nicht von der geltenden staatlichen Ordnung umfasst werden, also gleichsam nicht "dazugehören" sollen, so fehlt es bereits an dem Anspruch, eine übergreifende Friedensordnung errichten und gewährleisten zu wollen. In diesem Fall kann aber auch keine Ausgrenzung Einzelner aus einer solchen übergreifenden Friedensordnung stattfinden, die gerade Voraussetzung für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ist. Kommt es daher für die Annahme eines staatsähnlichen Herrschaftsgebiets im Sinne der asylrechtlichen Rechtsprechung entscheidend auf das Bestehen einer übergreifenden Friedensordnung an, so bedeutet dies selbstverständlich nicht, dass die Verletzung oder gar die weitgehende Beseitigung dieser im Ansatz und nach dem ursprünglichen Selbstverständnis vorhandenen übergreifenden Friedensordnung den damit einhergehenden Verfolgungshandlungen den Charakter asylrechtlich relevanter Maßnahmen nimmt. Vielmehr folgt deren Asylrelevanz gerade aus der Nichtbeachtung des im Grundsatz vorhandenen übergreifenden Ordnungsprinzips.

Unter Anwendung dieser Grundsätze kontrolliert das Regime Assad derzeit vor allem weite Teile des Bereiches, der die Hauptstadt Damaskus einschließt. Hier agiert das Regime nach aktueller Erkenntnislage weiterhin mit Polizei, Militär und Geheimdienstkräften. Die Organisationsstruktur ist zumindest regional staatlich oder staatsähnlich. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass es im Fall rückgeführter Staatsangehöriger, die nur über den Flughafen Damaskus einreisen können, für eine Befragung keiner großen Ressourcen bedarf. Es genügen wenige geschulte Geheimdienstmitarbeiter, um die Befragungen und anschließenden Folterungen durchzuführen. Neben dieser zumindest regional vorhandenen Macht ist auch das Regime von seinem Selbstverständnis um eine übergreifende Friedensordnung bemüht. In den von ihnen kontrollierten Bereichen soll das syrische Rechtssystem, das unzweifelhaft vor dem Aufkommen der bürgerkriegsähnlichen Zustände vorhanden war und bis dato nicht abgeschafft worden ist, durchgesetzt werden. Besteht aber am Ort der hier zu unterstellenden Rückkehr der Klägerin eine staatliche Organisationsstruktur mit dem Bestreben des Regimes Assad, eine übergreifende Friedensordnung herzustellen bzw. zu wahren, ist kein Raum mehr, dem Oberverwaltungsgericht NRW zu folgen.

Im Ergebnis ist daher bei Personen, die illegal aus Syrien ausreisen, sich im Ausland aufhalten und dort einen Asylantrag stellen, grundsätzlich davon auszugehen, dass der syrische Staat bei ihnen eine systemfeindliche Gesinnung vermutet.

Die Kammer hat erwogen, ob die syrischen Behörden abweichend von diesem Grundsatz in der Klägerin keine Regimegegnerin sehen werden. Sie könnte bei einer Rückkehr nach Syrien bei einer Befragung durch syrische Geheimdienstmitarbeiter geltend machen, dass sie vor allem wegen ihres Ehemannes das Land verlassen hat, um mit ihm in Deutschland zusammen zu leben. Sie könnte diesen Beweggrund mit der Hochzeitsurkunde und der in ihre Sprache übersetzten Abschrift der Anhörung vor dem Bundesamt, in der sie diesen Ausreisegrund explizit nennt, belegen. Dennoch vermag die Kammer nicht einzuschätzen, ob der Klägerin bei dieser Befragung die Möglichkeit eröffnet wird, sich hinsichtlich ihres Auslandsaufenthalts zu erklären. Bei der derzeitigen Erkenntnislage ist auch eine gewisse Willkür in den Handlungen der syrischen Ordnungsmacht zu beobachten. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin die bei ihr vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung in Syrien nicht widerlegen wird können.

Daher liegen in der Person der Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2 ZPO.