Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 16.03.2010, Az.: 6 A 1804/09

Durchschnittszahl; Ersatzschule; Finanzhilfe; Grundbetrag; Privatschule; Schülerzahl; Unterricht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
16.03.2010
Aktenzeichen
6 A 1804/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47954
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Schülerinnen und Schüler der Ersatzschule" in § 150 NSchG fordert nicht nur, dass an den in Absatz 2 Satz 2 genannten Stichtagen ein Schulverhältnis zwischen Träger und Schülerin bzw. Schüler durch Abschluss eines Schulvertrags (fort-) besteht. Vielmehr ist ergänzend zu verlangen, dass die Ersatzschule die Unterrichtsansprüche ihrer Schülerinnen und Schüler auch tatsächlich erfüllt, indem sie diese im Unterricht beschult oder daran nur durch äußere Umstände (Krankheit, Witterungsverhältnisse, Schulstreik usw.) gehindert ist (wie VG Lüneburg, Urteil vom 20.4.1994 - 1 A 97/93 -).

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist Trägerin mehrerer anerkannter Ersatzschulen am Standort C., unter anderem der Berufsfachschule für biologisch-technische Assistentinnen und Assistenten.

2

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 hatte die Beklagte die für das Schuljahr 2007/2008 zu leistende Finanzhilfe für die berufsbildenden Schulen der Klägerin am Standort C. auf der Grundlage der von der Klägerin auf die Stände am 15. November 2007 und 15. März 2008 mitgeteilten Schülerzahlen und der zuvor im Abschlagsverfahren vorgelegten Schülerlisten abgerechnet. Diese Listen hatten Frau H. I. mit dem Eintrittsdatum 4. September 2007 und dem Austrittsdatum 3. September 2009 als Schülerin der Berufsfachschule für biologisch-technische Assistentinnen und Assistenten ausgewiesen.

3

Mit Bescheid vom 23. März 2009 nahm die Beklagte die Finanzhilfefestsetzung vom 21. Oktober 2008 in Höhe von 3.545,00 Euro zurück, weil der Klägerin der bewilligte Grundbetrag im Umfang eines Schülerbetrags für die Berufsfachschule für biologisch-technische Assistentinnen und Assistenten nicht zustehe. Zugleich forderte die Beklagte den Betrag von der Klägerin als überzahlte Finanzhilfe zurück.

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In der Begründung des Bescheides heißt es, sie, die Beklagte, habe im Rahmen des Schülerdatenabgleichs festgestellt, dass Frau H. I. an den Stichtagen 15. November 2007 und 15. März 2008 nicht mehr an der Berufsfachschule für biologisch-technische Assistentinnen und Assistenten beschult worden sei. In dem als Anlage zum Antrag auf Finanzhilfe zu verwendenden Vordruck „Nachweis der Schülerinnen und Schüler“ werde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Eintritts- und Austrittsdatum die tatsächlichen Daten eingetragen werden müssten, nicht die Beginn bzw. Enddaten des Jahrgangs nach dem Schulgesetz. Frau H. I. habe ihren letzten Schultag am 8. Oktober 2007 gehabt, so dass sie im Finanzhilfeantrag nicht mehr als Schülerin der Berufsfachschule hätte aufgeführt werden dürfen. Bei der Ausübung des Ermessens über die teilweise Rücknahme des Abrechnungsbescheids müsse das Interesse der Klägerin am Fortbestand der gewährten Finanzhilfe zurücktreten, weil die Klägerin in diesem Punkt zu den Schülerzahlen zu den für das Schuljahr 2007/2008 maßgeblichen Stichtagen unrichtige Angaben gemacht habe. Ein Vertrauensschutz in den Bestand des rechtswidrigen Verwaltungsakts lasse sich deshalb gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nicht begründen.

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Die Klägerin hat den Bescheid vom 23. März 2009 mit der am 22. April 2009 erhobenen Klage angefochten.

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Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei, denn die Beklagte berufe sich darin auf ein vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedecktes Tatbestandsmerkmal für die Berechnung des Grundbetrags. Entscheidend für die Ermittlung der Durchschnittszahl sei nicht, ob Frau I. an den jeweiligen Stichtagen tatsächlich unterrichtet worden sei, sondern dass der mit ihr geschlossene Beschulungsvertrag noch bis zum 31. März 2008 Geltung gehabt habe.

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Der insoweit eindeutige Wortlaut der Stichtagsregelung des § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG stelle für die Ermittlung der Durchschnittszahl nur auf die Zahlen der Schülerinnen und Schüler am 15. November und am 15. März des Schuljahres ab und nicht darauf, ob diese Schülerinnen und Schüler unterrichtet oder tatsächlich beschult worden seien. Das Gesetz räume der Beklagten weder für die Bewertung der Schülereigenschaft noch für die Anwendung der Stichtagsregelung einen Ermessensspielraum ein. Vielmehr seien die Rechtsbeziehungen zwischen der Schulträgerin und den Schülerinnen und Schülern ihrer Ersatzschulen ausschließlich privatrechtlicher Natur. Solange die Vertragspartner das vertraglich vereinbarte Recht zum Unterrichtsbesuch hätten, seien diese auch Schülerinnen oder Schüler der Ersatzschule im Sinne von § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG, die jederzeit von ihrem Unterrichtsrecht Gebrauch machen könnten. Daher müsse die Ersatzschule die entsprechenden Kapazitäten mit einem der Zahl der geltenden privatrechtlichen Schulverträge entsprechenden Kostenaufwand vorhalten.

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Der Gesetzgeber stelle aus guten Gründen allein auf den Status der betreffenden Schülerinnen und Schüler ab. Wollte man auf deren körperliche Anwesenheit im Unterricht abstellen, wäre die Grenzziehung hinsichtlich der zu berücksichtigenden Personen unklar, wenn diese entweder am Stichtag oder in einem längeren Zeitraum vor oder nach dem Stichtag erkrankt seien oder sich am Stichtag zwar im Schulgebäude aufhielten, sich dabei aber an einem „Bildungsstreik“ beteiligten. Soweit die Beklagte hierzu auf eine Einzelfallprüfung verweise, könne sie entsprechende Kriterien und Entscheidungsprämissen nicht benennen. Außerdem handele es sich bei der Stichtagsregelung um einen pauschalierenden Rechenweg zur Glättung unregelmäßig auftretender Sachverhalte, was die Berücksichtigung des vertragsrechtlichen Anspruchs auf Unterrichtsteilnahme verlange.

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Die frühere Gesetzesfassung, wonach es auf die Zahl der an der Ersatzschule unterrichteten Schüler angekommen sei, habe heute keine Geltung mehr und stütze die gegenteilige Ansicht der Beklagten nicht. Hätte der Gesetzgeber jemals auf die tatsächliche Unterrichtsteilnahme am Stichtag abstellen wollen, dann hätte er dies in das Gesetz aufnehmen können, was aber keinem Zeitpunkt geschehen sei. So kennzeichne auch der Begriff der „unterrichteten Schülerinnen und Schüler“ nur ein bestehendes Schulverhältnis aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten zur Bereithaltung von Unterrichtskapazität.

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Schließlich könne sie, die Klägerin, sich gegenüber der angegriffenen Rückforderung auf Vertrauensschutz berufen, denn ihre Rechtsaufassung zur Berücksichtigung der Schülerin H. I. zu den relevanten Stichtagen begründe sich mit dem bestehenden privatrechtlichen Vertrag und werde vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Dementsprechend habe sie die vertraglich geschuldeten Unterrichtskapazitäten tatsächlich bereit gehalten und dadurch die für Frau I. gezahlte Finanzhilfe verbraucht.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2009 zur teilweisen Rücknahme und Rückforderung überzahlter Finanzhilfe für das Schuljahr 2007/2008 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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Die Beklagte vertritt die Auffassung, der für die Berechnung der Durchschnittszahl der Schülerinnen und Schüler der Ersatzschule entscheidende Mittelwert folge aus den Zahlen der an den Stichtagen 15. November und 15. März des abzurechnenden Schuljahres tatsächlich beschulten Schülerinnen und Schülern. Der Wortlaut des § 150 Abs. 2 Satz 2 in der bis zum 31. Juli 2007 geltenden Fassung des Niedersächsischen Schulgesetzes habe dementsprechend ausdrücklich auf die am 15. November und 15. März des abzurechnenden Schuljahres unterrichteten Schülerinnen und Schüler abgestellt. Zwar enthalte die am 1. August 2007 in Kraft getretene Neufassung des Gesetzes das Wort „unterrichteten“ nicht mehr. Der Gesetzgeber habe in diesem Punkt aber nichts Abweichendes regeln wollen. Er habe für die ab 1. August 2007 geltende Rechtslage gerade nicht den 1. Schultag eines Schulhalbjahres als Stichtag gewählt, sondern wolle weiterhin an der Zahl der an den allein maßgeblichen Stichtagen tatsächlich unterrichteten Schülerinnen und Schüler festhalten. Dieses Verfahren, das schon im Jahre 1980 eingeführt worden sei, solle verhindern, dass der Abgleich der Schülerdaten und die Funktion der Stichtagsregelung ins Leere liefen, denn die Schülerzahl sei keine statische Größe, sondern einem ständigen Wechsel unterworfen. Aus diesem Grund werde zur Vereinfachung der Berechnung nur der Stand der an den maßgeblichen Stichtagen tatsächlich beschulten Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Dabei habe der Gesetzgeber die Stichtage gezielt auf Zeitpunkte nach den Herbstferien und den Halbjahreszeugnissen gelegt, weil dann in der Regel die üblichen Schülerbewegungen abgeschlossen seien. Andernfalls könne es zu Doppelberücksichtigungen von Schülerinnen und Schülern kommen, wenn diese sich bei mehreren Schulen angemeldet hätten oder die Schule wechselten. Insbesondere Scheinverträgen wäre mit einer bloßen Schulvertragsregelung Tür und Tor geöffnet, zumal es Schulträger gebe, die kein Schulgeld von ihren Schülerinnen und Schülern erhöben. So könne zum Beispiel eine Schülerin oder ein Schüler im Laufe des Schulhalbjahres am 31. Oktober den Vertrag fristgerecht zum 31. Januar kündigen, nicht mehr zum Unterricht erscheinen, aber gleichzeitig bereits bei einer anderen finanzhilfeberechtigten Schule in freier Trägerschaft einen neuen Schulvertrag abschließen und dort am Unterricht teilnehmen. Damit würde am Stichtag des 15. November zu beiden Schulen eine Rechtsbeziehung bestehen.

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Folglich stelle auch das Niedersächsische Kultusministerium in Ziffer 3.4 Abs. 2 Satz 1 des Runderlasses „Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft“ vom 1. Juli 2007 ausdrücklich darauf ab, dass sich der Mittelwert der Schülerinnen und Schüler nach § 150 Absatz 2 Satz 2 NSchG aus den an den Stichtagen 15. November und 15. März des abzurechnenden Schuljahres beschulten Schülerinnen und Schülern ergebe. Für die von der Klägerin genannten stichtagsbezogenen Zweifelsfälle nehme die Schulbehörde aufgrund langjähriger Praxis und Erfahrungen eine Einzelfallprüfung vor. Außerdem habe sie den Schulträgern mit den Hinweisen und Fallbeispielen in ihrer Rundverfügung vom 1. März 2009 das Erstellen der Schülerlisten erleichtert und Unsicherheiten ausgeräumt.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist nicht begründet.

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Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2009 ist rechtmäßig.

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Soweit die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid die Finanzhilfefestsetzung vom 21. Oktober 2008 im Umfang von 3.545,00 Euro zurückgenommen hat, stützt sich ihre Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG). Danach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der eine einmalige Geldleistung gewährt, ganz oder teilweise für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.

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Der Bewilligungsbescheid vom 21. Oktober 2008 war rechtswidrig, soweit darin für die Ermittlung des Grundbetrags der Berufsfachschule für biologisch-technische Assistentinnen und Assistenten dem Finanzhilfeantrag der Klägerin folgend eine Durchschnittszahl von 19 anstelle von 18 nicht anderweitig geförderter Schülerinnen und Schülern mit dem Schülerbetrag von 3.545,00 Euro multipliziert worden war. Frau H. I. hätte zu den gesetzlich bestimmten Stichtagen am 15. November und 15. März des Schuljahres 2007/2008 nicht zu den Schülerinnen der Berufsfachschule hinzugerechnet werden dürfen. Das folgt nach Überzeugung der Kammer aus der zutreffenden Anwendung der Berechnungsvorgaben für die Finanzhilfe in § 150 Abs. 2 Satz 1 und 2 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG).

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Als Trägerin der anerkannten Ersatzschule hat die Klägerin nach § 149 Abs. 1 NSchG dem Grunde nach Anspruch auf Finanzhilfe. Diese setzt sich gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 NSchG unter anderem aus einem Grundbetrag zusammen. Dieser ergibt sich nach der Berechnungsvorgabe des § 150 Abs. 2 Satz 1 NSchG aus der Vervielfachung der Durchschnittszahl der Schülerinnen und Schüler der Ersatzschule nach den Sätzen 2 bis 4 mit dem vom Kultusministerium festzusetzenden Schülerbetrag nach Maßgabe der Absätze 3 bis 6 ergibt. Die Definition der Durchschnittszahl in § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG lautet seit der Novellierung der Berechnung der Finanzhilfe durch Art. 1 des am 1. August 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform der Finanzhilfe in freier Trägerschaft (vom 12.07.2007, Nds. GVBl. S. 301):

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„Die Durchschnittszahl ist der Mittelwert der Zahlen der Schülerinnen und Schüler am 15. November und am 15. März des Schuljahres, an Förderschulen jedoch der Mittelwert der Zahlen der Schülerinnen und Schüler an den genannten Stichtagen, für die ein Förderbedarf festgestellt worden ist, der dem Schwerpunkt der Schule entspricht, oder die auf Veranlassung der Schulbehörde die Förderschule besuchen und für die eine entsprechende Feststellung bevorsteht.“

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Entscheidend für die Anwendung dieser Regelungen des § 150 NSchG ist zunächst, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „Schülerinnen und Schüler“ einer Ersatzschule im Niedersächsischen Schulgesetz nicht einheitlich und allgemein verbindlich definiert wird. Die Begründung und die Ausgestaltung von Schulverhältnissen zwischen Privatschulträgern und den Schülerinnen und Schülern einer Ersatzschule unterliegen dem verfassungsmäßig verbürgten Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 311 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), der nur für die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der Ersatzschulgenehmigung gewissen schulrechtlichen Einschränkungen unterliegt (vgl. Art. 7 Abs. 4 Satz 3 Grundgesetz - GG-, §§ 141 Abs. 1 Satz 1, 144 Abs. 1 Satz 1, 148 Abs. 1 NSchG). Dies bedeutet in Abgrenzung zum öffentlichen Schulrecht zugleich, dass der Abschluss eines Schulvertrags allein nicht bestimmt, welchen Inhalt der Gesetzgeber dem Begriff der „Schülerinnen und Schüler“ bei der Regelung der Rechtsfolgen der Genehmigung und staatlichen Anerkennung von Ersatzschulen im Niedersächsischen Schulgesetz zugrunde legt. Vielmehr ist der Inhalt des Rechtsbegriffs stets aus der Sicht der Zielsetzung der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm des öffentlichen Schulrechts zu bestimmen, zumal dieses bestimmte Regelungsgegenstände aufgreift, die sich dem Ziel der Rechtsnorm entsprechend nur auf tatsächlich unterrichtete Schülerinnen beziehen, wie dies beispielweise bei der Versetzung und Prüfung in § 148 Abs. 2 Satz 1 NSchG der Fall ist.

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Die Kammer folgt der Rechtsauffassung der Beklagten, wonach der Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Schülerinnen und Schüler der Ersatzschule“ in § 150 NSchG nicht nur fordert, dass an den in Absatz 2 Satz 2 genannten Stichtagen ein Schulverhältnis zwischen Träger und Schülerin bzw. Schüler durch Abschluss eines Schulvertrags (fort-) besteht. Vielmehr ist ergänzend zu verlangen, dass die Beklagte die Unterrichtsansprüche der Schülerinnen und Schüler ihrer Ersatzschulen an den Stichtagen auch tatsächlich erfüllt, indem sie diese im Unterricht beschult oder daran nur durch äußere Umstände (Krankheit, Witterungsverhältnisse, Schulstreik usw.) gehindert ist (so auch VG Lüneburg, Urteil vom 20.4.1994 - 1 A 97/93 -).

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Dieses Verständnis vom Inhalt des Schülerbegriffs folgt aus der erkennbaren Zielsetzung des Finanzhilfesystems und den dazu umgesetzten Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser hat mit der Finanzhilfereform das bisherige Finanzhilfesystem im Grundsatz beibehalten wollen, wonach die Finanzhilfe als Zuschuss zu den laufenden Betriebskosten gewährt wird (§ 149 Abs. 1 NSchG) und dabei an die Entwicklung an den öffentlichen Schulen angelehnt ist (vgl. Nds. Landesregierung, Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft vom 18.04.2007, Allgemeiner Teil, LT-Drs. 15/3730 S. 10). Dem Ziel der Reform, neben der Schaffung von Planungssicherheit die Finanzhilfe für die Schulen in freier Trägerschaft möglichst weitgehend den Verhältnissen der öffentlichen Schulen, insbesondere an die Ausgaben des Landes anzupassen, dient das neue Berechnungssystem in § 150 Abs. 2 bis 7 NSchG, mit welchem die bisherige Schüler-Lehrer-Relation durch eine Jahreswochenstundenzahl je Schülerin oder Schüler (Schülerstunden), die höchstens finanziert wird, ersetzt worden ist, wobei die Schülerstunden in § 1 der Verordnung über die Berechnung der Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft (vom 07.07.2007, Nds. GVBl. S. 415 - FinHVO -) für mehrere Schuljahre festgeschrieben werden (vgl. für die berufsbildenden Schulen in Anlage 2 zu § 1 FinHVO).

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Damit wird zugleich klar, dass der Gesetzgeber mit der Finanzhilfereform den Grundbetrag nicht zur Abdeckung sämtlicher „Vorhaltekosten“ novelliert hat, sondern den Personalkosten im Landesdienst (vgl. § 150 Abs. 3 Satz 2 bis 6 NSchG) und den tatsächlichen Unterrichtsverhältnissen an den Referenzschulen anpassen will. Dem zweiten Anpassungsmerkmal dient in erster Linie die Vorgabe des § 150 Abs. 4 NSchG, wonach die Ausgangswerte für berufsbildende Schulen aus der Zahl der zu berücksichtigenden Stellen im Landeshaushalt und für jeden Bildungsgang aus einer „Musterklasse“ ermittelt und übernommen werden (Nds. Landesregierung, LT-Drs. 15/3730, a.a.O. S. 10 und S. 15 zu § 150 ). Die gesetzgeberische Zielsetzung, wonach die den Schülerbetrag nach § 150 Abs. 3 NSchG bestimmenden Schülerstunden für die Bildungsgänge an berufsbildenden Schulen mit den je Schülerin oder je Schüler maximal zu finanzierenden Unterrichtsstunden des Unterrichtspersonals und den entsprechenden Arbeitsstunden des Zusatzpersonals gleichzusetzen sind (vgl. Nds. Landesregierung, LT-Drs. 15/3730, a.a.O. S. 16 zu § 150 Abs. 4), kann naturgemäß nur dann zur Geltung kommen, wenn bei der Anwendung des Schülerbetrags auf die Verhältnisse der jeweiligen Ersatzschule die Durchschnittszahlen der zu den Stichtagen tatsächlich unterrichteten Schülerinnen und Schüler herangezogen werden und nicht die Zahlen derjenigen, die einen Unterrichtsanspruch zivilrechtlich einfordern könnten. Entsprechendes hat der Gesetzgeber in § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG zusätzlich klargestellt für die Fälle von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf, in denen eine Feststellung nach § 68 Abs. 1 NSchG noch nicht getroffen worden ist, die aber die private Förderschule nach dem Willen der Landesschulbehörde (§ 68 Abs. 2 NSchG) bereits tatsächlich besuchen. In dieser Vorschrift macht der Gesetzgeber beispielhaft deutlich, dass es nicht darauf ankommt, dass mit (möglicherweise mehreren) freien Trägern von Förderschulen Schulverträge geschlossen worden sind, sondern dass eine tatsächliche Teilnahme am Unterricht vorliegt.

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Diesem Verständnis des Schülerbegriffs steht der Charakter des § 150 Abs. 2 NSchG als eine im Interesse der Verwaltungsvereinfachung pauschalierende Berechnungsvorgabe nicht entgegen. Wenn die Stichtagsregelung in dem oben verstandenen Sinne angewandt wird, führt die der Anpassung an die tatsächlichen Unterrichtsverhältnissen an den Referenzschulen dienende Multiplikation mit dem Schülerbetrag nach § 150 Abs. 3 weiterhin zu einem pauschalen Ergebnis. Im Übrigen würde die Stichtagsregelung schon ihrem Wesen nach sowohl für die Durchschnittszahl der Schülerverträge als auch die tatsächlich unterrichteten Schülerinnen und Schüler nur einen pauschalen Überblick verschaffen. Die von der Klägerin genannten Beispiele für tatsächliche Schwierigkeiten bei der Subsumtion der Unterrichtsteilnahme an den Stichtagen (krankheitsbedingte Abwesenheiten, lang anhaltende Krankheit zwischen den Stichtagen, Stichtag fällt auf einen schulfreien Tag usw.) kennzeichnen typischerweise die von dem Gesetzgeber mit der Wahl einer Stichtagsregelung in Kauf genommenen Ungenauigkeiten und Ungerechtigkeiten im Einzelfall und lassen sich daher nicht als Grundsatz einer anderen Auslegung des Gesetzes heranziehen. Insoweit können die Interessen der Privatschulträger und des finanzhilfeverpflichteten Landes im Wege der praktischen Konkordanz zusammengeführt werden, etwa in dem Sinne, wie es generalisierend in dem Rundschreiben der Beklagten vom 1. März 2009 ausgedrückt worden ist.

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Dem Umstand, dass die Neufassung des Wortlauts des § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG durch Art. 1 des am 1. August 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform der Finanzhilfe in freier Trägerschaft abweichend von der bis zum 31. Juli 2007 geltenden Fassung des Gesetzes nicht mehr ausdrücklich auf die „an der Ersatzschule unterrichteten“ Schülerinnen und Schüler abstellt, kann für die gegenwärtige Auslegung des Schülerbegriffs nichts Entscheidendes entnommen werden. Der Gesetzgeber hat den Gesetzeswortlaut in Satz 2 des § 150 Abs. 2 NSchG im Zuge der Finanzhilfereform nur sprachlich gestrafft, indem jetzt ohne Wiederholung des Bezugs auf Ersatzschulen an dieser Stelle nur noch den Begriff der „Schülerinnen und Schüler“ verwendet. Außerdem weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass sich den erklärten Zielen des Gesetzgebers (Nds. Landesregierung, LT-Drs 15/3730, a.a.O.) nichts für eine entsprechende Absicht, zukünftig nur noch auf die Durchschnittszahl der abgeschlossenen Schulverträge abstellen zu wollen, entnehmen lässt.

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Dementsprechend folgt die zutreffende Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht - wie die Klägerin meint - aus der unzulässigen teleologischen Reduktion eines zweifelsfreien Gesetzestextes, sondern aus einer teleologischen Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Schülerinnen und Schüler“ einer Ersatzschule für das Recht der Finanzhilfe. Diese Interpretation steht im Einklang mit der Tatsache, dass die Finanzhilfe im Fall der Klägerin an den mit der Verleihung der Eigenschaft anerkannter Ersatzschulen begründeten Status ihrer berufsbildenden Schulen anknüpft (§ 149 Abs. 1 NSchG), der nicht nur das Recht zur Aufnahme von Schülerinnen und Schülern begründet (§ 143 Abs. 3 NSchG), sondern gemäß § 148 Abs. 1 NSchG bestimmte Anforderungen in der Bildungs- und Erziehungsarbeit voraussetzt, was naturgemäß nicht nur auf die Organisationsform, das Selbstverständnis der Ersatzschule und ihre privatrechtliche Betätigung, sondern auf den tatsächlichen Schulbesuch und -erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler abstellt (vgl. § 148 Abs. 2 Satz 1 NSchG).

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Die besonderen Rücknahmevoraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG sind ebenfalls erfüllt.