Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 01.11.1995, Az.: 13 U 29/95

Zulässigkeit der Verbandsklage; Verstoß gegen Tarifvertrag; Wettbewerbsrechtliche Relevanz eines Tarifvertrages; Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.11.1995
Aktenzeichen
13 U 29/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 18348
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1995:1101.13U29.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 12.12.1994 - AZ: 10 O 126/94

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Verletzung von Lohnregelungen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrags oder Rahmentarifvertrags kommt nicht unmittelbare wettbewerbliche Relevanz zu, weil mit der allgemeinen Verbindlichkeit tarifvertraglicher Regelungen nicht der Schutz von Individualinteressen im Wettbewerb bezweckt wird.

  2. 2.

    Verletzungen von Tarifverträgen durch Lohnunterschreitungen stellen nur dann einen Verstoß gegen § 1 UWG dar, wenn sie seitens des Arbeitgebers systematisch zu dem Zweck erfolgen, sich damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vertragstreuen Wettbewerbern zu schaffen.

  3. 3.

    Durch eine systematische Lohntarifunterschreitung wird die Möglichkeit einer niedrigeren Preisgestaltung geschaffen.

Der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 1995
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Dezember 1994 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Verden abgeändert:

    Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zur Höhe von DM 500.000,00, ersatzweise von Ordnungshaft bis zur Dauer von 6 Wochen, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, sich gegenüber Mitbewerbern einen wettbewerblichen Vorteil durch Preisunterbietung zu verschaffen, indem sie Arbeitsverträge schließt, in denen die in den §§ 9, 25, 31, 32, 34 und 35 des für allgemein verbindlich erklärten Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk vom 6. Mai 1992 geregelten Ansprüche dem jeweiligen Arbeitnehmer nicht zuerkannt werden.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. II.

    Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

  3. III.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Dabei wird der Wert für das Berufungsverfahren in Abänderung der Festsetzung des Senats gemäß Beschluß vom 17. Oktober 1995 auf insgesamt DM 30.000,00 festgesetzt.

  4. IV.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  5. V.

    Die Beschwer wird für die Beklagte auf DM 15.000,00 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1

Auf die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist die Beklagte entsprechend dem mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1995 angekündigten Hilfsantrag zur Unterlassung zu verurteilen, wobei lediglich in redaktioneller Hinsicht zu ergänzen ist, daß es sich um einen für allgemein verbindlich erklärten Rahmentarifvertrag handelt. Soweit die Klägerin ihren Hauptantrag weiterverfolgt, hat die Berufung keinen Erfolg, ist die Klage abzuweisen.

2

I.

1.

Die Klägerin ist klagebefugt nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Sie ist eine Handwerksinnung im Sinne von § 52 Abs. 1 Handwerksordnung und damit eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von § 53 Handwerksordnung, von der nach altem Recht (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl., Rn 30) anerkannt gewesen ist, daß sie als Innung und als rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher. Interessen klagebefugt war. Hieran hat sich auch durch die Neuregelung in § 13 Abs. 2 UWG nichts geändert, auch wenn § 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG jetzt ausdrücklich vorsieht, daß Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern klagebefugt sein sollen. Hieraus ist aber nicht der Schluß zu ziehen, daß andere Verbände aus entsprechenden Bereichen nicht mehr klagebefugt sein sollen.

3

Nach den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1995 vorgelegten Mitgliederliste und der Satzung der Klägerin ist auch nicht zweifelhaft, daß die übrigen Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG gegeben sind. Insbesondere ergibt sich aus diesen Unterlagen, denen die Beklagte auch nicht weiter entgegengetreten ist, daß der Klägerin eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehört, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art. auf demselben Markt wie die Beklagte vertreiben. Angesichts der Zahl und der Lokalisation der Mitgliedsunternehmen besteht kein Zweifel, daß die Klägerin für den hier als Markt in Betracht kommenden Bereich in einer solchen Zahl Unternehmen repräsentiert, daß sich die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen als die nach der Neuregelung vorausgesetzte kollektive Wahrnehmung von Mitgliederinteressen darstellt (zu diesem Sinn und Zweck der Neuregelung siehe BGH, Urteil vom 29. September 1994, - I ZR 138/92 - "Laienwerbung für Augenoptiker" = WRP 1995, 104 ff.).

4

2.

Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung den Hauptantrag verfolgt, wonach der Beklagten untersagt werden soll, Arbeitsverträge zu schließen, in denen die in §§ 9, 25, 31, 32, 34 und 35 des Rahmentarifvertrags geregelten Ansprüche dem Arbeitnehmer nicht zuerkannt werden, besteht allerdings kein Unterlassungsanspruch.

5

Es ist, soweit ersichtlich, allgemein anerkannt, daß der Verletzung von Lohnregelungen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrags oder Rahmentarifvertrags nicht unmittelbare wettbewerbliche Relevanz zukommt, weil mit der allgemeinen Verbindlichkeit tarifvertraglicher Regelungen nicht der Schutz von Individualinteressen im Wettbewerb bezweckt wird (vgl. BGH Urteil vom 3. Dezember 1992, - I ZR 276/90 -, "Tariflohnunterschreitung", Umdruck Seite 11 f. = NJW 1993, 1010 ff. = WRP 1993, 314 ff.; siehe auch OLG Stuttgart NJW-RR 1988, 103, 104 [OLG Stuttgart 08.05.1987 - 2 U 168/86]; OLG Frankfurt GRUR 1988, 844). Verletzungen von Tarifverträgen durch Lohnunterschreitungen stellen - ebenso wie die anderer nicht unmittelbar wettbewerbsbezogener und wertneutraler Normen - nur dann einen Verstoß gegen § 1 UWG dar, wenn sie seitens des Arbeitgebers systematisch zu dem Zweck erfolgen, sich damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vertragstreuen Wettbewerbern zu schaffen (BGH a.a.O.). Dementsprechend kommt auch kein Anspruch aus § 1 UWG dahin in Betracht, Tarifvertragsverstöße durch den Abschluß von Arbeitsverträgen, die nicht den tarifvertraglichen Regelungen entsprechen, zu unterlassen (so auch OLG Stuttgart, a.a.O., 104; siehe auch RGZ 117, 16, 22 f.).

6

3.

Die Klage hat aber mit dem gemäß Schriftsatz vom 16. Oktober 1995 angekündigten Hilfsantrag Erfolg.

7

a)

Es handelt sich jedenfalls um eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO. Denn, worauf auch das Landgericht zu Recht hingewiesen hat, ist es das offenkundige, von der Klägerin verfolgte Ziel gewesen, die Beklagte zu zwingen, künftig Arbeitsverträge nur noch unter Beachtung tarifvertraglicher Regelungen zu schließen. Insoweit ist nicht nur auf die Fassung des Antrags der Klägerin abzustellen, sondern auch auf ihren Vortrag, daß den Lohnregelungen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrags jedenfalls dann eine unmittelbare wettbewerbliche Relevanz zuzumessen sei, wenn der Wettbewerbsanspruch von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft geltend gemacht werde. Die Klägerin kann damit auch nicht geltend machen, daß es sich lediglich um eine Klarstellung dessen handele, worauf der gesetzliche Unterlassungsanspruch ginge (für eine Klageänderung in diesem Zusammenhang wohl auch RGZ 117, 16, 22 f.; unklar insoweit OLG Stuttgart, a.a.O.). Diese Klageänderung ist aber zulässig. Sie ist sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO, weil weiterer Streit der Parteien vermieden werden kann und die Sache entscheidungsreif ist.

8

b)

Die Klägerin kann auch gemäß § 1 UWG verlangen, daß es die Beklagte unterläßt, sich gegenüber Mitbewerbern einen wettbewerblichen Vorteil durch Preisunterbietung zu verschaffen, indem sie Arbeitsverträge schließt, nach denen z. B. nicht die tarifvertraglich festgelegte Jahressondervergütung bezahlt wird.

9

(1)

Daß die Beklagte nach den geschlossenen Arbeitsverträgen ihre teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter regelmäßig untertariflich und insbesondere auch nicht die tarifvertraglich festgelegte Jahressondervergütung bezahlt oder bezahlt hat, geringeren Urlaub zubilligt etc., nimmt sie nicht in Abrede. Unstreitig ist im übrigen aber auch aufgrund des nicht bestrittenen Berufungsvorbringens der Klägerin, daß die Beklagte nicht den in einem besonderen Lohntarifvertrag vereinbarten Ecklohn, sondern weniger bezahlt, worauf die Klägerin aber nicht abstellt.

10

(2)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH a.a.O., Umdruck Seite 15) spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß die durch eine (hier unbestrittene) systematische Lohntarifunterschreitung geschaffene Möglichkeit einer niedrigeren Preisgestaltung gerade bei einem lohnintensiven Gewerbe wie dem der Beklagten auch in dieser Weise ausgenutzt wird. Damit ist zwar noch keine beweiserbringende Vermutung begründet. Es wäre aber angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit einer Ausnutzung der Tariflohnunterschreitung Sache der Beklagten, Angaben dazu zu machen, wie der Lohnvorteil bei ihr verwendet wird. Diese besondere Darlegungslast beruht auf der Rechtsprechung, daß unter bestimmten Voraussetzungen dem eigentlich darlegungs- und beweispflichtigen Kläger Erleichterungen zu verschaffen sind, wenn es um betriebsinterne Bereiche geht, der Betreffende sich hierzu ohne größeren Aufwand erklären kann und wenn der außerhalb dieses betriebsinternen Bereichs stehende Kläger dazu Behauptungen nicht oder nur unter größten Erschwerungen und Risiken aufstellen kann. Der Pflicht, Angaben zur Verwendung des Lohnvorteils zu machen, wird, wie der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung ausgeführt hat, noch nicht genügt, indem dargelegt wird, mit angebotenen Preisen habe man noch höher als andere Wettbewerber gelegen und sei deshalb bei einem Angebot nicht zum Zuge gekommen.

11

Dies bedeutet aber, daß die Klägerin, die im übrigen sogar explizit behauptet, die Beklagte würde den durch die Tariflohnunterschreitung erzielten Lohnvorteil systematisch dazu ausnutzen, um günstiger anzubieten, keine weiteren Angaben machen muß, es vielmehr Sache der Beklagten wäre, sich zur Verwendung des Lohnvorteils zu äußern. Hierzu fehlen aber Darlegungen der Beklagten, was die Klägerin ausdrücklich beanstandet hat. Es genügt jedenfalls nicht, daß die Beklagte auf Angebote zu Ausschreibungen der öffentlichen Hand Bezug nimmt, bei denen sie regelmäßig versichern muß, daß dem Angebot der maßgebliche Tarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk zugrundeliegt. Es bedarf auch keiner weiteren Darlegungen der Klägerin dazu, daß die Beklagte im Wettbewerb zu Preisunterbietungen schreitet oder die untertarifliche Entlohnung ihrer Arbeitnehmer in sonstiger Form dazu nutzt, ein sonst nicht mögliches günstiges Preis/Leistungsverhältnis herzustellen.

12

Da die Beklagte zur Verwendung des Lohnvorteils keine Darlegungen macht, ist als zugestanden anzusehen, daß die Beklagte die ihr durch die unbestrittene systematische Tarifunterschreitung gegebene Möglichkeit auch tatsächlich dazu nutzt, ihre Preise "niedriger" zu gestalten. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, in welcher Weise die Beklagte der ihr obliegenden Darlegungslast zur Verwendung des Lohnvorteils nachkommen kann.

13

Die systematische Ausnutzung der Möglichkeit, die Angebotspreise infolge der Tarifunterschreitung günstiger als ohne eine solche zu gestalten, ist Grundlage des nach § 1 UWG auszusprechenden Verbots.

14

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Nach der seit dem 1. Juli 1994 maßgeblichen Fassung von § 19 GKG und insbesondere der des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG werden der Wert von Haupt- und Hilfsantrag zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über den Hilfsantrag ergeht. Etwas anderes gilt nach neuem Recht gem. § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG nur noch dann, wenn die Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Dann ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Da die Klägerin aber mit ihrem Hauptantrag abgewiesen und lediglich dem Hilfsantrag stattgegeben worden ist, liegt ein Teilunterliegen vor (vgl. auch Emde MDR 1995, 990, 991), das mit Rücksicht darauf, daß Haupt- und Hilfsantrag als gleichwertig anzusehen sind, es rechtfertigt, die Kosten gegeneinander aufzuheben. Das betrifft auch die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, obwohl der Hilfsantrag dort noch nicht geltend gemacht worden ist.

15

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Beschwer ist gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer wird für die Beklagte auf DM 15.000,00 festgesetzt.