Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.03.2008, Az.: 17 UF 199/07
Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich eines Unterhaltsanspruchs wegen Alters oder Krankheit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.03.2008
- Aktenzeichen
- 17 UF 199/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 36977
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:0320.17UF199.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Celle - 17.08.2006 - AZ: 23 F 23021/07
Rechtsgrundlagen
- § 1571 BGB
- § 1572 BGB
- § 1578b BGB
Fundstellen
- AnwBl 2009, 31-32
- FamRZ 2009, 121-122 (Volltext mit red. LS)
- FuR 2008, 498-499 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2008, 971-972
- ZFE 2009, 71-72 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
Redaktioneller Leitsatz
1. Der Unterhaltsschuldner ist hinsichtlich der für eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs sprechenden Umstände darlegungs- und beweispflichtig. Im Falle einer dauerhaften Erkrankung der unterhaltsberechtigten Ehefrau genügt er dieser Darlegungslast nicht, wenn er sich mit dem Vortrag begnügt, die Erkrankung der unterhaltsberechtigten Ehefrau wäre auch ohne die Ehe eingetreten. Er hat vielmehr anhand der Arbeits- und Rollenverteilung in der Ehe darzulegen und zu beweisen, dass die Unterhaltsgläubigerin tatsächlich keine Nachteile erlitten hat, die sich aus der vereinbarten Rollenverteilung in der Ehe ergeben haben.
2. Macht die unterhaltsverpflichtete Ehefrau im Wege der Abänderungsklage eine Erhöhung des Unterhalts geltend, so kommt eine Befristung des Erhöhungsbetrages nicht in Betracht.
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 21. September 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Celle unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Celle vom 17. August 2006 - 23 F 23059/06 - wird für den Zeitraum nach dem 15. Februar 2007 dahingehend abgeändert, dass der Beklagte der Klägerin folgende Unterhaltsbeiträge zu zahlen hat:
- für den Zeitraum vom 15. Februar 2007 bis zum 31. Mai 2007 monatlich 457 €
- für den Zeitraum vom 1. Juni 2007 bis zum 31. Juli 2007 monatlich 394 €
- für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 31. Dezember 2007 monatlich 379 €
- für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Januar 2008 monatlich 291 €
- für den Zeitraum seit dem 1. Februar 2008 monatlich 266 €.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert übersteigt nicht 5.000 €.
Gründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist teilweise begründet.
I. Die Klägerin erstrebt mit ihrer Klage in wirtschaftlicher Hinsicht eine Heraufsetzung des Unterhalts von 213,32 € auf 457,00 € seit dem 1. September 2006 mit der Begründung, dass der Beklagte schon seit diesem Monat wieder vollschichtig arbeite. Dieses Begehren der Klägerin wird im Wege der Auslegung (§ 139 ZPO) in einen zulässigen Abänderungsantrag dergestalt umzudeuten sein, dass die Klägerin eine Abänderung des Unterhaltstitels nicht erst seit dem 1. März 2007, sondern tatsächlich bereits seit dem 1. September 2006 verlangt. Soweit sie dieses Begehren mit dem Verlangen auf Zahlung von Unterhaltsrückständen, d.h. solcher titulierter Beträge (auch aus der Zeit vor dem 1. September 2006) verbindet, die bislang im Wege der Zwangsvollstreckung bzw. freiwilliger Zahlung nicht beigetrieben werden können, ist die Klage unzulässig. Was bis zum 1. September 2006 an Unterhalt geschuldet und nicht gezahlt war, kann mit Hilfe der bestehenden Titel vollstreckt werden. Ob der titulierte Unterhaltsanspruch in der Vergangenheit erfüllt worden ist, kann nicht Gegenstand eines Abänderungsverfahren sein, da die Schaffung eines neuen Vollstreckungstitels insoweit zu einer unzulässigen Doppeltitulierung der in der Vergangenheit aufgelaufenen Unterhaltsrückstände führen würde.
II. Hinsichtlich des Abänderungszeitraumes hat das Amtsgericht - indem es die von der Klägerin errechneten Unterhaltsrückstände bis einschließlich Februar 2007 vollständig zugesprochen hat - in der Sache zu Unrecht eine Abänderung des Titels bereits ab dem 1. September 2006 für zulässig gehalten. Allerdings geht auch der Beklagte in der Annahme fehl, dass die Abänderung des Unterhaltstitels frühestens ab Rechtshängigkeit, d.h. ab 9. August 2007 erfolgen könne. Denn gemäß § 323 Abs. 3 Satz 2 ZPO kann eine Abänderung bestehender Unterhaltstitel bei einem Heraufsetzungsverlangen - anders als bei einem Herabsetzungsverlangen - beim Nachscheidungsunterhalt bereits (taggenau) ab Verzug erfolgen (vgl. § 1585b Abs. 2 BGB). Als verzugsbegründend ist unter den hier obwaltenden Umständen der Zugang des am 13. Februar 2007 von dem Amtsgericht abgegangenen Prozesskostenhilfeantrages der Klägerin anzusehen. Den Zugang dieses Antrages beim erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten nimmt der Senat (spätestens) für den 15. Februar 2007 an.
III. Für den Zeitraum nach dem 15. Februar 2007 ist die Abänderungsklage im Übrigen zulässig und in der Sache auch teilweise begründet. Der Klägerin, die im Januar 2005 bereits das 65. Lebensjahr vollendet hat, steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB), im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand jedenfalls aber ein Anspruch unter Unterhalt wegen Krankheit (§ 1572 BGB) zu. Bei der Neubemessung des Unterhalts, die durch die nunmehr wieder aufgenommene Vollzeittätigkeit des Beklagten veranlasst worden ist, hat sich der Senat von folgenden Maßstäben leiten lassen:
1. Einkommen des Beklagten
a) Im Jahre 2007 betrug das monatliche Grundgehalt des Beklagten durchgehend 3.434,74 € zuzüglich eines Familienzuschlages von 105,25 €. Seit August 2007 reduziert sich infolge der Wiederverheiratung des Beklagten der unterhaltsrelevante Familienzuschlag auf die Hälfte (52,62 €), weil er nunmehr nicht nur aufgrund der Unterhaltslast aus geschiedener Ehe, sondern auch aufgrund der neuen Ehe gewährt wird (BGH Urteil vom 28. Februar 2007 - XII ZR 37/05 - FamRZ 2007, 793). Ferner wurde im Jahre 2007 das Weihnachtsgeld in Höhe von 860,00 € gezahlt, welches ausweislich der Gehaltsbescheinigung für Dezember 2007 mit einem Nettobetrag von 527,60 € (entspricht rund 43 € monatlich) ins Gewicht gefallen ist. Darüber hinaus gibt es für 2006 eine in 2007 ausgezahlte Steuererstattung in einer Höhe von 2.803,21 € (entspricht rund 233 € monatlich).
Bei der Bereinigung des Einkommens um die Steuerlast ist zu beachten, dass der Beklagte unterhaltsrechtlich grundsätzlich gehalten ist, die bei der für das Jahr 2007 voraussichtlich entstehenden Steuervorteile bereits während des Veranlagungsjahres durch die Eintragung von Freibeträgen in Anspruch zu nehmen (BGH Urteil vom 28. Februar 2007 aaO.; vgl. auch Ziffer 10.1.1. der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Celle). Dies betrifft zum einen während des gesamten Jahres 2007 den Vorteil des begrenzten Realsplitting; hier wäre es dem Beklagten jedenfalls zumutbar gewesen, sich auf der Lohnsteuerkarte den titulierten und von ihm als Abänderungsbeklagten nicht angegriffenen monatlichen Betrag von 213,32 € als Freibetrag eintragen zu lassen. Ab August 2007 gilt dies zusätzlich für die (erheblichen) Werbungskosten. Bei der von dem Beklagten behaupteten und insoweit von der Klägerin nicht substantiiert bestrittenen einfachen Fahrtstrecke von 150 km an durchschnittlich vier Werktagen pro Woche würde ein entsprechender Freibetrag - nach geltender Rechtslage bezüglich der Kürzung der Pendlerpauschale - zumindest mit 624 € eingetragen werden können (130 km * 16 * 0,30 €).
Im Jahre 2008 hat sich infolge einer linearen Anpassung der Beamtenbezüge das Grundgehalt des Beklagten auf 3.537,78 € und der Familienzuschlag auf 108,44 € (davon die Hälfte: 54,22 €) erhöht. Dafür wird im Jahre 2008 in Niedersachsen kein Weihnachtsgeld mehr gezahlt. Eine im Jahre 2008 zufließende Steuererstattung für das Jahr 2007 ist voraussichtlich nicht mehr zu berücksichtigen, weil die wesentlichen Steuervorteile bereits durch die (fiktive) steuerliche Berechnung mit den Freibeträgen in das Jahr 2007 vorgezogen worden sind.
b) Hinsichtlich dieser Fahrtkosten war es dem Beklagten schon wegen des verfassungsrechtlich verbürgten (Art. 6 GG) Schutzes der neuen Ehe und ihres Lebensbereichs nicht verwehrt, seit dem 1. Juni 2007 seinen Wohnsitz dauerhaft am Wohnort der neuen Ehefrau zu nehmen, zumal gegenüber der Klägerin für den Beklagten keine verschärfte Erwerbsverpflichtung besteht. Allerdings setzt der Senat in ständiger Übung bei sehr weiten Fahrtstrecken zum Arbeitsort nur für die ersten 20 km den Kilometersatz von 0,30 € an, während es hinsichtlich der übersteigenden Strecke bei einem reduzierten Kilometersatz von 0,15 € verbleibt. Diese Praxis rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass bei Vielfahrern mit einer außergewöhnlich hohen jährlichen Fahrleistung beim durchgängigen Ansatz einer Kilometerpauschale von 0,30 € die mit der Fahrzeughaltung verbundenen festen Kosten in einer Weise abgegolten werden würden, die den tatsächlich zu betreibenden Aufwand deutlich übersteigt (vgl. OLG Hamm OLGR 2001, 128). Damit errechnen sich unter den obwaltenden Umständen unterhaltsrelevante Fahrtkosten in monatlicher Höhe von 816 € (16* 2* [20 km * 0,30 €] + [130 km * 0,15 €]).
c) Abzusetzen sind ferner Krankenversicherungsbeiträge in monatlicher Höhe von 553 € sowie - seit Februar 2008 - die nachgewiesenen Pfändungen der Sparkasse Celle in monatlicher Höhe von 57 €.
2. Einkommen der Klägerin
Die Klägerin verfügt ausweislich der in der mündlichen Verhandlung mit dem Einverständnis der Prozessbevollmächtigen der Klägerin in Augenschein genommenen Prozesskostenhilfeunterlagen der Klägerin über eine Sozialversicherungsrente in Höhe von 548 € sowie über eine kirchliche Zusatzversorgung in Höhe von 324 €.
Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Renteneinkünfte der Klägerin in letzter Zeit durch den im Versorgungsausgleich erworbenen Zuschlag an Rentenanwartschaften noch einmal erhöht haben könnten. Dies erschließt sich insbesondere daraus, dass in den Zeiten des vorzeitigen Ruhestands des Beklagten in den Jahren 2005 und 2006 eine Versorgungskürzung nach § 57 BeamtVG vorgenommen worden ist, was zwingend voraussetzt, dass dem Ausgleichsberechtigten - hier also der Klägerin - aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht bereits eine Rente gewährt wurde (vgl. § 5 Abs. 1 VAHRG).
3. Unterhaltsbemessung
Damit ergibt sich für die Unterhaltsbemessung die folgende Übersicht:
Feb-Mai 07 | Jun-Jul 07 | Aug-Dez 07 | Jan 08 | ab Feb 08 | |
---|---|---|---|---|---|
SteuerFB: 213 | SteuerFB: 837 | SteuerFB: 837 | SteuerFB: 837 | SteuerFB: 837 | |
Grundbezug | 3.434 | 3.434 | 3.434 | 3.537 | 3.537 |
Familienzuschlag | 105 | 105 | 52 | 54 | 54 |
unterhaltsrelevantes Bruttoeinkommen | 3.539 | 3.539 | 3.486 | 3.591 | 3.591 |
(fiktive) Lohnsteuer I/0,0 | -692 | -483 | -466 | -499 | -499 |
(fiktiver) SolZ | -38 | -26 | -25 | -27 | -27 |
Nettoeinkommen | 2.809 | 3.030 | 2.995 | 3.065 | 3.065 |
Anteiliges Weihnachtsgeld 2007 | 43 | 43 | 43 | ||
Zwischensumme | 2.852 | 3.073 | 3.038 | 3.065 | 3.065 |
Berufsbedingte Aufwendungen | -143 | -816 | -816 | -816 | -816 |
Anteilige Steuererstattung 2007 | 233 | 233 | 233 | ||
Zwischensumme | 2.942 | 2.490 | 2.455 | 2.249 | 2.249 |
Kredit Sparkasse | -57 | ||||
Kranken-/Pflegeversicherung | -553 | -553 | -553 | -553 | -553 |
Zwischensumme | 2.389 | 1.937 | 1.902 | 1.696 | 1.639 |
Anreizsiebtel | -341 | -277 | -272 | -242 | -234 |
Prägend für Gatte | 2.048 | 1.660 | 1.630 | 1.454 | 1.405 |
Renteneinkünfte der Klägerin | 872 | 872 | 872 | 872 | 872 |
Quotenunterhalt | 588 | 394 | 379 | 291 | 266 |
Für den Zeitraum vom 15. Februar 2007 bis 31. Mai 2007 ergibt sich im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius, dass es bei dem angefochtenen Urteil verbleibt. Im Übrigen war die Entscheidung - wie aus der Urteilsformel ersichtlich - abzuändern.
IV. 1. Eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs für die Zeit nach dem 1. Januar 2008 auf den ursprünglich titulierten Betrag von 213,32 € aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 1578b Abs. 1 BGB n. F. kommt nicht in Betracht.
Richtig ist zwar, dass nach dem Inkrafttreten der Unterhaltsrechtsreform auch der - nach altem Recht geschützte - Unterhaltsanspruch wegen Alters oder Krankheit nach §§ 1571, 1572 BGB nunmehr im Grundsatz auch der Begrenzung (Herabsetzung und Befristung) nach § 1578b BGB n. F. unterliegt. Der Unterhaltspflichtige hat indessen die für eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 10. Auflage, Rdn. 1073c; Borth' Unterhaltsrechtsänderungsgesetz [2007], Rdn. 170). Dieser Darlegungslast genügt der Beklagte nicht allein durch den Hinweis darauf, dass die Erkrankung der Klägerin auch ohne die Ehe mit dem Beklagten aufgetreten wäre. Vielmehr hat der Unterhaltspflichtige, soll der Einwand der Begrenzung erhoben werden, konkret zur Situation während der Ehe, insbesondere zur vereinbarten Arbeitsteilung zwischen den Eheleuten sowie zu den vorehelichen Verhältnissen vorzutragen. Nur dann lässt sich zuverlässig beurteilen, ob der Unterhaltsberechtigte tatsächlich keine Nachteile erlitten hat, die sich etwa aus der vereinbarten Rollenverteilung ergeben.
2. Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs scheidet schon aus prozessualen Gründen aus. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist das Abänderungsbegehren der Klägerin, mit dem sie einen gegenüber dem Ursprungstitel höheren Unterhalt geltend macht. Diesen Abänderungsbegehren könnte der Beklagte - ohne selbst eine Abänderungswiderklage zu erheben - eine Befristung des Unterhaltsanspruchs nur hinsichtlich des streitgegenständlichen Heraufsetzungsbetrages entgegenhalten. Dies würde zu einer unzulässigen Aufspaltung des Unterhaltsanspruches führen, da über die Befristung des Unterhaltsanspruches nur einheitlich entschieden werden kann.
V. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Senat sah keine Veranlassung zur Zulassung der Revision, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich scheint.