Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.06.1990, Az.: 12 A 86/87

Richter; Ablehnung; Ablehnungsgrund; Befangenheit; Geltendmachung; Fernmündlich; Mündliche Verhandlung; Zeitpunkt; Staatsangehörigkeit; Ehegatte; Einbürgerung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.06.1990
Aktenzeichen
12 A 86/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 13068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:0628.12A86.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 16.01.1987 - AZ: 3 A 270/86
nachfolgend
BVerwG - 15.04.1991 - AZ: BVerwG 1 B 175.90

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer - vom 16. Januar 1987 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Die am 5. Mai 1951 in .../England geborene Klägerin ist britische Staatsangehörige und strebt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung an. Sie lebt seit September 1974 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 13. September 1979 hat sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit dem 3. Juli 1976 ist sie mit Herrn ... verheiratet, der deutscher Staatsbürger ist. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, die am 7. Oktober 1980 und 13. Dezember 1982 geboren wurden. Die Klägerin war von 1974 bis 1981 und ist wieder seit 1983 in ... bei der Lufthansa/Station ... in der Passage und im Verkauf von Flugscheinen beschäftigt.

2

Am 14. September 1985 stellte die Klägerin beim Kreis Segeberg einen Einbürgerungsantrag, in welchem die vorgedruckte Verpflichtung zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit von ihr gestrichen war. Die Kreisordnungsbehörde beließ diesen Antrag bei den Unterlagen und ließ die Klägerin einen neuen Einbürgerungsantrag unterschreiben, der das Datum vom 6. Dezember 1985 trägt und keine Streichung enthält. Mit Schreiben vom 3. April 1986 teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß sie zur Vermeidung einer Doppelstaatigkeit zunächst die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müsse, weil die britische Staatsangehörigkeit andernfalls auch nach der Einbürgerung bestehenbleibe. Mit Schreiben vom 7. April 1986 fügte der Beklagte hinzu, daß bei fehlender Bereitschaft, die britische Staatsangehörigkeit aufzugeben, der Einbürgerungsantrag abgelehnt werden müßte. Die Klägerin verweigerte ausdrücklich die Aufgabe ihrer britischen Staatsangehörigkeit, hielt aber an ihrem Antrag auf Einbürgerung fest.

3

Mit Bescheid vom 9. September 1986 lehnte der Beklagte den Einbürgerungsantrag der Klägerin ab und erhob dafür eine Gebühr von 450,-- DM. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen des § 9 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 8. September 1969 (BGBl I S. 1581) - RuStAG - lägen wegen Beibehaltung der britischen Staatsangehörigkeit nicht vor. Auch eine Einbürgerung nach § 8 RuStAG könne nicht erfolgen, weil im Rahmen der Ermessensentscheidung der Vermeidung von Mehrstaatigkeit eine erhebliche Bedeutung zukomme. Die Einbürgerungsbehörde verfahre dabei nach den Einbürgerungsrichtlinien vom 15. Dezember 1977 (GMBl 1978 S. 16), zuletzt geändert am 13. November 1984 (GMBl 1984 S. 521). Nach 5.3.1 dieser Richtlinien schaffe die Mehrstaatigkeit die Gefahr der Rechtsunsicherheit, führe zum Widerstreit von Pflichten gegenüber verschiedenen Rechtsordnungen und schränke den diplomatischen und konsularischen Schutz ein. Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit sei daher ein wichtiger Ermessensgrundsatz. Zwar sähen die Nr. 5.3.3 bis 5.3.6 der Richtlinien Ausnahmen vor, die die Klägerin jedoch nicht erfülle.

4

Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und die Auffassung vertreten, daß die Ermessensentscheidung des Beklagten fehlerhaft sei. Ihre persönlichen Interessen, insbesondere ihr Wunsch nach einheitlicher Staatsangehörigkeit ihrer Familie und ihr Streben nach Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte in Deutschland, insbesondere nach Ausübung des Wahlrechts, seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Sie hat ihre Klage auf Art. 6 Abs. 1 GG gestützt und gemeint, der Beklagte sei nicht berechtigt, sie zu zwingen, ihre britische Staatsangehörigkeit aufzugeben.

5

Die Klägerin hat beantragt,

6

den Bescheid vom 9. September 1986 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

7

Der Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Er hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten, daß ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung nicht bestehe und er sein Ermessen nach § 8 RuStAG rechtmäßig ausgeübt habe.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 1987 im wesentlichen aus den gleichen Gründen, wie sie im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommen, abgewiesen. Auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG sei eine andere Beurteilung nicht geboten.

11

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie u.a. vorträgt, ihre Situation sei im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 GG anders zu beurteilen, weil ihre beiden Kinder nachträglich durch sie auch die britische Staatsangehörigkeit erworben hätten. Es sei ihr nicht zuzumuten, bei einer späteren Rückkehr in ihr Heimatland, etwa im Ruhestand, einen erneuten Einbürgerungsprozeß durchlaufen zu müssen. Außerdem sei die Situation eines EG-Ausländers im Rahmen der Ermessensausübung wegen der Freizügigkeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaft besonders zu berücksichtigen.

12

Die Klägerin beantragt,

13

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Beklagten vom 9. September 1986 aufzuheben und den Beklagten zur Einbürgerung,

14

hilfsweise,

15

zur Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts

16

zu verpflichten.

17

Der Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Er bestätigt weiterhin die aus seinem Bescheid und dem Urteil des Verwaltungsgerichts hervorgehende Rechtsauffassung.

20

Nach einem Vermerk der Geschäftsstelle hat der Ehemann der Klägerin, der zugleich ihr Prozeßbevollmächtigter ist, nach Beendigung der mündlichen Verhandlung in der Geschäftsstelle angerufen und einen Befangenheitsantrag gegen den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Uffhausen gestellt, weil dieser geäußert habe, im Bereich der Europäischen Gemeinschaften bestehe kein demokratisches Defizit. Dazu hat der Ehemann der Klägerin mit Schriftsatz vom 28., eingegangen am 29. Juni 1990 weitere Ausführungen gemacht.

21

Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt erfolglos.

23

Die Ablehnung des Richters am Oberverwaltungsgericht Dr. Uffhausen wegen Befangenheit ist unzulässig. Bestehen schon Zweifel daran, ob das Ablehnungsgesuch gem. § 54 VwGO iVm § 44 ZPO formgerecht war, weil ein fernmündliches Ablehnungsgesuch einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht gleichsteht (vgl. zur Klagerhebung Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 81 Rn. 10 u. 13), so hat die Klägerin jedenfalls ihr Ablehnungsrecht nach § 54 VwGO iVm § 43 ZPO verloren. Danach kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil das telefonische Ablehnungsgesuch erst nach Abschluß der mündlichen Verhandlung, in der die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert und Anträge gestellt worden sind, bei der Geschäftsstelle einging (vgl. dazu auch Kopp, aaO, § 54 VwGO Rn. 14 a).

24

In der Sache bleibt die Berufung erfolglos, weil das Verwaltungsgericht die Sach- und Rechtslage zutreffend beurteilt hat. Die speziellen Voraussetzungen des § 9 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes - RuStAG - für eine Ehegatteneinbürgerung liegen nicht vor, weil § 9 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG den Verlust oder die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit fordert. Der Verlust der britischen Staatsangehörigkeit würde hier aber bei einer Einbürgerung nicht eintreten, und die Aufgabe der britischen Staatsangehörigkeit lehnt die Klägerin ausdrücklich ab.

25

Das schließt allerdings nicht aus, daß die Klägerin aufgrund der allgemeinen Ermächtigung des § 8 Abs. 1 RuStAG eingebürgert werden kann. Eine solche Einbürgerung steht bei Vorliegen der in § 8 Abs. 1 Nr. 1 - 4 RuStAG angeführten Mindestvoraussetzungen, die hier nicht zweifelhaft sind, im Ermessen der Einbürgerungsbehörde. Für die Ausübung des grundsätzlich weiten Ermessens nach § 8 Abs. 1 RuStAG ist maßgebend, ob die Einbürgerung im staatlichen Interesse liegt. Dabei sind die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten, insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen.

26

Im Falle der Einbürgerung ist als staatliches Interesse das Ziel erheblich, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Diese wird innerstaatlich und international als ein Übel betrachtet, das sowohl im Interesse der Staaten als auch des Einzelnen möglichst vermieden und beseitigt werden sollte. Dieses staatliche Interesse ist gesetzlich anerkannt durch §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 1 RuStAG und das Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6. Mai 1963 (BGBl II 1969, 1954, 1962; BGBl II 1974, 1588). Die Einbürgerungsbehörde hält sich daher grundsätzlich im Rahmen ihres Ermessens, wenn sie mit Rücksicht hierauf eine zu Mehrstaatigkeit führende Einbürgerung ablehnt.

27

Bei vorliegender Sachverhaltsgestaltung muß andererseits berücksichtigt werden, daß nach dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG eine einheitliche Staatsangehörigkeit der Familie wünschenswert ist, wenn der Einbürgerungsbewerber seine Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen in Deutschland führt. Die demzufolge erforderliche Abwägung führt jedoch nicht zu einem generellen Vorrang des Interesses an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie. Angesichts dessen, daß das Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG den Behörden einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt und ihnen eine angemessene Berücksichtigung auch anderer öffentlicher Interessen ermöglicht, ist das Einbürgerungsermessen nicht grundsätzlich dahin reduziert, Bewerber mit deutschen Ehegatten bei Fehlen anderer Hindernisse unter Inkaufnahme von Mehrstaatigkeit einzubürgern. Die Annahme einer solchen Ermessensreduktion wäre auch unvereinbar mit der gesetzgeberischen Wertung in § 9 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG. Insbesondere ist es regelmäßig nicht fehlerhaft, den Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie gegenüber dem Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zurückzustellen, wenn der Bewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit zumutbar aufgeben kann. Dies gilt auch, wenn - wie im vorliegenden Falle - ein Teil der Familienangehörigen, nämlich die Kinder, außer der deutschen Staatsangehörigkeit die des Bewerbers besitzen. Das Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie fordert nicht, daß der Familie, deren ausländischer Angehöriger im Interesse einer gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden soll, die fremde Staatsangehörigkeit gleichfalls möglichst einheitlich erhalten bleibt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 27. 9. 1988, 1 C 3/85, NJW 1989, 1438 mit weiteren Nachweisen).

28

Die Ermessensentscheidung des Beklagten, dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung der Doppelstaatigkeit den Vorrang zu geben vor dem Interesse der Klägerin, die britische Staatsangehörigkeit beizubehalten, ist danach nicht zu beanstanden, zumal die Klägerin die Aufgabe der britischen Staatsangehörigkeit ausdrücklich ablehnt, obwohl ihr das ohne weiteres möglich wäre. Es liegen auch keine Gründe dafür vor, daß der Verlust der britischen Staatsangehörigkeit für sie eine besondere Härte darstellen würde. Daß sie EG-Ausländerin ist, stellt eine besondere Härte nicht dar, weil hinsichtlich der Mehrstaatigkeit nach geltendem Recht allgemein Differenzierungen zwischen EG-Ausländern und anderen Ausländern nicht erfolgen, wie auch aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 und § 25 RuStAG hervorgeht. Auch konkrete Anhaltspunkte dafür, daß sie in absehbarer Zeit in ihren Heimatstaat zurückkehrt, bestehen bei ihrer familiären und beruflichen Situation und nach den Lebensumständen der Familie (Grundeigentumserwerb in der Bundesrepublik Deutschland, berufliche Betätigung mit Unterbrechung seit 1974 bei der Lufthansa, Flughafen ..., Alter der Kinder 7 und 9 Jahre) nicht. Das Ermessen der Behörde hat sich keinesfalls dahin reduziert, bei der Klägerin ausnahmsweise die Doppelstaatsangehörigkeit in Kauf nehmen zu müssen.

29

Zutreffend weist das Verwaltungsgericht auch darauf hin, daß die Klägerin nicht gezwungen wird, ihre britische Staatsangehörigkeit aufzugeben. Es steht ihr frei, diese beizubehalten oder stattdessen die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. In ihrem persönlichen Bereich liegt es, die Vor- und Nachteile beider Lösungen auch hinsichtlich der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte gegeneinander abzuwägen und sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Die übrigen Argumente der Klägerin mit Hinweis auf Äußerungen mehrerer Politiker, daß künftig auch Doppelstaatigkeit hinzunehmen wäre, sind rechtspolitischer Natur. Sie könnten im Rahmen von Gesetzesänderungen - ggf. auch für den EG-Bereich - Bedeutung erlangen, nicht aber für die Entscheidung dieses Sachverhalts nach geltendem Recht.

30

Soweit die Klägerin sich gegen die Gebühr für den Ablehnungsantrag in Höhe von 450,-- DM wendet, ist diese sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht erhoben worden. Die Berechnung im einzelnen ergibt sich aus Blatt 34 der Beiakte. Grundlage ist die Staatsangehörigkeits-Gebührenverordnung vom 28. März 1974 (BGBl I S. 809), geändert durch Verordnung vom 18. Juni 1975 (BGBl I S. 1463) in Verbindung mit den Richtlinien für die Gebührenbemessung in Einbürgerungsangelegenheiten (GMBl 1974 S. 184, 1977 S. 97) sowie § 15 Abs. 2 des Verwaltungskostengesetzes vom 23. Juni 1970 (BGBl I S. 821).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Sie ist nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO vorläufig vollstreckbar.

32

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

33

Dr. Gehrmann

34

Dr. Uffhausen

35

Radke