Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.06.1990, Az.: 7 A 61/88

Betriebsgenehmigung; Teilerrichtungsgenehmigung; Kernkraftwerk; Genehmigung; Aufhebung; Öffentlichkeit; Beteiligung; Anhörung; Ermessen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.06.1990
Aktenzeichen
7 A 61/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 13033
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:0621.7A61.88.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 22.08.1991 - AZ: BVerwG 7 B 153.90
BVerfG - 22.10.1998 - AZ: 1 BvR 1551/91

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Kostenvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des festgesetzten Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der etwa 7 km südlich vom Standort des Kernkraftwerks Krümmel wohnende Kläger wendet sich gegen die 2. Betriebsgenehmigung für dieses Kernkraftwerk vom 11. April 1988, durch welche der am 14. September 1983 erstmals - befristet - genehmigte Betrieb dieser Anlage für deren gesamte Betriebszeit zugelassen worden ist.

2

Vor der erstmaligen Inbetriebnahme des Kraftwerks waren ein Standortvorbescheid und 14 Teilerrichtungsgenehmigungen mit zahlreichen Nachträgen ergangen. Insgesamt dreimal war die Öffentlichkeit am Genehmigungsverfahren beteiligt worden.

3

Durch die 1. Betriebsgenehmigung vom 14. September 1983 waren die nukleare Inbetriebsetzung, der Probebetrieb und der Leistungsbetrieb der Anlage für die Dauer von vier Betriebszyklen einschließlich der jeweils anschließenden Brennelementwechsel sowie der Wiederherstellung der Anfahrbereitschaft genehmigt worden; ferner waren in dem Genehmigungsbescheid u.a. die höchstzulässigen Raten der Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Luft und dem Wasser festgelegt worden.

4

Nach Erteilung der 1. Betriebsgenehmigung ergingen weitere Nachtragsbescheide zu vorangegangenen Teilgenehmigungen. U.a. wurde durch den Bescheid vom 9. Mai 1986 die Ersetzung der damals auszutauschenden Brennelemente mit einer - durch die 14. Teilgenehmigung vom 7. März 1983 genehmigten - 8 × 8-Stabanordnung durch solche mit einer 9 × 9(- 5)-Stabanordnung (76 Brennstäbe + 5 "Wasserstäbe") sowie durch eine geringe Zahl von "Vorläufer"-Elementen des Typs "SVEA-C/L" mit 8 × 8-Stabanordnung zugelassen. Durch die Genehmigung vom 3. Juni 1986 wurde der Einsatz von Brennelementen mit 9 × 9-Stabanordnung und einem Wasserkanal (9 - 9 Q) als Vorläuferelemente zugelassen. Am 2. Juli 1987 wurde der Einsatz dieser Elemente für alle weiteren Betriebszyklen genehmigt. Die verwendeten Brennstäbe besaßen einen von Genehmigung zu Genehmigung steigenden Anteil an Uran 235 (zuletzt 3,19 Gewichts-Prozent) und ermöglichten einen dementsprechend höheren Abbrand.

5

Mit Schreiben vom 19. Januar 1987 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten die Erteilung einer Dauerbetriebsgenehmigung. Diese wurde ihr von der Beklagten durch den als "2. Betriebsgenehmigung" bezeichneten Genehmigungsbescheid vom 11. April 1988 ohne Beteiligung der Öffentlichkeit erteilt. Der Gegenstand dieser Genehmigung wird in dem Bescheid wie folgt beschrieben:

6

"Diese 2. Betriebsgenehmigung umfaßt den Betrieb der Gesamtanlage mit einer thermischen Leistung des Reaktors bis 3.690 MW ab Beginn des fünften Betriebszyklus nach den Regelungen der 1. Betriebsgenehmigung vom 14. September 1983 einschließlich der danach bislang erteilten Genehmigungen ... Diese 2. Betriebsgenehmigung umfaßt auf dieser Grundlage nach Maßgabe der in diesem Bescheid aufgeführten Genehmigungsunterlagen und inhaltlichen Beschränkungen alle für den Betrieb der Gesamtanlage erforderlichen Betriebsvorgänge, insbesondere auch den Umgang mit Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen, die für den genehmigten Betrieb der Anlage ... benötigt werden oder im Rahmen des genehmigten Betriebes entstehen, die Brennelementwechsel sowie die Anlieferung und den Abtransport von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen innerhalb des Anlagengeländes."

7

Daneben wurden Abgaberaten bestimmter Radionuklide mit dem Wasser neu, und zwar niedriger als in der 1. Betriebsgenehmigung festgesetzt.

8

Die Entbehrlichkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung vor Erteilung der Genehmigung wird in dem Bescheid folgendermaßen begründet: Es liege kein Fall der zwingenden Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 4 Abs. 2 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung - AtVfV - vor. Insbesondere finde Satz 3 Ziffer 4 dieser Vorschrift keine Anwendung. Zwar seien die Nachladebrennelemente der Folgekerne mit bis zu 4,0 Gewichtsprozent U-235 höher angereichert und ihr Abbrand mit bis zu 50 MWd/kg Uran höher als bei der ersten Kernladung. Dies führe zu einer etwa 6 %igen Erhöhung des Aktivitätsinventars im Brennelementlagerbecken, wenn dieses unter Einschluß des darin ausgelagerten Reaktorkerns voll belegt sei. Demgegenüber erhöhe sich das maximale Radioaktivitätsinventar im Reaktorkern am Ende eines Abbrandes praktisch nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung zeige sich, daß das Aktivitätsinventar der Anlage im Vollastbetrieb praktisch unverändert bleibe. Doch auch bei isolierter Betrachtung des Aktivitätsinventars des vollen Brennelementlagerbeckens werde der Grenzwert des § 4 Abs. 2 Satz 3 Ziffer 4 AtVfV nicht erreicht. Die geringfügige Erhöhung des Inventars lasse auch keine zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen für Dritte besorgen, da die Aktivität in der Anlage durch die getroffenen Vorsorgemaßnahmen sicher eingeschlossen sei.

9

Die Erteilung der für sofort vollziehbar erklärten Genehmigung wurde u.a. im Amtsblatt für Schleswig-Holstein vom 25. April 1988 (S. 200) bekanntgemacht; der Bescheid hat bis zum 11. Mai 1988 in Geesthacht und Kiel öffentlich ausgelegen.

10

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 10. Juni 1988 Klage erhoben.

11

Er rügt "in verfahrensrechtlicher Hinsicht" das Unterbleiben einer Öffentlichkeitsbeteiligung trotz neu entstandener und vor Schluß des Verwaltungsverfahrens bekanntgewordener Tatsachen, deren förmliche Erörterung und Prüfung geboten gewesen wäre, "in sachlicher Hinsicht" die Genehmigung des unbefristeten Betriebes unter Bestrahlung konditionierungsunfähiger Brennelemente ohne sichergestellte Endlagerung. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 AtVfV für eine zwingende erneute Bekanntmachung und Auslegung habe der Beklagte rechtsfehlerhaft verneint. Folgekerne enthielten wegen des Entstehens von immer mehr Spaltprodukten mit längerer Halbwertzeit ein höheres Inventar als der Erstkern. Nur bei den kurzlebigen Spaltprodukten könne angenommen werden, daß sich in den Folgekernen ein Gleichgewichtszustand einstelle. Um die Zunahme des langlebigen Spaltproduktinventars im Kern herabzurechnen, habe der Beklagte auf Vorschlag des TÜV diesen Begriff auf das gesamte Aktivitätsinventar einschließlich der "Aktiniden" ausgedehnt. Dies habe zu einer rechnerischen Abnahme des Gesamtaktivitätsinventars durch den bestimmungsgemäßen Reaktorbetrieb und die Kernspaltung geführt. Denn der im wesentlichen verwendete Kernbrennstoff - Uran-235 - gehöre zu den radioaktiven Aktiniden. Er nehme durch die Kernspaltung ab. Damit werde der Schutzzweck des § 4 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 AtVfV unterhöhlt. Es sei rechtlich nicht vertretbar, diesen Schutzzweck dadurch zu unterlaufen, daß eine zwangsläufige und für den Strahlenschutz indifferente Menge, nämlich die Menge des Brennstoffs und dessen betriebsbedingte Verringerung, gegenüber der zunehmenden Menge des Risikopotentials in die Waagschale gelegt werde. Vergleichbar wäre der Gedanke, die Schädlichkeit der Auspuffgase eines Motors dadurch zu verharmlosen, daß zugleich die Menge des Benzins im Tank abnehme. Abzustellen sei vielmehr auf die Zunahme des Inventars an Produkten der Atomkernspaltung. Dabei möge es sachgerecht sein, auch die nicht durch Spaltung, sondern durch Neutroneneinfang neu entstehenden Aktiniden wie das im Reaktor erzeugte Plutonium einzubeziehen. Hingegen müsse eine Bilanzierung mit dem gleichzeitig weniger werdenden Uran-238 ebenfalls unterbleiben. Der dominierende Parameter für die Veränderung des Aktivitätsinventars sei der Abbrand der zu entladenden Brennelementcharge. Dieser sei aber durch die Genehmigung nicht eindeutig festgelegt, so daß die insoweit angestellten Berechnungen nicht aussagekräftig seien. Unberücksichtigt geblieben sei das Spaltproduktinventar in dem nach dem Inhalt der Genehmigung im Anschluß an die Wiederaufarbeitung und nach einer eventuellen Konditionierung zurückzunehmenden und "zwischenzulagernden" radioaktiven Abfall.

12

Darüber hinaus habe der Beklagte das ihm durch § 4 Abs. 2 Satz 1 AtVfV eingeräumte Ermessen, das ihm eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht hätte, unzureichend ausgeübt, weil die damalige Landesregierung eine Öffentlichkeitsbeteiligung, die sich wegen des Entsorgungsdefizits, wegen Tschernobyl und weiterer Sachverhalte aufgedrängt habe, nicht gewollt habe, sondern das Verfahren vor dem Wahltage des 8. Mai 1988 auf dem kürzesten Wege habe zum Abschluß bringen wollen. Darin liege eine fehlerhafte Ermessensunterschreitung, die der Beklagte zu Unrecht damit zu rechtfertigen suche, daß der Betreiber einen Rechtsanspruch auf die 2. Betriebsgenehmigung besessen habe. Mit der Behauptung eines Rechtsanspruchs des Betreibers werde die Gesetzeslage verdreht. Rechte hätten die Bewohner der Umgebung der Anlage, deren Schutz das Atomgesetz diene. Für den Betreiber sei die Genehmigung eine Vergünstigung. Weil er eine Rechtsverleihung erst anstrebe, müsse er sich nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich der Kritik der Öffentlichkeit stellen. Aufgabe der Genehmigungsbehörde sei es, diese Kritik durch ein objektives Verfahren des vorverlagerten Rechtsschutzes zur Entfaltung zu bringen.

13

In materieller Hinsicht sei die Genehmigung fehlerhaft, weil die Entsorgung nicht gesichert sei. Es gebe kein Endlager für hochradioaktiven Abfall, und der Stand der Wissenschaft über die Endlagerplanung sei durch die jetzt gewonnenen Erkenntnisse über den Salzstock und die sonstigen geologischen und bergbautechnischen Bedingungen in Gorleben so weit zurückgeworfen, daß es praktisch eines vollständigen wissenschaftlichen Neuansatzes bedürfe. Die Verträge mit französischen oder britischen Wiederaufarbeitungsanlagen belegten die Bearbeitung bestrahlter Brennelemente nur bis zum Frühjahr 1994. Es bleibe ungeprüft und ungeregelt, wie der genehmigte Betrieb danach entsorgt werden solle. Entsprechendes gelte für die Möglichkeiten einer Konditionierung radioaktiver Abfälle. Für eine etwaige direkte Endlagerung seien die in Krümmel verwendeten Brennelemente wegen ihrer Länge nicht geeignet. Die geplante Pilotkonditionierungsanlage sei wegen der beabsichtigten Zerschneidung der Brennstäbe und der damit verbundenen Freisetzung ihres Spaltstoffinventars nicht genehmigungsfähig. Der Genehmigungsbescheid sei schließlich deswegen aufzuheben, weil der Beklagte auch von seinem materiellen Genehmigungsermessen einen unzureichenden Gebrauch gemacht habe. Er sei irrig von der Voraussetzung ausgegangen, die Beigeladene habe einen Anspruch auf die Dauerbetriebsgenehmigung gehabt. Im Genehmigungszeitpunkt sei die damalige Regierung aber nicht mehr demokratisch legitimiert gewesen, der Bevölkerung auf unabsehbare Zeit das Restrisiko einer Dauerbelastung durch kleine Strahlendosen und eines Unfalls aufzuerlegen. Sie habe nur Übergangsmaßnahmen treffen und unaufschiebbare Regelungen mit dem Vorbehalt erlassen dürfen, daß eine künftige Regierung mit parlamentarischer Mehrheit über deren Endgültigkeit entscheide. Die Erteilung einer Dauerbetriebsgenehmigung sei jedoch nicht unaufschiebbar gewesen.

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Der Kläger beantragt,

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die 2. Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Krümmel vom 11. April 1988 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

18

Er erwidert: Er - der Beklagte - sei mit dem Kläger in der Zielsetzung einig, Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kernenergie zu ergreifen. Er sei dabei jedoch an Gesetz und Recht gebunden. Der Kläger sei mit seinen die Entsorgungsvorsorge betreffenden Einwendungen ausgeschlossen, da er die vorangegangenen Teilgenehmigungen und insbesondere die 1. Betriebsgenehmigung nicht angefochten habe, in der die Grundlinien der Entsorgungsnachweise geregelt seien. Die Entsorgungsvorsorge sei in dem angegriffenen Bescheid lediglich fortgeschrieben worden. Dagegen seien die Grundlinien der Entsorgungsnachweise beibehalten worden.

19

Im übrigen sei der Kläger insoweit nicht klagebefugt, da ihn das anlagentranszendente Risikopotential radioaktiver Reststoffe und Abfälle nicht in seinen Rechten verletzen könne. Wie der erkennende Senat bereits entschieden habe, seien die Regelungen des § 9 a AtG nicht drittschützend. Überdies beständen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Beigeladenen der vorgeschriebene Entsorgungsnachweis nicht gelingen werde. Eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung sei nicht erforderlich gewesen, nachdem während der Errichtungsphase drei solche Öffentlichkeitsbeteiligungen stattgefunden hätten. Nach Erlaß der diversen Teilerrichtungsgenehmigungen und nach der genehmigungsmäßigen Errichtung des Kernkraftwerkes bestehe für die Genehmigungsbehörde in der Regel kein Versagungsermessen mehr; vielmehr bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Betriebsgenehmigung, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt seien. Deswegen gingen die Angriffe des Klägers gegen eine angeblich falsche Ermessensausübung ins Leere. Im Rahmen der Ermessensausübung seien hier nur noch die Gesichtspunkte der Entsorgungsvorsorge und des Katastrophenschutzes zu berücksichtigen gewesen.

20

Die Beigeladene beantragt gleichfalls,

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die Klage abzuweisen.

22

Sie hält den Kläger mit seinem sachlichen Vorbringen für präkludiert und hinsichtlich seiner die Entsorgungsvorsorge betreffenden Bedenken für nicht klagebefugt. Im übrigen sei die Entsorgung der abgebrannten Brennelemente mittelfristig gewährleistet. Das Spaltproduktinventar sei richtig errechnet worden. Wenn der Kläger dem Sachverständigen des TÜV Norddeutschland unterstelle, dieser wolle die Zunahme des langlebigen Spaltproduktinventars im Kern dadurch herabrechnen, daß er den Begriff "Spaltproduktinventar" als "Aktivitätsinventar" interpretiere, verkehre er die Zielrichtung des Sachverständigen in ihr Gegenteil. Die 10 %-Grenze des § 4 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung beziehe sich eindeutig auf die Erhöhung des Spaltproduktinventars. Nach Maßgabe dieses Kriteriums sei die Voraussetzung für eine erneute Bekanntmachung des Vorhabens eindeutig nicht erfüllt. Es spreche für die Sorgfalt des Sachverständigen, wenn er, um ganz sicher zu gehen, auch noch die Zunahme des gesamten Aktivitätsinventars untersucht habe. Dieses Vorgehen sei an sich unnötig und vom Verordnungsgeber auch nicht gefordert.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

24

Dem Senat haben die aus der Zusammenstellung Blatt 18 f. der Akten ersichtlichen Verwaltungsvorgänge des Beklagten als Gegenstand der mündlichen Verhandlung vorgelegen. Auf ihren Inhalt wird - soweit erforderlich - verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage kann keinen Erfolg haben. Der angefochtene Bescheid leidet unter keinen Fehlern, durch die der Kläger in seinen Rechten verletzt würde (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger kann weder aus Gründen des Verwaltungsverfahrensrechts noch aus sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten eine Aufhebung der Genehmigung erwirken.

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1. Der Bescheid ist nicht deswegen unter Verletzung drittschützender Verfahrensnormen erteilt worden, weil ihm keine öffentliche Auslegung der Antragunterlagen und kein öffentliches Anhörungsverfahren vorausgegangen sind. Eine solche Beteiligung der Öffentlichkeit am Genehmigungsverfahren war weder durch zwingendes Recht geboten, noch hat der Beklagte insoweit ermessensfehlerhaft gehandelt.

27

Nach § 4 Abs. 2 und 3 der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung in der Fassung vom 31. März 1982 (BGBl I S. 412) - AtVfV - darf eine Genehmigung zur wesentlichen Änderung einer genehmigten Kernanlage ohne erneute Bekanntmachung und Auslegung erteilt werden, wenn im Sicherheitsbericht keine zusätzlichen oder anderen Umstände darzulegen wären, die nachteilige Auswirkungen für Dritte besorgen lassen. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung ist erforderlich, wenn einer der in § 4 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 - 6 AtVfV genannten Sachverhalte gegeben ist.

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a) Als ein die Öffentlichkeit zwingend erfordernder Tatbestand ist im Genehmigungsverfahren vom Beklagten und im gerichtlichen Verfahren von den Beteiligten allein § 4 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 AtVfV geprüft und diskutiert worden. In der Tat scheiden hier die übrigen zwingenden Auslegungsgründe von vornherein aus. Doch auch die Voraussetzungen der Ziffer 4 sind nicht erfüllt. Danach ist eine zusätzliche Bekanntmachung und Auslegung erforderlich bei einer "Erhöhung der thermischen Leistung oder des maximalen Spaltproduktinventars um mehr als 10 v.H. der sich aus dem vorgesehenen Vollastbetrieb ergebenden Werte". Eine Notwendigkeit, die Anwendbarkeit der Ziffer 4 zu überprüfen, ergab sich für den Beklagten und das Gericht im Hinblick darauf, daß gegenüber dem aufgrund der 14. Teilgenehmigung und der 1. Betriebsgenehmigung im Reaktor eingesetzten "Erstkern" die gegenwärtig und künftig verwendeten Brennelemente mit 9 × 9-Anordnung der Brennstäbe höher mit dem Kernbrennstoff Uran-235 angereichert sind, woraus sich zugleich die Möglichkeit eines höheren Abbrandes ergibt. Der Einsatz dieser Brennelemente war nicht etwa bereits durch die der 2. Betriebsgenehmigung vorangehenden "Nachtragsgenehmigungen" abschließend geregelt worden. Wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, haben sich der Grad der Anreicherung des Kernbrennstoffs mit Uran-235 und der maximale Abbrand von Genehmigung zu Genehmigung erhöht, und zwar nicht im Sinne oder als Folge einer sukzessiven Ausnutzung von vornherein gegebener physikalischer und technischer Möglichkeiten, sondern entsprechend dem jeweiligen Fortschritt in der Entwicklung der Brennstäbe. Demgemäß sind die aufgrund der 2. Betriebsgenehmigung eingesetzten Brennelemente trotz gleicher Brennstabanordnung nicht identisch mit den durch die Nachtragsgenehmigung vom 2. Juli 1987 zugelassenen; während diese eine mittlere Anreicherung von 3,19 Gewichts-Prozent Uran-235 aufwiesen, hat sich jener Wert bei den nunmehr eingesetzten Brennstäben auf 4,0 % erhöht.

29

Nicht zu beanstanden ist, daß der Beklagte in diesem Zusammenhang bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Ziffer 4 erfüllt sind, den gegenwärtigen Zustand nicht mit dem aufgrund der letzten Nachtragsgenehmigung, sondern mit dem nach der 1. Betriebsgenehmigung gegebenen Zustand verglichen hat. Dieses Vorgehen stellt sicher, daß die größtmögliche Veränderung erfaßt und zugleich eine mögliche Umgehung des § 4 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AtVfV durch eine Veränderung der maßgebenden Werte in mehreren kleineren Schritten ausgeschlossen wird.

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Da eine Erhöhung der thermischen Leistung des Reaktors weder beantragt noch beabsichtigt war, kam es bei der Anwendung der genannten Bestimmung allein auf eine mögliche Erhöhung des maximalen Spaltproduktinventars an. Die Sachverständigen des vom Beklagten mit der Überprüfung des Sachverhalts beauftragten TÜV Norddeutschland und ihnen folgend der Beklagte selbst haben dabei den Begriff "Spaltproduktinventar" nicht im streng physikalischen Sinne als die durch Spaltung des Kernbrennstoffs Uran-235 und seiner Folgeprodukte entstehenden Stoffe, sondern umfassend als die bei der Kettenreaktion im Reaktor entstehenden Stoffe unter Einschluß der nicht durch Kernspaltung, sondern durch Neutroneneinfang aus dem Uran-238 entstehenden Folgeprodukte (Aktiniden) wie etwa Uran-239, Neptunium-239 und Plutonium-239 verstanden. Der Beklagte rechtfertigt diese Auslegung mit dem Schutzzweck der Vorschrift, die eine Berücksichtigung des Gesamtaktivitätsinventars erfordere. Der Senat sieht in dieser Erwägung keinen zwingenden Grund, um den Verordnungsgeber im Wege einer erweiternden Auslegung zu korrigieren. Denn es geht hier nicht um die Feststellung absoluter Belastungswerte, so wichtig eine solche aus anderen Gesichtspunkten auch wäre, sondern um den Vergleich zweier Zustände des Reaktors, der durchaus anhand charakteristischer Einzelmerkmale getroffen werden kann. Wenn der Verordnungsgeber hierbei auf die Spaltprodukte im engeren Sinne abgestellt hat, so kann dies durchaus sachlich gerechtfertigt und gewollt sein, um auch Fälle wie den hier zur Entscheidung stehenden zu erfassen, in welchen die Spaltprodukte relativ stärker zugenommen haben als die Gesamtaktivität.

31

Letztlich kann diese Frage hier jedoch offenbleiben, weil sich nach den von dem Beklagten im Genehmigungsverfahren getroffenen Feststellungen durch die veränderte Beschaffenheit der Brennelemente und des eingesetzten Kernbrennstoffs weder das Spaltproduktinventar im engeren Sinne noch das - die Aktiniden einschließende - Aktivitätsinventar gegenüber dem im Zeitpunkt der 1. Betriebsgenehmigung bestehenden Zustand um mehr als 10 v.H. erhöht haben. Vielmehr beschränkt sich die Erhöhung des Spaltproduktinventars am Ende eines Abbrandzyklus auf 0,8 %, während sich die Radioaktivität des Gesamtinventars - wegen des geringeren Anteils an Aktiniden - sogar um 1 % vermindert hat. Der Senat hat in bezug auf die Zuverlässigkeit und Verwertbarkeit dieser Feststellungen keine Bedenken. Die von dem Kläger hiergegen erhobenen Einwände sind nicht geeignet, diese Feststellungen und die ihnen zugrunde liegenden oder auf ihnen basierenden Bewertungen der Genehmigungsbehörde als widerlegbar erscheinen zu lassen; nach dem Ergebnis der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung besteht auch kein Grund zu der Annahme, daß der Beklagte insoweit von einer unzureichenden Datenbasis ausgegangen ist (vgl. dazu BVerwGE 78, 177/181 f.). Es ist zunächst nicht zu beanstanden, daß der Beklagte bei seiner Entscheidung die Ergebnisse der Untersuchungen des von ihm mit der Überprüfung der Antragsunterlagen eingesetzten TÜV Norddeutschland zugrunde gelegt hat, ohne diese durch eigene Berechnungen selbst noch einmal nachzuprüfen. Der Zweck der Hinzuziehung von Sachverständigen (vgl. dazu § 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG = § 84 Abs. 1 Nr. 2 LVwG Schl.-H.) besteht darin, daß diese der Behörde in Fällen Hilfestellung leisten, in denen ihr die zur Entscheidungsfindung erforderliche Sachkunde fehlt. Dies schließt ein, daß sich die Behörde - wenn sie sich von der Sachkunde des Sachverständigen überzeugt hat - dessen Angaben auch vertrauen darf, ohne genötigt zu sein, sie einer weiteren Überprüfung zu unterziehen. Umstände, welche es dem Beklagten hätte nahelegen können, an der Sachkunde oder Zuverlässigkeit der von ihm beauftragten Sachverständigen zu zweifeln, sind nicht zu erkennen.

32

Wenn die Sachverständigen und ihnen folgend der Beklagte als Vergleichszeitpunkt für die Berechnung der Aktivitätsinventare das Ende eines Abbrandzyklus gewählt haben, so entspricht dies dem Willen des Verordnungsgebers, weil in diesem Zeitpunkt jeweils das Maximum des Spaltproduktinventars erreicht war. Dies ergibt sich aus den von dem Anlagenhersteller KWU gelieferten und von den Sachverständigen gebilligten Berechnungen, deren Ergebnisse in den Tabellen des KWU-Arbeitsberichtes vom 29. September 1987 - ST 152/1987/021a - sowie in den Anlagen zur Aktennotiz des TÜV Norddeutschland vom 7. April 1988 - Ordner 12, Blatt 13 f. - wiedergegeben sind. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß diese Berechnungen und ihre Ergebnisse nach dem Stande von Wissenschaft und Technik (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG) fehlerhaft sein könnten. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Bestimmung des Vergleichszeitpunkts, zum anderen auch in bezug auf das Rechenverfahren selbst.

33

Es überzeugt nicht, wenn der Kläger geltend macht, der TÜV und der Beklagte hätten verkannt, daß der Bestand an langlebigen Spaltprodukten im Laufe der Betriebsdauer des Kernkraftwerks von Brennelementwechsel zu Brennelementwechsel zunehme und daher bei späteren Brennelementwechseln höher liegen müsse als von ihnen angenommen. Die Beigeladene und die in der mündlichen Verhandlung gehörten Sachverständigen des TÜV haben demgegenüber zu Recht darauf hingewiesen, daß im Gleichgewichtszustand der Anlage jeweils im Zeitpunkt eines Brennelementwechsels die größte Radioaktivität auch in bezug auf die langlebigen Spaltprodukte erreicht werde, die nicht überschritten werden könne. Eine darüber hinausgehende Anreicherung langlebiger Spaltprodukte findet nicht statt, weil die Brennelemente mit dem höchsten Abbrand und der höchsten Anreicherung langlebiger Spaltprodukte aus dem Reaktor entfernt werden. Im Ansatz richtig ist die Vermutung des Klägers, daß bei der Bestimmung des Anteils der Aktiniden an der Gesamtaktivität die Ausgangsstoffe Uran-235 und Uran-238 in die Berechnung Eingang gefunden haben. Es trifft jedoch nicht zu, daß diese das Ergebnis entscheidend beeinflußt haben. Wie die TÜV-Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben haben, liegt die Radioaktivität jener Stoffe um Größenordnungen unter der ihrer radioaktiven Folgeprodukte, so daß die mit fortschreitendem Abbrand einhergehende Verringerung des Anteils der Ausgangsstoffe nicht zu Buche schlägt und keineswegs dafür ursächlich ist, daß der Anteil der Aktiniden an der Gesamtaktivität im "Referenzkern" mit 9 × 9-Stabanordnung geringer ist als im Erstkern mit 8 × 8-Stabanordnung. Vielmehr findet diese Tatsache eine plausible Erklärung darin, daß im "Referenzkern" der für die Bildung von Aktiniden maßgebende Anteil an Uran-238 niedriger ist als im Erstkern. Daß dem - trotz der höheren Anreicherung mit Uran-235 und des dementsprechend höheren Abbrandes - kein entsprechend höherer Anteil an Spaltprodukten im engeren Sinne gegenübersteht, erklärt sich wiederum daraus, daß die Spaltprodukt-Gesamtaktivität maßgeblich durch die kurzlebigen Spaltprodukte beeinflußt wird, deren Aktivität während der längeren Dauer der Abbrandzeit in den 9 × 9-Brennelementen stärker nachläßt als in den 8 × 8-Brennelementen mit kürzerer Abbrandzeit.

34

Soweit der Beklagte selbst während des Gerichtsverfahrens Zweifel an der Brauchbarkeit des Rechenverfahrens zur Bestimmung der Reaktoraktivität geäußert hat, sind diese nach den Angaben seines Sitzungsvertreters in der mündlichen Verhandlung durch die Ausführungen der Sachverständigen des TÜV zerstreut worden. Daher bestand auch für den Senat kein Anlaß, diesen Bedenken - soweit sie für ihn überhaupt nachvollziehbar waren - weiter nachzugehen.

35

b) Der Beklagte hat ferner nicht ermessensfehlerhaft gehandelt, indem er von einer fakultativen Öffentlichkeitsbeteiligung bewußt Abstand genommen hat. Ihm ist insbesondere keine Ermessensunterschreitung vorzuwerfen, weil er Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, den bevorstehenden Regierungswechsel in Kiel o.ä. nicht in seine Ermessenserwägungen einbezogen hat. Denn auch eine fakultative Öffentlichkeitsbeteiligung setzt zwingend einen der Tatbestände des § 4 AtVfV, mithin eine wesentliche Änderung der geplanten oder genehmigten Anlage oder ihres Betriebes voraus. Die von dem Kläger postulierte generelle Öffentlichkeitsbeteiligung bei allen atomrechtlichen Genehmigungen findet weder in der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung noch im Atomgesetz eine rechtliche Grundlage und läßt sich auch nicht aus Verfassungsgrundsätzen ableiten.

36

Ist aber eine wesentliche Änderung der Anlage oder ihres Betriebes Voraussetzung für eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung, so können für eine dahingehende Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde auch nur Umstände maßgebend sein, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Änderung stehen. Damit scheiden zum einen Umstände als Abwägungsmaterial aus, die - wie die Ereignisse in Tschernobyl oder der Regierungswechsel in Schleswig-Holstein - mit der Anlage nichts zu tun haben. Zum anderen müssen Umstände außer Betracht bleiben, die - auch wenn sie der Anlage zuzuordnen sind - in keiner Beziehung zu deren Änderung stehen. Daher brauchte der Beklagte eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht schon deswegen in Erwägung zu ziehen, weil die bisherige befristete Betriebsgenehmigung in eine Dauergenehmigung umgewandelt werden sollte. Denn hierbei handelt es sich gerade nicht um eine Änderung, sondern um die Gewährleistung des Fortbestandes der genehmigten Anlage.

37

Soweit danach der Genehmigungsbehörde ein Ermessensspielraum verblieben ist - etwa im Hinblick auf Änderungen des Spaltproduktinventars unterhalb der Grenze des § 4 Abs. 2 Nr. 4 AtVfV -, hat sie von ihrem Ermessen in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht.

38

c) Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob der Berufung des Klägers auf einen Verfahrensmangel schon deswegen der Erfolg zu versagen ist, weil er zur Begründung seiner Klagebefugnis insoweit ergänzend hätte dartun müssen, inwiefern er durch diesen Verfahrensmangel in einem ihm zustehenden materiellen subjektiven Recht verletzt worden ist, während er - wie noch zu zeigen sein wird - materiell-rechtlich lediglich Verstöße gegen nicht drittschützende Normen hinreichend substantiiert behauptet hat (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 13. 7. 1989 - BVerwG 7 CB 80.88 -, RdE 1989, 304 = UPR 1989, 440 = NVwZ 1989, 1168).

39

Desgleichen kann unentschieden bleiben, ob hier bei Bejahung eines Verfahrensfehlers § 46 VwVfG (§ 115 LVwG) eingriffe, wonach wegen eines Verfahrensfehlers nicht die Aufhebung eines Verwaltungsaktes beansprucht werden kann, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dementsprechend erübrigt sich auch eine Stellungnahme des Senats zu der Frage, ob die zitierten Vorschriften voraussetzen, daß eine andere Entscheidung aufgrund einer den Kläger schützenden Norm hätte getroffen werden können (was im Falle des § 7 AtomG zur Folge hätte, daß die bloße Möglichkeit einer Betätigung des Versagensermessens der Behörde die Anwendung des § 46 VwVfG und des § 115 LVwG nicht ausschlösse).

40

2. Soweit der Kläger materiell-rechtliche Mängel der Genehmigung geltend macht, hat er eine Verletzung eigener Rechte nicht dargetan.

41

a) Was die Frage anbelangt, inwieweit Dritte geltend machen können, daß die Entsorgung der bei dem Betrieb eines Kernkraftwerkes anfallenden abgebrannten Brennelemente nicht gewährleistet sei, so hat der Senat bereits mit Beschluß vom 30. Dezember 1982 - 7 OVG A 7 u. 62/80 (DVBl 1983, 187) entschieden, daß die bei der Anlagengenehmigung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG zu beachtende Vorsorge gegen Schäden durch abgebrannte Brennelemente nur solche Risiken betreffe, die wegen des Umgangs mit radioaktivem Material unmittelbar von der betreffenden Kernanlage ausgingen ("anlagenimmanentes Risikopotential"), nicht aber solche, die sich aus dem späteren Umgang mit ihm in anderen Anlagen ergeben könnten ("anlagentranszendentes Risikopotential"). Der Bewältigung des letzteren diene die Vorschrift des § 9 a AtomG, die indessen keinen Drittschutz vermittle. Dem Vorsorgegebot in bezug auf das anlagenimmanente Risikopotential radioaktiver Reststoffe und Abfälle sei Genüge getan, wenn sicher zu erwarten sei, daß diese anlagenextern verbracht werden könnten - durch externe Zwischenlagerung oder Übergabe an eine externe Wiederaufarbeitungsanlage - oder zunächst - sofern in überschaubare Zeit eine anlagenexterne Anschlußentsorgung gewährleistet erscheine - anlagenintern zwischengelagert werden könnten (Kompaktlagerung). Bei dem anlagenexternen Risikopotential gehe es demgegenüber um Umstände, welche die Genehmigungsbehörde im Rahmen des ihr zustehenden, nicht Drittschutz vermittelnden Versagungsermessens berücksichtigen könne, die aber von Dritten gegenüber einer Genehmigung nach § 7 AtomG nicht ins Feld geführt werden könnten. Daran hält der Senat weiterhin fest.

42

Daß gegenwärtig und in naher Zukunft für die Beigeladene die Möglichkeit besteht, die abgebrannten Brennelemente zur Wiederaufarbeitung ins Ausland zu verbringen, wird auch von dem Kläger nicht bestritten. Was danach mit den zurückzunehmenden Abfällen aus der Wiederaufarbeitung (oder eventuell nicht wieder aufgearbeiteten Brennelementen) geschieht, insbesondere ob rechtzeitig ein Endlager - auch für eine etwa erforderliche Direktendlagerung - zur Verfügung steht, ist eine Frage des "anlagenexternen" Risikos und daher in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

43

b) Ob der Beklagte von seinem Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, indem er ohne Rücksicht auf den bevorstehenden Regierungswechsel in Kiel der Beigeladenen eine Dauerbetriebsgenehmigung erteilt und damit seinen Amtsnachfolger daran gehindert hat, am Objekt Krümmel den Ausstieg aus der Kernenergie zu proben, ist gleichfalls eine Frage, die keinen Bezug zu eigenen Rechten des Klägers erkennen läßt. Auch wenn der Beklagte zu Unrecht von einem Anspruch der Beigeladenen auf eine Dauergenehmigung und damit von einer Schrumpfung seines Versagungsermessens ausgegangen sein sollte, gilt, daß die Ermessensbetätigung oder -nichtbetätigung der Genehmigungsbehörde insoweit außerhalb des Bereiches des Drittschutzes stattfindet (vgl. Beschl. d. Sen. v. 28. 10. 1986 - 7 D 8, 10/86 - NVwZ 1987, 75 f.).

44

Als Unterliegender hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da sich die Beigeladene als bei einem Obsiegen des Klägers Hauptbetroffene mit Sachanträgen aktiv am Verfahren beteiligt und damit ein zusätzliches Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) auf sich genommen hat, entspricht es der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), ihre außergerichtlichen Kosten gleichfalls dem Kläger aufzuerlegen.

45

Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

46

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 1 VwGO) sind nicht gegeben.

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Beschluß

48

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,-- DM festgesetzt.

49

Czajka zugleich für die durch ihren Urlaub an der Unterschrift gehinderten Richter Kalz und Groepper

50

Kley

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Heeren