Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 30.04.2012, Az.: L 4 KR 10/12 B ER
Väter- bzw. Mutter-Kind-Maßnahmen; Kein Vorrang ambulant vor stationär; Umkehrung zu Gunsten stationärer Durchführung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2012
- Aktenzeichen
- L 4 KR 10/12 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 32312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0430.L4KR10.12B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 14.12.2011 - AZ: S 16 KR 306/11 ER
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 1 SGB V
- § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V
- § 24 Abs.1 S. 1 SGB V
- § 24 Abs. 1 S. 4 SGB V
Redaktioneller Leitsatz
1. Bei der Vorsorgung mit einer Mutter-(Vater-)-Kind-Kur zur Stabilisierung der Familienstruktur liegt eine ermessensfreie Rechtsanspruchsleistung vor.
2. Eindeutig ausgeschlossen sind nach § 24 Abs. 1 Satz 4 SGB V ambulante Maßnahmen. Das in § 12 SGB V festgelegte Wirtschaftlichkeitsprinzip wird durch § 24 Abs. 1 Satz 4 SGB V als spezielle Regelung (lex specialis) zu der allgemeinen Regelung in § 12 SGB V verdrängt.
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2011 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Kosten der Antragsteller nach § 24 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Mutter-Kind-Maßnahme in der Mutter-Vater-Kind-Klinik, Alter Damm 9 in 26215 Wiefelstede vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I. Die einstweilige Anordnung betrifft Leistungen der Antragsteller nach § 24 SGB V.
Die Antragsteller befanden sich bereits in der Zeit vom 21. Juli bis 11. August 2009 in der Einrichtung in Wiefelstede. Im Kurbericht vom 11. August 2009 unter der Rubrik Vorgeschichte/psychosoziale Belastungen wurde wie folgt ausgeführt:
"Frau H. hat sich vor kurzer Zeit von ihrem Ehemann getrennt. Sie ist Hausfrau und hat zwei Kinder. Es besteht eine Unsicherheit im Umgang mit den Kindern, da sie sehr unter der Trennung der Eltern leiden. Zusätzlich versorgt Frau H. auch noch ihre behinderte Mutter."
Im Kurverlauf und Ergebnis heißt es wie folgt:
"Insgesamt guter Kurverlauf mit Eintritt von Erholung und Besserung der Beschwerden in der Lendenwirbelsäule. Die stützenden Gespräche bei der Psychologin seien hilfreich gewesen. Ruhiger Umgang mit den Kindern, kurzfristig drohende Destabilisierung bei fieberhafter Tonsillitis des Sohnes."
Im April 2011 beantragte die Antragstellerin zu 1) für sich und ihre beiden Kinder erneut eine Maßnahme der stationären medizinischen Prävention/Rehabilitation. Die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin I. verordnete am 4. März 2011 eine stationäre Mutter-Kind-Kur. Als verordnungsrelevante Diagnosen führte sie bei dem am 2. Juli 2008 geborenen Antragsteller zu 3) eine Ein- und Durchschlafstörung, rezidivierende Infekte sowie die psychosoziale Belastung innerhalb der Familie an. Das angestrebte Präventions-/Rehabilitationsziel wurde wie folgt definiert: "Emotionale Stabilisierung der Familie". Unter der Rubrik Risikofaktoren und resultierende Befindlichkeitsstörungen führte sie an: "Alleinerziehende Mutter, fraglicher sexueller Missbrauch der Schwester durch den Vater. Für die Antragstellerin zu 2), die am 1. April 2006 geboren ist, führte die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin I. folgende Diagnosen an:
"Verdacht auf Anpassungsstörungen mit emotionaler Beeinträchtigung nach oppositionellem Verhalten, psychosoziale Belastung innerhalb der Familie, nicht organische Enuresis (nach ICD-10 GM Version 2012): Diese Störung ist charakterisiert durch unwillkürlichen Harnabgang am Tag und in der Nacht, untypisch für das Entwicklungsalter. Sie ist nicht Folge einer mangelnden Blasenkontrolle aufgrund einer neurologischen Krankheit, epileptische Anfälle oder einer strukturellen Anomalie der ableitenden Harnwege. Die Enuresis kann von Geburt an bestehen oder nach einer Periode bereits erworbener Blasenkontrolle aufgetreten sein. Die Enuresis kann von einer schweren emotionalen oder Verhaltensstörung begleitet werden."
Unter der Rubrik angestrebtes Präventions-/Rehabilitationsziel heißt es: "Emotionale Stabilisierung/Fortführung der Psychotherapie". Unter der Rubrik Risikofaktoren und resultierende Befindlichkeitsstörungen wurde ausgeführt: "Verdacht auf sexuellen Missbrauch".
Die Verordnung einer stationären Mutter-Kind-Kur für die Antragstellerin zu 1) hat am 21. März 2011 der Arzt für Innere Medizin Dr. J. ausgestellt. Unter der Rubrik verordnungsrelevanten Diagnosen heißt es wie folgt: "Depression, rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom, Schlafstörung, Kopfschmerzen". Unter der Rubrik Schädigungen/Funktionsstörungen/Strukturschaden sind Rückenschmerzen und eine psychovegetative Erschöpfung angeführt. Unter der Rubrik angestrebtes Präventions-/Rehabilitationsziel heißt es: "Beziehung zu den Kindern stärken und Mobilisation bei Erschöpfung, Leistungssteigerung".
Mit Bescheid vom 8. April 2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die letzte Kurmaßnahme am 11. August 2009 geendet habe. Die Vier-Jahres-Frist sei daher noch nicht abgelaufen.
Auf den Widerspruch der Antragstellerin holte die Antragsgegnerin die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 1. Juni 2011 (erstellt durch Dr. K.) ein. Darin wurden die beantragten Leistungen nicht empfohlen. Eine Mutter-Kind-Kur sei bei manifester Depression nicht zielführend. Darüber hinaus sei eine vorzeitige Maßnahme nicht notwendig. Es seien vielmehr Leistungen des Psychiaters/Psychotherapeuten auch für die Tochter angezeigt, darüber hinaus die Teilnahme an Selbsthilfegruppen und die Umsetzung des bislang bereits Erlernten.
Auf das weitere Schreiben der Antragstellerin vom 21. Juni 2011 holte die Antragsgegnerin die weitere Stellungnahme des MDK vom 7. Juli 2011 (erstellt durch Dr. L.) ein. Dieser führte aus, dass inhaltlich keine neuen Aspekte vorgetragen worden seien. Danach hat die Antragsgegnerin das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 20. Juli 2011, erstellt durch den Diplom-Mediziner M., eingeholt. Darin führte der Gutachter aus, dass die erneute Mutter-Kind-Maßnahme vorzeitig wegen Depressionen, bekanntem rezidivierendem LWS-Syndrom, Schlafstörungen und Kopfschmerzen beantragt werde. Die Antragstellerin zu 1) sei Hausfrau. Sie sei seit der Trennung und mittlerweile Scheidung mit den Kindern alleinerziehend. Diese Problematik habe bereits zur Durchführung der Mutter-Kind-Maßnahme 2009 geführt. Bei der Depression der Antragstellerin zu 1) sei zunächst eine psychiatrische Vorstellung und Behandlung notwendig. Auch bei einem Verdacht auf sexuellem Missbrauch bei der Tochter sei eine kinder- und jugendpsychiatrische Vorstellung und Behandlung notwendig. Eine Mutter-Kind-Kur sei hier nicht ausreichend und zielführend.
Die Antragsgegnerin wies daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 30. August 2011; ohne Zustellnachweis).
Hiergegen haben die Antragsteller am 10. Oktober 2011 Klage erhoben, die beim Sozialgericht (SG) Lüneburg unter dem Aktenzeichen S 16 KR 268/11 anhängig ist. Mit Schreiben vom 24. November 2011, eingegangen beim SG Lüneburg am selben Tag, haben die Antragsteller einen Antrag auf Bewilligung der beantragten Mutter-Kind-Maßnahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, der die Antragstellerin zu 1) behandelnde Arzt Dr. N. habe im Attest vom 25. Oktober 2011 bescheinigt, dass bei Nichtbewilligung der beantragten Kurmaßnahme weiterer gesundheitlicher Schaden drohe, die beantragte Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verbesserung der Situation führe und sie medizinisch dringend indiziert sei, ansonsten die Familienstruktur zu zerbrechen drohe. Aus diesem Grund liege bereits ein Anordnungsanspruch vor. Die Begründung der Antragsgegnerin, dass andere ambulante Maßnahmen in Anspruch zu nehmen seien, sei daher nicht zielführend. Darüber hinaus sei die im Jahre 2009 durchgeführte Maßnahme nicht auf die Drei- bzw. Vier-Jahres-Frist gemäß § 23 Abs. 5 Satz 4 SGB V anzurechnen. Dies ergebe sich zum Einen aus der Systematik des Gesetzes und zum Anderen bereits aus der Tatsache, dass der vermeintliche sexuelle Missbrauch der Antragstellerin zu 2) im Jahre 2009 eine Rolle gespielt habe. Zur Begründung ihres Antrages haben die Antragsteller diverse ärztliche Unterlagen vorgelegt, u.a. das ärztliche Attest des Dr. N. vom 25. Oktober 2011 sowie die Angaben des Therapeuten zum Antrag des Versicherten auf Langzeittherapie für die Antragstellerin zu 2) vom 20. September 2011, ausgestellt von der Praxis für Psychotherapie für Kinder und Jugendliche Karin R. O., nebst Stellungnahme des Gutachters zur beantragten Psychotherapie vom 4. Oktober 2011, erstellt durch Ingeborg P., wonach die Voraussetzung für die Leistungspflicht der Krankenkasse nach den Psychotherapie-Richtlinien für eine analytische Psychotherapie als erfüllt anzusehen sei. Danach werden von den beantragten 45 Einzelbehandlungen 45 befürwortet in der Frequenz von zwei Stunden pro Woche. Weiterhin soll die Einbeziehung der Bezugsperson mit 12 Stunden befürwortet werden. Auf Nachfrage des SG hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass für die Antragstellerin zu 2) seit 2010 bis laufend sozialpädiatrische Leistungen sowie eine Langzeittherapie in Form einer analytischen Psychotherapie, z.Zt. zweimal wöchentlich, darunter auch regelmäßig Stunden mit explizierter Einbeziehung der Antragstellerin zu 1) zur Stabilisierung der Familie erbracht würden.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Durchführung einer vorzeitigen Mutter-Kind-Kur hätten. Es fehle an der medizinischen Notwendigkeit für die Maßnahme. Eine Leistung zur medizinischen Vorsorge gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V könne nur beansprucht werden, wenn sie von einer Vorsorgeindikation gedeckt sei. Voraussetzung hierfür sei 1. ein nach § 23 Abs. 1 SGB V relevantes Gesundheitsrisiko und 2., dass diesem Risiko erfolgversprechend nur mit einer Maßnahme nach § 24 SGB V entgegengewirkt werden könne. Nach dem systematischen Kontext der §§ 23 und 24 SGB V sei der Zweck der Leistungen nach § 24 SGB V die Reduzierung von gesundheitlichen Belastungen, die wesentlich aus der Eltern-Kind-Beziehung herrührten. Ziel der Leistungen nach § 24 SGB V könne nur die Minderung solcher gesundheitlicher Belastungen sein, die in wesentlicher Hinsicht durch gesundheitliche Belastungen aus der Stellung der Versicherten als Mutter eines oder mehrerer Kinder verursacht und/oder aufrechterhalten würden. Zweck dieser Leistungen sei in diesem Sinne mithin, im Rahmen stationärer Vorsorgeleistungen durch ganzheitliche Therapieansätze unter Einbeziehung psychologischer, psychosozialer und gesundheitsfördernder Hilfen den spezifischen Gesundheitsrisiken von Müttern und Vätern entgegenzuwirken. Wenn das Vorsorgeziel mit anderen, auch ambulanten Maßnahmen ebenso erreicht werden könne, so seien die stationären Vorsorgeleistungen nicht notwendig im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V. Damit könne das angestrebte Versorgungsziel der Maßnahme z. Zt. mit anderen, ggf. wirtschaftlicheren und zweckmäßigeren Maßnahmen erreicht werden.
Gegen den am 19. Dezember 2011 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt, die am 6. Januar 2012 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingegangen ist.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2011 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern eine Mutter-Kind-Kurmaßnahme in Wiefelstede zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und das Klageverfahren vor dem SG Lüneburg mit dem Aktenzeichen S 16 KR 268/11 verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II. Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet.
Der Beschluss des SG Lüneburg vom 14. Dezember 2011 ist aufzuheben und die Antragsgegnerin antragsgemäß zu verpflichten, den Antragstellern die beantragte Mutter-Kind-Kur in der MVKK Mutter-Vater-Kind-Klinik für Prävention und Rehabilitation Wiefel-stede zu gewähren (§ 24 SGB V).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008 § 86b Rdnr. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen. Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, d.h. es müssen erhebliche belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden (vgl. Meyer/Ladewig, aaO., Rdnr. 26, 29).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung liegt hier sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor.
Die Antragsteller haben hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung unerlässlich ist, um wesentliche Nachteile für sie zu vermeiden. Denn bei Nichtgewährung der Leistungen durch die Antragsgegnerin könnten die Antragsteller die erforderliche Mutter-Kind-Maßnahme nicht zeitnah antreten. Eine Verschiebung der Maßnahme auf einen Zeitpunkt nach Abschluss des Rechtsstreits in der Hauptsache hätte nach den eingereichten medizinischen Unterlagen für die Antragsteller negative gesundheitliche Folgen. Diese sind ihnen nach Auffassung des Senates angesichts des wahrscheinlichen Erfolges im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar, sodass ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht wird.
Es besteht auch ein Anordnungsanspruch.
In Anbetracht der Antragsunterlagen der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin I. steht im Vordergrund der beantragten Maßnahme die emotionale Stabilisierung der Familie. Dies gelte für beide Kinder, also die Antragsteller zu 2) und zu 3). Diese Indikation für die Kinder wird bestätigt durch den die Antragstellerin zu 1) behandelnden Arzt Dr. N ... Dieser hat den Antrag auf die Maßnahme befürwortet und ausgeführt, dass das angestrebte Präventions-/Rehabilitationsziel die Stärkung der Beziehung zu den Kindern ist. Darüber hinaus ist die Mobilisation bei Erschöpfung notwendig sowie eine Leistungssteigerung. Damit liegen für alle drei Antragsteller die gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. mit § 23 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen vor. Bei der Antragstellerin zu 1) liegen die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vor, wonach bereits die Schwächung der Gesundheit, in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde. Die bei der Antragstellerin zu 1) vorliegende Erschöpfung ist als Indikation i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu verstehen. Gleichzeitig soll die Beziehung zu den Antragstellern zu 2) und 3) gestärkt werden. Bei der Antragstellerin zu 2) kommt als Indikation gemäß § 24 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB V die emotionale Stabilisierung in Betracht, weil eine psychosoziale Belastung innerhalb der Familie besteht. Bei dem Antragsteller zu 3) wird deshalb auch eine emotionale Stabilisierung der Familie angestrebt. Damit liegen bei allen drei Antragstellern die Indikationen vor, die den Anspruch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründen. Sämtliche behandelnden Ärzte befürworten die beantragte Mutter-Kind-Kur folglich aus medizinischen Gründen. Die Vorsorgebedürftigkeit besteht, weil die Behandlung der Gesundheitsprobleme der Antragsteller vor dem Hintergrund der mutterspezifischen Problemkonstellation nach den Angaben der behandelnden Ärzte im häuslichen Bereich ausgeschlossen ist. Dabei sind von den Ärzten diverse Kontextfaktoren wie "Trennung vom Partner" und vor allen Dingen die "Schwierigkeiten bei der Problembewältigung des im Raum stehenden Missbrauchs der Antragstellerin zu 2) durch den Vater" genannt worden. Der Senat folgt daher den schlüssigen Ausführungen der behandelnden Ärzte, dass eine eindeutige Indikation für die beantragte Maßnahme vorliegt.
Im Gegensatz dazu vermochten die Feststellungen des MDK den Senat nicht zu überzeugen. Zum Einen hat sich der MDK nicht ausreichend mit der von den behandelnden Ärzten genannten Indikation auseinandergesetzt. Zum Anderen berücksichtigt der MDK unzureichend den im Gesetz in § 24 Abs. 1 Satz 4 SGB V bei Eltern-Kind Maßnahmen explizit genannten Ausschluss der ansonsten für Rehabilitationen geltenden Grundregel, dass ambulante Leistungen den stationären vorgehen. Weiterhin führt der MDK rechtlich unzutreffend Kontraindikationen an, die der unstreitig bestehenden Indikation entgegengesetzt werden, um den Wegfall des Anspruchs zu begründen. Darüber hinaus berücksichtigt der MDK vermeintliche Kontraindikationen des einen Antragstellers bei den anderen Antragstellern. Hierfür findet sich im Gesetz jedoch keine Grundlage.
Wenn der MDK in der Stellungnahme vom 1. Juni 2011 ausführt, dass eine Mutter-Kind-Kur bei manifester Depression nicht zielführend sei und daher andere Leistungen, wie Selbsthilfegruppen bzw. die Umsetzung des bisher Erlernten neben einer Therapie durch einen Psychiater/Psychotherapeuten für Mutter und Tochter in Betracht kämen, findet sich für diese Ausführungen keine gesetzliche Grundlage. Zwar ist dem MDK zuzugeben, dass bei einer manifesten Depression der Mutter in der Tat eine zunächst ambulant durchzuführende Therapie notwendig ist. Der MDK verkennt jedoch die tatsächlichen Grundlagen der Indikation für die beantragte Maßnahme, nämlich die Stabilisierung der Familie. Der MDK sieht als Indikation für die Maßnahme vielmehr die Depression der Antragstellerin zu 1) und setzt danach zudem einen unzutreffenden Bezug zur eigentlichen Indikation, wenn er ausführt, dass diese Erkrankung ambulant behandelt werden kann. Schließlich führt er aus, dass die Depression eine Kontraindikation für die beantragte Mutter-Kind-Kur sei. Diesen Ausführungen vermag sich der Senat nicht anschließen.
Die in § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegten Tatbestandsmerkmale liegen, wie bereits zuvor ausgeführt, vor. Die Antragsteller sind aus medizinischen Gründen auf die erforderliche Vorsorgeleistung der Mutter-Kind-Kur zur Stabilisierung der Familienstruktur angewiesen. Hierbei handelt es sich nach der Gesetzesbegründung (vgl. Bundestagsdrucksache 16/3100, Teil B, zu Nr. 15 = S. 101) um eine Rechtsanspruchsleistung. Ein Ermessen, wie in der bis zum 31. März 2007 geltenden Fassung des § 24 SGB V, ist nicht mehr vorgesehen. Der Verweis des MDK auf die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten sollte durch die Änderung des Gesetzes zum 1. April 2007 ausdrücklich ausgeschlossen werden. Durch den eindeutigen Ausschluss von ambulanten Maßnahmen in § 24 Abs. 1 Satz 4 SGB V und die insoweit eindeutige Gesetzesbegründung wird auch der in § 12 SGB V festgelegte Grundsatz des Wirtschaftlichkeitsprinzips modifiziert. Ein an sich zulässiger Rückgriff auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip gemäß § 12 SGB V, um jedoch auf einem "Umweg" den Grundsatz des Vorrangs der ambulanten vor den stationären Maßnahmen zu berücksichtigen, hält der Senat indes für rechtswidrig. § 24 Abs. 1 Satz 4 SGB V stellt eine spezielle Regelung (lex specialis) zu der allgemeinen Regelung in § 12 SGB V dar und geht dieser daher zwingend voraus (vgl. nunmehr auch die Umsetzungsempfehlung des GKV Spitzenverbandes, der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des MDS - Stand Februar 2012 Ziffer 4.6 S. 13).
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob - entgegen der Darstellung - der MDK jeder der drei Antragsteller einen eigenen Anspruch hat und diesem Anspruch bzw. der Indikation gerade nicht eine vermeintliche Kontraindikation eines anderen Antragstellers entgegengesetzt werden kann. Die Behauptung der Antragsgegnerin, dass die Notwendigkeit der Weiterführung der Psychotherapie der Antragstellerin zu 2) der Maßnahme nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V für alle drei Antragsteller entgegenstehe, findet weder eine Grundlage im festgestellten Sachverhalt noch im Gesetz. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 11. April 2002, Az.: L 4 KR 68/02 ER, allerdings zu § 41 SGB V, ausgeführt hat, können anspruchsberechtigt neben der Mutter bzw. des Vaters auch die betroffenen Kinder sein. Jedenfalls aber vermögen auch die Ausführungen der Antragsgegnerin, wonach die Durchführung einer Psychotherapie für die Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) hier aus tatsächlichen Gründen zweckmäßiger sei, den Senat nicht zu überzeugen. Die Tatsache, dass die Antragstellerin zu 2) seit 2010 bis laufend sozialpädiatrische Leistungen sowie eine Langzeittherapie in Form einer analytischen Psychotherapie zweimal wöchentlich erhält, vermag die Notwendigkeit der beantragten Maßnahme nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V gerade nicht zu widerlegen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Therapie nicht unterbrochen werden kann oder während der beantragten Maßnahme - sei es Vorort oder durch die bisherige Therapeutin - weitergeführt werden kann. Die Antragsgegnerin behauptet lediglich, ohne dies genau ermittelt zu haben, dass die Therapie der Antragstellerin zu 2) eine Kontraindikation darstelle. Im Gegensatz dazu befürwortet die die Antragstellerin zu 2) behandelnde Kinderärztin die Maßnahme. Der Senat hält die Ausführungen der Kinder- und Jugendärztin Rüdiger zur Antragstellerin zu 2) für überzeugend. Sie setzen sich mit dem fraglichen sexuellen Missbrauch auseinander, so dass der Senat zwingend davon ausgeht, dass eine Kontraindikation, wie von der Antragsgegnerin lediglich behauptet, der Kinderärztin bekannt gewesen wäre. Wenn die Kinder- und Jugendärztin I. sogar unter der Rubrik angestrebtes Präventionsziel die "Fortführung der Psychotherapie" anführt, so kann dies nicht dergestalt verstanden werden, dass die begehrte Maßnahme hierdurch ausgeschlossen sein sollte. Ansonsten würde es keinen Sinn ergeben, dass sie die Mutter-Kind-Maßnahme gleichwohl verordnet hat.
Das von der Antragsgegnerin angeführte Ziel der Stabilisierung der Familie kann gerade nicht allein durch die bereits durchgeführte Psychotherapie der Antragstellerin zu 2) selbst unter Einbeziehung der Antragstellerin zu 1) erreicht werden und deshalb der Maßnahme entgegenstehen. Das ergibt sich schon daraus, dass die Antragstellerin zu 2) bereits seit 2010 bis laufend therapiert wird und gleichwohl eine Destabilisierung der Familie eingetreten ist. Aus diesem Grund haben die verordneten Ärzte eine Maßnahme außerhalb des ambulanten, häuslichen Bereichs verordnet, weil nur auf diese Art und Weise die Stabilisierung der Familie erreicht werden kann. Diesen Aspekt hat weder der MDK noch die Antragsgegnerin hinreichend berücksichtigt.
Der jetzt beantragten Vorsorgeleistung steht auch nicht die im Jahre 2009 durchgeführte Maßnahme entgegen. Zwar verweist § 24 Abs. 2 SGB V darauf, dass § 23 Abs. 5 SGB V entsprechend gilt. In § 23 Abs. 5 Satz 4 SGB V ist geregelt, dass Leistungen nach Abs. 2 (hierbei handelt es sich um ambulante Maßnahmen) nicht vor Ablauf von drei, Leistungen nach Abs. 4 (hierbei handelt es sich um stationäre Maßnahmen) nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich.
Aus den Verordnungen für alle drei Antragsteller und dem Kurbericht der Mutter-Vater-Kind-Klinik in Wiefelstede vom 11. August 2009 ergibt sich, dass zum damaligen Zeitpunkt der Verdacht auf den sexuellen Missbrauch der Antragstellerin zu 2) noch nicht bekannt war. Darüber hinaus findet die Langzeittherapie der Antragstellerin zu 2) erst seit 2010 statt. Daraus wird deutlich, dass die jetzige Vorsorgeleistung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V aus medizinischen Gründen dringend erforderlich ist. Denn der Verdacht auf den sexuellen Missbrauch der Antragstellerin zu 2) durch ihren Vater hat zu einer weiteren emotionalen Destabilisierung innerhalb der Familie geführt, die nach den Angaben der behandelnden Ärzte eine Maßnahme nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V dringend erforderlich machen. Gegenteilige Erkenntnisse hat die Antragsgegnerin weder vorgebracht noch sind sie vom MDK festgestellt. Damit liegen die Voraussetzungen für eine Vorsorgemaßnahme der Antragsteller gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung vor.
Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB V werden Vorsorgeleistungen nach den Sätzen 1 und 2 in Einrichtungen erbracht, mit denen ein Versorgungsvertrag nach § 111a SGB V besteht. Da die Antragsteller bereits eine Maßnahme in der Klinik in Wiefelstede durchgeführt haben, geht der Senat deshalb davon aus, dass ein Versorgungsvertrag mit dieser Einrichtung besteht. Dies wird auch nicht von der Antragsgegnerin bestritten. Mithin besteht bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ein Anordnungsanspruch, so dass der Beschwerde der Antragsteller stattzugeben und die Antragsgegnerin zu verpflichten ist, die entsprechende Maßnahme zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.