Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 18.01.2021, Az.: S 52 AS 1405/19
Bildung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum; Durchschnittseinkommen; selbstständige Tätigkeit; Verhältnis von § 3 Alg II-V zu § 41a Abs 4 SGB II
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 18.01.2021
- Aktenzeichen
- S 52 AS 1405/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70638
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 4 AlgIIV
- § 3 AlgIIV
- § 41a Abs 4 S 2 Nr 2 SGB 2
- § 41a Abs 4 S 3 SGB 2
- § 41a Abs 4 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. "Zu berücksichtigendes Einkommen" im Sinne des § 41a Abs 4 S 2 Nr 2 SGB II ist das in den einzelnen Monaten des Bewilligungszeitraums nach allgemeinen Regeln
(§§ 11 ff SGB II) anzurechnende Einkommen.
2. Für die Ermittlung der Höhe des zu "berücksichtigenden Einkommens" im Sinne von § 41a Abs 4 S 2 Nr 2 SGB II aus selbstständiger Tätigkeit ist mithin § 3 Alg II-V ohne Einschränkungen anzuwenden (entgegen LSG Berlin-Brandenburg vom 11.05.2020 - L 18 AS 732/18 - juris).
3. "Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum im Sinne des § 41a Abs 4 S 3 SGB II meint die nach den Regelungen der §§ 11, 11a i.V.m. Alg II-V im Bewilligungszeitraum grundsätzlich zu berücksichtigenden Einnahmen. Deren Gesamtsumme (je Einkommensart) ist dann entsprechend der vom BSG entwickelten Maßgaben (BSG vom 11.07.2019 - B 14 AS 44/18 R - juris Rn. 21, 41) auf die Monate des Bewilligungszeitraums zu verteilen und anschließend um die Absetzbeträge (§ 11b SGB II) zu bereinigen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der ihm abschließend gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Juli bis Dezember 2018 bzw. die damit verbundene Forderung des Beklagten die gewährten vorläufigen Leistungen teilweise zu erstatten.
Der 1957 geborene Kläger bezieht laufend Arbeitslosengeld II (Alg II) vom Beklagten. Parallel übt er eine selbstständige Tätigkeit als Architekt aus. Der Beklagte bewilligte dem Kläger für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2018 vorläufig Alg II in Höhe von monatlich 893,95 € (Bescheid vom 7. Juni 2018). Neben dem Regelbedarf und einem Mehrbedarf für dezentrale Warmwasserbereitung berücksichtigte er einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Klägers von monatlich 468,38 €. Die Vorläufigkeit der Bewilligung begründete er mit der bestehenden selbstständigen Tätigkeit, wobei er zunächst aus dieser ein Einkommen von lediglich 0,01 € mithin nach Abzug der Freibeträge gar kein Einkommen bedarfsmindernd zugrunde legte.
Entsprechend der Aufforderung des Beklagten machte der Kläger nach Abschluss des Bewilligungszeitraums Angaben zu seinen Betriebseinnahmen und -ausgaben (korrigierte EKS vom 2. April 2019):
-
Juli 2018:
Betriebseinnahmen 0 €;
Betriebsausgaben 369,91 €,
-
August 2018:
Betriebseinnahmen 733,40 €;
Betriebsausgaben 619,84 €,
-
September 2018:
Betriebseinnahmen 0 €;
Betriebsausgaben 252,90 €,
-
Oktober 2018:
Betriebseinnahmen 2.406,90 €;
Betriebsausgaben 1.001,67 €,
-
November 2018:
Betriebseinnahmen 0 €;
Betriebsausgaben 389,28 €,
-
Dezember 2018:
Betriebseinnahmen 0 €;
Betriebsausgaben 309,85 €.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 6. Mai 2019 abschließende Leistungen in Höhe von monatlich 872,10 €. Mithin ergab sich eine Erstattungsforderung von 131,10 € (Erstattungsbescheid vom 6. Mai 2019). Der Beklagte legte einen Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit von monatlich 127,31 € seiner Berechnung zugrunde, weil er nicht alle geltend gemachten Betriebsausgaben anerkannte. Er erkannte die vom Kläger geltend gemachten Telefonkosten nur zur Hälfte an. Verschiedene geltend gemachte Tilgungsaufwendungen für Darlehen berücksichtigte er ebenfalls nicht. Gleiches betraf vom Kläger belegte Aufwendungen für eine private Hausrat- und Haftpflichtversicherung. Insgesamt erkannte er folgende Betriebsausgaben an: Juli 2018: 344,58 €, August 2018: 583,03 €, September 2018: 223,17 €, Oktober 2018: 655,93 €, November 2018: 299,77 €, Dezember 2018: 269,93 € (siehe wegen der Einzelheiten die Anlage zum Bescheid vom 6. Mai 2019).
Den Widerspruch des Klägers vom 13. Juni 2019 wies der Beklagte als zulässig aber unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. August 2019).
Der Kläger hat am 26. September 2019 Klage erhoben. Seine zunächst geltend gemachten Einwendungen gegen die Ablehnung der Anerkennung aller von ihm geltend gemachter Betriebsausgaben durch den Beklagten hat er in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten (vgl. Sitzungsniederschrift vom 18. Januar 2020). Er rügt noch die Einkommensberechnung des Beklagten. Dieser hätte kein Durchschnittseinkommen bilden dürfen. Vielmehr seien die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfüllt und mithin nur die im jeweiligen Monat tatsächlich zugeflossenen (Betriebs-)Einnahmen als Einkommen für diesen Monat zu berücksichtigen. Er bezieht sich insoweit auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11. Mai 2020 (Az. L 18 AS 732/18).
Er beantragt,
den abschließenden Bewilligungsbescheid vom 6. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2019 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum Juli 2018 bis Dezember 2018 endgültige Leistungen in Höhe der bereits vorläufig erbrachten Leistungen zu gewähren und weiter den Erstattungsbescheid vom 6. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2019 aufzuheben und darüber hinaus die Berufung zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seine getroffenen Entscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, sowie die von dem Beklagten als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Streitgegenständlich ist die abschließende Bewilligungsentscheidung des Beklagten vom 6. Mai 2019 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 nebst Erstattungsbescheid vom 6. Mai 2019 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2019. Diese Bescheide bilden eine rechtliche Einheit. Der Kläger wendet sich zulässigerweise gegen diese Entscheidungen mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG) mit dem Ziel der Gewährung höherer endgültiger Alg II-Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen (also in Höhe der vorläufig bewilligten Leistungen) und dementsprechend der Beseitigung der Erstattungsverfügung (vgl. BSG vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 22/16 R - Rn. 10).
2. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide aber nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil diese rechtmäßig sind. Der Beklagte hat dem Kläger zu Recht abschließend monatliches Alg II in Höhe von 872,10 € gewährt (dazu 3.). Die Regelung des § 41a Abs. 4 SGB II führt zu keinem höheren Leistungsanspruch (dazu 4.). Der Kläger hat daher einen Betrag von 131,10 € zu erstatten (dazu 5.).
3. Wenn wie in diesem Fall für den Bewilligungszeitraum (Juli bis Dezember 2018) zunächst eine vorläufige Bewilligung erfolgt ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung (hier monatlich 893,95 €) nicht der abschließend festzustellenden entspricht (§ 41a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB II). Dies ist der Fall. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Alg II im streitgegenständlichen Zeitraum (§ 19 ff. SGB II i.V.m. § 7 ff. SGB II), als vom Beklagten zuerkannt.
a) Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Ein Ausschlusstatbestand liegt nicht vor. Der monatliche Bedarf des Klägers beträgt insgesamt 893,95 € und setzt sich aus dem Regelbedarf für Alleinstehende (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II) in Höhe von 416 €, einem Mehrbedarf für dezentrale Warmwasserbereitung (§ 21 Abs. 7 SGB II) in Höhe von 9,57 € und den Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) von 468,38 € zusammen.
b) Vorbehaltlich der Sonderregelung des § 41a Abs. 4 SGB II zur Bildung eines Durchschnittseinkommens (dazu sogleich unter 4.) ist gegen die Ermittlung eines anrechenbaren monatlichen Einkommens von 21,85 € aus der vom Kläger im Bewilligungszeitraum laufend ausgeübten selbstständigen Tätigkeit durch den Beklagten nichts einzuwenden.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der nach § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Höhe der Einnahmen in Geld bei einer selbstständigen Tätigkeit macht § 3 Arbeitslosengeld II-/Sozialgeldverordnung (Alg II-V) konkrete Vorgaben. Diese Verordnungsregelung auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. SGB II ist ermächtigungskonform (vgl. BSG vom 22. August 2013 - B 14 AS 1/13 R - Rn. 33 ff.). Auszugehen ist von Betriebseinnahmen. Betriebseinnahmen sind alle im Bewilligungszeitraum erzielten Einnahmen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 Alg II-V). Von diesen Betriebseinnahmen sind die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben (Betriebsausgaben) mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beiträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit sie ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende entsprechen (§ 3 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Alg II-V). Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt (§ 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V).
Insoweit begegnet die teilweise Nichtberücksichtigung von vom Kläger geltend gemachten Betriebsausgaben keinen rechtlichen Bedenken. Die Telefonkosten sind nur in hälftiger Höhe anzuerkennen, weil nicht nachgewiesen wurde, dass diese vollständig beruflich bedingt gewesen sind (siehe bereits für einen früheren Bewilligungszeitraum: SG Braunschweig vom 28. November 2017 - S 43 AS 1501/15 -). Auch etwaige Darlehenstilgungen sind nicht berücksichtigungsfähig. Das Gericht hat bereits mehrfach entschieden, dass es sich bei diesen Darlehen um private Darlehen handelt, die nicht im Bezug zur selbstständigen Tätigkeit stehen (ebenfalls für frühere Bewilligungszeiträume: SG Braunschweig, aaO. und vom 18. Juli 2011 - S 44 AS 1299/09 -). Ebenfalls nicht abzugsfähig sind die Ausgaben für die Privathaftpflicht- und Hausratversicherung. Zum einen handelt es sich um Privatversicherungen, die kein spezielles berufliches Risiko absichern, wobei offenbleiben kann, ob diese Versicherungen überhaupt bei Schäden aufgrund beruflicher Tätigkeit einstandspflichtig wären. Jedenfalls sind diese Beiträge aber schon deshalb nicht absetzbar, weil sie im Rahmen der Versicherungspauschale von 30 € monatlich (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V), welche im dem Kläger jeden Monat gewährten Grundfreibetrag von 100 € (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) enthalten ist, bereits abgegolten werden. § 3 Abs. 2 Alg II-V regelt ausdrücklich, dass nach § 11b SGB II zu berücksichtigende Beträge nicht (nochmals) als Betriebsausgaben berücksichtigungsfähig sind. Der Kläger hat an diesen Einwendungen zuletzt auch nicht mehr festgehalten (siehe Niederschrift zur Verhandlung am 18. Januar 2021).
Mithin ergibt sich ein monatlicher Gewinn von 127,32 € (Gesamtbetriebseinnahmen 3.140,30 € abzgl. berücksichtigungsfähige Gesamtbetriebsausgaben 2.376,41 € / 6 Monate). Nach Abzug der Freibeträge (Grundfreibetrag § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II von 100 € zzgl. des Erwerbstätigenfreibetrages § 11 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II von 5,47 €) ergibt sich ein anrechenbares monatliches Einkommen von 21,85 €.
4. Die Regelungen des § 41a Abs. 4 SGB II ändern dieses Ergebnis nicht.
a) Die allgemeinen Vorschriften zur Berechnung des anrechenbaren Einkommens in §§ 11 ff. SGB II (hier i.V.m. § 3 Alg II-V) werden durch § 41a Abs. 4 SGB II ergänzt. Nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II ist bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Dabei ist als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt (§ 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat diese Regelung dahingehend konkretisiert, dass die Bildung des monatlichen Durchschnittseinkommens unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit erfolgt und alle Einkommensarten und Monate des Bewilligungszeitraums erfasst (BSG vom 11. Juli 2019 - B 14 AS 44/18 R - Rn. 21). Vor Ermittlung bzw. Anrechnung des Durchschnittseinkommens ist allerdings festzustellen, ob ein solches überhaupt zu bilden ist. Dies ist nämlich dann nicht der Fall, wenn einer der in § 41 Abs. 4 Satz 2 SGB II geregelten Ausnahmetatbestände einschlägig ist.
Die Voraussetzungen der hier einzig in Betracht kommenden Ausnahme in § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind aber entgegen der klägerischen Auffassung nicht erfüllt (dazu b). Die mithin anwendbaren Regelungen zur Bildung eines Durchschnittseinkommens in § 41a Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB II führen zu keinem geringeren anrechenbaren Einkommen, als sich bei der Anwendung der allgemeinen Regeln (§ 3 Alg II-V; siehe oben bei 3b) ergibt (dazu c).
b) § 41a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II lautet: „Satz 1 gilt nicht, soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraums durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfällt.“
aa) „Zu berücksichtigendes Einkommen“ im Sinne der Norm ist das in den einzelnen Monaten nach allgemeinen Regeln (§§ 11 ff. SGB II) anzurechnende Einkommen (ebenso SG Berlin vom 12. August 2020 - S 142 AS 445/19 - juris Rn. 22; Klerks in LPK-SGB II, 7. Aufl. 2021, § 41a Rn. 69; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 41a Rn. 61; Kemper in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 41a Rn. 56; in diesem Sinne wohl auch BSG, aaO., Rn. 32). Dies bestätigt die im Hinblick auf die gewählte doppelte Verneinung allerdings sprachlich verunglückte Gesetzesbegründung, wonach „nach Nummer 2 kein Durchschnittseinkommen zu bilden ist, wenn die Bedarfsgemeinschaft unter Zugrundelegung eines Durchschnittseinkommens in keinem, aber bei monatlich exakter Abrechnung zumindest in einem Monat nicht hilfebedürftig ist (BT-Drs. 18/8041, S. 52). Was den Gesetzgeber zu dieser Regelung bewogen hat, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. Durch die gefundene Auslegung wird allerdings eine anspruchsmindernde Übertragung von Einkommensüberhängen auf die übrigen Monate vermieden (Grote-Seifert, aaO.), was ein durchaus legitimer Zweck der Regelung ist. Ob dies dem allgemeinen Ziel der gesetzlichen Regelung des § 41a SGB II, namentlich der Verwaltungsvereinfachung (BT-Drs., aaO.), wirklich dient, hat der Gesetzgeber zu beurteilen.
bb) Für die Ermittlung der Höhe des zu „berücksichtigenden Einkommens“ im Sinne von § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II aus selbstständiger Tätigkeit ist mithin § 3 Alg II-V ohne Einschränkungen anzuwenden (SG Berlin, aaO., Rn. 28; aA. LSG Berlin-Brandenburg vom 11. Mai 2020 - L 18 AS 732/18 - juris Rn. 22 f.). Ob hiervon im Hinblick auf § 3 Abs. 4 Satz 2 Alg II-V eine Ausnahme zu machen ist, wenn die selbstständige Tätigkeit nur in einem Teil des Bewilligungszeitraums ausgeübt wird (vgl. SG Berlin, aaO. Rn. 25; Klerks, aaO. Rn. 63), kann offenbleiben, weil die Tätigkeit hier durchgehend ausgeübt wurde.
cc) Soweit das LSG Berlin-Brandenburg (aaO.) in seiner auch vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung für die Ermittlung des zu „berücksichtigenden Einkommens“ im Sinne des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II den § 3 Abs. 4 Alg II-V generell nicht anwenden will, vermag die Kammer keine zwingenden Argumente für diese Auffassung zu erkennen. Das LSG Berlin-Brandenburg begründet seine Auffassung zentral mit dem Argument, dass dem Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II die bereits geltende Regelung der Alg II-V zur Verteilung der Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit (§ 3 Abs. 4 Alg II-V) bekannt gewesen sei, diese indes als Verordnungsrecht von § 41a SGB II als lex specialis verdrängt werde, was sich auch aus der Gesetzesbegründung ergebe (LSG Berlin-Brandenburg, aaO. Rn. 23). Soweit sich auf die Gesetzesbegründung bezogen wird, erschließt sich der Kammer bereits nicht, welche konkrete Stelle in Bezug genommen wird. An der entsprechenden Stelle in der Gesetzesbegründung zur Ausnahmeregelung (BT-Drs, aaO.) findet sich lediglich der unter 4.b.aa) zitierte Satz. Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bzw. § 3 Alg II-V wird an keiner Stelle im Abschnitt zu § 41a Abs. 4 SGB II angesprochen.
dd) Darüber hinaus besteht gar keine letztlich von dieser Auffassung vorausgesetzte Anwendungskonkurrenz zwischen § 3 Alg II-V, insbesondere dessen Abs. 4, und § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II. § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfordert die Prüfung, ob nach den allgemeinen Regeln durch anzurechnendes Einkommen die Hilfebedürftigkeit in einem Monat des Bewilligungszeitraums wegfällt. Mit anderen Worten: Es ist zu überprüfen, ob in einem Monat des Bewilligungszeitraums ein Restanspruch verbleibt, wenn man die Regelungen in § 41a Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB II nicht anwendet. Insoweit besteht keine Anwendungskonkurrenz zwischen § 41a Abs. 4 SGB II und § 3 Alg II-V, die aufzulösen wäre. Es mag sein, dass dies den unter 4.b.aa) genannten Zweck der Ausnahmeregelung konterkariert. Dies ist aber letztlich die Folge der im Vergleich zu einem abhängig Beschäftigten unabhängig von der Frage, ob der Anwendungsbereich des § 41a Abs. 4 SGB II überhaupt eröffnet ist, grundsätzlich unregelmäßigen und schwankenden Einnahmesituation, die bei Betrachtung bloß eines Monats des Bewilligungszeitraums kaum zu einer hinreichend realistischen Abbildung der Einnahmesituation des Selbstständigen führt. Diese Grundüberlegung hat gerade zu Regelung des § 3 Abs. 4 Alg II-V geführt (hierzu und auch zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit einer solchen Regelung: BSG vom 22. August 2013, aaO., Rn. 33 ff.). Mit der Einfügung des § 41a Abs. 4 SGB II zum 1. August 2016 hat der Gesetzgeber sogar die Anordnung der Bildung eines Durchschnittseinkommens auf sämtliche Einkommensarten erweitert. Es ist nicht einsichtig, wieso gerade im „Musterfall“ des schwankenden Einkommens dies plötzlich nicht mehr gelten soll, obgleich der eigentliche Zweck der Durchschnittsbetrachtung bei Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit weiterhin aktuell ist und weder Gesetz- noch Verordnungsgeber Hinweise dafür gegeben haben, dass dies nunmehr anders sein könnte.
ee) Gegenteiliges folgt schließlich nicht aus dem allgemeinen Verhältnis von § 41a Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB II zu den Regelungen der §§ 11 ff. SGB II(aA. LSG Berlin-Brandenburg, aaO. Rn. 24).
Nach welchen Maßgaben das „Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum“ (§ 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II) ermittelt werden muss, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nämlich gar nicht abschließend geklärt. Das BSG selbst hat insoweit lediglich festgestellt, dass ein monatliches Durchschnittseinkommen durch „Addition der Einnahmen je Einkommensart“ zu bilden sei und anschließend die Freibeträge nach § 11b SGB II abzusetzen seien (BSG vom 11. Juli 2019, aaO., Rn. 41). Welche generellen Regelungen zur Ermittlung der Höhe der „Einnahmen“ heranzuziehen sind, wird nicht näher konkretisiert, wofür der der Entscheidung des BSG zugrundeliegende Sachverhalt auch keinen Anlass bot, weil dort von den Leistungsberechtigten nur Einkommen aus abhängiger Beschäftigung von jeweils unter 100 € monatlich und Kindergeld bezogen wurde.
Soweit das BSG ausgeführt hat, dass § 41a Abs. 4 SGB II zu den §§ 11 ff. SGB II eine „spezialgesetzliche Ausnahme“ regelt (BSG vom 11. Juli 2019, aaO., Rn. 29 ff.), teilt die Kammer die Interpretation des LSG Berlin-Brandenburg nicht, wonach damit ein genereller Anwendungsvorrang des § 41a Abs. 4 SGB II zu den §§ 11 ff. SGB II beschrieben werde (LSG Berlin-Brandenburg, aaO., Rn. 24). Die Ausführungen des BSG dienen lediglich der Begründung des zuvor aufgestellten abstrakten Rechtssatzes, dass alle Arten von Einkommen und alle Monate des Bewilligungszeitraums in die Durchschnittsbildung einzubeziehen sind. In diesem Umstand liege eine zulässige Abweichung vom Monatsprinzip innerhalb des Bewilligungszeitraums (BSG vom 11. Juli 2019, aaO., Rn. 30). Davon zu trennen ist aber die Frage, welches Einkommen im Bewilligungszeitraum überhaupt zu berücksichtigen ist. Der 4. Senat des BSG hat in einem späteren Urteil dementsprechend daraufhin gewiesen, dass sich die Entscheidung vom 11. Juli 2019 nicht zum Verhältnis einer Einkommensberücksichtigung im Verteilzeitraum zur Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II verhalte (BSG vom 23. Juni 2020 - B 4 AS 9/20 R - Rn. 36 a.E.).
ff) Wie bereits unter 3b) ausgeführt, führt die Anwendung des § 3 Alg II-V im Falle des Klägers aber nicht zu einem Wegfall der Hilfebedürftigkeit in zumindest einem Monat des Bewilligungszeitraums, weil lediglich ein monatlich anrechenbares Einkommen von 21,85 € verbleibt.
c) Mangels Vorliegens der Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist daher nach Maßgabe von § 41a Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB II ein Durchschnittseinkommen zu bilden.
aa) Anknüpfend an die unter 4.b.ee) getätigten Ausführungen meint „Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum“ im Sinne des § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II die nach den Regelungen der §§ 11, 11a i.V.m. Alg II-V im Bewilligungszeitraum im Bewilligungszeitraum grundsätzlich zu berücksichtigenden Einnahmen. Deren Gesamtsumme (je Einkommensart) ist dann entsprechend der vom BSG entwickelten Maßgaben (BSG vom 11. Juli 2019, aaO. Rn. 21, 41) auf die Monate des Bewilligungszeitraums zu verteilen und anschließend um die Absetzbeträge (§ 11b SGB II) zu bereinigen.
Der Wortlaut von § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II macht nämlich keine konkreten Vorgaben für die Ermittlung des im Bewilligungszeitraum zu berücksichtigenden (Gesamt-)Einkommens, sondern regelt nur, wie aus diesem das Durchschnittseinkommen zu ermitteln ist. Er setzt den Inhalt des Einkommensbegriffes und mithin die Anforderungen für die Qualifizierung einer Einnahme als Einkommen in einer bestimmten Höhe voraus. Dies ist konsequent, weil §§, 11, 11a SGB II i.V.m. Alg II-V bereits regeln, was Einkommen im Sinne des SGB II ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Regelung des § 41a Abs. 4 SGB II lediglich das Ziel der Verwaltungsvereinfachung im Hinblick auf die nach der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Rechtslage bestehende Notwendigkeit bei der endgültigen Entscheidung wegen des Monatsprinzips differenzierte Leistungsberechnungen für einzelne Monate vorzunehmen (so BT-Drs., aaO.). Die Gesetzesbegründung liefert keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Gesetzgeber durch § 41a SGB II die §§ 11, 11a i.V.m. Alg II-V faktisch suspendieren wollte. Im Gegenteil hat dieser § 41a SGB II im Kern als verfahrensrechtliche Vorschrift ausgestaltet (vgl. BT-Drs., aaO., S. 50) und sie im 1. Abschnitt des 4. Kapitels des SGB II, der mit „Zuständigkeit und Verfahren“ überschrieben ist, und nicht im materiellen Teil des Gesetzes (§§ 11 ff. SGB II) platziert.
bb) Im vorliegenden Fall der Berechnung des anrechenbaren Einkommens aus einer selbstständigen Tätigkeit ergibt sich keine im Ergebnis auswirkende Abweichung im Vergleich zu ausschließlichen Anwendung des § 3 Alg II-V (siehe oben bei 3b). Für die Berechnung der Höhe des Gesamteinkommens aus selbstständiger Tätigkeit im Bewilligungszeitraum gelten die § 3 Abs. 1 bis 4 und 7 Alg II-V. Die Verteilungsregelung des § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II entspricht der hier ansonsten anwendbaren Regel des § 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V.
Es verbleibt ein Gewinn von monatlich 127,32 € und nach Abzug der Freibeträge ein anrechenbarer Betrag von 21,85 € (siehe oben 3b).
5. Der Kläger hat mithin 131,10 € zu erstatten (§ 41a Abs. 6 SGB II), da er in jedem Monat des Bewilligungszeitraums jeweils um 21,85 € überzahlt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die wegen Nichterreichen des Beschwerdewertes nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht kraft Gesetzes zulässige Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).