Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 14.10.2021, Az.: 26 KR 213/20

Beitragspflicht eines Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Auszahlung einer Direktversicherung als einmalige Kapitalleistung i.R. betrieblicher Altersvorsorge

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
14.10.2021
Aktenzeichen
26 KR 213/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 73230
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2021:1014.26KR213.20.00

In dem Rechtsstreit
A.
1. - Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
B. Rechtsanwälte und Notare,
C.
gegen
D.
2. - Beklagte -
hat die 26. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig ohne mündliche Verhandlung am 14. Oktober 2021 durch E. sowie die ehrenamtlichen Richterinnen F. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) gegen die Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Auszahlung einer Direktversicherung als einmalige Kapitalleistung im Rahmen betrieblicher Altersvorsorge.

Im seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 17. April 2019 führte der Kläger insofern aus, dass die Gesetzesänderung zur Zahlung von Krankenkassenbeiträgen auf Betriebsrenten zum 1. Januar 2004 unter Verweis auf finanzielle Schwierigkeiten der Krankenkassen erfolgt sei. Nach der Auszahlung seiner Direktversicherung, die gar keine betriebliche Altersvorsorge sei, im Jahr 2014 sei die Summe auf 10 Jahre aufgeteilt worden und er müsse hierauf zurzeit 19,85 % Krankenkassenbeiträge zahlen. Würde es sich um eine echte Betriebsrente handeln, würde die Gesamtsumme auf 20 Jahre aufgeteilt und er müsste keine Krankenkassenbeiträge zahlen, da er dann unter der Freibetragsgrenze bliebe. Da die Gründe für die Gesetzesänderung weggefallen seien - die Krankenkassen würden geradezu im Geld schwimmen - und er außerdem kein Betriebsrentner sei, fordere er die Rückerstattung der bereits gezahlten Beiträge.

Die Beklagte zog daraufhin die entsprechenden Versicherungsangaben der G. bei. Laut Mitteilung der G. vom 23. Januar 2015 wurde der Versicherungsvertrag vom 1. November 1987 bis zum 1. August 1993 und vom 1. November 1995 bis zum 1. November 2014 als Direktversicherung geführt. Versicherungsnehmer war in diesen Zeiträumen der jeweilige Arbeitgeber. Auf die Beitragszahlung in dieser Zeit entfielen 28.550,28 Euro der Versicherungsleistung, welche insgesamt 31.108,00 Euro betrug. In der Zeit vom 1. August 1993 bis zum 1. November 1995 wurde der Vertrag als Privatvertrag mit dem Kläger als Versicherungsnehmer geführt. Auf die vom Kläger in dieser Zeit gezahlten Beiträge entfielen 2.557,72 Euro der Versicherungsleistung.

Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. August 2019 unter Hinweis auf die Regelungen des § 229 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (SGB V) ab. Die Beitragspflicht für Versorgungsbezüge sei auch verfassungsgemäß. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juli 2020 zurückwies.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger insbesondere einen Verfassungsverstoß wegen Verletzung des Gleichheitssatzes geltend macht. Versicherte, die sich die Altersvorsorge monatlich auszahlen ließen, stünden besser da, als diejenigen, denen die Kapitalleistung in einem Betrag ausgezahlt worden sei. Insofern sei die Verteilung der Versicherungssumme auf 10 Jahre im Rahmen der Beitragsbemessung willkürlich. Hier müsse eine Verteilung auf 20 Jahre erfolgen, um die statistische Lebenserwartung abzubilden.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2020 zu verpflichten, die Beitragsbescheide für den Zeitraum November 2014 bis Oktober 2024 im Hinblick auf die Auszahlung der Kapitalleistung der betrieblichen Altersversorgung durch die G. aufzuheben und die entsprechenden Beitragszahlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung weiterhin für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Außer der Gerichtsakte hat die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen und war Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zuvor ihr Einverständnis damit erklärt hatten.

2. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 5. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann im Wege des Überprüfungsverfahrens nicht die Aufhebung der Beitragserhebung auf die einmalige Kapitalleistung aus der Direktversicherung und in der Folge auch nicht die Rückzahlung der insofern bereits geleisteten Beiträge zur Krankenversicherung verlangen.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die streitgegenständliche Beitragserhebung ist nicht zu beanstanden.

Insofern wird der Beitragsbemessung gemäß § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) als beitragspflichtige Einnahme zugrunde gelegt. Gemäß § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (hier in der Fassung vom 14. November 2003) gelten Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt gemäß § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V im Rahmen der Beitragsbemessung ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.

Diese Vorgaben hat die Beklagte im Rahmen der Beitragserhebung auf die ausgezahlte Kapitalleistung, bei der es sich um eine beitragspflichtige Einnahme in Form eines einmaligen Versorgungsbezugs handelt, beachtet. Insofern teilt die Kammer die vom Kläger vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung ausdrücklich nicht. Die Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V begegnet schon nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Für den Bereich der Direktversicherungen hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in diesem Zusammenhang bereits vor längerer Zeit entschieden, dass die Heranziehung von Versorgungsbezügen in der Form der nicht wiederkehrenden Leistung - wie die Kapitalzahlung aus einer betrieblichen Direktversicherung - zur Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.d.F. vom 14. November 2003 mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfG vom 7. April 2008, 1 BvR 1924/07). Die Einbeziehung der nicht wiederkehrenden Versorgungsleistungen in die Beitragspflicht ist nach dieser Entscheidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Sie bildet ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen berechtigt, die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen. Den betroffenen Personen sind die damit verbundenen Folgen auch zumutbar. Zwar stellt die auf zehn Jahre begrenzte Beitragspflicht eine erhebliche Belastung der Betroffenen dar. Sie hat jedoch keine grundlegende Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse im Sinne einer erdrosselnden Wirkung zur Folge.

Die Grenzen zulässiger Typisierung werden nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erst dann überschritten, soweit auch Kapitalleistungen, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat, der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterworfen werden. Denn mit der Vertragsübernahme durch den Arbeitnehmer ist der Kapitallebensversicherungsvertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und unterscheidet sich hinsichtlich der dann noch erfolgenden Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebensversicherungen, die nicht der Beitragspflicht unterliegen. Werden solche Lebensversicherungsverträge allein deshalb der Beitragspflicht Pflichtversicherter unterworfen, weil sie ursprünglich vom Arbeitgeber des Bezugsberechtigten abgeschlossen wurden und damit dem Regelwerk des Betriebsrentenrechts unterlagen, widerspricht dies der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung, die private Altersvorsorge beitragsfrei zu stellen. Auf die Einzahlungen des Bezugsberechtigten auf einen von ihm als Versicherungsnehmer fortgeführten Kapitallebensversicherungsvertrag finden hinsichtlich der von ihm nach Vertragsübernahme eingezahlten Beiträge keine Bestimmungen des Betriebsrentenrechts mehr Anwendung. Es begegnet auch keinen praktischen Schwierigkeiten, bei der Auszahlung einer Lebensversicherung den auf privater Vorsorge beruhenden Anteil des Zahlbetrags getrennt auszuweisen (BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010, 1 BvR 1660/08).

Vorliegend beschränkt sich die Beitragserhebung gerade auf den Teil der Versicherungsleistung, der auf den Einzahlungen der jeweiligen Arbeitgeber des Klägers beruht. Die H. hatte der Beklagten insofern im Oktober 2014 die Auszahlung von 28.550,28 Euro mitgeteilt. Die daran anknüpfende Beitragserhebung ist ausweislich der vom BVerfG aufgestellten Maßstäbe mit dem Grundgesetz ebenso vereinbar wie die mit der Dauer der Beitragserhebung von 10 Jahren verbundenen Belastungen.

Nichts Anderes folgt aus dem Umstand, dass Bezieher monatlich ausgezahlter Versorgungsleistungen aufgrund der geringeren Höhe der monatlichen Zahlbeträge eher die maßgeblichen Freibetragsgrenzen unterschreiten und dann keiner Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen. Dies rechtfertigt entgegen der Auffassung des Klägers aber schon deshalb nicht die Annahme eines Gleichheitsverstoßes, weil in den Fällen des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V die angesparte Versorgungsleistung bereits vollständig ausgezahlt ist und den Versicherten entsprechend tatsächlich in voller Höhe zur Verfügung steht. Hierbei handelt sich um einen gänzlich anderen Sachverhalt als bei der monatlichen Auszahlung einer Versorgungsleistung, bei der von vornherein nur der jeweils ausgezahlte Monatsbetrag in die Beitragsberechnung einbezogen werden kann. Die Frage einer Ungleichbehandlung kann sich daher in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht stellen, weil der Gleichheitssatz nur verbietet, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Abgesehen davon profitieren auch die Bezieher einer einmaligen Versorgungsleistung von einer Anhebung der Freibetragsgrenzen. Ihrem Interesse an einer verhältnismäßigen Beitragsbelastung wird nach Auffassung der Kammer außerdem mit der Begrenzung der Beitragszahlung auf maximal 10 Jahre ausreichend Rechnung getragen. Diese zeitliche Begrenzung bildet zugleich eine sachgerechte Grundlage für die Bestimmung der (fiktiven) monatlichen Einnahme - nämlich ein Einhundertzwanzigstel der einmaligen Versorgungsleistung. Von einer willkürlichen Verteilung der einmaligen Kapitalleistung auf 10 Jahre kann mithin keine Rede sein. Einer Vorlage beim BverfG bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.

Nach alldem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.