Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 15.07.2021, Az.: S 44 AS 1145/19
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 15.07.2021
- Aktenzeichen
- S 44 AS 1145/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 73512
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2021:0715.S44AS1145.19.00
In dem Rechtsstreit
B.
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt C.
gegen
Jobcenter D.
- Beklagter -
hat die 44. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2021 durch den Richter E. sowie die ehrenamtliche Richterin F. und den ehrenamtlichen Richter G. für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger macht im Rahmen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) die Bescheidung von Leistungsanträgen ab 2013 geltend.
Der H. geborene Kläger bezog darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.08.2012. Er wohnte in der I.. Diese Leistungen bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2012 (Bl. 162 der Verwaltungsakte 2011-2015 (VA)).
Mit formlosen Schreiben vom 30.10.2012 beantragte der Kläger die Verlängerung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Bl. 172 VA). Mit Schreiben vom 05.11.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung und unter anderem (u.a.) Formantragstellung mit beiliegendem Antrag auf (Bl. 173 VA).
Am 07.06.2013 erschien der Kläger zwei Mal persönlich beim Beklagten (Bl. 175, 173 VA). Zudem wurde dazu eine vom Kläger und vom Beklagten unterschriebene Niederschrift verfasst (Bl. 176 f. VA). Mit Schreiben vom 13.06.2013 (Bl. 174 VA) wurde der Kläger über die Notwendigkeit einer neuen Antragstellung informiert.
Nach einem internen Vermerk (Bl. 178 VA) übersandte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 25.06.2013 (Bl. 179 VA) u.a. Weiterbewilligungsanträge für die Zeiträume November 2012 bis April 2013 und Mai 2013 bis Oktober 2013.
Mit Schreiben vom 06.08.2013 (Bl. 196 VA) forderte der Beklagte den Kläger erneut zur Mitwirkung auf und teilte mit, dass die vier Tage zuvor eingereichte Abrechnung von J. erst mit Vorlage der angeforderten Unterlagen und Anträge bearbeitet werden könne.
Mit weiterem Schreiben vom 09.09.2013 erinnerte der Beklagte an die Aufforderung zur Mitwirkung (Bl. 197 VA).
Am 02.08.2013 übergab der Kläger über den Hausbriefkasten eine korrigierte Stromrechnung von J..
Mit Bescheid vom 30.09.2013 (Bl. 203 VA) versagte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.11.2012 ganz.
Mit Schreiben vom 28.09.2013 (Bl. 205 VA), das am 01.10.2013 beim Beklagten einging, teilte der Kläger mit, dass er vor einiger Zeit Unterlagen zur Zahlung der Krankenkassenbeiträge und zur Weiterzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes erhalten solle, bislang aber bei ihm nichts eingetroffen sei; es käme manchmal vor, dass die Post ihn nicht erreiche.
Am 10.01.2014 ging über den Hausbriefkasten ein Schreiben des Klägers vom 30.12.2013 ein (Bl. 206 VA), indem er u.a. eine Adresse zu einer neu angemieteten Wohnung "K." mitteilte und ausführte, dass er seit Monaten keine Schreiben erhalten habe sowie auf sein vorheriges Schreiben verwies. Dies legte der Beklagte als Antrag aus und forderte daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 15.01.2014 wiederum zur Mitwirkung auf (Bl. 207 VA). Mit Schreiben vom 29.01.2014 beantragte der Kläger Fristverlängerung bis Mitte Februar (Bl. 208 VA). Sodann forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 06.02.2014 zur Mitwirkung auf (Bl. 209 VA). Der am 24.02.2014 eingegangenen schriftlichen Bitte zur Fristverlängerung des Klägers entsprach der Beklagte mit Schreiben vom 25.02.2014 (Bl. 211 VA). Mit Schreiben vom 05.03.2017 forderte der Beklagten den Kläger wiederum zur Mitwirkung auf (Bl. 227 VA). Auf das Fristverlängerungsfax des Klägers vom 19.03.2014 (Bl. 212 VA) sprach der Beklagte mit Schreiben vom 20.03.2014 eine letzte Fristverlängerung bis zum 06.04.2014 (Bl. 213 VA).
Daneben verlangte der Beklagte die persönliche Vorsprache des Klägers zur Antragstellung mit Schreiben (Bl. 219 bis 226 VA) vom 22.01.2014, 31.01.2014, 11.02.2014 und 19.02.2014.
Mit Schreiben vom 08.04.2014 (Bl. 214 VA) übersandte der Beklagte dem Kläger seinen USB-Stick zurück, den dieser am 07.04.2014 mit Anschreiben in den Hausbriefkasten geworfen hatte (Bl. 215 VA). Der Beklagte verwies darauf, dass dieser nicht geöffnet werden dürfe, erinnerte daran, dass die mit Schreiben vom 15.01.2014, 06.02.2014, 20.03.2014 angeforderten Unterlagen weiterhin vorgelegt werden müssen und sprach eine letzte Fristverlängerung bis zum 25.04.2014 aus.
Mit Bescheid vom 29.04.2014 (Bl. 233 VA) versagte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.01.2014 ganz.
Mit Email vom 13.06.2014 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er habe noch keine Leistungen überwiesen bekommen. Mit Email vom gleichen Tage antwortete der Beklagte, dass er den Neuantrag des Klägers mit Bescheid vom 29.04.2014 versagt habe und er keine Leistungen beziehen würde (Bl. 257 f. VA).
Mit weiterer Email vom 25.07.2014 teilte der Kläger dann mit, dass alle Unterlagen mehrfach beim Beklagten vorliegen würden und er keine Bescheide erhalten habe. Er bat nochmals darum, die Zahlungen anzuordnen. Er habe sich, um überleben zu können, Geld von seinen Eltern geliehen, dass er zurückzahlen müsse.
Dies legte der Beklagte als Antrag aus und mit Schreiben vom 30.07.2014 (Bl. 259 VA) verlangte er erneut die persönliche Vorsprache. Er legte dar, dass der Kläger am 25.07.2014 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung zum Lebensunterhalt ohne ein vorheriges Gespräch beim Beklagten abgegeben habe.
Mit Bescheid vom 12.08.2014 (Bl. 261 VA) versagte der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.07.2014 ganz.
Das Fax des Klägers vom 31.12.2014, indem der Kläger sein Schreiben vom 18.03.2014 erneut dem Beklagten übersandte, legte der Beklagte als Antrag aus. Mit Bescheid vom 20.01.2015 versagte er die Leistungen ab dem 01.12.2014 ganz.
Mit Fax vom 22.06.2017 beantragte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten erneut Leistungen nach dem SGB II (Bl. 3 der laufenden Verwaltungsakte (VA)).
Mit Bescheid vom 22.08.2017 (Bl. 59 VA) bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 01.06.2017 bis zum 30.11.2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 409,00 Euro. Seitdem erhält der Kläger durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Am 22.07.2019 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger ist der Meinung, dass er seit 2013 Leistungen beim Beklagten beantragt habe und über diese noch nicht abschließend entschieden worden sei. Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass er alle angeforderten Unterlagen dem Beklagten durch Einwurf in den Hausbriefkasten übergeben habe. Zudem sei ihm mehrfach mündlich zugesichert worden, dass er im Anschluss an den darlehensweisen Leistungsbezug keinen weiteren Antrag zu stellen habe. Des Weiteren würden auch reihenweise Unterlagen verschwinden, die für den Beklagten unangenehm oder von Nachteil sein könnten. Unterlagen und Bescheide, die aber vom Beklagten erstellt und für diesen von Vorteil seien, sofern er nicht darauf antworte, habe er gar nicht erhalten. Er habe zwar wiederholt Probleme, Post zu erhalten, aber dies erscheine ihm doch sehr ungewöhnlich. Im Übrigen habe er wiederholt und mehrfach auf die ausstehenden Leistungszahlungen hingewiesen.
Der Kläger beantragt,
das Jobcenter L. zu verpflichten, über die Leistungsanträge des Klägers ab 2013 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass keine Anträge unbeschieden seien; die vier tatsächlich gestellten Leistungsanträge seien mit Versagungsbescheiden beschieden worden. Der Kläger habe trotz mehrfacher Erinnerungen zu keinem Zeitpunkt die für eine sachgerechte Entscheidung notwendigen Unterlagen vorgelegt oder Vortrag geleistet.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Leistungen nach dem SGB II werden nur auf Antrag erbracht, § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine Untätigkeitsklage sechs Monate nach Antragstellung zulässig, wenn der Antrag bis dahin ohne wichtigen Grund nicht beschieden wurde.
Eine Untätigkeit des Beklagten liegt hier nicht vor. Der Kläger hat vier Leistungsanträge gestellt. Diese hat der Beklagte jeweils nach § 66 Abs. 1 SGB I beschieden. Diese Bescheide sind dem Kläger auch zugegangen.
1.
Der darlegungspflichtige und insoweit beweisbelastete Kläger hat bereits nicht dargelegt, weitere Leistungsanträge gestellt zu haben. Aus Sicht der Kammer sind auch keine ersichtlich. Der Kläger hat in seinem gesamten Vortrag konkret lediglich auf ein Schreiben vom 18.03.2014 und auf einen kopierten Hauptantrag vom 31.01.2014 verwiesen. Ansonsten blieb sein Vortrag gänzlich unbestimmt und wurde mit der Behauptung geführt, sämtliche angeforderten Unterlagen seien dem Beklagten vorgelegt oder übersandt worden. Auch aus der Verwaltungsakte ergeben sich keinerlei Hinweise auf weitere Anträge.
Das im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben des Klägers vom 18.03.2014 ist einer Korrespondenz der Beteiligten zu einem Antrag des Klägers vom 10.01.2014 zugehörig. Auf den formlos gestellten Antrag des Klägers hatte der Beklagte diesen zur Mitwirkung aufgefordert und Unterlagen angefordert. Nach mehrmaliger Fristverlängerung und Anhörung und ohne Eingang der zu Recht angeforderten Unterlagen erging dann am 29.04.2014 ein Versagungsbescheid des Beklagten für den Zeitraum ab Januar 2014.
Auch der in schlecht lesbarer Kopie im gerichtlichen Verfahren übersandte Hauptantrag mit Anlagen auf Formular des Beklagten mit Datum 31.01.2014 ist schon nach eigener Auffassung des Klägers jedenfalls nicht im Zeitraum bis 05.04.2014 beim Beklagten eingegangen, weil er zuvor stets um Fristverlängerung bat und dann einen USB-Stick übersandte. Diesen erhielt der Kläger mit Schreiben des Beklagten vom 08.04.2014 zurück, versehen mit dem Hinweis, dass der Beklagte solche Sticks nicht öffnen dürfe. Zugleich wurde dem Kläger die letzte Fristverlängerung bis zum 25.04.2014 eingeräumt. Diese verstrich und es kam zu oben genanntem Versagungsbescheid.
2.
Die vier vom Kläger formlos gestellten Anträge (30.10.2012, 10.01.2014, 25.07.2014, 31.12.2014) beschied der Beklagte gemäß § 66 SGB I am 30.09.2013, 29.04.2014, 12.08.2014 und 20.01.2015; mithin entzog er der Untätigkeitsklage dadurch die Grundlage (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 26. August 1994 - L 13 RJ 17/94, juris, Rn. 20; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. März 2014 - L 13 AS 233/12, juris, Rn. 22).
3.
Die Versagungsbescheide wurden gemäß § 37 Abs. 1 SGB X auch erlassen und sind dem Kläger bekannt gegeben worden. Der klägerische Vortrag, dass ihm diese vier Versagungsbescheide nicht zugegangen seien, ist aus Sicht der Kammer nicht glaubhaft.
Ein Verwaltungsakt ist nach § 37 Abs. 1 SGB X erlassen, wenn er dem Empfänger bekannt gegeben worden ist. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei Übermittlung mit der Post nach § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese Zugangsfiktion gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und seinen Zeitpunkt nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann "Zweifel", wenn der Adressat, wie hier der Kläger, den Zugang schlicht bestreitet (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007, B 13 R 4/06 R, Rn. 20, Juris).
Vorliegend ist jedoch dieses Bestreiten aus Sicht der Kammer gänzlich unglaubhaft. Der Vortrag des Klägers ist hochgradig widersprüchlich, unplausibel und lebensfremd. Mit diesem pauschalen Bestreiten legt der Kläger dar, dass er über Jahre hinweg kein Schreiben und keinen Bescheid des Beklagten erhalten haben will und sich aber dennoch dazu fast keine Hinweise finden lassen - sondern im Gegenteil eine Vielzahl von Hinweisen, dass dem nicht so ist. Offen bleibt auch, warum der Kläger über Jahre hinweg, wenn er denn (fast) nicht postalisch erreichbar war, zumindest für die Beantragung von existenzsichernden Leistungen nicht anderweitig Abhilfe geschaffen hat.
In der persönlichen Vorsprache am 07.06.2013 führt der Kläger an, dass er (nach Ablauf der darlehensweisen Bewilligung von Leistungen) in ständigem Kontakt mit Mitarbeitern (wohl aus dem Bereich der Arbeitsförderung) des Beklagten gewesen sei, die ihn in ihren Anschreiben stets auf den Bezug von Leistungen sowie die möglichen Folgen bei fehlender Mitwirkung hingewiesen hätten.
Durchgehend nimmt der Kläger auch immer wieder Bezug auf Gespräche, die er mit Mitarbeitern des Beklagten geführt haben will. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass in all diesen Gesprächen über viele Jahre hinweg der Kläger und der Beklagte so aneinander "vorbeigeredet" haben, dass nicht aufgefallen wäre, dass der Kläger keinerlei oder fast keine Post erhält und die Mitarbeiter des Beklagten nicht erst die Neuübersendung und später die Zustellung initiiert hätten.
Mit Schreiben vom 30.09.2013 schreibt der Kläger, dass bei ihm bislang keine Post eingetroffen sei. Er fragt, ob die Post zurückgegangen sei, weil dies manchmal passiere. Mit weiterem Schreiben vom 30.12.2014 schreibt der Kläger, dass er seit Monaten keine Benachrichtigungen / Schreiben vom Beklagten bekommen habe. Das Schreiben des Beklagten vom 15.01.2014, so der Kläger, habe ihn auf Umwegen am 24.01.2014 erreicht. In seiner Bitte um Fristverlängerung vom 19.02.2014 bittet er um schriftliche Bestätigung zur Verschiebung des Abgabetermins für die Antragsunterlagen; genauso dann nochmals mit Schreiben vom 18.03.2014. Auch den vom Beklagten mit Schreiben vom 31.01.2014 mitgeteilten Termin kann der Kläger telefonisch am 11.02.2014 absagen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.