Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.10.2016, Az.: L 11 AS 107/15
Rückforderung der Bewilligung von Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit; Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten bzgl. Darlegung des Einkommens und Vermögens (hier: Gewinn)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.10.2016
- Aktenzeichen
- L 11 AS 107/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 35401
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 15.10.2014 - AZ: S 51 AS 659/13
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 SGB II
- § 11 SGB II
- § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a SGB II
- § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II
- § 45 SGB X
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 15. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Anrechnung eines im April 2007 zugeflossenen Betrages und die Rückforderung ihnen in der Zeit vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2009 gewährter Leistungen i.H.v. insgesamt 12.571,51 Euro.
Die im Jahre 1986 geborene Klägerin zu 1. lebt mit der im September 2005 geborenen Klägerin zu 2. in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie bezogen seit dem 27. Juli 2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Beklagten. Mit Bescheid vom 31. Januar 2007 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2007 monatlich 157,35 Euro. Im Fortzahlungsantrag vom 20. Juli 2007 gaben die Klägerinnen an, in den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen sei keine Änderung eingetreten. Der Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 23. Juli 2007 monatlich 162,35 Euro bis zum 31. Januar 2008. Im Fortzahlungsantrag vom 14. Februar 2008 gaben sie den Wegfall des als Einkommen berücksichtigten Erziehungsgeldes ab 1. September 2007 an. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 15. Februar 2008 monatlich 286,35 Euro. Auch im nächsten Fortzahlungsantrag gaben die Klägerinnen an, es seien keine Änderungen eingetreten. Im Zusatzbogen über Einkommen gaben sie den bereits bekannten Bezug von Kindergeld und Unterhaltsvorschuss an und kreuzten die Frage nach Einkommen aus Zinsen/Kapitalerträgen mit "Nein" an. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24. Juli 2008 monatlich 419,35 Euro.
Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung zu Kapitalerträgen im September 2008 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1. auf, die Konten bei der H. (I.) offenzulegen. Die Klägerin zu 1. legte eine Bescheinigung der I. über zwei Sparbücher und einen verzinsten Sparbrief vor. Die darin verzeichneten Vermögenswerte lagen unterhalb des Freibetrags. Im Fortzahlungsantrag vom 12. Januar 2009 gab die Klägerin zu 1. wiederum an, es seien keine Änderungen in den Vermögensverhältnissen eingetreten. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 14. Januar 2009 für die Zeit bis 31. Juli 2009 zunächst monatlich 562,91 Euro und aufgrund von Änderungen hinsichtlich der Kosten der Unterkunft (KdU) mit Änderungsbescheiden vom 13. März, 15. April und 17. April 2009 für die Zeit ab 1. April 2009 monatlich 656,48 Euro. Auch in der Folgezeit gab die Klägerin zu 1. in der von ihr angeforderten Anlage "EK" an, dass keine Zinsen oder Kapitalerträge erzielt würden.
Mit einer Meldung vom 22. Februar 2011 im Rahmen des Datenabgleichs erfuhr der Beklagte, dass die Klägerin zu 1. von der J. im Jahre 2009 Kapitalerträge i.H.v. 300,- Euro erzielt hatte. Der Beklagte forderte die Klägerin zu 1. auf, sämtliche Unterlagen über Konten- und Vermögensbeträge vorzulegen. Am 24. August 2011 erhielt er schließlich die Kontoübersicht, aus der sich bezogen auf den 2. April 2007 eine Gutschrift i.H.v. 25.000,- Euro (Gewinn) ergab. Der Beklagte hörte die Klägerin zu 1. am 24. Januar 2012 zunächst zur beabsichtigten Aufhebung ab 1. Mai 2007 wegen des Zuflusses von Einkommen i.H.v. von 25.000,- Euro am 2. April 2007 an und erließ am 13. März 2012 den auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr. 2-4 SGB X gestützten und auf die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007 bezogenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde nach Erlass eines Ersetzungsbescheides, in dem der Beklagte das einmalige Einkommen auf 12 Kalendermonate verteilte, mit Bescheid vom 24. Januar 2013 zurückgewiesen (Erstattungsbetrag weiterhin 477,05 Euro); soweit ersichtlich ist dieser bestandskräftig geworden.
Im März 2012 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1. auf, die Vermögensstände zum 1. August 2007, 1. Februar und 1. August 2008, 1. Februar 2009, 1. August 2009 ff. anzugeben. Am 25. Mai 2012 legte die Klägerin zu 1. Depotübersichten beginnend mit dem 1. August 2007 vor. Der Beklagte hörte die Klägerin zu 1. sodann am 10. Juli 2012 unter Darstellung der Berechnung im Einzelnen zu der in der Zeit vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2009 eingetretenen Überzahlung an und erließ am 24. Juli 2012 den an die Klägerin zu 1., zugleich als gesetzliche Vertreterin für die Klägerin zu 2., gerichteten Rücknahme- und Erstattungsbescheid, mit dem er gem. § 45 Abs 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X - aufgegliedert nach Personen und Monaten - insgesamt 12.571,51 Euro zurückforderte. Die Klägerin habe Vermögen besessen, das den jeweiligen Freibetrag überstiegen habe. Auf den dagegen am 22. August 2012 eingelegten Widerspruch hin erließ der Beklagte am 17. Januar 2013 einen Ersetzungsbescheid/Rücknahme- und Erstattungsbescheid wiederum über den Betrag i.H.v. 12.571,51 Euro. Er führte aus, nach § 2 Abs 3 Alg II-Verordnung a.F. habe die im April 2007 erzielte einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von 12 Kalendermonaten umgelegt werden müssen, so dass bis zum 30. April 2008 Einkommen, danach Vermögen berücksichtigt worden sei. Da in jedem Fall die Freibeträge überstiegen worden seien und Bedürftigkeit nicht mehr vorgelegen habe, ergebe sich hieraus jedoch keine Änderung des Erstattungsbetrags.
Gegen diesen am 24. Januar 2013 abgesandten Bescheid haben die Klägerinnen am 27. Februar 2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und geltend gemacht, die Rückforderungssumme sei zu hoch. Der Beklagte hätte einen fiktiven Verbrauch prüfen müssen. Denn durch die Berücksichtigung des jeweils tatsächlich vorhandenen Vermögens zu den einzelnen Stichtagen seien sie benachteiligt. Der Erstattungsbetrag übersteige das tatsächlich vorhandene und zuzurechnende Vermögen.
Das SG Hannover hat mit Urteil vom 15. Oktober 2014 die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Klägerinnen seien im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2009 nicht bedürftig gewesen. Das nach Abzug der Freibeträge verbleibende Vermögen sei jeweils zum Stichtag zu berücksichtigen. Die von den Klägerinnen geltend gemachte Berücksichtigung eines fiktiven Verbrauchs komme nicht in Betracht.
Gegen dieses ihnen am 5. Januar 2015 zugestellte Urteil wenden sich die Klägerinnen mit der am 4. Februar 2015 eingelegten Berufung. Sie wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und sind der Auffassung, dass anders als in den vom Beklagten und vom SG zitierten Urteilen hier berücksichtigt werden müsse, dass die Klägerinnen keine Gelegenheit hatten, das Vermögen in der Vergangenheit zu verbrauchen, da sie nicht auf den Verbrauch angewiesen gewesen seien. Bei der Berechnung der Rückerstattung dürfe das Vermögen nur einmal berücksichtigt werden. Andernfalls bliebe den Klägerinnen nicht das notwendige Existenzminimum. Jedenfalls müsse der Rückforderungsbetrag auf die tatsächlich vorhandenen Beträge, welche der Leistungsbewilligung entgegengestanden hätten, gedeckelt sein. Nach dem Bescheid des Beklagten selbst habe im fraglichen Zeitraum nur ein tatsächliches über dem Vermögensfreibetrag liegendes Vermögen von maximal 2.708,93 Euro vorgelegen. Eine Rückforderung von insgesamt 12.571,51 Euro sei daher überhöht. Selbst wenn man die ermittelten Vermögenswerte zu den jeweiligen Stichtagen addiere, komme man auf nur 10.902,- Euro.
Die Klägerinnen beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 15. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17. Januar 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Bescheide und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Außer den Gerichtakten haben die die Klägerinnen betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten vorab Gelegenheit zur Stellungnahme (vgl. richterliche Verfügung vom 13. Juli 2016).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des SG Hannover und die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.
Die Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide, die die Leistungsgewährung für die Zeit vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2009 betreffen, lagen vor. Denn die Klägerinnen - und die Klägerin zu 2. muss sich hier das Verhalten der Klägerin zu 1. zurechnen lassen - konnten nicht auf den Bestand der rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakte vertrauen. Sie haben zumindest grob fahrlässig fehlerhafte Angaben gemacht, da sie das Vorhandensein von Geldbeträgen, nachdem ihnen im April 2007 ein Gewinn i.H.v. 25.000,- Euro zugeflossen war, nicht angegeben haben.
Die Bewilligungsbescheide waren auch von Anfang an rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB II - Hilfebedürftigkeit - lagen aufgrund des vorhandenen zu verteilenden einmaligen Einkommens und anschließend des vorhandenen Vermögens nicht vor. Der Beklagte hat auch unter Berücksichtigung der §§ 11 und 12 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 und 4 SGB II in der jeweils geltenden Fassung die zutreffenden Freibeträge für die Klägerinnen zu 1. und zu 2. abgesetzt. Ein weiterer auf die Klägerin zu 2. bezogener Freibetrag nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr. 1a SGB II war nicht zu berücksichtigen, da hier nur das Vermögen der Klägerin zu 1. berücksichtigt wurde und nicht auch eventuell vorhandenes Vermögen der Klägerin zu 2. (vgl. BSG, Urteil vom 13. Mai 2009 - B 4 AS 58/08 R -, BSGE 103, 153).
Da das vorhandene Vermögen in der Zeit ab 1. Juli 2007 jeweils mit mehr als 2.500,- Euro über den Freibeträgen lag, entfiel die Hilfebedürftigkeit vollständig, so dass auch die Rückforderung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gemäß § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung (zuvor § 40 Abs 1 Nr 3 SGB II) zutreffend war.
Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Darstellungen des Beklagten in den angefochtenen Bescheiden sowie des SG im angefochtenen Urteil verwiesen (§§ 136 Abs 3, 153 Abs 2 SGG).
Soweit die Klägerinnen geltend machen, sie seien durch die Berücksichtigung der jeweils zum Stichtag vorhandenen Vermögensbeträge benachteiligt, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Die von dem Beklagten und dem SG zitierten Entscheidungen sind entgegen der Auffassung der Klägerinnen hier auch einschlägig. Das BSG verweist in seinem Beschluss vom 30. Juli 2008 (B 14 AS 14/08 B) auf einen vergleichbaren Sachverhalt und auf die Rechtsprechung, die Regelungen zum Recht der Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Motive des Gesetzgebers für die Entscheidung, keinen fiktiven Verbrauch von Vermögenswerten zu berücksichtigen. Der 7. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat in seiner Entscheidung vom 3. April 2014 (L 7 AS 827/12) ebenfalls für einen vergleichbaren Sachverhalt dargelegt, dass eine fiktive Berechnung und auch die von den Klägerinnen mit der Berufungsbegründung vom 8. Mai 2012 angestrebte Reduzierung des Erstattungsbetrages nicht in Betracht kommt (vgl. auch etwa: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. März 2016 - L 7 AS 730/14 -, , Rn.38, 41 mwN: Im Falle eines verschwiegenen Vermögens besteht keine Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Leistungsaufhebung und der Erstattung auf den Wert des zu verwertenden Vermögens). Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.
Soweit der Beklagte im Ersetzungsbescheid vom 17. Januar 2013 für die Zeit bis 30. April 2008 nun statt des Vermögens die Anrechnung unter dem Gesichtspunkt der einmaligen Einnahme und Verteilung vornimmt, führt dies im Ergebnis zu keinem anderen Anrechnungsbetrag. Von daher kann dahingestellt bleiben, ob dies vor dem Hintergrund, dass die Anrechnung und Umlegung einmaliger Einnahmen auf einen Zeitraum von 12 Kalendermonaten - nach der Kommentarliteratur zu § 2 Abs 3 Alg-II-Verordnung a.F. wird ein Zeitraum von regelmäßig sechs Kalendermonaten als angemessen angesehen - zutreffend ist. Hintergrund für die Verteilung der einmaligen Einnahmen und die Einführung dieser Vorschrift war, dass der vollständige Wegfall von Leistungen vermieden werden sollte. Das kam hier angesichts der Höhe der einmaligen Einnahme i.H.v. 25.000,- Euro ohnehin nicht in Betracht. Die Leistungen waren sowohl bei Annahme eines Verteilzeitraums von sechs Monaten als auch bei Annahme eines Verteilzeitraums von 12 Monaten vollständig aufzuheben. Nach Ablauf des Verteilzeitraums war der noch vorhandene Betrag als Vermögen zu berücksichtigen (vgl. dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 2016, Rn 511 zu § 11 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor. -