Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.03.1995, Az.: 2 L 3080/93
Urlaub ohne Bezüge; Betreuung; Beihilfe; Beamtenvehältnis; Beurlaubungsantrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.03.1995
- Aktenzeichen
- 2 L 3080/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 14176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1995:0328.2L3080.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 03.06.1993 - AZ: 1 A 144/92
- nachfolgend
- BVerwG - 26.09.1996 - AZ: BVerwG 2 C 22.95
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer Lüneburg - vom 3. Juni 1993 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1992 und deren Widerspruchsbescheid vom 28. August 1992 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auch für die Zeit seiner Beurlaubung ohne Dienstbezüge aus familiären Gründen Beihilfen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der im Jahre 1933 geborene Kläger beabsichtigte, seine im Mai 1991 geborene Enkelin Friederike wegen der Berufstätigkeit seines Sohnes und seiner Schwiegertochter in deren Wohnung zu betreuen und hierfür als niedersächsischer Beamter einen Urlaub ohne Bezüge nach § 87 a des Nds. Beamtengesetzes - NBG - in Anspruch zu nehmen. Zuvor bat er um schriftliche Bestätigung, daß er im Falle einer solchen Beurlaubung einen Anspruch auf Beihilfen habe; andernfalls müsse er sich wegen des Erkrankungsrisikos höher versichern. Die Beklagte vertrat den Standpunkt, daß die seit dem Jahre 1990 geltende Beihilferegelung zugunsten beurlaubter Bundesbeamter (§ 79 a Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -) nicht von der Bezugnahme des § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG erfaßt sei; danach erhalten niedersächsische Beamte "Beihilfe nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften". Der Kläger hielt seinen Standpunkt in dem Beurlaubungsantrag vom 11. Februar 1992 aufrecht, die Beklagte den ihrigen in dem Bescheid vom 19. Februar 1992, mit dem sie dem Kläger antragsgemäß Urlaub ohne Bezüge für die Zeit vom 1. April 1992 bis 2. April 1993 gewährte.
Mit Bescheid vom 17. Juli 1992 eröffnete die Beklagte dem Kläger, daß das Finanzministerium ihre Auffassung bestätigt habe, daß für niedersächsische Beamte eine dem § 79 a Abs. 4 BBG entsprechende Regelung fehle, so daß der Kläger während seiner Beurlaubung keinen Anspruch auf Beihilfe habe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 28. August 1992 zurück. Einen Antrag auf Beihilfe für ärztliche Behandlung in der Zeit von Mai bis Juli 1992 lehnte die Beklagte am 27. Juli 1992 unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 17. Juli 1992 ab.
Der Kläger hat am 21. September 1992 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und seinen im bisherigen Verfahren vertretenen Rechtsstandpunkt erläutert. Er hat beantragt,
den Bescheid vom 17. Juli. 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm auch während seiner Beurlaubung Beihilfen zu gewähren,
hilfsweise,
festzustellen, daß er während dieser Zeit Beihilfe beanspruchen konnte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und ihren Standpunkt aus dem Widerspruchsbescheid wiederholt.
Mit Urteil vom 3. Juni 1993 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: § 79 a Abs. 4 BBG werde nicht von der Verweisung auf die Vorschriften des Bundes in § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG erfaßt. Nach § 79 a Abs. 4 BBG bestehe ein Anspruch auf Leistungen der Krankheitsfürsorge in entsprechender Anwendung der Beihilferegelungen für Beamte mit Dienstbezügen. Schon hieraus ergebe sich, daß die Beihilferegelungen des Bundes Beamte mit Dienstbezügen beträfen. So sei es auch in § 2 Abs. 1 der Beihilfevorschriften (BhV) festgelegt. Mit § 79 a Abs. 4 BBG sei somit eine gesetzliche Regelung außerhalb der BhV getroffen worden, die es unter Beibehaltung der Grundsätze des § 2 Abs. 1 und 2 BhV ermögliche, in diesen Fällen beihilferechtliche Leistungen zu gewähren. Es sei also ausdrücklich nicht der Kreis der Beihilfeberechtigten im Sinne des Beihilferechts ausgedehnt worden. § 79 a Abs. 4 BBG gehöre auch nicht zu den BhV, sondern erkläre diese lediglich für entsprechend anwendbar. Mit dieser Formulierung sei klargestellt worden, daß das Beihilfesystem, wie es in den BhV geregelt sei, durch die neue Regelung nicht berührt werden solle. Da § 79 a Abs. 4 BBG folglich nicht zu den BhV des Bundes zähle, werde er auch nicht von der Verweisung in § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG erfaßt. Eine entsprechende Anwendung der BhV sei landesgesetzlich nicht vorgesehen. Zwar werde auf die Vorschriften des Bundes verwiesen, das schließe aber nicht auch deren entsprechende Anwendung ein. Auch daraus, daß der Landesgesetzgeber bei Änderung des § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG möglicherweise die kurz zuvor ergangene bundesgesetzliche Regelung gekannt habe, lasse sich kein anderes Ergebnis herleiten. Die Verweisungsvorschrift in § 87 Abs. 3 NBG habe aus anderen Gründen geändert werden müssen, nämlich wegen einer von der Bundesregierung beabsichtigten Regelung der Beihilfen durch Rechtsverordnung. Die Neufassung des § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG beziehe sowohl Rechts- als auch Verwaltungsvorschriften des Bundes ein. Materiell habe sich jedoch insoweit keine Änderung ergeben. Wenn die für den Bundesbereich getroffene Regelung auch für das Land Niedersachsen hätte übernommen werden sollen, so hätte es hierzu einer Ergänzung des § 87 a NBG oder einer anderen (ausdrücklichen) gesetzlichen Regelung nach Art des § 105 Satz 2 NBG bedurft.
Gegen dieses dem Kläger am 18. Juni 1993 zugestellte Urteil hat er am 1. Juli 1993 Berufung eingelegt. Er trägt im wesentlichen vor: Es bestehe nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis, da Beihilfeanträge aus der Zeit seiner Beurlaubung aus familiären Gründen noch nicht unanfechtbar beschieden seien. Die Verweisung in § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG n.F. gehe sehr viel weiter als die bisherige Regelung. Es werde jetzt auch auf gesetzliche Bestimmungen verwiesen. Dazu gehöre § 79 a Abs. 4 BBG. Diese Vorschrift begründe einen Beihilfeanspruch, weil die darin vorgesehenen "Leistungen der Krankheitsfürsorge" durch die Regelung über Beihilfeansprüche in Krankheitsfällen lediglich nach Art und Umfang konkretisiert würden. Der Gesetzgeber habe von einer "entsprechenden Anwendung" der BhV sprechen müssen, weil die Beihilferegelungen für Beamte mit Dienstbezügen zur Anwendung kommen sollten, zu denen eben die ohne Dienstbezüge beurlaubten Beamten nicht gehörten. Mit den Worten "in entsprechender Anwendung" werde nicht etwa zum Ausdruck gebracht, daß es sich um etwas anderes als Beihilfeansprüche handeln sollte. Denn dann hätte es nicht heißen dürfen, daß ein Anspruch auf Leistungen der Krankheitsfürsorge bestehe. Vielmehr würden die in § 79 a aufgeführten Beamten in die Beihilferegelungen mit einbezogen, die für Beamte mit Dienstbezügen galten. Wesensmäßig handele es sich um Beihilferegelungen. Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und hält dem Kläger entgegen: § 79 a Abs. 4 BBG räume beurlaubten Bundesbeamten als außerordentliche Fürsorgemaßnahme einen beihilfegleichen Anspruch ein. Diese Sonderregelung sei getroffen worden, um Beamten ohne Bezüge nunmehr Beihilfen gewähren zu können. Die Verweisung in § 87 Abs. 3 NBG regele nur, daß Beihilfen zu gewähren seien; beihilfegleiche Ansprüche seien jedoch nicht Gegenstand der BhV und deshalb nicht auf niedersächsische Beamte übertragbar. § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG sei lediglich geändert worden, um den BhV, die in der Form von Verwaltungsvorschriften ergangen seien, eine höhere Rechtsqualität zukommen zu lassen. Es sei jedoch nicht geplant gewesen, die Verweisung auf andere Gesetze oder Verordnungen als die BhV auszuweiten. § 79 a Abs. 4 BBG gehöre nicht zu den BhV, sondern weise lediglich darauf hin, daß diese entsprechend anwendbar seien. Das Beihilfesystem als solches, das in den BhV selber geregelt sei, werde durch diese neue Regelung nicht berührt. Da ein niedersächsischer Landesbeamter betroffen sei, der sich nicht auf eine ausdrückliche Regelung im NBG berufen könne, gelte § 79 a Abs. 4 BBG folglich nur für Bundesbeamte.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen. Die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Der Kläger ist im November 1993 in den Ruhestand versetzt worden.
II.
Mit der rechtzeitig eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine Anträge aus dem ersten Rechtszug weiter. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.
Der auf Verpflichtung gerichtete Hauptantrag ist zulässig. Der Kläger wendet sich gegen die generelle, keine konkrete Beihilfeleistung betreffende Ablehnung seiner Beihilfeberechtigung während der Zeit der Beurlaubung ohne Dienstbezüge. Positiv ausgedrückt, ging es ihm um eine Zusicherung der Beihilfeberechtigung für die Dauer der in Aussicht genommenen Beurlaubung. Wegen der Bedeutung für die finanziellen Dispositionen des Klägers, der seine Privatversicherung entsprechend anpassen mußte, ist eine solche Zusicherung in Gestalt eines Verwaltungsakts rechtlich möglich und eine darauf gerichtete Klage nach § 42 VwGO zulässig. Wird die Zusicherung abgelehnt, so kann der Anspruch auf diese auch dann noch weiter verfolgt werden, wenn inzwischen die Beurlaubungszeit abgelaufen ist, jedenfalls dann, wenn wie hier, für die Beurlaubungszeit gestellte Beihilfeanträge noch nicht rechtsbeständig beschieden sind. Es entspräche nicht einem ökonomischen Verfahren, den Kläger darauf zu verweisen, daß er statt gegen die Ablehnung der Zusicherung nunmehr gegen die Ablehnung der einzelnen späteren Beihilfeanträge im Klagewege vorgehen könne. Die angestrebte Zusicherung als solche (oder deren Ablehnung) hilft ihm zwar wegen des Zeitablaufs nicht mehr bei seinen Dispositionen, wirkt aber wie ein Vorbescheid für die Abwicklung der anhängigen Beihilfeverfahren.
Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, daß der Kläger, als die Zusicherung ausblieb, sein privates Versicherungsverhältnis auf eine Vollerstattung umgestellt hat und dadurch nach § 15 Abs. 1 BhV eventuelle Beihilfeansprüche entfallen sind. Der im Juli 1992 gestellte Beihilfeantrag läßt zwar erkennen, daß der Kläger eine Umstellung vorgenommen hat, aber nicht, daß die private Krankenversicherung auf 100 % erhöht wurde.
Das Klagebegehren ist begründet. Der Kläger konnte als niedersächsischer Beamter beanspruchen, auch während der aus familiären Gründen gemäß § 87 a Abs. 1 NBG bewilligten Beurlaubung ohne Dienstbezüge Beihilfen in Krankheitsfällen zu erhalten, wie es für Bundesbeamte in § 79 a Abs. 4 BBG vorgesehen ist.
Nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG (i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 1990, Nds. GVBl. S. 483) erhält der niedersächsische Beamte "Beihilfen nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften". Damit wird ein gesetzlicher Anspruch begründet und durch Verweisung auf Vorschriften des Bundes inhaltlich konkretisiert. Beabsichtigt ist eine vollständige Übernahme (Rezeption) des Beihilferechts des Bundes, und zwar im Sinne einer dynamischen Verweisung, die nicht auf die beim Erlaß oder beim Inkrafttreten des § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG n.F. geltenden Bundesvorschriften beschränkt ist. Denn die Neuregelung bezweckt, einer für die Zukunft erwarteten Ablösung der bisher (durch § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG a.F.) in Bezug genommenen "allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen" durch normative Regelungen (z.B. eine Beihilfeverordnung aufgrund geänderter gesetzlicher Ermächtigung) Rechnung zu tragen (LT-Dr. 12/340, S. 13 f; Kümmel, NBG § 87, Anm. 10.22). Damit soll auch berücksichtigt werden, daß noch ungewiß ist, ob der Bund sein Beihilferecht künftig in Gestalt einer Kodifikation (z.B. einer einheitlichen Beihilfeverordnung) oder durch Einzelregelungen, evtl. ergänzt durch Verwaltungsvorschriften, oder überwiegend durch solche, ordnen wird. Aus der Sicht der Landesgesetzgebung ging es nur darum, die Fürsorge für Landesbeamte weiterhin - "ohne materielle Änderung" - derjenigen für die Bundesbeamten anzugleichen, wobei durch den knapperen Wortlaut die bisherige Bezugnahme auf einen Zweck (Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen) wegfiel.
Eine so generell gefaßte dynamische Verweisung läßt nicht erkennen, daß nur Beihilfen gemeint sind, die - im Sinne des bisherigen Verständnisses - in das durch Verwaltungsvorschriften geformte "Beihilfesystem" des Bundes passen, oder auch solche, die der Bund durch Bezugnahme auf seine Beihilfevorschriften diesen gleichgestellt hat oder künftig gleichstellen wird. So war es z.B. schon bisher bei den "Beihilfen" geschehen, die während eines Erziehungsurlaubs "in entsprechender Anwendung der Beihilfevorschriften" beansprucht werden können (§ 5 Abs. 1 der Erziehungsurlaubsverordnung vom 12. Dezember 1985, BGBl. I S. 2322, in Niedersachsen anwendbar infolge der Bezugnahme des § 88 Abs. 1 NBG). Wenn die Bundesregelung eines Rechtsgebiets in einem Landesgesetz nur mit einer zusammenfassenden Kennzeichnung von Leistungen (hier: "Beihilfen") in bezug genommen wird, kommt es auf die Reichweite des zur Kennzeichnung der Leistungsart verwendeten Begriffs an. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werden unter Beihilfen die Zuschüsse des Dienstherrn für den Beamten und seine Familie bei Erkrankungen, Geburten, Todesfällen und ähnlichen Ereignissen verstanden. Im einzelnen kann die Terminologie des Bundesrechts weiterführen, die die Zuordnung konkreter Ansprüche oder Vergünstigungen zum jeweiligen Leistungssystem festlegt, teilweise auch negativ abgrenzt. Indessen verfolgt die Bezugnahme auf einen Leistungsbereich mehr praktische als systematische Zwecke. So ist die Bezugnahme auf die Vorschriften über den Erziehungsurlaub (§ 88 Abs. 1 NBG) allgemein dahin verstanden worden, daß auch die systematisch eher zum Beihilferecht gehörende Vorschrift des § 5 Abs. 1 ErzUrlV einbezogen wird (Kümmel, NBG, § 88, Anm. 3.26). Auch wenn hier mit dem Begriff "Beihilfen" auf ein Leistungsgefüge verwiesen wird, das traditionell durch allgemeine Verwaltungsvorschriften nach bestimmten Prinzipien systematisch ausgeformt und entsprechend begrenzt worden ist (z.B. durch die in § 2 Abs. 2 BhV geregelten Voraussetzungen der "Beihilfeberechtigung"), so war doch auch schon nach dem bisherigen Rechtszustand klar, daß es sich trotz des Vollständigkeitsstrebens des Vorschriftengebers nicht um ein geschlossenes, sondern um ein erweiterungsfähiges, unter Umständen nach den Grundsätzen der Fürsorgepflicht erweiterungsbedürftiges Leistungssystem handelte. Der Wegfall der Verweisung gerade auf die "allgemeinen Verwaltungsvorschriften" verdeutlicht, daß es auch außerhalb des von diesen gebildeten Systems Beihilfenormen für Bundesbeamte geben kann und wird geben können. Eine Beamtengruppe, deren Einbeziehung nach § 2 Abs. 2 BhV "systemfremd" wäre, wird deshalb nicht schon durch den Begriff der "Beihilfe" von der Bezugnahme ausgenommen, wenn bundesrechtliche Normen die Beihilfeberechtigung auf Bundesbeamte in entsprechender Lage erstrecken.
Nach der Entstehungsgeschichte stand die Absicht im Vordergrund, beihilferechtlich für die Landesbeamten eine materielle Gleichstellung mit den Bundesbeamten sicherzustellen (Gesetzesbegründung aaO, Kümmel, § 87 NBG, Anm. 10.22). Die Aussage, daß sich "materiell" für die niedersächsischen Beamten nichts ändere, brachte die Überzeugung zum Ausdruck, daß bisher schon das Beihilferecht für die Landesbeamten mit demjenigen für die Bundesbeamten übereingestimmt habe, was aber infolge der Dynamik der Verweisung erhebliche materielle Änderungen bei einer Umgestaltung des Bundesrechts gerade nicht ausschloß. Die neugefaßte Verweisungstechnik dient nicht nur der Vereinfachung, sondern ist zugleich eine sinnvolle Folgerung aus der weitgehend einheitlichen Regelung der Alimentation und der Versorgung der Bundes- und Landesbeamten (vgl. §§ 90, 97 NBG). Solange nicht der Landesgesetzgeber, was er jederzeit könnte, die Bezugnahme auf das Bundesrecht selbst einschränkt, gibt es deshalb keinen einsichtigen Grund, beihilferechtliche Verbesserungen des Bundes für seine Beamten von der Bezugnahme auszuschließen, unabhängig vom Standort und der rechtstechnischen Struktur der jeweiligen Bundesregelung. Für ein weites Verständnis der Bezugnahme spricht auch die gemeinsame Wurzel des Beihilferechts, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 79 BBG, § 87 Abs. 1 NBG), die, wie anerkannt ist, einen Auffangtatbestand bei Lücken und Unstimmigkeiten der Beihilfevorschriften bildet (BVerwG, Urt. v. 24. 11. 1988, Buchholz 270, Nr. 1 zu § 5 BhV). Bei einer einschränkend ausgelegten Bezugnahme auf das Bundesrecht bestände daher Anlaß, eine Gleichstellung aus Fürsorgegründen zu prüfen.
Wegen der restriktiven Handhabung des Rückgriffs auf die Fürsorgepflicht dürfte allerdings der Landesgesetzgeber das materielle Beihilferecht des Bundes in der Zeit vor der erwarteten Rechtsänderung praktisch mit den allgemeinen Verwaltungsvorschriften (BhV) identifiziert haben. Wegen der - dynamischen Fassung der Verweisung konnte er sich dessen aber nicht sicher sein, sondern mußte jederzeit, auch für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der neuen Fassung des § 87 NBG, mit Erweiterungen der bundesrechtlichen Beihilfen auch auf anderer rechtlicher Grundlage rechnen. Deshalb wurde, auch wenn der niedersächsische Landtag bei seiner Beschlußfassung eine zuvor vom Bundestag verabschiedete, aber noch nicht veröffentlichte Beihilfenorm für Bundesbeamte nicht kannte, diese bei ihrem Inkrafttreten von der Bezugnahme erfaßt. Diese zeitliche Reihenfolge ergibt sich nach den Daten der parlamentarischen Abstimmungen und der Ausgabe der Gesetzblätter für das Verhältnis der Neufassung des § 87 NBG (Gesetz zur Änderung des niedersächsischen Beamtengesetzes vom 19. 12. 1990, Nds. GVBl. S. 483) zur Einfügung des § 79 a Abs. 4 BBG (Gesetz zur Änderung des Bundesumzugskostengesetzes und anderer Vorschriften v. 11. 12. 1990 (BGBl. I S. 2682).
Die "Leistungen der Krankheitsfürsorge" für beurlaubte Beamte nach § 79 a Abs. 4 BBG (inzwischen: Abs. 5) sind Bestandteil der Beihilfevorschriften für Bundesbeamte i.S.d. § 87 Abs. 3 Nr. 1 NBG n.F.. Die damit eingeführte Verbesserung der beihilferechtlichen Stellung der zur Betreuung oder Pflege von Angehörigen beurlaubten Beamten ist nach dem Wortlaut und der Stellung im Gesetz nicht als eigenständige und vom Beihilferecht losgelöste Regelung zu verstehen. Der verwendete Begriff "Krankheitsfürsorge" bringt zum Ausdruck, daß nur ein - allerdings wesentlicher - Ausschnitt aus den Beihilfeleistungen (nämlich § 6 BhV) erfaßt wird. Wenn für diesen Teilbereich die "entsprechende Anwendung" der Beihilferegelungen für Beamte mit Dienstbezügen angeordnet wird (§ 79 a Abs. 4 BBG), bedeutet dies nicht, daß etwas sachlich anderes als Beihilfeleistungen in Krankheitsfällen gemeint sind. Vielmehr trägt der Bundesgesetzgeber mit dieser Fassung dem Umstand Rechnung, daß es bei einer unmittelbaren Bezugnahme auf die BhV zu einer Unstimmigkeit mit § 2 Abs. 2 BhV käme, weil danach nur eine Beihilfeberechtigung für Beamte mit Dienstbezügen besteht. Die BhV unmittelbar für anwendbar zu erklären, hätte auch wegen der unterschiedlichen Rechtsqualität von Gesetz und Verwaltungsvorschriften zu Schwierigkeiten geführt. Der Bundesgesetzgeber kann zwar Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung durch ein Gesetz entbehrlich machen, sie aber nicht ändern. Erklärt er sie für entsprechend anwendbar, so läßt er sie als eigenständiges Regelwerk gelten, verändert ihre Systematik nicht, legt sich aber auch nicht dahin fest, daß die von ihm einbezogene Gruppe etwas anderes als die sonstigen Empfänger von "Beihilfen" erhalten solle.
Die materielle Erweiterung des Beihilferechts durch § 79 a Abs. 4 BBG erscheint auch als sachgerechte Konkretisierung der Fürsorgepflicht, der sie schon nach ihrer Stellung im Gesetz zugeordnet ist. Die Fürsorgepflicht nach § 79 BBG besteht grundsätzlich gegenüber allen Beamten. Zwar ist bei einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge die wirtschaftliche Abhängigkeit des Beamten von seinem Dienstherrn vorübergehend gelöst, da der Beamte für sich selbst sorgt und der Dienstherr deshalb grundsätzlich keinen Anlaß hat, weiter diejenigen Maßnahmen für die Gesundheitsfürsorge des beurlaubten Beamten zu treffen, die während des Besoldungsbezugs nicht durch die Alimentation abzudecken sind. Eine besondere Situation ist aber gegeben, wenn die Beurlaubung ohne Dienstbezüge dem Zweck der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen dient, weil dies typischerweise nur durch Einschränkung des Lebensstandards des Beamten ermöglicht werden kann (z.B. durch Beschränkung auf das Erziehungsgeld, bei gemeinsam erziehenden Eltern durch Beschränkung auf das Erwerbseinkommen eines von ihnen). Würde die Betreuung durch teilweise Fortsetzung der Beschäftigung (Teilzeitarbeit nach § 79 a Abs. 1 BBG) ermöglicht, so bliebe trotz der reduzierten Besoldung der volle Beihilfeanspruch schon nach allgemeinen Grundsätzen erhalten (§ 2 Abs. 2 BhV). Deshalb erscheint die fortgesetzte Beihilfegewährung an die aus Gründen des § 79 a BBG voll Beurlaubten als eine sachgerechte Vervollkommnung der Fürsorge, die wegen der Unerschwinglichkeit einer privaten Vollversicherung gegen Krankheit die Inanspruchnahme familienbezogenen Urlaubs in vielen Fällen überhaupt erst ermöglicht. Die Erweiterung ist zudem folgerichtig, weil eine entsprechende Regelung schon seit Einführung des Erziehungsurlaubs nach § 5 ErzUrlV gegolten hat und dessen Höchstdauer inzwischen zeitlich ausgeweitet worden ist (Insoweit hatte sich, wie ausgeführt, die Ausdehnung der Vergünstigung auf Landesbeamte bereits aus der Bezugnahme in § 88 Abs. 1 NBG ergeben.). Der Kläger widmete sich ebenfalls der Betreuung eines Kleinkindes, konnte aber die Vergünstigungen des Erziehungsurlaubs nicht in Anspruch nehmen, weil es sich um sein Enkelkind handelte. Diese und ähnliche Betreuungsleistungen rechtfertigen eine Förderung nach einheitlichen Maßstäben. Da die Bezugnahme auf die gesetzlichen Beihilfeleistungen für Bundesbeamte einen Anspruch des Klägers auf die Vergünstigung nach § 79 a Abs. 4 BBG begründet, braucht nicht mehr erörtert zu werden, ob sich seine Beihilfeberechtigung auch unmittelbar aus der Fürsorgepflicht (§ 87 Abs. 3 NBG iVm § 79 BBG) herleiten ließe.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.
Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist gegen dieses Urteil die Revision zugelassen, weil die Rechtssache für den Geltungsbereich des § 87 Abs. 3 NBG grundsätzliche Bedeutung hat. Durch die Verweisung auf das Beihilferecht des Bundes wird für viele Konstellationen, insbesondere bei untypischen Beihilfenormen des Bundes, eine Unschärfe für beamtenrechtliche Leistungsansprüche herbeigeführt, die einer bundesgerichtlichen Überprüfung zugeführt werden sollte.
Dr. Bock
Sommer
Dehnbostel