Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.08.2017, Az.: 13 A 3153/16

Anfechtungsklage; Aufhebung; Befristung; Einreise; Ermessensfehler; Ermessensreduzierung; Neubescheidung; Verpflichtungsklage; Zeitpunkt

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.08.2017
Aktenzeichen
13 A 3153/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53724
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Entscheidung der Beklagten in Ziffer 6 des Bescheides vom 26.04.2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung der in Ziffer 7 des Bescheides vom 26.04.2016 verfügten Befristung verpflichtet, über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die im Bescheid der Beklagten vom 26.04.2016 enthaltene Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes.

Der Kläger reiste eigenen Angaben zufolge am 02.01.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23.10.2015 einen Asylantrag.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab die Kläger im Wesentlichen an: Er möchte ein besseres Leben in Deutschland. Seit zwei Monaten habe er einen festen Arbeitsplatz und erhalte daher auch keine Sozialleistungen mehr. Probleme habe er im Kosovo nicht gehabt, allerdings habe er keine wirtschaftliche Perspektive für sich gesehen.

Mit Bescheid vom 26.04.2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihm im Falle der Nichtbefolgung die Abschiebung in den Kosovo an. Zudem ordnete das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete es auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Der Kläger hat am 03.05.2016 Klage erhoben und um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, er habe eine Arbeit gefunden und beziehe keine Sozialleistungen, so dass er Anspruch auf eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis habe. Zudem sei er zwischenzeitlich Vater geworden, wobei seine Tochter durch ihre deutsche Schwester eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalte werde und mit ihr und der Mutter, seiner Lebensgefährtin, wolle er in Deutschland in familiärer Lebensgemeinschaft leben.

Seinem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss vom 22. 06.2016 (13 B 3154/16) insoweit stattgegeben, als die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen das in Ziffer 6 des Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet wurde. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes nicht beständen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2016 hinsichtlich der Ziffern 6 und 7 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist teilweise begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen des Bundeamtes über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG und über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind - zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) - ermessensfehlerhaft. Insoweit ist der Bescheid des Bundesamtes rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist wegen fehlerhafter Ermessensentscheidung rechtswidrig. Insoweit ist die Klage als Anfechtungsklage statthaft (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 12.07.2016, - 5 A 63/16 -, juris Rn. 18 m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen einen Ausländer anordnen, dessen Asylantrag - wie hier - nach § 29a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Anordnung des Verbots und die Entscheidung über die Länge der Frist stehen im Ermessen der Behörde. Das Gericht hat insoweit nur zu prüfen, ob das Bundesamt den Ermessensspielraum erkannt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die nach diesen Maßstäben erfolgende Überprüfung ergibt, dass das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot ermessensfehlerhaft verfügt hat.

Der Kläger ist ausweislich der vorgelegten Nachweise seit dem C. Vater einer Tochter und mit der kosovarischen Staatsangehörigen D. liiert, der Mutter der Tochter. Diese ist bereits Mutter einer deutschen Staatsangehörigen und hat damit grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht nach § 28 AufenthG. Damit ergeben sich für den vorliegenden Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür, dass für den Kläger unter Berücksichtigung insbesondere der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Rechte jedenfalls grundsätzlich die Möglichkeit einer legalen Migration nach § 29 AufenthG besteht. Eine Vaterschaft stellt einen Belang dar, der für die Frage, ob und mit welcher Dauer ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG, angeordnet wird, von wesentlicher Bedeutung ist. Diese besonderen persönlichen Umstände hätte das Bundesamt bei seiner Ermessensentscheidung im Rahmen der Abwägung mit den für das Verbot sprechenden Gründen berücksichtigen müssen.

Dem steht nicht entgegen, dass diese Tatsache zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes noch gar nicht vorgelegen hat. Für die gerichtliche Beurteilung, ob die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung rechtmäßig ist, kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 83 c AsylG und § 75 Nr. 12 AufenthG; ebenso VG Freiburg, Urt. v. 30.03.2017, – A 3 K 2180/16 –, juris Rn. 31; VG Lüneburg, Urt. v. 12.07.2016, – 5 A 63/16 –, juris Rn. 26; VG Oldenburg, Urt. v. 31.03.2016, – 5 A 464/16 –, juris Rn. 16; VG Braunschweig, Urt. v. 19.12.2016, - 6 A 111/16 - V.n.b.). Das Gericht hat daher auch die der Anordnung oder Befristung zeitlich nachfolgenden Umstände zu berücksichtigen. Das Bundesamt muss die Entwicklung des Sachverhalts im Auge behalten und kann bei neuen entscheidungsrelevanten Tatsachen seine Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren ergänzen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) oder seine Entscheidung abändern.

Zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht allein das Absehen von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot ermessensfehlerfrei wäre und das dem Bundesamt insoweit eingeräumte Ermessen derzeit demnach nicht auf Null reduziert ist. Das Bundesamt hat bei seiner Entscheidung grundsätzlich stets die (generalpräventiven) Zwecke des § 11 Abs. 7 AufenthG zu berücksichtigen und neben den besonderen schutzbedürftigen Belangen des Betroffenen in die Abwägung einzustellen (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 12.07.2016, – 5 A 63/16 –, juris Rn. 28). Der Kläger hat für den Fall einer erneuten Anordnung nach gegenwärtiger Sachlage daher lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung, der die Fristbemessung umfasst.

Der Kläger hat auch einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG neu entscheidet. Insoweit ist die Klage als Verpflichtungsklage statthaft (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 12.07.2016, – 5 A 63/16 –, juris Rn. 19 m. w. N.). Sein Antrag ist daher nach § 88 VwGO entsprechend auszulegen. Auch hinsichtlich der Befristung in Ziffer 7 des Bescheides hat das Bundesamt sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entscheidet das Bundesamt über die Länge der Frist nach Ermessen. Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Bundesamt auch insoweit besondere schutzbedürftige Belange des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. VG Münster, Urt. v. 26.04.2016, – 4 K 2693/15.A –, juris Rn. 51 ff.). Dies hat die Beklagte hier nicht getan. Das Bundesamt hätte die familiären Umstände des Klägers berücksichtigen müssen, die nach § 29 AufenthG grundsätzlich die Möglichkeit einer legalen Migration eröffnet. Auch insoweit hat das Gericht für die rechtliche Beurteilung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (siehe oben).

Umstände, die das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Null reduzieren würden, also auf eine bestimmte Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot, sind gegenwärtig allerdings nicht ersichtlich. Insofern gelten die Ausführungen zur Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG entsprechend (vgl. auch VG Freiburg, Urt. v. 30.03.2017, – A 3 K 2180/16 –, juris Rn. 33; VG Lüneburg, Urt. v. 12.07. 2016, – 5 A 63/16 –, juris Rn. 33). Daher war die Klage insoweit abzuweisen als der Antrag des Klägers auf eine vollständige Aufhebung im Sinn einer Ermessensreduzierung auf Null gerichtet war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83b AsylG. Der Kläger ist vorliegend lediglich zu einem geringen Teil unterlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.