Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 03.03.2016, Az.: 11 A 3906/15

anderer Mitgliedstaat; Asylantrag; Subsidiärer Schutz; Umdeutung; Unzulässigkeit; Zweitbescheid

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.03.2016
Aktenzeichen
11 A 3906/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43207
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein vor dem 20. Juli 2015 gestellter Asylantrag ist nicht unzulässig, weil dem Ausländer in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz gewährt worden ist (wie BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 1 B 41.15 - InfAuslR 2016, 61).

Der dem entgegenstehende Bescheid des Bundesamtes kann nicht in eine Entscheidung über einen Zweitantrag (§ 71a AsylG) umgedeutet werden.

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Oktober 2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Die Kläger sind russische Staatsangehörige aus Tschetschenien.

Die 19.. und 19.. geborenen Kläger zu 1) und 2) sind Eheleute, der am 19. August 20.. in Polen zur Welt gekommene Kläger zu 3) ist ihr gemeinsamer Sohn.

Am 9. September 2010 beantragten die Kläger zu 1) und 2) in Polen ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Am 4. November 2011 wurde ihnen subsidiärer Schutz gewährt.

Am 29. November 2012 beantragten die Kläger in Deutschland ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Am 29. Januar 2013 haben sie ihre Asylanträge zurückgenommen und sind am 7. Februar 2013 ausgereist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte mit Bescheiden vom 19. September 2013 die Asylverfahren ein, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte die Abschiebung in die Russische Föderation an.

Am 30. Juni 2015 kehrten die Kläger in die Bundesrepublik Deutschland zurück und beantragten am 15. Juli 2015 erneut ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Nach Anhörung lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 8. Oktober 2015 die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab und drohte die Abschiebung nach Polen an. Eine Abschiebung in die Russische Föderation wurde ausgeschlossen. Das durch eine Abschiebung entstehende Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auf 30 Monate festgesetzt worden.

Am 19. Oktober 2015 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben.

Sie tragen im Wesentlichen vor: Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig sei nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverwaltungsgericht vom 23. Oktober 2015 (1 B 41.15) nicht möglich, weil ihnen in Polen lediglich subsidiärer Schutz gewährt worden sei und sie ihren Asylantrag in Deutschland vor dem 20. Juli 2015 gestellt hätten. Die Dublin III-VO finde keine Anwendung, so dass eine umfassende Prüfung ihres Asylbegehrens erforderlich sei, welches auch keinen Zweitantrag i.S.d. § 71a AsylG darstelle. Eine Abschiebung nach Polen scheide aus. Der Kläger zu 1) gehöre zu den ehemaligen Rebellen in Tschetschenien und habe bei dem früheren Präsidenten Dudajew gearbeitet. Auch in Polen sei er vor politischer Verfolgung nicht sicher. Insoweit werde auf einen ACCORD-Bericht vom 22. November 2013 zu den Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in polnischen Flüchtlingslagern und eine Bescheinigung der Stiftung Dialog vom 9. Juni 2015 hingewiesen. Ferner legten die Kläger eine Bescheinigung der Heilpraktikerin für Psychotherapie E. H. vom 11. September 2015 betreffend die Klägerin zu 2) vor.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Oktober 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erwidert im Wesentlichen: Auch wenn nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 der Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfe, betreffe dies jedoch allein die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes sei nach § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dennoch ausgeschlossen. Ferner sei eine Umdeutung des Bescheides vom 8. Oktober 2015 in eine Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylG möglich. Der Bescheid sei auf das gleiche Ziel gerichtet, nämlich darauf, dass keine inhaltliche Entscheidung über das Asylbegehren getroffen werde. Hier komme hinzu, dass auch der Zweitantrag inhaltlich nicht geprüft werden könne, da nach der Dublin III-VO keine internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland bestehe, wenn bereits in einem anderen Staat subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Es sei auch kein nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen. Die Sperrwirkung des unzulässigen Asylantrages erfasse auch eine Entscheidung über den nationalen Abschiebungsschutz. Ein Asylanspruch scheide auch deshalb aus, weil sich die Kläger in einem sicheren Drittstaat i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG aufgehalten hätten. Dass eine Anhörung nicht erfolgt sei, sei ohne Bedeutung. § 71a AsylG sei grundsätzlich anwendbar, da sie in Polen in Bezug auf den Flüchtlingsschutz einen erfolglosen Antrag gestellt hätten.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO; Allgemeine Erklärung des Bundesamtes vom 21. August 2015, Schriftsatz vom 18. Februar 2016).

Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 8. Oktober 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das Bundesamt hat die Asylanträge der Kläger zu Unrecht als unzulässig abgelehnt.

Zwar ergibt sich aus den Regelungen in § 60 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3      AufenthG, dass bei Zuerkennung subsidiären Schutzes in einem anderen Staat kein Anspruch mehr auf ein weiteres Asylverfahren in Deutschland besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - InfAuslR 2014, 400, Rn. 28 ff.; Beschluss vom 30. September 2015 - 1 B 51.15 - juris, Rn. 4).

Auch Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU ermöglicht es den Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Dies gilt jedoch nach der Übergangsregelung in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2013/32/EU nicht für Asylanträge, die - wie hier - vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden sind. Nach dem in diesen Fällen noch anwendbaren Art. 25 Abs. 2 lit.a. der Richtlinie 2005/85/EG ist es dagegen nur möglich, den Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn dem Asylantragsteller in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 1 B 41.15 - InfAuslR 2016, 61, Rn. 11 f.).

In Bezug auf den Kläger zu 3) ist darauf hinzuweisen, dass dieser in Polen ersichtlich keinen internationalen Schutz erhalten hat. In den Schreiben der polnischen Behörden an das Bundesamt vom 19. August 2015 werden insoweit lediglich die Kläger zu 1) und 2) erwähnt. In Bezug auf den Kläger zu 3) liegt nicht einmal eine Eurodac-Treffermeldung über die Stellung eines Asylantrages in Polen vor.

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes kann der Bescheid vom 8. Oktober 2015 auch nicht gem. § 47 VwVfG in eine Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71 a AsylG umgedeutet werden.

Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - NVwZ 2016, 157, Rn. 27 ff.) hat festgestellt, dass Entscheidungen über Asylanträge, die nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt worden sind, nicht in solche über einen Zweitantrag umgedeutet werden können. Es handele sich um verschiedene Streitgegenstände, weil auch eine Entscheidung über nationale Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) zu treffen sei und ggf. eine Abschiebungsandrohung in Bezug auf das Heimatland des Asylbewerbers in Betracht komme. Insoweit sei die Rechtsfolge der Entscheidung für den Asylbewerber ungünstiger.

Für den Fall, dass ein Asylantrag zu Unrecht nach § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG als unzulässig abgelehnt worden ist, gilt im Ergebnis nichts anderes (vgl. auch VG Osnabrück, Urteil vom 4. Januar 2016 - 5 A 83/15 - juris, Rn. 48 ff.).

Zwar dürfte § 71a AsylG jedenfalls in Bezug auf die Kläger zu 1) und 2) grundsätzlich zur Anwendung kommen, weil ihr Asylverfahren in Polen zumindest hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolglos geblieben sein dürfte. Auch wird im Hinblick auf den subsidiären Schutz in Polen kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung über nationale Abschiebungsverbote bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 a.a.O. Rn. 32). Auch eine Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat ist nicht möglich.

Dennoch scheidet eine Umdeutung aus. Die Entscheidung über den Zweitantrag in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gem. § 71a Abs. 2, 25 AsylG regelmäßig eine diesbezügliche persönliche Anhörung des Betroffenen zu seinen Fluchtgründen voraus. Maßgeblich ist zudem, dass die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrages rein formaler Natur ist und eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens schon im Ansatz nicht stattfindet. Dagegen müssten bei der Frage, ob Wiederaufnahmegründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigen, auch die Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers in den Blick genommen werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Zweitantrag auch nicht schon deshalb aus rein formalen Gründen abgelehnt werden, weil die Bundesrepublik Deutschland hierfür international nicht zuständig wäre. Aus der Dublin III-VO ergibt sich dies schon deshalb nicht, weil die polnischen Behörden die Übernahme der Kläger nach den dortigen Regeln ausdrücklich abgelehnt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014, a.a.O., Rn. 27). Soweit ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter bereits im Hinblick auf den Schutz vor Verfolgung im sicheren Drittstaat nach Art. 16a Abs. 2 GG ausscheidet, erfasst dies nicht die nach §§ 3, 13 Abs. 2, 31 Abs. 2 AsylG ebenfalls zu treffende Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Dementsprechend ist auch die auf § 34 AsylG beruhende Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes aufzuheben; die daran anknüpfende Befristungsentscheidung nach § 11 AufenthG ist gegenstandslos.

Auf die Beurteilung der Einwendungen der Kläger in Bezug auf eine Abschiebung nach Polen kommt es derzeit nicht an.