Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 31.03.2016, Az.: 5 A 464/16

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.03.2016
Aktenzeichen
5 A 464/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43018
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2015 wird hinsichtlich des in Ziffer 6 enthaltenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 8. Dezember 2015 enthaltene Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 7 AufenthG.

Der Kläger, ein albanischer Staatsangehöriger, reiste am 14. März 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. November 2015 einen Asylantrag. Im Rahmen der Antragstellung gab er an, er habe Albanien verlassen, weil er einem Bekannten seit drei Jahren Geld schulde und er Angst vor dieser Person habe. Er wolle in Deutschland Arbeit finden, um dann seine Schulden zu tilgen. Zu einer persönlichen Bedrohung sei es nicht gekommen. Schutzwürdige Belange, die bei einer eventuellen Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen seien, könne er nicht geltend machen. Familienangehörige habe er in Deutschland nicht.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2015, zugestellt am 22. Januar 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und drohte die Abschiebung nach Albanien an (Ziff. 1 bis 5 des Bescheides). Zudem ordnete das Bundesamt ein auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an (Ziff. 6) und sprach eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung aus (Ziff. 7). Zur Begründung der Ablehnung der Asylanträge führte das Bundesamt aus: Weil der Kläger aus Albanien und damit aus einem sicheren Herkunftsstaat komme, werde vermutet, dass er nicht verfolgt werde. Dem Kläger sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG seien erfüllt. Anhaltspunkte auf schutzwürdige Belange seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Das gelte auch für die vorgenommene Befristung auf zehn Monate. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen wären.

Der Kläger hat am 28. Januar 2016 gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt er aus: Zum 1. Februar 2016 habe er einen Ausbildungsvertrag als Gärtner bei der Baumschule …. in W. abgeschlossen. § 26 Abs. 2 der Beschäftigungsverordnung - BeschV - ermögliche es u.a. Staatsangehörigen aus Albanien, die zwischen dem 1. Januar und 24. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt haben, am 24. Oktober 2015 noch in Deutschland waren und unverzüglich ausreisen, bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat zum Zwecke der Beschäftigung ein Visum zur Arbeitsaufnahme zu beantragen. Diese Möglichkeit der Wiedereinreise zum Zwecke der Beschäftigung bestehe nicht, wenn derjenige, der davon Gebrauch machen könne, einem Einreise- und Aufenthaltsverbot unterworfen sei. Bei Bestandskraft eines zehnmonatigen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach seiner freiwilligen Ausreise stehe ihm der Ausbildungsplatz nicht mehr zu Verfügung. Zwar habe er seinen formellen Asylantrag erst am 12. November 2015 gestellt. Weil er aber erst zu diesem Datum einen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten habe, sei auf den Zeitpunkt seiner Einreise abzustellen. Am 14. März 2015 habe er auch eine Bescheinigung über seine Meldung als Asylsuchender (BÜMA) erhalten. Bei Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei er bereit, freiwillig auszureisen, um dann über die Deutsche Botschaft in T. einen Visumsantrag zur Aufnahme einer Beschäftigung bzw. einer Berufsausbildung zu stellen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2015 hinsichtlich des in Ziffer 6 enthaltenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufzuheben,

hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf einen Monat nach der Ausreise zu befristen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 16. März 2016 (- 5 B 465/16 -) hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das in Ziffer 6 des angefochtenen Bescheides enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, hat Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Regelung zu Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 VwGO).

Gem. § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Über die Dauer der Sperrfrist entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 11 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Das Gericht hat nur zu prüfen, ob die in § 114 VwGO genannten besonderen Voraussetzungen eingehalten werden, d.h. ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes - hier der behördlichen Befristungsentscheidung - gegeben sind, ob der Erlass des Verwaltungsaktes auf Ermessensfehlern beruht und ob eine Unterlassung einer rechts- und ermessensfehlerfreien Entscheidung der Behörde beim betroffenen Ausländer zu einer Rechtsverletzung führt.

Zwar ist es dem Grunde nach nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt bei der Ermessensausübung dem Zweck der Ermächtigung des § 11 Abs. 7 AufenthG, aus generalpräventiven Erwägungen einer Überlastung des Asylverfahrens durch offensichtlich nicht schutzbedürftige Personen entgegenzuwirken und die entsprechenden Kapazitäten vielmehr für die Prüfung der Asylanträge tatsächlich schutzbedürftiger Personen einzusetzen (vgl. BT - Drs. 18/4097, Seite 38), dahingehend Rechnung trägt, dass sämtliche Ausländer, die - wie hier der Kläger - den Tatbestand des § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllen, mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden (vgl. Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch- Maor, Stand: 1. November 2015, Rn. 52). Auch hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt, dass der Kläger im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen verfügt, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen wären. Im Rahmen seiner Anhörung hat er keinerlei Angaben zum Bestehen schutzwürdiger Belange gemacht (Bl. 51 Mitte der Beiakte).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist allerdings gemäß § 77 Abs. 1, Satz 1, 2. Halbsatz AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Einfügung eines Satzes 3 in § 77 Abs. 1 AsylVfG (Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Stand: 14. September 2015, 12.30 Uhr, Seite 34 und 95), nach dem das Gericht bei Streitigkeiten über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abstellt, ist in der verabschiedeten Gesetzesfassung nicht erfolgt.

Demgemäß ist hier der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger im gerichtlichen Verfahren unter Vorlage des entsprechenden Dokumentes geltend gemacht hat, am 17. Dezember 2015 mit der Baumschule H. einen Ausbildungsvertrag als Gärtner abgeschlossen zu haben. Der Kläger kann insoweit von der zum 28. Oktober 2015 erfolgten Änderung der Beschäftigungsverordnung profitieren. Nach § 26 Abs. 2 BeschV können u.a. für Staatsangehörige von Albanien in den Jahren 2016 bis einschließlich 2020 durch die Bundesagentur für Arbeit Zustimmungen zur Ausübung jeder Beschäftigung erteilt werden. Die Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels bei der jeweils zuständigen deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat gestellt wurde.

Ziel der Änderung der Beschäftigungsverordnung war es, den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber sowie für Geduldete zu erleichtern. Durch die Möglichkeit, unabhängig von der persönlichen Qualifikation eine Ausbildung oder Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen, soll der Asyldruck aus den Staaten des Westbalkans verringert werden. Sowohl Menschen mit anerkannter Schutzberechtigung als auch Menschen, bei denen ein dauerhafter und rechtmäßiger Aufenthalt zu erwarten ist, soll eine Perspektive auf Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt sowie auf Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft gegeben werden. Dabei soll insbesondere eine legale Migration für Staatsangehörige aus den Staaten des Westbalkans ermöglicht werden, die kein Asylrecht in Anspruch nehmen können (Verordnungsentwurf zur Änderung der Beschäftigungsverordnung, der Integrationskursverordnung und weiterer Verordnungen, Stand: 20. September 2015, 22.55 Uhr, Seite 1 und 14).

Gem. § 26 Abs. 2 Sätze 3 und 4 BeschV darf die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht erteilt werden, wenn der Antragsteller in den letzten 24 Monaten vor Antragstellung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen hat. Eine Ausnahme gilt aber für Antragsteller, die nach dem 1. Januar 2015 und vor dem 24. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt haben, sich am 24. Oktober 2015 gestattet, mit einer Duldung oder als Ausreisepflichtige im Bundesgebiet aufgehalten haben und unverzüglich ausreisen.

Zwar hat der Kläger seinen Asylantrag erst am 12. November 2015 und damit  nach Ablauf des in § 26 Abs. 2 Satz 4 BeschV genannten Zeitraums gestellt. Diese Verzögerung der Asylantragstellung hat der Kläger indes nicht zu vertreten. Jeder Flüchtling, der in einer Unterkunft ankommt, wird durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in den Systemen EASY und NIAS registriert und erhält anschließend eine Bescheinigung über seine Meldung als Asylsuchender. Das Stellen eines Asylantrags beim Bundesamt setzt aber zwingend eine weitere Registrierung und erkennungsdienstliche Behandlung im MARIS-System des Bundes voraus. Weil es zumindest im Jahr 2015 zwischen dem Bundessystem MARIS und dem Landessystem NIAS keinerlei Schnittstelle gegeben hat, bestand aufgrund des starken Anstieg der Zugangszahlen die Möglichkeit einer zeitnahen zusätzlichen Registrierung auch im System MARIS ebenso wenig wie die notwendige erkennungsdienstliche Behandlung (vgl. im Einzelnen die Beantwortung der Dringlichen Anfrage der Fraktion der FDP „Illegaler Grenzübertritt von Flüchtlingen - Verbesserung der Registrierung - Rechtsstaat wiederherstellen“ in der Sitzung des Nds. Landtags am 12. November 2015; TOP 20a). In der Folge kam es zu mehrmonatigen Verzögerungen zwischen der Zuweisung einer Unterbringung und einer förmlichen Asylantragstellung. Der Kläger hat bereits am 14. März 2015 eine Bescheinigung über seine Meldung als Asylsuchender erhalten. Weil sich die Asylantragstellung durch den Kläger durch außerhalb seiner Verantwortungssphäre liegende Umstände verzögert hat, ist er im Hinblick auf § 26 Abs. 2 Satz 4 BeschV so zu stellen, als hätte er den Asylantrag innerhalb des dort genannten Zeitraums gestellt.

Bei der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wäre - ausgehend von der heutigen Sachlage - zu berücksichtigen gewesen, dass der Kläger ein konkretes Angebot für einen Ausbildungsplatz erhalten hat, der ihm bei der von ihm beabsichtigten freiwilligen Ausreise im Falle einer Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit trotz fehlenden Asylrechts eine - von der Beschäftigungsverordnung in der geänderten Fassung intendierte - legale Migration ermöglicht hätte. Ließe man diese Entwicklung unberücksichtigt, liefe die in § 26 Abs. 2 Satz 4 BeschV geschaffene Regelung für Antragsteller, die bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung nach Deutschland eingereist sind, ins Leere, weil das angeordnete mehrmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot eine Wiedereinreise auf dem vorgezeichneten legalen Weg mit dem Ziel der Aufnahme einer Beschäftigung für einen längeren Zeitraum ausschließt. Im Fall des Klägers stünde nach dessen für das Gericht nachvollziehbaren Angaben im gerichtlichen Verfahren bei Bestandskraft eines zehnmonatigen Einreise- und Aufenthaltsverbotes der für ihn vorgehaltene Ausbildungsplatz nicht mehr zur Verfügung.

Damit liegen ausreichende Gründe vor, die unter Zugrundelegung der heutigen Sachlage die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG ermessensfehlerhaft erscheinen lassen und eine insoweitige Aufhebung des Bescheides erfordern.