Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.06.2013, Az.: L 14 U 145/11
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.06.2013
- Aktenzeichen
- L 14 U 145/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64285
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 19.05.2011 - AZ: S 2 U 73/09
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 7. Dezember 2005 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
In einem am 8. Dezember 2005 gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) erstatteten Durchgangsarztbericht gab Prof. Dr. D., Klinikum E., an, dass der 1975 geborene Kläger einen Unfall erlitten habe, als ihm ein Gabelstapler gegen das rechte obere Sprunggelenk gefahren sei. Als Diagnose sei eine schwere Distorsion des rechten Sprunggelenkes ohne knöcherne oder Bandverletzung zu stellen gewesen. Unfallbetrieb sei die Firma F. GbR, G., gewesen.
In dem daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Verwaltungsverfahren teilte die Firma auf Anfrage am 21. März 2006 mit, dass der Kläger am 7. Dezember 2005 privat in seiner Freizeit in der Firma gewesen sei. Zu dem Zeitpunkt hätte dieser noch kein Beschäftigungsverhältnis begonnen. Am 7. Juni 2006 teilte die Firma ferner mit, dass der Grund des Aufenthalts des Klägers auf dem Betriebsgelände die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages gewesen sei, um am darauffolgenden Tag mit der Beschäftigung beginnen zu können.
Über seinen Verfahrensbevollmächtigten wandte sich der Kläger dann die Beklagte, die ihm die Schreiben der Firma F. GbR übersandte.
Mit Schreiben vom 26. April 2007 übersandte der Kläger Gesprächsvermerke der Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAGIS) vom 2. Dezember 2005 und 15. Dezember 2005, in denen im Wesentlichen inhaltlich ausgeführt wird, dass der Kläger seit dem 5. Dezember 2005 bei der Firma F. GbR arbeite. Es sei mit dem Arbeitgeber gesprochen und dies bestätigt worden. Der Kläger habe vom 5. Dezember 2005 bis 7. Dezember 2005 dort gearbeitet und am 7. Dezember 2005 einen Arbeitsunfall erlitten. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien beim Arbeitgeber.
Auf Anfragen der Beklagten teilte der Kläger am 6. September 2007 mit, dass es nicht mehr zu einer Unterzeichnung des Arbeitsvertrages gekommen sei. Am 9. September 2008 teilte der Kläger ferner mit, dass es zutreffe, dass er vom 5. Dezember bis 7. Dezember 2005 in der Firma F. GbR im Rahmen eines Probearbeitsverhältnisses tätig gewesen sei. Er sei im Lagerbereich eingesetzt gewesen. Die Arbeit hätte auf dem Gelände der Firma H. stattgefunden. Er habe die Aufgabe gehabt, gemeinsam mit anderen Mitarbeitern aus einem LKW Kartons auszuladen und diese auf Paletten zu packen und anschließend mit Folie zu umhüllen. Die Probearbeit sei mit dem Inhaber der Firma, Herrn H. I., abgesprochen gewesen. Er habe täglich im Durchschnitt vier Stunden gearbeitet. Arbeitsentgelt sei nicht ausgezahlt worden.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, weil weder ein Beschäftigungsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII noch eine „Wie“-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 SGB VII vorgelegen hätte.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Auskunft der BAGIS vom 15. Mai 2009 ein, in der ausgeführt wird, dass eine Aufforderung an den Kläger seitens der BAGIS, sich bei dem Arbeitgeber F. GbR zu melden, nicht erfolgt sei. Einem am 28. Mai 2009 erstellten Vermerk ist ferner zu entnehmen, dass eine Rückfrage bei der BAGIS ergeben habe, dass sich nach Aktenlage ergebe, dass die Unfallfirma nicht vom Arbeitsamt kontaktiert worden sei. Man habe durch Zufall von der Tätigkeit des Klägers erfahren und dem Arbeitgeber daraufhin einen Eingliederungszuschuss angeboten. Eine Vermittlung sei nicht erfolgt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, weil sich aus den Auskünften der BAGIS auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14, 15 b des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) ergeben habe.
Hiergegen hat der Kläger am 8. September 2009 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Das SG hat in seiner mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2011 den Kläger ergänzend befragt sowie die Zeugen J., I. und K. vernommen. Hinsichtlich des Inhalts dieser Aussagen wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Anschließend hat das SG mit Urteil vom selben Tag den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2009 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger am 7. Dezember 2005 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger am Unfalltag Beschäftigter der Firma F. GbR im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gewesen sei. Der Kläger habe in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Der Umstand, dass er keinen Arbeitsvertrag erhalten habe, stehe dem nicht entgegen. Der Kläger sei in den Betrieb eingegliedert gewesen und habe dabei hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung dem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterlegen. Es stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass Grund für den am 7. Dezember 2005 fehlenden Arbeitsvertrag die Ortsabwesenheit des Herrn I. gewesen sei.
Gegen das ihr am 30. Mai 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. Juni 2011 Berufung eingelegt. Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers um ein unversichertes Probearbeitsverhältnis gehandelt habe. Der Kläger habe keinen Arbeitsvertrag erhalten, es sei noch ein persönliches Gespräch mit dem zweiten Firmeninhaber erforderlich gewesen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 19. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beruft sich auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren die Aktenvorgänge des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven und des Landesarbeitsgerichts Bremen beigezogen. Anschließend hat der Senat am 13. Mai 2013 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger ergänzend befragt sowie die Zeugen H. L., H. I. und Z. I. vernommen worden sind. Hinsichtlich des Ergebnisses der Befragung bzw. Vernehmung wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogenen Akten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die gem. §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.
Der Senat konnte gemäß § 155 Abs. 3 SGG i.V.m. § 155 Abs. 4 SGG durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das SG Osnabrück hat daher in seinem Urteil vom 19. Mai 2011 zu Recht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass der Kläger am 7. Dezember 2005 einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes erlitten hat. Die Entscheidung des SG ist unter Darlegung der zutreffenden Rechtsnormen sowie unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung verbunden mit einer rechtsfehlerfreien Auslegung zutreffend und ausführlich begründet. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an, sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf den Berufungsvortrag der Beklagten sowie die im Berufungsverfahren durch den Berichterstatter des Senats durchgeführten weiteren Beweisaufnahme durch ergänzende Befragung des Klägers sowie der Zeugen H. L., H. I. und Z. I. ist ergänzend auszuführen, dass letztere das Ergebnis des SG in seinem Urteil vom 19. Mai 2011 stützen. Auch zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger am Unfalltag bereits in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Firma F. GbR gestanden hat. Dies geht für den Senat plausibel und nachvollziehbar aus der Aussage des Zeugen Hassan I. hervor, der bekundet hat, dass das an die Beklagte gerichtete Schreiben vom 21. März 2006 fehlerhaft gewesen sei. Der Kläger sei im Betrieb gewesen, um dort zu arbeiten. Er sei auch zur Arbeit bestellt worden. Wie es zu dem Schreiben gekommen sei, könne er nicht sagen. Ein Arbeitsvertrag sei für den Kläger auch vorgesehen gewesen. Normalerweise sei es so, dass der Arbeitsvertrag sofort ausgestellt werde, wenn alle Unterlagen vorlägen. Er selbst - der Zeuge - sei im Urlaub gewesen, der Kläger hätte seinen Arbeitsvertrag bekommen. Aus diesen Bekundungen geht für den Senat deutlich hervor, dass der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, jedoch lediglich der schriftliche Arbeitsvertrag noch gefehlt hat. Soweit die Beklagte demgegenüber vorgetragen hat, dass hierzu noch ein persönliches Gespräch mit dem zweiten Firmeninhaber erforderlich gewesen sei, hat die Beweisaufnahme dies nicht bestätigt. Die Zeugen H. L. und H. I. haben übereinstimmend bekundet, dass jeder für seinen eigenen Bereich in der Firma zuständig gewesen sei und auch jeder eigenständig Personen für seinen Bereich eigenverantwortlich eingestellt habe. Eine Rücksprache hierfür sei nicht erfolgt. Unter Würdigung dieser erneuten Bekundungen der Zeugen sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem SG zur vollen Überzeugung das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses des Klägers zum Unfallzeitpunkt und damit eines Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als gegeben an. Als der Kläger als versicherte Person einen Unfall infolge der versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt erlitten hat, hat er folglich einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erlitten. Die Berufung der Beklagten konnte demnach keine Aussicht auf Erfolg haben, weil es im Ergebnis auf die rechtliche Bewertung eines so genannten (unversicherten) Probearbeitsverhältnisses nicht ankam.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.