Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.06.2013, Az.: L 8 SO 365/10

Anspruch auf Sozialhilfe; Übernahme von Bestattungskosten ab 01.01.2005 als Hilfe in anderen Lebenslagen bei Unzumutbarkeit der Mittelaufbringung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.06.2013
Aktenzeichen
L 8 SO 365/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 53614
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0620.L8SO365.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 26.10.2010 - AZ: S 51 SO 74/09

Fundstellen

  • ZfF 2015, 228-230
  • info also 2015, 282

Redaktioneller Leitsatz

Voraussetzung für die Übernahme von Bestattungskosten nach dem SGB XII ab dem 01.01.2005 ist u.a. gem. § 19 Abs 3 SGB XII, dass die Aufbringung der Mittel der leistungsberechtigten Person und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten aus dem nach SGB XII zu ermittelndem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Oktober 2010 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die vollständige Übernahme der Bestattungskosten für ihre am 3. April 2008 verstorbene Mutter, Frau F ... Die Beklagte hat einen Betrag von 1.220,00 EUR wegen Einkommens des Ehemannes der Klägerin nicht übernommen.

Die Mutter der Klägerin verstarb am 3. April 2008 in Hannover. Die Klägerin als soweit ersichtlich einziges Kind der alleinstehenden Verstorbenen hat vor dem Amtsgericht Hannover am 14. April 2008 für sich und insoweit zusammen mit ihrem Ehemann handelnd für ihr einziges Kind das Erbe ausgeschlagen. Die Bestattung erfolgte durch das Bestattungsunternehmen G., welches eine Rechnung in Höhe von 3.003,50 EUR ausgestellt hat.

Mit formlosem Antrag vom 7. April 2008 beantragte die Klägerin bei der für die Beklagte handelnden Landeshauptstadt Hannover (LHH) die Übernahme von Bestattungskosten für ihre Mutter und gab als eigenes Einkommen Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR sowie unter Überreichung einer Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2007 sowie Monatsabrechnungen Einkommen ihres Ehemannes aus abhängiger Beschäftigung von monatlich über 3.000,00 EUR netto an. Als Haus- und Grundbesitz war nach dem Antrag ein selbstbewohntes Haus vorhanden, insoweit wurden Baufinanzierungsunterlagen vorgelegt. Weiterer nicht selbstbewohnter Haus- und Grundbesitz wurde verneint.

Die LHH ermittelte daraufhin die für erforderlich gehaltenen Bestattungskosten in Höhe von 2.993,00 EUR; nicht berücksichtigt wurden lediglich die Kosten für vier Sterbeurkunden in Höhe von 10,50 EUR. Unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens des Ehemannes der Klägerin von 3.267,84 EUR und dem Kindergeld von 154,00 EUR errechnete sie ein Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze von 1.778,38 EUR (zweifacher Eckregelsatz gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII 694,00 EUR, Familienzuschlag gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII 485,80 EUR, angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII 598,58 EUR) in Höhe von 1.643,46 EUR, von dem sie für angemessen gehaltene Schuldverpflichtungen von 423,49 EUR abzog, und gelangte damit zu einem anzurechnenden Betrag über der Einkommensgrenze von 1.219,97 EUR. In Höhe des gerundeten Betrages von 1.220,00 EUR sei die Klägerin zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet. Bewilligt wurde mit Bescheid vom 21. April 2008 ein Betrag von 1.773,00 EUR. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 2009). Auf Nachfrage beim Grundbuchamt war der LHH mitgeteilt worden, dass der Ehemann der Klägerin seit 1995 Eigentümer einer Eigentumswohnung in Hannover-Misburg ist. Eine Aufforderung der LHH vom 23. Mai 2008, die Klägerin möge Vermögensnachweise, insbesondere für nicht selbstbenutzte Immobilien, Bausparverträge und Lebensversicherungen sämtlicher Familienmitglieder vorlegen, war unbeantwortet geblieben.

Am 26. Februar 2009 hat der Ehemann der Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und später eine Vollmacht der Klägerin nachgereicht. Er gehöre als Schwiegersohn der Verstorbenen nicht zu dem nach § 74 SGB XII zu zählenden Personenkreis, außerdem sei ein Antrag auf Übernahme der Kosten für einen Grabstein noch nicht bearbeitet worden. Die Minderung von 2.993,00 EUR auf 1.219,97 EUR sei willkürlich. In der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2010 hat der Ehemann der Klägerin für diese die Zahlung von weiteren 1.220,00 EUR begehrt.

Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG den Bescheid der LHH vom 21. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 29. Januar 2009 geändert und die Beklagte verurteilt, weitere Kosten für die Bestattung der Verstorbenen in Höhe von 1.220,00 EUR zu übernehmen. In Fällen des § 74 SGB XII sei nur die individuelle finanzielle Situation des Verpflichteten maßgebend, ein Ehepartner habe mit seinem Einkommen nicht zu den Bestattungskosten beizutragen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 18. November 2010 eingelegten Berufung. Sie vertritt die Auffassung, nach § 19 Abs. 3 SGB XII seien auch bei den Bestattungskosten nach § 74 SGB XII unter anderem Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen. Bei allen individuellen Bedarfen nach dem SGB XII sei das Einkommen aller Mitglieder der Einsatzgemeinschaft dem Bedarf gegenüber zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Ihres Erachtens knüpft § 74 SGB XII nicht zwingend an die Bedürftigkeit des Anspruchsinhabers an, sondern verwendet eine eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit und nehme damit im Recht der Sozialhilfe eine Sonderstellung ein.

Außer den Gerichtsakten lagen ein Band Verwaltungsakten der LHH und ein Heft Verwaltungsakten der Beklagten vor. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen weiteren - Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten, weil zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen des Ehemannes der Klägerin einen Anspruch ausschließen. Das angefochtene Urteil des SG ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Zu Recht hat die Klägerin ihr Begehren erstinstanzlich im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abse. 1 und 4, § 56 SGG) verfolgt, mit der sie höhere als die mit Bescheid vom 21. April 2008 bewilligten Leistungen begehrte. Wegen des Verböserungsverbotes im gerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bewilligung von 1.773,00 EUR, obwohl der Klägerin ein entsprechender Anspruch nicht zugestanden hat. Im Hinblick auf den ausdrücklich vor dem SG gestellten Antrag ist hier nur zu prüfen, ob der Klägerin weitere 1.220,00 EUR zustehen. Hinsichtlich des Grabmales ist ein getrenntes Verwaltungsverfahren geführt worden; der Bescheid vom 30. Mai 2011 ist nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, weil er den hier angefochtenen Bescheid weder geändert noch ersetzt hat.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Leistung ist § 74 SGB XII. Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Kostentragung der Klägerin zumutbar ist.

Die Klägerin war als Tochter der Verstorbenen kostentragungspflichtig im Sinne des § 74 SGB XII. Dies folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen. Unbeachtlich ist insoweit, dass die Klägerin das Erbe ausgeschlagen hat. Zwar ist sie damit nicht mehr nach § 1968 BGB verpflichtet, als Erbin die Kosten der Bestattung zu tragen, an ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung ändert dies jedoch nichts. Im Übrigen hätte die Klägerin, wäre sie nicht Verpflichtete im Sinne von § 74 SGB XII, ohnehin keinen Anspruch auf die Übernahme der Bestattungskosten.

Der Klägerin war es zuzumuten, die Bestattungskosten zu tragen. Zwar verfügte sie selber, die Richtigkeit der Angaben im Antrag vom 7. April 2008 unterstellt, außer dem Kindergeld von 154,00 EUR über kein Einkommen und kein Vermögen. Entgegen der Auffassung des SG ist jedoch auch das Einkommen und Vermögen ihres Ehemannes zu berücksichtigen.

Nach § 19 Abs. 3 SGB XII werden u.a. Hilfen in anderen Lebenslagen nach dem Neunten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels SGB XII nicht zuzumuten ist. Die hier einschlägige Vorschrift des § 74 SGB XII als Teil des Neunten Kapitels ist dabei nicht ausgeschlossen. Insoweit unterscheiden sich die Regelungen im SGB XII von denen des bis 2004 geltenden BSHG. Dort galt § 28 BSHG, die Vorgängervorschrift des § 19 Abs. 3 SGB XII, nur für die Hilfe in besonderen Lebenslagen nach den Bestimmungen des Dritten Abschnitts des BSHG. Die Vorgängervorschrift des § 74 SGB XII (§ 15 BSHG) gehörte zum Zweiten Abschnitt des BSHG, für den keine allgemeinen, dem seit 2005 geltenden § 19 SGB XII entsprechenden, Regelungen existierten. Anders als bis 2004 sind damit grundsätzlich auch die Bestattungskosten einer allgemeinen "Sozialhilfeschwelle" unterworfen.

Die Bedürftigkeitsprüfung des § 19 Abs. 3 SGB XII ist allerdings überlagert von einer in § 74 SGB XII vorgesehenen (besonderen) Zumutbarkeitsprüfung. Die Vorschrift nimmt im Recht der Sozialhilfe eine Sonderstellung ein, die es rechtfertigt, neben den wirtschaftlichen Verhältnissen der nach § 19 SGB XII Heranzuziehenden im Hinblick auf die besondere Situation des zur Bestattung Verpflichteten andere Momente zu berücksichtigen (vgl. BSG Urteil vom 25. August 2011 B 8 SO 20/10 R, juris, RdNr. 24 mwN.; BSG Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 23/08 R -, juris, RdNr. 14,16; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 74 RdNr. 12). Dies führt jedoch nicht dazu, dass § 19 Abs. 3 SGB XII in Fällen des § 74 SGB XII gar nicht anzuwenden wäre; ein solches Ergebnis würde dem ausdrücklichen Wortlaut des § 19 Abs. 3 entgegenstehen (a.A. wohl Grube: in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 74 RdNr. 38; angedeutet auch bei Greiser in: juris-PK SGB XII, § 74 RdNr. 49).

Die Übernahme von Bestattungskosten als Bedarf im Rahmen der Hilfe in anderen Lebenslagen nach den Bestimmungen des 9. Kapitels SGB XII setzt damit gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII voraus, dass den Leistungsberechtigten und unter anderem ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des 11. Kapitels SGB XII nicht zuzumuten ist. Hinsichtlich des einzusetzenden Einkommens und Vermögens kann die Klägerin im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Selbsthilfe gem. § 19 Abs. 3 SGB XII und den allgemeinen sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 SGB XII) deshalb nicht anders behandelt werden als bei den anderen Hilfen nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII (vgl. SG Karlsruhe Urteil vom 22. Juli 2011 S 1 SO 1329/11, juris; ähnlich auch: LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. März 2011 L 9 SO 19/09, juris; H. Schellhorn in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 18. Aufl. 2010 § 74 RdNr. 12; Kaiser in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht § 74 SGB XII RdNr. 8; Berlit in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012 § 74 SGB XII RdNr. 9).

Zwar ist der Ehemann der Klägerin weder kraft Gesetzes noch nach öffentlich-rechtlichen Bestattungsvorschriften verpflichtet, die Kosten der Bestattung seiner Schwiegermutter zu tragen. Sozialhilfeleistungen erhält jedoch nur derjenige, der die erforderliche Leistung nicht beispielsweise von Angehörigen erhält. Das SGB XII unterstellt mit der Regelung in § 19 Abs. 3 auch bei der Übernahme von Kosten einer Bestattung, dass ein dort genannter Familienangehöriger nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt Sorge trägt, sondern in Not- und Wechselfällen auch den Bedarf der Einstandsgemeinschaft insgesamt - im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit - zunächst aus dem gemeinsam mit dem ihm und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten zur Verfügung stehenden Einkommen und Vermögen deckt. Dies entspricht der Erfahrung, dass in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft "aus einem Topf" gewirtschaftet wird und die Bedürfnisse des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten aus den gemeinsamen Beiträgen ohne Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche befriedigt werden (SG Karlsruhe Urteil vom 22. Juli 2011 S 1 SO 1329/11, juris).

Auch nach Auffassung des BSG scheint kein Grund ersichtlich zu sein, in den Fällen des § 74 SGB XII die Regelungen des § 19 Abs. 3 SGB XII nicht anzuwenden. Nach dem Terminbericht zum Termin vom 28. Februar 2013 - B 8 SO 19/11 R (dort hat der beklagte Sozialhilfeträger die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, mit dem er verurteilt worden war, zurückgenommen) waren die Vermögensverhältnisse des Ehemannes der dortigen Klägerin in die Prüfung des § 74 SGB XII einzubeziehen.

Hiervon ausgehend bedarf es keiner näheren Prüfung, ob die Berechnung der Beklagten (unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehemannes der Klägerin) im Einzelnen zutreffend ist. Jedenfalls wegen des ursprünglich nicht angegebenen Grundvermögens des Ehemannes der Klägerin war diesem die Aufbringung der für die Bestattung der Verstorbenen erforderlichen Kosten zuzumuten. Er ist Eigentümer einer nicht von ihm oder der Klägerin genutzten Eigentumswohnung in Hannover-Misburg. Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Wohnung belastet oder verwertet werden könnte und damit die hier streitigen 1.220,00 EUR beglichen werden können. Da eine Anfrage der LHH vom 23. Mai 2008 unbeantwortet geblieben ist, mit der u.a. Nachweise für nicht selbstbenutzte Immobilien oder Bausparverträge erbeten wurden, können auch keine den Wert der Wohnung möglicherweise mindernden Umstände berücksichtigt werden. Auch Anhaltspunkte für eine individuelle Unzumutbarkeit einer Verwertung der Wohnung sind nicht ersichtlich. Schließlich spricht die Tatsache, dass die Kosten für die Bestattung inklusive der streitigen 1.220,00 EUR von der Klägerin bzw. ihrem Ehemann beglichen wurden, gegen eine Unzumutbarkeit der Kostentragung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.