Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 17.08.2022, Az.: StGH 3/22
Begründung; Frist; Nichtanerkennungsbeschwerde; Parteisatzung; Rechtsschutzinteresse
Bibliographie
- Gericht
- StGH Niedersachsen
- Datum
- 17.08.2022
- Aktenzeichen
- StGH 3/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 61679
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 8 Nr 11 StGHG ND
- § 36a StGHG ND
- § 12 StGHG ND
- § 96a BVerfGG
- § 14 WahlG ND
- § 16 WahlG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Nach § 36a Abs. 2, § 12 NStGHG i.V.m. § 23 Abs.1 BVerfGG sind Nichtanerkennungs-beschwerden innerhalb von vier Tagen zu begründen und die erforderlichen Beweismittel anzugeben. Soweit die ablehnende Entscheidung des Landeswahlausschusses darauf gestützt wird, dass die Vereinigung nicht die Kriterien der Parteieigenschaft erfülle, obliegt es der Beschwerdeführerin, sich mit den Kriterien des § 2 PartG auseinanderzusetzen und entsprechende Unterlagen vorzulegen. Dazu gehören zumindest die Parteisatzung und das Programm sowie bei einer geringen Mitgliederzahl Ausführungen und Nachweise für ein tatsächliches Hervortreten in der Öffentlichkeit.
2. Auch im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren müssen Beschwerdeführer ein Rechtsschutzinteresse für eine Sachentscheidung haben. Daran fehlt es u.a. dann, wenn die Beschwerdeführerin aus anderen Gründen als wegen ihrer Nichtzulassung als wahlvorschlagsberechtigte Partei an einer Wahlteilnahme gehindert ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Beschwerdeführerin nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Frist Kreis- und/oder Landeswahlvorschläge einreichen kann.
Tenor:
Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe
A.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag am 9. Oktober 2022.
I.
Die Beschwerdeführerin hat rechtzeitig bei der Landeswahlleiterin ihre Teilnahme an der Landtagswahl angezeigt. Mit Schreiben vom 6. Juli 2022 hat die Landeswahlleiterin die Wahlanzeige bestätigt und darauf hingewiesen, dass der Niedersächsische Landeswahlausschuss am 22. Juli 2022 verbindlich festzustellen hat, ob die Beschwerdeführerin für die Wahl als Partei anerkannt wird. Die Beschwerdeführerin wurde zu der Sitzung des Landeswahlausschusses am 22. Juli 2022 eingeladen. Es erschien aber kein Vertreter. Der Landeswahlausschuss lehnte die Anerkennung der Beschwerdeführerin als Partei ab, begründete die Entscheidung in der Sitzung und belehrte über den Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde.
II.
Mit E-Mail vom 10. August 2022 hat die Beschwerdeführerin durch zwei Parteivertreter, bei denen es sich um die satzungsmäßigen und gesetzlichen Vertreter handele, erstmals Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, die Landeswahlleiterin habe mit ihrem Schreiben vom 6. Juli 2022 verbindlich bestätigt, dass die Voraussetzungen für die Wahlanzeigen gemäß § 16 Abs. 1 NLWG rechtmäßig gegeben seien. Dadurch habe bereits eine inhaltliche Prüfung stattgefunden, dass bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Landtagswahl gegeben seien. Die Sitzung des Niedersächsischen Landeswahlausschusse am 22. Juli 2022 habe lediglich deklaratorische Bedeutung. An dieser Sitzung hätten die gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin nicht teilnehmen können, weil sie sich wegen einer Coronaerkrankung in Quarantäne befunden hätten. Von der Entscheidung des Landeswahlausschusses hätten sie erst Ende Juli erfahren. Im Übrigen sei die Parteieigenschaft der Beschwerdeführerin unproblematisch gegeben, wie sich aus der indirekten Teilnahme an der Niedersächsischen Kommunalwahl 2021 aufgrund des Wahlergebnisses ergebe.
Die unterschriebene Originalbeschwerdeschrift ist am 12. August 2022 beim Staatsgerichtshof eingegangen.
III.
Der Niedersächsische Landeswahlausschuss, vertreten durch die Landeswahlleiterin, hat Gelegenheit zu Äußerung erhalten. Er hat vorgetragen, dass die Beschwerde bereits wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig, aber auch unbegründet sei. Die Beschwerdeführerin biete nach dem Gesamtbild ihrer tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Art und Umfang ihrer Organisation und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit, keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzungen. Außerdem hat er mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin bislang weder einen Kreis- noch einen Landeswahlvorschlag eingereicht habe.
B.
I.
Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht fristgerecht eingereicht worden (1.), die Beschwerde ist nicht ausreichend begründet (2.), und ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (3.).
1. Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist nach § 36a Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - vom 1. Juli 1996 (Nds. GVBl. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 424), binnen vier Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Nichtanerkennung als wahlvorschlagsberechtigte Partei in der Sitzung des Niedersächsischen Landeswahlausschusses zu erheben. Es kommt dabei nicht auf den Eingang der Niederschrift über die Sitzung des Landeswahlausschusses nach § 28 Abs. 5Niedersächsische Landeswahlordnung - NLWO - vom 1. November 1997 (Nds. GVBl., S. 437), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 30. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 429), sondern auf die Bekanntgabe der Entscheidung in der Sitzung des Landeswahlausschusses an, wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 36a Abs. 2 NStGHG ergibt (vgl. zum insoweit gleichlautenden § 96a BVerfGG: Hummel in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2021, § 96a, Rn. 17; Grünewald in: BeckOK, BVerfGG, § 96a, Rn. 12 - jeweils unter Hinweis auf § 33 Abs. 4 BWO). Die Vier-Tage-Frist zur Erhebung der Nichtanerkennungsbeschwerde begann deshalb mit der mündlichen Bekanntgabe der Entscheidung des Landeswahlausschusses am Freitag, dem 22. Juli 2022, und endete nach Ablauf von vier Tagen am Dienstag, dem 26. Juli 2022, um 24.00 Uhr (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 7/17 -, juris, Rn. 6). Selbst wenn man auf den Eingang der Beschwerde in Gestalt der E-Mail am 10. August 2022 abstellen würde, ging sie deutlich nach dem 26. Juli 2022 ein und ist verfristet. Gleiches gilt erst recht für die am 12. August 2022 eingegangene Originalbeschwerdeschrift.
Daran ändert auch der Vortrag der Beschwerdeführerin nichts, ihre beiden satzungsmäßigen und gesetzlichen Vertreter hätten wegen der coronabedingten Quarantäne (entschuldigt) nicht an der Sitzung des Landeswahlausschusses am 22. Juli 2022 teilnehmen können. Es ist nämlich unerheblich, ob die abgelehnten Parteien oder politischen Vereinigungen der Einladung der Landeswahlleiterin zur Sitzung des Landeswahlausschusses gefolgt sind, sie die Ladung möglicherweise gar nicht erhalten und verspätet oder gar nicht von der Entscheidung, deren Begründung und der Möglichkeit des Rechtsbehelfs Kenntnis erlangt haben. Die Unkenntnis geht zu Lasten der Beschwerdeführer (vgl. Grünewald in: BeckOK, BVerfGG, § 96a, Rn. 12). Es handelt sich um eine objektive und absolute Ausschlussfrist. Diese ist erforderlich, um den Ablauf der Wahl sicherzustellen und einen Rechtsbehelf vor der Wahl überhaupt zu ermöglichen (vgl. zum insoweit gleichlautenden § 60a Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -: VerfG Bbg, Beschl. v. 21.6.2019 - 42/19 -, juris Rn. 6; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 8). Die Einladung an die Vereinigungen zu der entscheidenden Sitzung des Landeswahlausschusses ist öffentlich. § 28 Abs. 2 Satz 1 NLWO sieht im Übrigen keine Begrenzung der Teilnahme ausschließlich auf die satzungsmäßigen und/oder gesetzlichen Vertreter der Vereinigung vor; diese ist mangels Vornahme rechtserheblicher Handlungen auch nicht erforderlich, so dass an der Sitzung am 22. Juli 2022 jedes Mitglied der Beschwerdeführerin oder eine von ihr besonders bevollmächtigte Person hätte teilnehmen können. So hätte die Beschwerdeführerin rechtzeitig von der Entscheidung des Landeswahlausschusses erfahren können.
2. Die Beschwerde genügt auch hinsichtlich ihrer Begründung jedenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 36a Abs. 2, § 12 NStGHG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) - in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 8.1993 (BGBl. I S. 1473), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20. November 11.2019 (BGBl. I S. 1724). Nach den vorgenannten Vorschriften sind Beschwerden innerhalb von vier Tagen zu begründen und die erforderlichen Beweismittel anzugeben. Denn nur so wird der Staatsgerichtshof in die Lage versetzt, sich im Rahmen der engen, gesetzlich vorgegebenen Zeitvorgaben (§§ 14 ff. NLWG) inhaltlich mit der Beschwerde befassen zu können. Soweit die ablehnende Entscheidung des Landeswahlausschusses darauf gestützt wird, dass die Vereinigung nicht die Kriterien der Parteieigenschaft erfülle, obliegt es den Beschwerdeführern, sich mit den Kriterien des § 2 Gesetz über die politischen Parteien – Parteiengesetz (PartG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) auseinanderzusetzen und entsprechende Unterlagen vorzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.7.2021 - 2 BvC 4/21 -, juris, Rn. 12). Dazu gehören zumindest die Parteisatzung und das Programm (vgl.Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 8) und bei einer geringen Mitgliederzahl Ausführungen und Nachweise für ein tatsächliches Hervortreten in der+ Öffentlichkeit (vgl.BVerfG, Beschl. v. 22.7.2021 - 2 BvC 6/21 -, juris, Rn. 10). Bis auf die Behauptung, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des Parteiengesetzes unproblematisch erfülle und an ihrer Ernsthaftigkeit der politischen und gesellschaftlichen Ziele keine Zweifel bestünden, enthält die E-Mail vom 10. August 2022 weder eine weitere Begründung noch Beweismittel. Auch der nachgereichte Schriftsatz vom 12. August 2022 enthält - unabhängig von der Verfristung - keine weiteren Angaben. Soweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, in dem Schreiben der Landeswahlleiterin vom 6. Juli 2022 liege bereits ihre Anerkennung als Partei zur Landtagswahl am 9. Oktober 2022, missversteht sie sowohl das Schreiben als auch die gesetzliche Regelung in § 16 Abs. 2 Niedersächsisches Landeswahlgesetz - NLWG - in der Fassung vom 30. Mai 2002 (Nds. GVBl. S. 153), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. Juni 2022 (Nds. GVBl. S. 429). Die Landeswahlleiterin hat in dem Schreiben eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass lediglich die nach § 16 Abs. 1 NLWG notwendige Wahlanzeige rechtzeitig eingegangen sei. Darüber hinaus gab sie ausdrücklich den Hinweis, dass noch die Anerkennung als Partei durch den Landeswahlausschuss erfolgen müsse. Die Sitzung finde am 22. Juli 2022 statt. Der Hinweis gibt die Rechtslage in § 16 Abs. 2 NLWG wieder. Danach ist (allein) der Landeswahlausschuss befugt, verbindlich festzustellen, welche Vereinigungen für die Wahl als Partei anzuerkennen sind.
3. Schließlich fehlt für die Nichtanerkennungsbeschwerde auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine Sachentscheidung. Auch im Nichtanerkennungsbeschwerde-verfahren müssen Beschwerdeführer ein solches Rechtsschutzinteresse haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.7.2013 - 2 BvC 2/13 -, BVerfGE 134, 121 (123), juris Rn. 6; Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 1/17 -, juris Rn. 8; VerfGH RP, Beschl. v. 28.1.2021 - VGH W 4/21 -, juris Rn. 7; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 13). Daran fehlt es u.a. dann, wenn die Beschwerdeführer aus anderen Gründen als wegen ihrer Nichtzulassung als wahlvorschlagsberechtigte Partei an einer Wahlteilnahme gehindert sind. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Beschwerdeführer nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Frist Kreis- und/oder Landeswahlvorschläge einreichen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.2017 - 2 BvC 1/17 -, juris Rn. 8; Hummel in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2021, § 96a, Rn. 15; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a, Rn. 13). Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 2 NLWG läuft die Frist zur Einreichung von Kreis- bzw. Landeswahlvorschlägen am 69. Tag vor der Wahl - 18.00 Uhr - ab. Das war für die Landtagswahl am 9. Oktober 2022 der 1. August 2022. Nach Mitteilung der Landeswahlleiterin hat die Beschwerdeführerin bis zu diesem Termin weder einen Kreis- noch einen Landeswahlvorschlag eingereicht. Wahlvorschläge, die erst nach Ablauf der Einreichungsfrist eingereicht werden, sind nicht zuzulassen (§ 21 NLWG). Für die Beschwerdeführerin lässt sich deshalb in keinem Fall mehr die Teilnahme an der Landtagswahl 2022 erreichen.
II.
Die Anträge werden nach § 36a Abs. 5, § 12 NStGHG i.V.m. § 24 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des Staatsgerichtshofs ohne Beteiligung der Richterin van Hove und ihrer Vertreterin, die beide verhindert sind, verworfen. Der Staatsgerichtshof ist gemäß § 9 Abs. 2 NStGHG auch ohne sie beschlussfähig.
C.
Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei, Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.