Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.04.2017, Az.: 22 W 12/16

Zulässigkeit der Anordnung von Ersatzzwangshaft wegen Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zur Beantragung eines neuen Personalausweises

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.04.2017
Aktenzeichen
22 W 12/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 15612
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2017:0407.22W12.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 01.11.2016 - AZ: 265 OWi 535/16

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2017, 922-923
  • NordÖR 2018, 344-345

Amtlicher Leitsatz

1. Die Anordnung von Ersatzzwangshaft ist auch zur Durchsetzung einer höchstpersönlichen Verpflichtung in Form der Abgabe einer Willenserklärung - hier eines Antrags auf Erteilung eines Personalausweises - nicht von vornherein ausgeschlossen.

2. Bei einem auf mehrere Zwangsgeldfestsetzungen gestützten Antrag der Behörde ist die Dauer der Ersatzzwangshaft nicht gestaffelt nach Anzahl und Höhe der einzelnen Zwangsgelder, sondern einheitlich unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung der Grundverfügung und der persönlichen Interessen und Verhältnisse des Betroffenen zu bemessen.

Tenor:

1. Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass gegen den Betroffenen Ersatzzwangshaft von zwei Tagen angeordnet wird.

2. Die Kosten der Beschwerde werden dem Betroffenen auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden insoweit nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert wird auf 900,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Dem Betroffenen wurde mit Bescheid der beteiligten Stadt vom 15. Januar 2015, dem Betroffenen zugestellt am 17. Januar 2015, aufgegeben, seiner Pflicht aus § 1 Abs. 1 PAuswG nachzukommen und bis zum 15. Februar 2015 im Bürgerbüro der beteiligten Stadt einen neuen Personalausweis zu beantragen. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anordnung drohte ihm die Stadt ein Zwangsgeld in Höhe von 300 € an und wies auch darauf hin, dass im Falle der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes auf ihren Antrag das zuständige Amtsgericht Ersatzzwangshaft anordnen könne. Nachdem der Betroffene die Anordnung nicht befolgt hatte, setzte die Stadt mit Bescheid vom 5. Mai 2015 gegen ihn das Zwangsgeld in Höhe von 300 € fest, und drohte ihm für den Fall, dass er der Aufforderung auch künftig nicht nachkomme, ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 600 € an und wies auch diesmal darauf hin, dass im Falle der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes Ersatzzwangshaft angeordnet werden könne. Da der Betroffene auch weiterhin die Anordnung nicht befolgte, setzte die Stadt mit Bescheid vom 25. Juni 2015 gegen ihn das Zwangsgeld in Höhe von 600 € fest. Der Betroffene kam bislang weder der Anordnung zur Beantragung eines Personalausweises nach, noch leistete er Zahlungen.

Vollstreckungsversuche der Stadtkasse vom 17. Juli 2015, 20. August 2015, 13. Januar 2016 und 10. Februar 2016 verliefen erfolglos. Bereits unter dem 9. September 2014 hatte der Betroffene eine Vermögensauskunft abgegeben. Danach ist er arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II, welches vom Jobcenter auf das Konto seiner Mutter überwiesen wird.

Auf Antrag der Stadt setzte das Amtsgericht Hannover - ohne vorherige schriftliche oder persönliche Anhörung des Betroffenen - mit Beschluss vom 1. November 2016 gegen den Betroffenen

"3 (zwei) Tage Ersatzzwangshaft

sowie weitere

6 (sechs) Tage Ersatzzwangshaft"

fest.

Gegen diesen - ihm am 4. November 2016 zugestellten - Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner Beschwerde, die am 18. November 2016 beim Amtsgericht Hannover eingegangen ist. Er trägt vor, dass er mittellos sei und die Kosten für Passfotos sowie die Gebühren für den Personalausweis nicht aufbringen könne.

Zu dem vom Senat auf den 5. April 2017 anberaumten Anhörungstermin ist der Betroffene trotz Ladung und Hinweises darauf, dass das Verfahren auch ohne seine persönliche Anhörung beendet werden könne, nicht erschienen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 68 Nds. SOG i.V.m. § 19 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG i.V.m. §§ 58 ff. FamFG) und hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden; allerdings war deren Dauer herabzusetzen.

1. Zwar hat das Amtsgericht den Betroffenen entgegen §§ 68 Abs. 2 Satz 3, 19 Abs. 4 Nds. SOG i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG nicht persönlich angehört. Der Verfahrensfehler ist allerdings gemäß § 69 FamFG durch Anberaumung eines Termins zur persönlichen Anhörung des Betroffenen vor dem Senat geheilt. Dass der Betroffene dem Anhörungstermin fern geblieben ist, hindert eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht (§ 34 Abs. 3 FamFG).

2. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist § 68 Abs. 1 Nds. SOG. Danach kann das Amtsgericht auf Antrag der Verwaltungsbehörde oder der Polizei Ersatzzwangshaft anordnen, wenn das Zwangsgeld uneinbringlich ist und bei Androhung des Zwangsgeldes auf die Möglichkeit der Ersatzzwangshaft hingewiesen worden ist. Weitere Voraussetzung der Anordnung von Ersatzzwangshaft ist gemäß § 64 Abs. 1 Nds. SOG, dass die Grundverfügung und die Zwangsgeldfestsetzung unanfechtbar oder sofort vollziehbar und nicht nichtig sind.

a) Diese gesetzlichen Voraussetzungen einer Haftanordnung hat das Amtsgericht hier mit Recht angenommen. Die Grundverfügung vom 15. Januar 2015 ist bestandskräftig geworden und enthielt sowohl die Androhung des ersten Zwangsgeldes als auch den Hinweis, dass Ersatzzwangshaft angeordnet werden kann. Die Zwangsgeldfestsetzungen und die darin enthaltenen Androhungen weiterer Zwangsgelder sind schon kraft Gesetzes (§ 64 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG) sofort vollziehbar. Die Zwangsgelder sind auch uneinbringlich. Der Betroffene ist - wie sich aus der erteilten Vermögensauskunft ergibt - amtsbekannt unpfändbar. Mehrere Vollstreckungsversuche blieben zudem ohne Erfolg.

b) Die Anordnung von insgesamt acht - bei Zugrundelegen der in Ziffern dargestellten Anzahl neun - Tagen Ersatzzwangshaft durch das Amtsgericht wird vorliegend allerdings dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht.

aa) Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG beträgt die Ersatzzwangshaft mindestens einen Tag, höchstens zwei Wochen. Liegen - wie hier - die gesetzlichen Voraussetzungen vor, hat das Amtsgericht unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach seinem freien richterlichen Ermessen in Ansehung aller Umstände des konkreten Falles zu entscheiden (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 11. Oktober 2016 - 3 O 172/16 -, LKV 2017, 85; OVG NRW, Beschluss vom 20. April 1999 - 5 E 251/99 -, NVwZ-RR 1999, 802 [OVG Nordrhein-Westfalen 20.04.1999 - 5 E 251/99]). Hierbei muss zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Durchsetzung der behördlichen Anordnung und den Interessen des Betroffenen umfassend abgewogen werden. Denn die Ersatzzwangshaft greift massiv in die durch Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 104 GG gewährleistete persönliche Freiheit ein und darf daher als subsidiäres Beugemittel nur das letzte Mittel des Staates zur Durchsetzung eines vollstreckbaren Anspruchs sein (vgl. BVerwGE 4, 196, 198; OVG NRW aaO.; Rachor in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Abschn. F Rn. 945 mwN). Die Anordnung der Ersatzzwangshaft ist deshalb dann unverhältnismäßig, wenn der angestrebte Erfolg durch ein anderes, weniger einschneidendes Zwangsmittel, wie beispielsweise die Ersatzvornahme, erreicht werden kann (vgl. OVG LSA aaO.).

Das ist hier indes nicht der Fall. Ein anderes Zwangsmittel kommt nicht in Betracht, wenn - wie hier - die Erfüllung einer höchstpersönlichen Verpflichtung des Betroffenen erzwungen werden soll (vgl. VG Meiningen, Beschluss vom 14. September 1999 - 8 V 441/99.Me -, NVwZ-RR 2000, 477). Der Auffassung, dass in einem solchen Fall, weil auch das mindestens gleich belastende Zwangsmittel des unmittelbaren Zwanges zur Abgabe einer Willenserklärung ausgeschlossen sei, dies auch für die Ersatzzwangshaft gelten müsse und die Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Personalausweises daher nicht durch Ersatzzwangshaft erzwungen werden dürfe (so VG Magdeburg, Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 1 B 1091/14 -, juris), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn dies würde darauf hinauslaufen, dass eine Durchsetzung der Personalausweispflicht nach § 1 Abs. 1 PAuswG - unabhängig vom jeweiligen Einzelfall - schlechthin ausgeschlossen wäre und die Behörde bei dauerhafter Uneinbringlichkeit von Zwangsgeldern das Verwaltungsverfahren einstellen müsste.

Ist ein sich beständig weigernder, vermögensloser Vollstreckungsschuldner sehr wohl in der Lage, die geforderte Handlung, die wie etwa der Abschluss eines Haftpflichtversicherungsvertrages auch in der Abgabe einer Willenserklärung bestehen kann (vgl. OVG LSA aaO.), vorzunehmen, besteht für einen Abbruch des Verwaltungsverfahrens indes keine Veranlassung. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit darf nicht darauf hinauslaufen, dass das Zwangsmittel praktisch leerläuft (ebenda). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das mit der Grundverfügung verfolgte Ziel durch eine andere behördliche Maßnahme von vornherein einfacher und effizienter hätte erreicht werden können, was hier aber nicht der Fall ist.

Der Anordnung von Ersatzzwangshaft steht auch nicht entgegen, dass der Betroffene von Sozialleistungen lebt und behauptet, die Kosten für Passfotos und die Gebühren für den Personalausweis nicht aufbringen zu können. Denn in diesen Sozialleistungen sind seit dem 1. Januar 2011 die notwendigen Aufwendungen für die Beschaffung bzw. Ausstellung eines deutschen Personalausweises bereits berücksichtigt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 18. Mai 2015 - L 20 SO 355/13 -, Rn. 37, juris).

bb) Bei der Festsetzung der Dauer der Ersatzzwangshaft hat sich das Amtsgericht ersichtlich an der Anzahl und der Höhe der festgesetzten Zwangsgelder orientiert und die Ersatzzwangshaft in zwei Staffeln mit je einem Tag pro hundert Euro bemessen. Die beteiligte Stadt hatte beantragt, gegen den Betroffenen eine Ersatzzwangshaft von angemessener Dauer anzuordnen.

Die Ersatzzwangshaft ist zwar kein selbständiges Zwangsmittel, sondern an die Festsetzung und Uneinbringlichkeit eines Zwangsgeldes gekoppelt. Ihre Anordnung kann jedoch nur einheitlich unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ohne rechnerische Bindung an die Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes erfolgen. Etwas anders folgt auch nicht daraus, dass in § 65 Abs. 3 Nds. SOG zugelassen wird, ein und dasselbe Zwangsmittel so lange zu wiederholen, bis der Verwaltungsakt befolgt oder auf andere Weise erledigt ist, und dass nach § 70 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG mehrere Zwangsmittel angedroht werden dürfen, sofern nur die Reihenfolge ihrer Anwendung im Interesse des Polizeipflichtigen angegeben wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 13 ME 86/10 -, OVGE MüLü 53, 448).

Vor diesem Hintergrund hat der Senat unter Abwägung der Bedeutung der Durchsetzung der Personalausweispflicht für die Allgemeinheit und der persönlichen Interessen und Verhältnisse des Betroffenen hier die Anordnung einer Ersatzzwangshaft von zwei Tagen als geeignet, erforderlich und angemessen erachtet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 19 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG i.V.m. § 81 FamFG (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 10 WF 208/09 -, Rn. 66, juris; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 84 FamFG, Rn. 5). Der Senat hat in Ausübung seines Ermessens trotz des Teilerfolgs der Beschwerde davon abgesehen, der beteiligten Stadt einen Teil der Kosten aufzuerlegen, weil davon auszugehen ist, dass das Rechtsmittel auch eingelegt worden wäre, wenn bereits die erstinstanzliche Entscheidung so gelautet hätte wie die Beschwerdeentscheidung.

Die Streitwertfestsetzung erfolgte auf der Grundlage von § 19 Abs. 4 Satz 5 Nds. SOG i.V.m. § 36 Abs. 2 GNotKG. Der Senat bemisst den Streitwert in derselben Höhe wie er in einem Verfahren gegen das uneinbringliche Zwangsgeld anzusetzen wäre.

IV.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 19 Abs. 4 Satz 4 Nds. SOG).