Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.09.2007, Az.: 7 A 60/07
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.09.2007
- Aktenzeichen
- 7 A 60/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61874
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2007:0928.7A60.07.0A
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2007 durch den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Nagler als Einzelrichter für Recht erkannt:
Tenor:
Soweit die Klage hinsichtlich des Asylgrundrechtes (Ziff. 1 des Bescheides) zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person der Klägerin hinsichtlich Ruandas die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2007 wird in seinen Ziff. 2. bis 4. insoweit aufgehoben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils gegen ihn festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor einer Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen.
Die nach eigenen Angaben am B. 1983 in Nyamagabe (Ruanda) geborene Klägerin ist danach ruandische Staatsangehörige christlicher (katholischer) Religionszugehörigkeit aus der Volksgruppe der Hutu. Sie reiste - ebenfalls jeweils nach eigenem Bekunden - am 17. September 2006 über die ugandische Grenze aus ihrem Heimatland aus. Am 1. Oktober 2006 sei sie von Uganda nach Frankfurt/Main geflogen, wo sie am 2. Oktober 2006 eingetroffen sei.
Objektive Anhaltspunkte für eine Einreise auf dem Luftweg liegen nicht vor. An den Namen der Fluggesellschaft konnte sich die Klägerin nicht erinnern. Sie habe "keinerlei Dokumente besessen". Auf Vorhalt gab sie an, die für sie mitgeführten Papiere seien durchweg von denjenigen Personen behalten worden, welche sie auf ihrer Reise nach Deutschland begleitet hätten. Es habe sich dabei um zwei Priester namens B. und C. gehandelt. Den erstgenannten Priester kenne sie noch aus ihrer Heimatdiözese, während der letztgenannte Priester aus Uganda stamme. Dieser habe die Ausreise der Klägerin organisiert.
Zur Begründung ihres am 20. Oktober 2006 gestellten Asylantrages trug die Klägerin vor, sie sei seit dem Jahre 2004 als Protokollantin an den Gacaca-Gerichten tätig gewesen. Zuvor sei sie - um diesen Posten zu bekommen - Mitglied der FPR geworden. Auf Nachfrage führte sie aus, bereits im Jahre 2002 dieser Partei beigetreten zu sein. Ihre Arbeit bei dem Volkstribunal habe im Juli 2004 begonnen. Die Volkstribunale hätten jeweils zweimal wöchentlich, nämlich montags und donnerstags, getagt. Schließlich habe man von ihr verlangt, die Teilnahme des bereits benannten B., eines weiteren Priesters sowie des Bischofs D. am Völkermord des Jahres 1994, zu bezeugen. Sie habe ihre Funktion als Gerichtsprotokollantin ausgenutzt, um die Aufzeichnungen, welche B. und Bischof D. belasteten, zu manipulieren. Nachdem sie die Protokollmitschrift ihrem Vorgesetzten zur Gegenzeichnung vorgelegt habe, sei von diesem bemerkt worden, dass sie die Namen der beiden Angeklagten geschwärzt habe. Die Namen seien schließlich nicht mehr lesbar gewesen. Benannter B. sei erstmals im April 2006 öffentlich der Teilnahme am Völkermord beschuldigt worden; für den Fall eines Schuldspruches seitens des Volkstribunales hätte er eine Inhaftierung zu erwarten gehabt. Auf Nachfrage führte die Klägerin weiter aus, sie habe die Protokolle in der Weise gefertigt, dass sie alle Aussagen mitgeschrieben, nämlich in einem Heft notiert habe. Anschließend sie diese Mitschrift von einem Herrn namens E. gegengezeichnet worden. Dieser von der Partei eingesetzte Chef habe den Verlauf des Volkstribunals im Bezirk Gikongoro überwachen sollen. Der Ablauf dieser Tribunale sei im Wesentlichen von vornherein abgesprochen gewesen. Es habe von Anfang an festgestanden, wer vor dem Volkstribunal angeklagt werden sollte. Daher habe es sich bei den Zeugenaussagen auch nicht um "echte", d.h. objektiv wahre Aussagen gehandelt, sondern um Falschaussagen. Dies wiederum habe sie dazu veranlasst, den Namen von B. zu schwärzen, da er nach ihrem eigenen Wissen mit dem Völkermord tatsächlich nichts zu tun gehabt habe. Lediglich ihr Vorgesetzter E. habe von ihr erwartet, in den Protokollen den Namen des B. als Beschuldigten zu lesen. Aufgrund ihrer Protokollschwärzung sei sie nun ihrerseits inhaftiert und verhört worden. Konkret habe ihr Vorgesetzter nach Feststellung der Protokolländerungen die Polizei verständigt, welche die Klägerin sofort festgenommen und zur Polizeistation von Gikongoro verbracht habe. Noch am Abend desselben Tages habe man den Priester B. dort inhaftiert. Dies alles habe sich am 11. September 2006 ereignet. Im Gefängnis habe sie sich häufiger mit dem benannten Priester unterhalten. Dieser habe schließlich ihrer beider Freilassung bewirkt und die gemeinsame Ausreise nach Deutschland organisiert. Konkret seien am 17. September 2006 zwei Priester gemeinsam mit einer dritten Person in das Gefängnis gekommen, um ihren Kollegen B. aus der Haft zu holen. Dessen Wunsch sei es gewesen, dass die Klägerin ebenfalls freikomme. Auf Nachfrage konkretisierte die Klägerin, es habe sich bei der genannten dritten Person um einen Militärangehörigen gehandelt; einer der beiden Geistlichen sei der "Hauptpriester für das Gebiet Gicongoro" gewesen. Beide hätten die Freilassung "mit der Gefängnisleitung geregelt".
Die Klägerin führte weiter aus, sie sei während ihrer Inhaftierung mehrfach vergewaltigt worden; es habe sich um drei Vorfälle gehandelt, an denen jeweils mehrere Täter beteiligt gewesen seien. Auf Nachfragen ergänzte sie dazu, bei der Mehrheit der im Gefängnis/ auf der Polizeistation tätigen Personen handele es sich um Tutsi. An den Übergriffen seien "nicht nur die kleineren Beamten" beteiligt gewesen. Ihre Mutter sei bereits im April 2005 inhaftiert worden; im September 2005 sei sie - infolge von Vergewaltigungen schwanger - aus der Haft entlassen worden. Ihr Bruder sei im August 2005 inhaftiert worden. Auf Nachfrage ergänzte die Klägerin, ihre Mutter wie auch ihr Bruder seien allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Hutu derartig misshandelt worden. Mit der Tätigkeit der Klägerin als Protokollführerin habe dies nichts zu tun (gehabt).
Im Rahmen der Rückübersetzung behauptete die Klägerin auf Vorhalt, sie sei nicht an einem Montag, sondern an einem Dienstag festgenommen worden, als sie das Protokoll ihrem Vorgesetzten vorgelegt habe. Auf den weiteren Vorhalt, dass dieser Dienstag aber nicht der 11. September 2006 gewesen sein könne, sondern der 12. September 2006 gewesen sein müsste, behauptete die Klägerin, sie sei am Montag, den 11. September 2006 verhaftet worden. Auf weitere Nachfrage gab sie an, morgens um 8.30 Uhr festgenommen worden zu sein. Auf den ergänzenden Vorhalt, dass die Protokolle erst nach der Gerichtsverhandlung abzuzeichnen gewesen wären, diese Gerichtsverhandlungen aber immer montags und donnerstags von 9.00 bis 14.00 Uhr stattgefunden hätten, sodass die nun angegebene Uhrzeit (Montag , 11. September 2006, 8.30 Uhr) bereits vor dem Beginn der Verhandlung liege, hielt die Klägerin an ihrer Schilderung fest. Sie sei verhaftet worden, als sie ihrem Vorgesetzten E. die Protokolle vorgelegt habe. Konkret habe es sich dabei um die Polizeistation von Gicongoro gehandelt. Für den Fall ihrer Rückkehr nach Ruanda fürchte sie, dort getötet zu werden.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2007 (Zustellung: 3. März 2007) lehnte die Beklagte den Asylantrag der Klägerin ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG wie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG jeweils nicht vorliegen, forderte die Klägerin auf, Deutschland binnen eines Monats zu verlassen, und drohte ihr für den Fall ihrer Nichtausreise die Abschiebung nach Ruanda oder in einen aufnahmebereiten Drittstaat an.
Daraufhin hat die Klägerin am 8. März 2007 vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt: Die Anhörung durch die Beklagte sei nicht in französischer Sprache durchgeführt worden, sondern in der Sprache Kirundi. Diese in Burundi gesprochene Sprache sei zwar nicht die Muttersprache der Klägerin, aber ihrer Muttersprache Kinyaruanda ähnlich. Sie habe während ihrer Anhörung zu keiner Zeit behauptet, in der Stadt oder gar in der Provinz Gicongoro lebten lediglich 300 Menschen. Sie habe die Frage bezogen auf ihren Heimatort Kiraro verstanden und demgemäß die Einwohnerzahl dieses Dorfes mit etwa 300 Personen angegeben. Ihr im August 2005 inhaftierter, damals 21 Jahre alter Bruder F. sei während der Haft im November 2005 umgebracht worden. Ihre Familie habe die Nachricht erhalten, sie könne seinen Leichnam abholen. Dieser habe schwere Kopfverletzungen aufgewiesen. Offenbar sei ihr Bruder während der Haft schwer misshandelt worden und an den Folgen dieser Misshandlungen gestorben. Die Volkstribunale (Gacaca-Gerichte) hätten nicht erst im Januar 2005, sondern bereits früher ihre Tätigkeit aufgenommen. Die Beklagte sei insoweit falsch informiert. Dies ergebe sich beispielsweise aus Zeitungsberichten sowie der beigefügten Auskunft des Instituts für Afrikakunde an das VG Münster wonach derartige Gerichte bereits seit dem Jahre 2001 aufgebaut seien. Zudem sei ihr Vortrag insgesamt detailliert und glaubhaft. Die sie anhörende Person hätte bei Anwendung der nötigen Sensibilität sowie intensiverer Nachfragen durchaus einen noch detaillierteren Vortrag der Klägerin erreichen können. Aus den von ihr überreichten Unterlagen gehe ferner hervor, dass die ruandischen Machthaber auf Kritik an den Verfahren vor den Gacaca-Volkstribunalen überaus empfindlich reagierten. Dies gelte insbesondere dann, wenn es sich bei den Kritikern um Personen aus dem Volk der Hutu handele. Zusammenfassend sehe sie sich der Gefahr ausgesetzt, schon unmittelbar bei einer erneuten Einreise nach Ruanda festgenommen sowie unter menschenrechtswidrigen Bedingungen inhaftiert und misshandelt zu werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die klägerischen Schriftsätze vom 11. Mai und vom 11. September 2007, jeweils nebst Anlagen (Bl. 28 ff. der Gerichtsakte, Bl. 60 ff. der Gerichtsakte), verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihren Vortrag ergänzt und vertieft. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 87 ff. GA) verwiesen.
Nachdem das Gericht daraufhin seine Überzeugung zu erkennen gegeben hatte, dass die behauptete Einreise der Klägerin auf dem Luftweg nicht, das eigentliche Verfolgungsschicksal allerdings durchaus glaubhaft sei, hat die Klägerin die Klage insoweit zurückgenommen, als unter Aufhebung von Ziff. 1. des angegriffenen Bescheides eine Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte beantragt worden war.
Die Klägerin beantragt (nunmehr),
den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2007 in seinen Ziff. 2 bis 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf den angegriffenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klage im Hinblick auf das Asylgrundrecht (Ziff. 1 des Bescheides) zurückgenommen worden ist, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG einzustellen.
Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hat. Der diese Feststellung versagende Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des § 60 Abs. 1 AufenthG - einschließlich ihrer Auslegung und Definition durch die obergerichtliche Rechtsprechung - verweist das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angegriffenen Bescheides, macht sich diese im Hinblick auf diese abstrakte Darstellung der Voraussetzungen zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (Bl. 4 f. des angegriffenen Bescheides/Bl. 47 f. der BA i.V.m. § 77 Abs. 2 AsylVfG).
Im Gegensatz zu der Begründung des angegriffenen Bescheides (dort Ziff. 2.) erachtet das Gericht die Angaben der Klägerin nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck durchaus als glaubhaft. Die zahlreichen und zumindest in ihrer Häufigkeit intensiven Nachfragen seitens des Gerichts haben bei diesem die Überzeugung entstehen lassen, dass die Klägerin in einer konkreten, anschaulichen, detailreichen sowie in sich widerspruchsfreien Art und Weise ein tatsächlich von ihr erlebtes, d.h. erlittenes Verfolgungsschicksal geschildert hat. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin als Protokollantin eines Gacaca-Gerichts tätig gewesen und in dieser Funktion in der von ihr beschriebenen Art und Weise durch ihren - nach politischen Kriterien eingesetzten und politisch motiviert handelnden - Vorgesetzten in der beschriebenen Weise unter Druck gesetzt sowie schließlich auf Betreiben dieses Vorgesetzten festgenommen, inhaftiert, misshandelt und vergewaltigt worden ist. Dabei war nach der von dem Gericht gewonnenen Überzeugung nicht allein ihre Funktion als Gerichtsprotokollantin, sondern zugleich (kumulativ) ihre Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Hutu für die Verfolgungsmaßnahmen ausschlaggebend. Soweit in dem angegriffenen Bescheid eine gänzlich unzutreffende Einwohnerzahl des Heimatortes der Klägerin als Argument gegen die Glaubhaftigkeit der Schilderung angeführt worden ist, wird übersehen, dass die von der Klägerin vorgenommene Schätzung der Einwohnerzahl durchaus auch auf diejenige ihres Heimatdorfes bezogen werden konnte. Soweit im Bescheid die Gacaca-Volkstribunale als nicht vor dem 1. Januar 2005 tätig dargestellt worden sind, ist diese Erkenntnislage nach Auffassung des Gerichts unzureichend. Denn u.a. aus den klägerseits in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln (Zeitungsberichten) geht hervor, dass diese Volkstribunale mitunter durchaus schon in den Jahren 2001 bis 2003 zumindest ansatzweise tätig geworden bzw. eingerichtet worden waren. Die klägerische Angabe, seit Juli 2004 bei einem derartigen Volkstribunal tätig gewesen zu sein, kann daher nicht als Argument für die Unglaubhaftigkeit der klägerischen Schilderung herangezogen werden.
Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Ruandas erfüllt wären, kann offen gelassen werden. Denn der Antrag, die Beklagte zu einer Feststellung der Voraussetzungen dieser Absätze des § 60 AufenthG zu verpflichten, ist als Hilfsantrag zu verstehen, dessen Bescheidung sich hier erübrigt.
Die verbleibende Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 177 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.