Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 06.09.2021, Az.: AGH 15/20 (II 12/35)

Verpflichtungsklage gegen die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt; Qualitativ und quantitativ prägende Leistung der anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
06.09.2021
Aktenzeichen
AGH 15/20 (II 12/35)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71607
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beteiligten streiten um die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt.

I.

Der im Jahr 1964 geborene Kläger hat 1999 seine zweite juristische Staatsprüfung bestanden und war bereits von 2000 bis 2010 als Rechtsanwalt zugelassen.

Mit Schreiben vom 29 07.2019 (Bl. 7 ff. der Personalakte) beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und als niedergelassener Rechtsanwalt.

Seit dem 01.09.2019 war der Kläger aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 29.07.2019 bei der Firma ... ..., deren Inhaberin die Ehefrau des Klägers Frau ... ... ist, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 3 Stunden und einer monatlichen Vergütung i.H.v. 451,00 € brutto angestellt.

Zur Tätigkeit und fachlichen Unabhängigkeit des Klägers finden sich abstrakte Regelungen in § 3 f. des Arbeitsvertrages vom 29.07.2019, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 12 ff. der Personalakte).

Darüber hinaus hat der Kläger in einer Tätigkeitsbeschreibung über seine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt (Bl. 15 ff. der Personalakte) folgende Angaben gemacht:

- Tätigkeitsbeschreibung: „Rechts – und Steuerberatung des Unternehmens

- Prüfung von Rechtsfragen: „Prüfung von Schadensersatzpflichten, Aufklärung des Sachverhalts, Erarbeiten und Bewerten von Abwehrmöglichkeiten, Erfolgsaussicht von Forderungsinkasso und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen“

- Erteilung von Rechtsrat: „Zivil-, arbeits- und strafrechtlicher Rat ggü. Behörden und Gerichten“

- Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen: „Gestaltung von gesellschaftsrechtlichen Verträgen und eigenverantwortliche Führung von Verhandlungen“

- Befugnis zu verantwortlichem Auftreten nach außen: „Der Syndikusrechtsanwalt ist befugt für Barner Enterprise eigenverantwortlich nach außen aufzutreten und Rechte des Unternehmens wahr zu nehmen.“

Am 14.08.2019 hat die Beklagte den Kläger als niedergelassenen Rechtsanwalt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen (Bl. 44 der Personalakte).

Der Arbeitsvertrag vom 29.07.2019 und die Tätigkeitsbeschreibung vom gleichen Tag hatten der Beklagten im Original vorgelegen.

Gegen die Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt wurden im Rahmen ihrer Anhörung Bedenken von der ... ... ... ( ... ) geäußert. Diese verwies mit Schreiben vom 27.08.2019 (Bl. 57 der Personalakte) darauf, dass die vom Kläger eingereichte Tätigkeitsbeschreibung zu knapp gehalten sei und dass die Tätigkeitsbeschreibung konkrete individualisierte Tätigkeiten und Aufgaben enthalten müsse, was bei den Angaben des Klägers nicht der Fall sei.

Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 03.09.2019 (Bl. 58 der Personalakte) auf, eine entsprechend ergänzte Tätigkeitsbeschreibung einzureichen.

Der Kläger nahm mit Schreiben vom 07.09.2019 (Bl. 63 f. der Personalakte) Stellung und wies darauf hin, dass er langjährig für die ... ... als Geschäftsführer tätig war und „nunmehr mit Rat und Tat das Unternehmen in eine künftige ... ... GmbH nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) als zukünftiger Geschäftsführer überführen" solle. Bei den Dienstleistungen, die den Gesellschaftszweck der ... ... darstellen, handele es sich um „Schreibarbeiten und buchführungsrechtliche Vorarbeiten, die zum Beispiel in einem Lohnsteuerhilfeverein anfallen oder von Steuerfachgehilfen oder einfachen Diplombetriebswirten ausgeübt werden“.

Diese ergänzenden Angaben des Klägers veranlassten die Beklagte dazu, dem Kläger mit Schreiben vom 28.11.2019 (Bl. 72 f. der Personalakte) mitzuteilen, dass sich aus seinen bisherigen Angaben zu seiner Tätigkeit nicht hinreichend konkret ergebe, welche anwaltlichen Aufgaben er für seinen Arbeitgeber tatsächlich wahrnehme. Die Beklagte gab dem Kläger Gelegenheit, ergänzende Informationen und Unterlagen bis zum 06.01.2020 einzureichen.

Der Kläger antwortete darauf mit Schreiben vom 07.09.2019 (richtig wohl: 07.12.2019) (Bl. 75 der Personalakte), er versichere anwaltlich, dass er für die ... ... GmbH in Gründung selbstverständlich rechtsanwaltliche und steuerberatende Aufgaben wahrnehme.Im Übrigen könne er aus wettbewerblichen Gründen nicht erkennen, inwieweit er seine Tätigkeit noch weiter spezifizieren müsse.

Mit Schreiben vom 19.03.2020 (Bl. 77 f. der Personalakte) teilte die ... ... der Beklagten mit, dass der Kläger für sie prüfe, ob tatsächliche Sachverhalte eine Regresspflicht gegenüber anderen Unternehmen auslösen. Bisher sei die Erfolgsquote zur Bereinigung von Rechtsstreitigkeiten angestiegen. Neben dem Aufbau einer Vollstreckungsabteilung sei der Kläger nunmehr für die Einrichtung einer Rechtsabteilung zuständig, die er selbstständig ausführe. Auch gegenüber der ... ... und dem Amts- und Landgericht ... sei der Kläger mit der Gestaltung und Initiierung von Verträgen zuständig. Der Kläger vertrete die ... ... gegenüber den zuständigen Gerichten, der ..., dem Finanzamt ... - ... sowie sämtlichen anderen in- und ausländischen Behörden. Aufgrund seiner Kenntnisse im Steuerrecht und der Möglichkeit als Steuerberater tätig zu sein, vertrete er das Unternehmen in jedweder Form ohne "Weisungsbefugnis" (gemeint wohl: Weisungsbindung) zur Einlegung von Einsprüchen gegenüber dem Finanzamt und Klagen vor den Finanzgerichten.

Die ... wiederholte in einer anschließenden Stellungnahme vom 12.05.2020 (Bl. 81 f. der Personalakte) ihre bereits zuvor geäußerten Bedenken gegen die Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt und verwies zur Begründung darauf, dass die vom Kläger eingereichten Unterlagen ungeeignet sein, um zu prüfen, ob die Tätigkeit des Klägers tatsächlich die vier maßgeblichen Kriterien einer anwaltlichen Tätigkeit nach § 46 Abs. 3 BRAO erfüllen.

Mit Schreiben vom 16.06.2020 (Bl. 87 ff. der Personalakte) teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, seinen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt abzulehnen und verwies zur Begründung darauf, aus seinen Tätigkeitsbeschreibungen ergebe sich nicht ausreichend konkret, dass er kumulativ alle vier in § 46 Abs. 3 BRAO genannten Kriterien erfülle. Die Beklagte gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 11.06.2020 (Bl. 83 der Personalakte) informierte der Kläger die Beklagte darüber, dass er ab dem 01.07.2020 von der ... ... ein monatliches Gehalt i.H.v. 4.350,00 € (richtig wohl: 3.450,00 €) bei einer erhöhten Arbeitszeit erhalten werde.

In der Folge übersandte der Kläger der Beklagten einen vom 01.07.2020 datierenden Arbeitsvertrag (Bl. 96 ff. der Personalakte) der mit Wirkung ab dem 01.07.2020 eine monatliche Bruttovergütung i.H.v. 3.450,00 € und eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden vorsieht. Die Regelungen zur Tätigkeit (§ 3) und fachlichen Unabhängigkeit (§ 4) sind gegenüber dem ursprünglichen Arbeitsvertrag vom 29.07.2019 unverändert. Des Weiteren übersandte der Kläger die Kopie einer Gewerbe-Ummeldung der Frau ... ... vom 19.09.2019 (Bl. 95 der Personalakte), aus der sich ergibt, dass zukünftig neben dem bisherigen Tätigkeitsschwerpunkt "Büroservice" als weitere Tätigkeiten "Hausmeisterservice, Treppenhausreinigung nach Hausfrauenart" Gegenstand ihres Betriebes sind.

Mit Schreiben vom 06.07.2020 (Bl. 104 der Personalakte) teilte der Kläger der Beklagten mit, dass seine Arbeitgeberin außer ihm keine weiteren Mitarbeiter beschäftigt.

Die Beklagte wies mit Bescheid vom 01.09.2020 (Bl. 119 ff. der Personalakte) den Antrag des Klägers vom 29.07.2019 auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die Tätigkeit bei der ... ... entsprechend dem Arbeitsvertrag vom 29.07.2019 und ab dem 01.07.2020 entsprechend dem Arbeitsvertrag vom 01.07.2020 zurück. Zur Begründung verweist die Beklagte – kurz zusammengefasst – darauf, den vom Kläger vorgelegten Tätigkeitsbeschreibungen sei nicht zu entnehmen, dass er in dem erforderlichen Umfang im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses anwaltliche Aufgaben im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO ausübe.

Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 03.09.2020 zugestellt (Bl. 127 f. der Personalakte).

Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 30.09.2020 beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof eingegangenen Klageschrift vom 24.09.2020 (Bl. 1 f. der Gerichtsakte). Zur Begründung verweist der Kläger in seinem Schriftsatz vom 26.11.2020 (Bl. 21 ff. der Gerichtsakte) zunächst darauf, dass der Kläger und seine Ehefrau als Inhaberin der ... ... den Arbeitsvertrag vom 01.07.2020 rückwirkend aufgehoben hätten, sodass es bei dem ursprünglich geschlossenen Arbeitsvertrag vom 29.07.2019 verblieb. Er sei während seines Beschäftigungsverhältnisses ausschließlich juristisch für seine Arbeitgeberin tätig gewesen. Neben Rat und Tat bei der Wahl der Gesellschaftsform unterstütze er seine Arbeitgeberin insbesondere bei Gutachten für Versicherungsgesellschaften, der Erstellung von Bilanzen und der Einnahme- und Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sowie bei der Prüfung und Führung von Einsprüchen gegen Steuerbescheide der Kalenderjahre 2017 und 2018 und bei der Beantragung von Corona-Hilfen. Ferner habe er Rechtsrat gegenüber seiner Arbeitgeberin dazu erteilt, wie diese sich gegenüber ihren Kunden und Arbeitnehmern verhalten solle. Insbesondere sei er mit der Beratung bei der Anschaffung und Abschreibung von Gegenständen und Kraftfahrzeugen für die ... ... tätig gewesen. Konkret habe er das Unternehmen über die Vor- und Nachteile einer Finanzierung oder des Leasing eines Hybrid-Kraftfahrzeuges beraten und Vertragsgespräche zwischen den Verkäufern, Vermittlern oder Leasinggebern geführt. Außerdem habe er die ... ... arbeitsrechtlich und dabei insbesondere steuerrechtlich beraten, so bei der Einstellung von Arbeitskräften und der Erstellung von Arbeitsverträgen. Die von ihm nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit hätte einen Anteil von nahezu 100 % anwaltlicher Tätigkeit einschließlich der steuerrechtlichen Tätigkeit ausgemacht.

Auf eine entsprechende Auflage des Berichterstatters teilte der Kläger mit Schriftsatz vom 30.08.2021 mit, dass er - soweit es für dieses Verfahren relevant sei - vom 30.09.2019 bis 30.09.2020 für die ... ... tätig war.

Zu seinen in diesem Zeitraum im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten trug der Kläger folgendes vor:

In der 40. - 51. KW 2019 habe er in wöchentlich 2 Stunden die Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG für die ... ... erstellt. Eine weitere Stunde wöchentlich habe er für die Korrespondenz mit dem Finanzamt ... - ... und dem Lohnsteuerhilfeverein aufgewendet.

In der 52. KW 2019 habe er Urlaub gehabt.

In der 1. - 4. KW 2020 habe er die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für das Geschäftsjahr 2019 abgeschlossen und die Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2019 für Frau ... ... erstellt.

In der 4. - 15. KW 2020 habe er für die ... ... drei Hausmeisterverträge und zwei Anstellungsverträge entworfen.

In der 16. - 34. KW 2020 habe er eine Strafanzeige wegen eines Einbruchdiebstahls zum Nachteil der ... ... und der Frau ... ... erstellt und in diesem Zusammenhang Akteneinsicht genommen sowie die Geschädigte ... ... als Zeugenbeistand vertreten.

In der 35. - 40. KW 2020 habe er für seine Arbeitgeberin einen Antrag auf Corona-Soforthilfe vorbereitet und eine Schadensersatzklage gegen den Täter des Einbruchsdiebstahls gefertigt. In diesem Zeitraum habe er auch die Einnahme–Überschuss-Rechnung für das Kalenderjahr 2020 vorbereitet, sodass seine Arbeitskraft durch diese Tätigkeiten vollständig in Anspruch genommen wurde.

Nachdem der Kläger ursprünglich weitergehende Anträge angekündigt hatte (Klageschrift vom 24.09.2020, Bl. 1 d. A., sowie Schriftsatz vom 26.11.2020, Bl. 29 d. A.) beantragt er nunmehr,

die beklagte Rechtsanwaltskammer zu verpflichten, den Kläger rückwirkend für den Zeitraum vom 30.09.2019 bis 30.09.2020 als Syndikusrechtsanwalt zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf Ihren angefochtenen Bescheid vom 01.09.2020 und verweist im Hinblick auf den Sachvortrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 30.08.2021 darauf, dass die Erstellung einer Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG keine anwaltliche Aufgabe im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO sei. Es handele sich vielmehr um eine im Wesentlichen buchhalterische Tätigkeit.

Des Weiteren sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses für die ... ... mit dem Lohnsteuerhilfeverein korrespondiert habe. Die Erstellung der Einkommensteuererklärung für seine Ehefrau persönlich könne nicht zu den Aufgaben als Syndikusrechtsanwalt der ... ... gehören.

Die Erstellung von drei Hausmeisterverträgen und zwei Anstellungsverträgen für die ... ... sei nicht plausibel, da der Kläger im Rahmen des Zulassungsverfahrens erklärt habe, dass in dem Unternehmen seiner Ehefrau neben ihm keine weiteren Mitarbeiter beschäftigt seien. Der entsprechende Sachvortrag des Klägers werde daher bestritten.

Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger für die Erstellung einer Strafanzeige wegen eines Einbruchdiebstahls 54 Arbeitsstunden aufgewendet habe, auch wenn er in dieser Zeit Einsicht in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte genommen habe. Auch diese Darstellung des Klägers werde daher bestritten. Bei der Vertretung seiner Ehefrau als Zeugenbeistand handele es sich nicht um eine Rechtsangelegenheit seiner Arbeitgeberin.

Welche Arbeitszeit der Kläger konkret für die Antragstellung der Corona-Soforthilfe aufgewendet habe, sei nach der Darstellung des Klägers nicht erkennbar.

Mit Beschluss vom 03.08.2021 wurde die ... ... ... zum Verfahren beigeladen.

Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung am 06.09.2021 zu den von ihm im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit der ... ... ausgeübten Tätigkeiten angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 06.09.2021 Bezug genommen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten auf den schriftlichen Vortrag der Beteiligten Bezug genommen.

Die von der Beklagten geführte Personalakten des Klägers betreffend den Zulassungsantrag als niedergelassener Anwalt und Syndikusrechtsanwalt, als Ausdruck der elektronischen Akte (paginiert, Bl. 1 bis 128), lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

1.

Die als Verpflichtungsklage auszulegende Klage ist gemäß §§ 112c Abs. 1 BRAO, 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO zulässig. Die Versagung einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ist mit der Verpflichtungsklage anzugreifen. Ein Vorverfahren findet nicht statt (§ 80 Abs. 1, 4 NJG).

Der Kläger ist klagebefugt. Durch die Ablehnung seiner Zulassung als Syndikus-rechtsanwalt kann er in seinen Rechten verletzt sein (§ 42 Abs. 2 VwGO).

Die Verpflichtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.09.2020 wurde am 30.09.2020 eingereicht, damit innerhalb der Monatsfrist seit Zustellung des angefochtenen Bescheides (§§ 112c Abs. 1 BRAO, 74 VwGO).

2.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

a)

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die vom Kläger angestrebte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum rechtlich zulässig ist. Nach der Gesetzeslage (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BRAO) und der Rechtsprechung des Anwaltssenats des BGH (BGH, Urteil vom 29.01.2018, AnwZ (BrfG) 12/17, Rn. 12 ff., zitiert nach juris) kann als Syndikusrechtsanwalt nur derjenige zugelassen werden, dessen tatsächlich ausgeübte Tätigkeit im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung den gesetzlichen Zulassungskriterien entspricht. Der Kläger übt nach seinem eigenen Vorbingen die Tätigkeit, für die er die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt begehrt, seit Ablauf des 30.09.2020 nicht mehr aus. Der Senat kann jedoch im vorliegenden Fall die Rechtsfrage offen lassen, ob diese gesetzlichen Regelungen im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend auszulegen sein könnten, dass in den Fällen, in denen die Rechtsanwaltskammer erst durch das Gericht zu einer (positiven) Zulassung verpflichtet wird, auch eine rückwirkende Zulassung für einen bereits beendeten Zeitraum zulässig ist, da die weiteren Voraussetzungen für eine Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt nicht vorliegen.

b)

Der angefochtene Nichtzulassungsbescheid ist formell rechtmäßig. Zweifel hieran werden von den Beteiligten nicht erhoben.

c)

Die Beteiligten stellen auch nicht in Zweifel, dass die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen gem. §§ 46a Abs. 1 Satz 1, 4 BRAO erfüllt sind und Zulassungsversagungsgründe gem. §§ 46a Abs. 1 Nr. 2, 7 BRAO nicht vorliegen.

d)

Darüber hinaus müssen aber gem. § 46a Abs. 1 Nr. 3 BRAO für eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO erfüllt sein; das ist hier nicht der Fall.

(1) Dass der Kläger im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses mit der ... ... für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig ist, wird von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen (§§ 46a Abs. 1 Nr. 3, 46 Abs. 2 BRAO).

(2) Der Senat konnte anhand der vom Kläger vorgelegten Arbeitsverträge, seiner Tätigkeitsbeschreibungen und seiner Ausführungen im Rahmen seiner Anhörung am 06.09.2021 jedoch nicht die Überzeugung davon gewinnen, dass die Tätigkeit des Klägers für die ... ... durch die Merkmale einer anwaltlichen Tätigkeit im Sinne der §§ 46a Abs. 1 Nr. 3, 46 Abs. 3 BRAO geprägt ist. Die anwaltliche Tätigkeit muss im Rahmen des Arbeitsverhältnisses die qualitativ und quantitativ prägende Leistung sein (vgl. Nds. AGH, Urteil vom 25.03.2019, AGH 19/16, Rn.30 mwN., zitiert nach juris). Nach der Rechtsprechung des BGH soll „ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit am unteren Rand des für eine anwaltlichen Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen“ liegen (BGH, Beschluss vom 30.09.2019, AnwZ (Brfg) 63/17 Rn.18, zitiert nach juris).

Die von dem Kläger angeführte Erstellung der Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG für die ... ... stellt zum ganz überwiegenden Teil keine anwaltliche, sondern eine eher buchhalterische Tätigkeit dar. Prüfung von Rechtsfragen und Erteilung von Rechtsrat sind damit nicht verbunden. Selbst wenn der Senat im Hinblick auf die Darstellung des Klägers davon ausgehen würde, dass die Ermittlung von Abschreibungen durch den Kläger bereits im Rahmen der Erstellung der Einnahme-Überschuss-Rechnung und nicht erst anlässlich der Anfertigung des Jahresabschlusses erfolgt, wäre dieser Teil der Tätigkeit, der unter Umständen als die Prüfung von Rechtsfragen im Sinne des § 46 Abs. 3 Nr. 1 BRAO anzusehen sein könnte, von zeitlich deutlich untergeordneter Bedeutung. Der Kläger hat selbst in seinem schriftsätzlichen Vorbringen zu dem zeitlichen Umfang dieser Teilaufgabe keine Angaben gemacht und in seiner Anhörung auf Befragen des Senats nur angeben, dass es sich um 10 bis 15 Tatbestände pro Jahr handele. Bei durchschnittlich etwa einem Abschreibungstatbestand monatlich ist für den Senat nicht erkennbar, dass diese Tätigkeit für die Gesamttätigkeit des Klägers prägend gewesen ist.

Auch hinsichtlich der vom Kläger angeführten Korrespondenz mit dem Finanzamt ... - ... und einem beim Lohnsteuerhilfeverein beschäftigten Diplom-Kaufmann ist für den Senat nicht ersichtlich, dass diese Tätigkeiten eines der in § 46 Abs. 3 BRAO aufgeführten Merkmale erfüllt. Auch die Anhörung des Klägers zu diesem Thema ergab keine weiteren konkreten Erkenntnisse.

Für den Senat ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei der Erstellung der persönlichen Einkommenssteuererklärung 2019 für die Ehefrau des Klägers, Frau ... ..., um eine Tätigkeit des Klägers im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses bei der ... ... handelt.

Ebenso konnte der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Kläger in dem Zeitraum 4. bis 15 KW 2020, also in zwölf Wochen bzw. 36 Arbeitsstunden, drei Hausmeisterverträge und zwei Anstellungsverträge erstellt hat. Bei diesen Tätigkeiten könnte es sich grundsätzlich um eine auf die Gestaltung von Rechtsverhältnisse ausgerichtete Tätigkeit im Sinne des § 46 Abs. 3 Nr. 2 BRAO handeln. Der Kläger konnte aber auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nicht konkret darlegen, weshalb und in welchem zeitlichen Umfang drei Hausmeisterverträge entworfen worden sein sollen, obwohl der Kläger selbst ausgeführt hat, dass in dem fraglichen Zeitraum nur seine Ehefrau nebenberuflich Hausmeisterleistungen für ihren eigenen Gewerbebetrieb erbracht hat. Für den Senat ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb und in welchem zeitlichen Umfang zwei Anstellungsverträge entworfen worden sein sollen, obwohl die ... ... nur einen Mitarbeiter, nämlich den Kläger, beschäftigt und nach Aussage des Klägers in seiner persönlichen Anhörung nur die Anstellung eines Gärtners angedacht war.

Der Senat konnte auch nach der Anhörung des Klägers nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Anfertigung einer Strafanzeige wegen des Einbruchsdiebstahls inhaltlich und vom zeitlichen Umfang her für die Tätigkeit des Klägers prägend war.

Der Kläger konnte nicht überzeugend darlegen, wieviel Arbeitszeit er für seine Arbeitgeberin in die Anfertigung der Strafanzeige investiert hat. Die Akteneinsicht in die Ermittlungsakte und die Vertretung seiner Ehefrau als anwaltlicher Zeugenbeistand in dem Strafverfahren hat der Kläger nach seinen Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in seiner Funktion als niedergelassener Rechtsanwalt durchgeführt, sodass diese Tätigkeiten nicht prägend für die Tätigkeit des Klägers in seinem Arbeitsverhältnis sein können. Wieviel Arbeitszeit von den behaupteten insgesamt 57 Arbeitsstunden in der 16. bis 34. KW 2020 auf die Erstellung der Strafanzeige entfallen sein sollen, war für den Senat auch nicht ansatzweise nachvollziehbar.

Dies gilt auch für die nach der Darstellung des Klägers in der 35. bis 40 KW 2020 erfolgte Beantragung der Corona-Soforthilfe für die ... ... und die Vorbereitung einer Schadensersatzklage wegen des Einbruchdiebstahls. Auch wenn für den Senat die vom Kläger in seiner Anhörung geschilderten und im Sitzungsprotokoll festgehaltenen Gründe für die Beantragung der Corona-Soforthilfe höchst undurchsichtig sind und rechtlich bedenklich erscheinen, ist auch hier festzustellen, dass der Kläger nicht konkret dargelegt hat, wieviele der 18 Arbeitsstunden er auf diese Tätigkeit verwendet hat. Hinsichtlich der - nach Aussage des Klägers im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 06.09.2021 noch immer nicht abgeschlossenen - Vorbereitung der Schadensersatzklage hat der Kläger in seiner Anhörung mitgeteilt, dass er dies als niedergelassener Rechtsanwalt mache. Auch diese Tätigkeit kann daher nicht prägend für seine Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses mit der ... ... gewesen sein.

Da der Kläger zu Beginn seiner Anhörung klargestellt hatte, dass die in seinem Schriftsatz vom 30.08.2021 dargestellten Tätigkeiten und nicht die inhaltlich zum Teil erheblich abweichenden Angaben in den vorangegangenen Schriftsätzen und dem Antragsverfahren der Entscheidung des Senats zugrundegelegt werden sollen, ist auf die dortigen, früheren Darstellungen, die zu mancherlei Bedenken Anlass gaben, nicht mehr näher einzugehen. Die dort dargestellten Tätigkeiten des Klägers sollen nach dessen Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung auf die Zukunft gerichtet gewesen sein.

Es bestand keine Veranlassung, dem Kläger wie von ihm beantragt einen Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Beklagten vom 31.08.2021 zu gewähren. Der Schriftsatz der Beklagten vom 31.08.2021 enthielt keinen entscheidungserheblichen neuen Sachvortrag und der Kläger hatte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung gem. § 86 Abs. 3 VwGO ausreichend Gelegenheit, den Sachvortrag aus seinem eigenen Schriftsatz vom 30.08.2021 zu erläutern und zu ergänzen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 112c Abs. 1 BRAO, 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 112c BRAO, 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat diese gemäß § 162 Abs. 3 VwGO selbst zu tragen. Dies entspricht vorliegend der gesetzlichen Regel, von der eine Ausnahme nicht geboten erscheint.

Die Festsetzung des Streitwerts hat seine rechtliche Grundlage in § 194 Abs. 2 BRAO und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Im Hinblick auf die begehrte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ist der hälftige Regelstreitwert angemessen und geboten, da nicht die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft an sich als Grundlage seiner Berufstätigkeit im Streit steht, sondern lediglich deren Qualität als anwaltliche Tätigkeit.

Es sind keine Gründe für die Zulassung der Berufung zu erkennen (§§ 112e BRAO, 124 Abs. 2 VwGO).