Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.03.1991, Az.: 3 OVG A 290/88
Umfang der Pflicht zur Unterhaltung eines Gewässers in Bezug auf die Wiederherstellung der Böschung einer Abzucht im Bereich einer Werkskläranlage; Umfang der Unterhaltungspflicht für ein Gewässer in wasserwirtschaftlicher Hinsicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.03.1991
- Aktenzeichen
- 3 OVG A 290/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 21348
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1991:0328.3OVG.A290.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 29.09.1988 - AZ: 2 VG A 156/88
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs. 1 S. 1, 2, 4 Hs. 1 WHG
- § 98 Abs. 1 S. 1 NWG i. d. F. v. 28.10.1982
- § 98 Abs. 2 S. 1 NWG i. d. F. v. 28.10.1982
- § 118 Abs. 1 NWG i. d. F. v. 28.10.1982
Verfahrensgegenstand
Unterhaltung der Abzucht.
Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat
auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht XXX,
die Richter am Oberverwaltungsgericht XXX und XXX sowie
die ehrenamtlichen Richter XXX und XXX
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 29. September 1988 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 1988 sowie der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 1. Juni 1988 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beigeladene unterhält auf einem Grundstück an der Abzucht im Gebiet der Beklagten die zentrale Kläranlage ihres Werkes XXX. Der Kläger, dem die Unterhaltung der Abzucht in diesem Bereich als Gewässer II. Ordnung obliegt, wendet sich gegen eine Entscheidung der Beklagten, der Eigentümerin des Gewässers in diesem Gebiet, über die Beseitigung von Uferschäden an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen.
Die Beigeladene beantragte bei der Beklagten, nachdem sie von dem Kläger vergeblich eine Beseitigung der Uferschäden gefordert hatte, unter dem 19. November 1987 eine Entscheidung, wem die Unterhaltung der Abzucht an dieser Stelle und wem eine Beteiligung an ihren Kosten obliege. Die Uferböschung der Abzucht sei insbesondere bei den Frühjahrshochwassern des Jahres 1981 und der folgenden Jahre um 1,5 bis 2 m abgetragen worden. Der Uferabbruch habe bereits die Grenze ihres Grundstücks überschritten. Bauwerke ihrer Werkskläranlage seien dadurch mittelfristig gefährdet, wenn das Ufer der Abzucht nicht so bald wie möglich gesichert werde.
Die Beklagte, die von der Bezirksregierung Braunschweig durch Verfügung vom 3. November 1987 zur zuständigen Behörde für die Beseitigung der Böschungsschäden der Abzucht hinsichtlich der Unterhaltungspflicht des Klägers im Bereich des Werkes XXX der Beigeladenen erklärt worden war, entschied mit Bescheid vom 15. Januar 1988, der Kläger habe die östliche Böschung der Abzucht im Bereich der Werkskläranlage der Beigeladenen so wiederherzustellen, daß eine weitere Gefährdung des Kläranlagengrundstücks ausgeschlossen werde. Die Vorschläge, die das Wasserwirtschaftsamt XXX seinem in Ablichtung beigefügten Schreiben vom 11. November 1985 hierzu gemacht habe, seien dabei zu beachten.
Die Pflicht des Klägers zur Unterhaltung der Abzucht umfasse den Schutz ihres Gewässerbettes einschließlich seiner Ufer und damit auch eine Wiederherstellung ihres beschädigten Ufers in dem Zustande, der vor dem Frühjahrshochwasser 1981 bestanden habe. Die Kosten fielen dem Kläger zu 2/3 und der Beigeladenen zu 1/3 zur Last. Die Beigeladene sei an den Kosten der Wiederherstellung zu beteiligen, da eine "besondere Sicherung" wegen des Vorhandenseins der Werkskläranlage in der Nähe der Abzucht erforderlich sei.
Die Beigeladene stimmte dem Bescheid mit Schreiben vom 8. Februar 1988 zu. Der Widerspruch der Klägerin gegen ihn wurde von der Bezirksregierung durch Bescheid vom 1. Juni 1988 mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe den Kläger zu Recht aufgrund seiner Unterhaltungspflicht als zuständig für die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen angesehen. Diese bedeuteten keine wesentliche Umgestaltung des Gewässers, d.h. Ausbaumaßnahmen. Sie dienten nur der Herstellung des ursprünglichen Gewässers oder des Ufers. Die Verteilung ihrer Kosten sei ebenfalls gerechtfertigt.
Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen, seine Pflicht zur Unterhaltung der Abzucht umfasse nicht die Sicherung der Uferböschung, die zur Vermeidung weiterer Gefahren für das Kläranlagengrundstück der Beigeladenen erforderlich sei. Die Unterhaltungspflicht erstrecke sich, zumal die Abzucht nicht ausgebaut sei, auf die Ufer des Gewässers nur, soweit es eine schadlose Abführung des Wassers erfordere. Diese werde durch die Uferabbrüche an dem Grundstück der Beigeladenen nicht beeinträchtigt. Die Unterhaltungsverbände hätten die für eine ordnungsgemäße Abführung des Miederschlagswassers erforderlichen Maßnahmen an Gewässern zu ergreifen. Es sei nicht ihre Aufgabe, den Verlauf eines nicht ausgebauten Gewässers festzuhalten. Veränderungen eines Gewässers durch Hochwasser seien, wenn sie keine Abflußhindernisse bildeten, von ihm nicht zu beseitigen. Dieses Risiko sei bei der Nutzung von Grundstücken an einem Gewässer entsprechend zu berücksichtigen. Es sei nicht seine Aufgabe, die Kläranlage der Beigeladenen nachträglich dagegen zu sichern.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 1988 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 1. Juni 1988 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten.
Die Beigeladene hat sich dem Vortrag der Beklagten angeschlossen.
Das Verwaltungsgericht hat nach einer Ortsbesichtigung die Klage durch Urteil vom 29. September 1988 mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe zu Recht den Kläger verpflichtet, die Böschung der Abzucht im Bereich der Werkskläranlage der Beigeladenen wiederherzustellen. Seine Unterhaltungspflicht umfasse die Sicherung der Uferböschung. Sie erstrecke sich auf die Sicherung der Ufer gegen Abbruch sowie ihre Befestigung an den durch die Strömung gefährdeten Stellen. Sie bestehe gerade im Bereich gefährdeter Uferböschungen in ihrer Sicherung vor Ausspülung und Abbruch sowie in ihrer Befestigung. Soweit Uferabbrüche auch in größerem Umfange beseitigt und Ufer gesichert würden, gehörten diese Maßnahmen zur Unterhaltung und bedeuteten keinen, Gewässerausbau. Die Beseitigung von Uferabbrüchen und ihre künftige Sicherung liege bei ausgebauten Gewässern zwar im Rahmen der "normalen" Unterhaltungspflicht. Nicht ausgebauten Gewässern seien aber die Veränderungen ihres Bettes und damit auch ihrer Ufer naturgemäß vorgegeben. Die allgeine Unterhaltungspflicht werde dadurch allerdings nicht berührt. Unterhaltungsmaßnahmen seien an den Ufern von wildabgließenden Gewässern nur geboten, wenn an besonders gefährdeten Stellen Abbruche und damit Beeinträchtigungen angrenzender Grundstücke zu befürchten oder bereits eingetreten seien. Die Beklagte habe den Kläger als Unterhaltungspflichtigen frei von Ermessensfehlern zur Wiederherstellung der Böschung der Abzucht im Bereich der Werkskläranlage verpflichtet, da dort infolge von Hochwassern seit Ende der 70er Jahre die Uferböschung ausgespült und bis unmittelbar bar an die Grundstücksgrenze abgebrochen sei, was bereits zu Beeinträchtigungen der Grundstückseinfriedigungen geführt habe. Der Umfang der geforderten Maßnahmen sei nicht zu beanstanden. Die in dem Schreiben des Wasserwirtschaftsamts vom 11. November 1985 geforderten Arbeiten seien zur nachhaltigen Befestigung des Ufers und damit der Sicherung des Betriebsgeländes der Beigeladenen geeignet und erforderlich. Die Beklagte habe insoweit die Beigeladene zutreffend anteilig mit Kosten belastet, da die geforderten Maßnahmen besonders der Sicherung ihres Betriebsgeländes dienten.
Gegen diese Entscheidung führt der Kläger Berufung und trägt ergänzend vor, die angefochtene Unterhaltungsanordnung der Beklagten sei rechtswidrig, da sie den gesetzlich vorgegebenen Rahmen seiner Unterhaltungspflicht überschreite. Die Sicherung anliegender Grundstücke oder die Sicherung von Bauwerken auf ihnen werde von der Pflicht zur Gewässerunterhaltung nicht erfaßt. So seien an der Abzucht, einem nicht ausgebauten Harzgewässer, seit alters her im Rahmen der Unterhaltung keine Maßnahmen an dem Gewässer erforderlich gewesen, da eine schadlose Abführung des Wassers trotz der Hochwasser ständig gewährleistet sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.
Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Vorgänge der Beklagten sowie der Bezirksregierung XXX verwiesen. Die Vorgänge sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, soweit die Entscheidung auf ihnen beruht.
Die Berufung hat Erfolg, da das Verwaltungsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben hat.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Januar. 1988 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung XXX vom 1. Juni 1988 erweisen sich als rechtswidrig. Der Kläger konnte von der Beklagten nicht zur Beseitigung der hier fraglichen Schäden am Ufer der Abzucht verpflichtet erklärt werden.
Die Wasserbehörde kann gemäß § 118 Abs. 1 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) vom 7. Juli 1960 (Nds.GVBl. S. 105) in der bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung noch geltenden und damit hier maßgeblichen Fassung vom 28. Oktober 1982 (Nds.GVBl. S. 425) im Streitfall nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen, wem und in welchem Umfang ihm die Unterhaltung eines Gewässers, eine Beteiligung an ihren Kosten oder eine besondere Pflicht im Interesse der Unterhaltung obliegt. Diese Entscheidung muß sich allerdings, worauf der Kläger zutreffend hinweist, in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen der Unterhaltungspflicht gemäß §§ 28 ff des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1110)" in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. September 1986 (BGBl. I S. 1529)- und der §§ 98 ff NWG halten (so auch Haupt/Reffken/Rhode NWG § 118 RN 2). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
Die Unterhaltung eines Gewässers umfaßt nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WHG die Erhaltung eines ordnungsmäßigen Zustandes für den Wasserabfluß und an schiffbaren Gewässern auch die Erhaltung der Schiffbarkeit (ebenso § 98 Abs. 1 Satz 1 NWG). Bei der Unterhaltung ist nach Satz 2 a.a.O. den Belangen des Naturhaushalts Rechnung zu tragen; Bild und Erholungswert der Gewässerlandschaft sind zu berücksichtigen. Die Länder können gemäß Satz 3 a.a.O. bestimmen, daß es zur Unterhaltung gehört, das Gewässer und seine Ufer auch in anderer wasserwirtschaftlicher Hinsicht in ordnungsmäßigem Zustand zu erhalten. Das gilt nach Satz 4. Halbs. 1 a.a.O. auch für Maßnahmen zur Verbesserung und Erhaltung des Selbstreinigungsvermögens, soweit nicht andere dazu verpflichtet sind. Die diesen bundesrechtlichen Rahmen ausfüllenden Vorschriften des Niedersächsischen Wassergesetzes vermögen die angefochtene Entscheidung entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu rechtfertigen. Das gilt insbesondere für § 98 Abs. 2 Satz 1 NWG. Zur Erhaltung eines ordnungsmäßigen Zustandes gehören nach dieser Bestimmung die Reinigung, die Räumung, die Freihaltung, der Schutz und die Unterhaltung des Gewässerbetts einschließlich seiner Ufer. Der Wortlaut dieser Bestimmung bietet bereits keine Anhaltspunkte für die Annahme der Beklagten, der das Verwaltungsgericht gefolgt ist, daß mit ihr mehr als eine bloße Erläuterung des Zustandes gegeben wird, in dem ein Gewässer im Rahmen der Unterhaltung nach § 98 Abs. 1 Satz 1 NWG erhalten werden soll. Der Umfang der danach gebotenen Unterhaltungsmaßnahmen bestimmt sich nach dem, was zur Erhaltung eines ordnungsmäßigen Zustandes des Gewässers für den Wasserabfluß erforderlich ist (Rehder, NWG, 4. Aufl., § 81 RN 2; Haupt/Reffken/Rhode a.a.O. § 98 RN 7, 8; Urt. d. Sen. v. 28.5.1990 - 3 OVG A 251/87 -; vgl. a. OVG Münster OVGE 36, 1, 8 f; Gieseke/Wiedemann/Czychowski,WHG,5. Aufl. § 28 RN 17. f, 39; Sieder/Zeitler, WHG, § 28 RN 8; Beschl.d. Sen. v. 18.11.1982 -3 OVG B- 101/82-). Die Bestimmung läßt hingegen keinen Raum für die Annahme, der Landesgesetzgeber habe mit ihr von der Ermächtigung in § 28 Abs. 1 Satz 3 WHG Gebrauch machen wollen, die Unterhaltung etwa darauf zu erstrecken, das Gewässer und seine Ufer auch in anderer wasserwirtschaftlicher Hinsicht in einem ordnungsmäßigen Zustand zu erhalten (vgl. a. Rehder a.a.O. Abs. 4 vorletzter Satz). Im vorliegenden Falle ist nach diesen Maßstäben eine Unterhaltung des Ufers der Abzucht an der hier fraglichen Stelle nicht geboten.
Die Schäden an ihrem Ufer mögen zwar das an der Abzucht gelegene Grundstück der Beigeladenen in seinem Bestand bedrohen und ihre Werkskläranlage auf dem Grundstück gefährden. Der Kläger ist aber zu einer Beseitigung der Schäden und einer Sicherung des Ufers der Abzucht an dieser Stelle aufgrund seiner Unterhaltungspflicht für dieses Gewässer II. Ordnung nicht gehalten, zumal nach seinem unwidersprochenen und durch die Umstände dieses Falles bestätigten Vorbringen die Abzucht sich trotz dieser Schäden in einem ordnungsgemäßen Zustand für den Wasserabfluß befindet.
Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob die Bezirksregierung Braunschweig die Beklagte, obwohl sie Eigentümerin der Abzucht in dem hier fraglichen Gebiet ist, nach § 170 Abs. 2 Satz 3 NWG zur zuständigen Behörde für eine Entscheidung des Streites zwischen dem Kläger und der Beigeladenen über den Umfang der Unterhaltungspflicht bestimmen konnte.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO und der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf§§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils [...]durch Beschwerde angefochten werden.
...