Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.06.2006, Az.: 5 B 176/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 08.06.2006
- Aktenzeichen
- 5 B 176/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44216
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0608.5B176.06.0A
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Polizeirecht - hier: Meldeauflage - hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 8. Juni 2006
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben sicherzustellen, dass der Antragsteller in Absprache mit dem Polizeikommissariat Nord, Guntherstraße, seiner Meldepflicht insgesamt auf einem vom Antragsteller vorab zu benennenden, wohnortnahen Polizeirevier nachkommen kann, das entsprechende Öffnungszeiten hat.
Insoweit wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 29.05.2006 wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller trägt 9/10, die Antragsgegnerin 1/10 der Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Meldeauflage zur Verhinderung gewalttätiger Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft.
Der am C. geborene Antragsteller ist melderechtlich gemeldet in der D..
Unter dem 19.05.2006 beantragte die Polizeiinspektion Braunschweig bei der Antragsgegnerin den Erlass von Meldeauflagen gemäß § 11 Nds. SOG.
Beigefügt wurden Unterlagen aus der bei der Polizei geführten Akte, aus denen sich Folgendes ergibt:
Der Antragsteller hat ein bundesweites Stadionverbot bis zum 30.06.2009 und ist in der Kartei "Gewalttäter Sport" bis zum 16.10.2010 eingetragen. Nach einem Vermerk des Polizeikommissariats Nord ist der Antragsteller Angehöriger der Braunschweiger Althooliganszene und verfügt über gute Kontakte zu Gleichgesinnten aus Basel.
Die Vorladung zur Gefährderansprache für den 16.03.2006 erfolgte an die Adresse der Mutter des Antragstellers in Braunschweig, da nach polizeilichen Ermittlungen das Haus in E. unbewohnt ist. Nachdem der Antragsteller mit Schreiben vom 04.04.2006 auf die Ladung zur Gefährderansprache hin erneut auf seinen Wohnsitz in E. hingewiesen hatte, ergaben erneute Nachforschungen der Polizei, dass er sich dort nicht aufhielt. Im Übrigen hat der Antragsteller nach polizeilichen Erkenntnissen in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Hannover die Adresse seiner Mutter angegeben. Nach Auskunft der Polizei hat eine Art Gefährderansprache nach dem Fußballspiel am 14.05.2006 stattgefunden.
Es finden sich in der Akte folgende Vorfälle:
1. 12.12.2000 Anlässlich eines Spiels Kickers Offenbach gegen Waldhof Mannheim: Ingewahrsamnahme, weil der Antragsteller beabsichtigt habe, sich an Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fanlagern zu beteiligen.
2. 27.02.2000 Anlässlich des Spiels Waldhof Mannheim gegen Hannover 96: Strafverfahren wegen Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung, da der Antragsteller sich an Ausschreitungen beteiligt habe.
3. 27.01.2001 Anlässlich eines Spiels Eintracht Frankfurt gegen 1. FC Köln: Identitätsfeststellung und Platzverweis, da der Antragsteller sich an Ausschreitungen beteiligen wollte.
4. 23.02.2001 Anlässlich eines Spiels 1. FC Magdeburg gegen Dynamo Dresden: Identitätsfeststellung und Platzverweis, da er sich an Ausschreitungen beteiligen wollte.
5. 17.03.2001 Anlässlich eines Spiels Eintracht Braunschweig gegen Sachsen Leipzig: Platzverweis, da er sich an Ausschreitungen beteiligten wollte.
6. 31.03.2001 Anlässlich des Spiels Eintracht Braunschweig gegen Erzgebirge Aue: Ebenfalls Identitätsfeststellung und Platzverweis, da er sich an Ausschreitungen beteiligen wollte.
7. 12.01.2002 Identitätsfeststellung und Platzverweis wegen einer Auseinandersetzung mit Hooligans aus Hannover.
8. 11.11.2002 Anlässlich eines Spiels FC Basel gegen FC Liverpool: Strafverfahren wegen Landfriedensbruchs in Basel.
9. 05.10.2003 Anlässlich eines Spiels Eintracht Braunschweig II gegen Hannover 96 II: Identitätsfeststellung und Platzverweis, da sich der Antragsteller anlässlich dieses Spiels an Ausschreitungen beteiligen wollte.
10. 04.01.2004 Techem-Cup in Halle/Saale: Identitätsfeststellung wegen geplanter Drittortauseinandersetzung.
11. 04.04.2004 Anlässlich eines Spiels VfB Oldenburg gegen Eintracht Braunschweig II: Ingewahrsamnahme, da er sich anlässlich dieses Spiels an Ausschreitungen beteiligen wollte.
12. 27.03.2004 Ingewahrsamnahme wegen versuchter Beteiligung an Ausschreitungen.
13. 27.03.2004 Anlässlich eines Spiels Hannover 96 gegen Borussia Dortmund: Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Einschlagens mit anderen Fans auf Passanten.
14. 08.05.2004 Anlässlich des Spiels 1. FC Magdeburg gegen Hallescher FC: Identitätsfeststellung wegen Versuchs der Beteiligung an Ausschreitungen.
15. 30.04.2005 Anlässlich des Spiels VfL Osnabrück gegen Eintracht Braunschweig: Ingewahrsamnahme wegen versuchter Beteiligung an Ausschreitungen.
16. 16.10.2005 Anlässlich des Spiels Eintracht Braunschweig gegen VfL Bochum: Strafverfahren wegen Landfriedensbruch.
Außerdem befindet sich in der Akte eine Liste mit drei weiteren Gewalttaten ohne Fußballbezug.
Unter dem 29.05.2005 ordnete die Antragsgegnerin an, dass der Antragsteller sich unter Vorlage seines amtlichen Lichtbildausweises an insgesamt 19 Terminen, zum Teil zweimal, auf dem Polizeikommissariat Nord, Gunterstraße 2, 38112 Braunschweig persönlich vorzustellen habe. Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme wurde angeordnet. Gleichzeitig wurde dem Antragsteller für jeden nicht beachteten Meldetermin ein Zwangsgeld von 500,00 EUR angedroht.
Zur Begründung wurde angeführt, dass der Antragsteller nach Erkenntnissen des PK Braunschweig Nord der besonders gewaltbereiten Braunschweiger Hooliganszene zuzurechnen sei, die regelmäßig Auseinandersetzungen mit gleichgesinnten Gruppen suche. Bei derartigen Vorfällen habe er bereits Gewaltbereitschaft gezeigt. Es sei davon auszugehen, dass Hooligans und andere Problemfans des Personenkreises "Gewalttäter Sport" zu den Spielorten reisten, um dort gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen. Es sei bekannt, dass insbesondere europäische Problemfanszenen über ein hohes Gewaltpotential verfügten. Besondere Beachtung gelte dabei den Spielorten, an denen die Nationalmannschaften der Schweiz und einiger osteuropäischen Staaten ihre Begegnungen austragen würden, da Koalitionen und Freundschaften zu den Problemfans aus der Schweiz und Feindschaften zu einigen osteuropäischen Ländern bestünden. Es sei weiterhin nicht ausgeschlossen, dass die Rahmenbedingungen des Spielorts Hannover genutzt würden, um gezielte Auseinandersetzungen mit den befeindeten Problemfans des Vereins Hannover 96 zu suchen. Im Folgenden werden in der Verfügung die bereits aufgeführten Vorkommnisse angeführt. Außerdem wird ausgeführt, dass der Antragsteller wegen seines auffälligen Verhaltens in der bundesweiten Datei der Polizei "Gewalttäter Sport" verzeichnet sei. Die Rechtsgrundlage sei § 11 Nds. SOG. Es bestehe im Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten werde. Jeder Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts stelle eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar. Aufgrund des in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens des Antragstellers sei davon auszugehen, dass bei Weltmeisterschaftsspielen mit einer Störung der öffentlichen Sicherheit in Form der Begehung von Gewaltstraftaten zu rechnen sei. Wegen der bereits erfolgten Gefährderansprache werde auf eine Anhörung verzichtet. Die Meldeauflage sei eine geeignete Maßnahme, um zu verhindern, dass der Antragsteller sich an bestimmten Orten an Auseinandersetzungen beteilige. Der Nachteil, den er dadurch erleide, stehe nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, der Verringerung der Gefahr, dass es zu Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft komme. Das Recht des Antragstellers auf uneingeschränkte Wahl des Aufenthaltsortes sei angesichts der Gefahren, die durch die zu befürchtenden Ausschreitungen für bedeutende Rechtsgüter Dritter drohten, eindeutig geringer einzustufen. Um zu verhindern, dass der Antragsteller nach der ersten Meldezeit noch rechtzeitig zum Spielort fahren könne, um sich an Ausschreitungen unmittelbar nach der Begegnung zu beteiligen, sei teilweise eine zweite Meldezeit angesetzt worden.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, da sie im besonderen öffentlichen Interesse liege. Der Antragsteller könne bei Erhebung einer Klage in die Lage versetzt werden, rechtzeitig die Spielorte anzufahren und durch die Begehung von Ausschreitungen Individualgüter wie Gesundheit und Leben Dritter schwerwiegend gefährden und darüber hinaus das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit negativ zu beeinflussen.
Dagegen hat der Antragsteller am 07.06.2006 Klage erhoben (5 A 176/06) und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung wird angeführt, dass er nur eine Geldstrafe im Zusammenhang mit einem Fußballspiel erhalten habe, alle anderen Verfahren seien eingestellt. Andere Verfahren seien ohne Fußballbeteiligung bzw. noch nicht abgeschlossen. Die Eintragungen seien ihm nicht bekannt. Die polizeilichen Maßnahmen seien jeweils erfolgt, bevor er den Fußballplatz erreicht habe, z. B. habe er einmal nur bei McDonalds gesessen. Die Gefährderansprache habe nicht im Polizeikommissariat, sondern im Rahmen eines Fußballspiels stattgefunden. Man habe ihm zusammenhanglos Vorwürfe gemacht und Androhungen ausgesprochen. Er wolle nicht zu dem WM-Spielen oder sich an Gewaltaktionen beteiligen. Die Antragsgegnerin sei die unzuständige Behörde, da er keinen Wohnsitz in Braunschweig habe. Im Übrigen sei es angesichts seines Wohnsitzes in E. unmöglich, sich in Braunschweig auf dem Polizeikommissariat Guntherstraße zu melden.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.05.2006 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Sie wiederholt und vertieft die Gründe des Bescheides und macht weitere Ausführungen dazu, dass sie die zuständige Behörde zum Erlass des angefochtenen Bescheides sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 29.05.2006 ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag bei einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Neben der Feststellung, ob die schriftliche Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des Gesetzes entspricht, ist Gegenstand der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Frage, ob ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Maßnahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. In diese Abwägung ist die voraussichtliche Rechtmäßigkeit des Bescheides mit einzubeziehen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfüllt die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Das besondere öffentliche Vollzugsinteresse ist schriftlich begründet. Die Begründung lässt die notwendige Abwägung der Rechtsgüter erkennen und ist nicht lediglich formelhaft.
Die angefochtene Verfügung vom 29.05.2006 ist nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführenden summarischen Prüfung der Sachlage und Prüfung der Rechtslage rechtmäßig.
Die Antragsgegnerin konnte die angefochtene Verfügung erlassen, obwohl der Antragsteller mit Hauptwohnsitz in E. gemeldet ist. Sie ist zuständige Behörde nach § 100 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG. Wird eine Gefahr, die sich in anderen Bezirken auswirkt, von einer Person verursacht, so ist nach dieser Vorschrift auch die Behörde zuständig, in deren Bezirk die Person wohnt oder sich aufhält. Nach den Erkenntnissen der Polizei Braunschweig hält sich der Antragsteller zumindest auch in Braunschweig auf und hat vor dem Amtsgericht Hannover selbst die Braunschweiger Adresse seiner Mutter angegeben.
Die Verfügung ist aus diesem Grunde auch nicht auf eine unmögliche Handlung gerichtet. Für den Fall, dass sich der Antragsteller im fraglichen Zeitraum tatsächlich in E. aufhalten sollte, hat die Polizei sichergestellt, dass er die Meldeauflage auch dort erfüllen kann.
Eine weitere Anhörung nach § 28 VwVfG konnte unterbleiben, weil der Antragsteller im Rahmen der Gefährderansprache über die beabsichtigte Meldeauflage informiert wurde und Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
Der Antragsteller wird auch nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, dass die Verfügung der Antragsgegnerin erst am 29.05.2006 ergangen ist, obwohl Verfügungen dieser Art seit Monaten in den Zeitungen angekündigt werden. Da die erkennende Kammer über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch rechtzeitig entscheidet, ist dem Antragsteller damit nicht die Rechtsschutzmöglichkeit genommen.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Meldeauflage ist § 11 Nds. SOG. Die polizeirechtliche Generalklausel ist insoweit anwendbar, spezialgesetzliche Vorschriften sind nicht einschlägig (vgl. VG Frankfurt, Entsch. v. 07.03.2002 - 5 E 3789/00 - Juris). Nach § 11 SOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Eine konkrete Gefahr liegt gemäß § 2 Nr. 1 Buchstabe a) Nds. SOG vor, wenn eine Sachlage gegeben ist, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die bestehende Rechtsordnung als Ganzes. Die Behörde muss in Anwendung des § 11 Nds. SOG aufgrund einer tatsachengestützten Prognose feststellen, dass eine solche Gefahr gegeben ist.
Diese Anforderungen erfüllt die angefochtene Verfügung. Die Antragsgegnerin ist in rechtsfehlerfreier Weise aufgrund einer tatsachengestützten Prognose zu der Auffassung gekommen, dass im Falle des Antragstellers eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Teilnahme an bzw. Unterstützung von gewaltsamen Auseinandersetzungen bei oder anlässlich bestimmter Spiele im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft droht. Bei diesen gewaltsamen Auseinandersetzungen besteht eine Gefahr für Leib oder Leben i. S. von § 2 Nr. 1 Buchstabe d) Nds. SOG, nämlich eine Gefahr, bei der eine nicht nur leichte Körperverletzung einzutreten droht.
Die Antragsgegnerin hat im Rahmen dieser tatsachengestützten Prognose nicht nur auf die Daten der Datei "Gewalttäter Sport" zurückgegriffen, sondern ihrer Entscheidung auch tragend die fachspezifische Beurteilung der Abteilung Fußballsachbearbeitung der Braunschweiger Polizei zugrunde gelegt. Aus diesem Grunde lässt die Kammer die Frage, ob die Datei "Gewalttäter Sport" rechtmäßig errichtet worden ist und geführt wird (gegen die Rechtmäßigkeit: May, NdsVBl. 2002, 41-43; anderer Ansicht VG Schleswig, Entsch. v. 23.04.2004 - 1 A 219/02 - Juris) ausdrücklich offen. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Behörde den Inhalt der Datei "Gewalttäter Sport" zwar im Sinne eines Anlasses zu einer Überprüfung des Antragstellers verwertet, sie jedoch nur als Anhaltspunkt für eigene Feststellungen behandelt, ist dies zur Überzeugung der Kammer als rechtmäßig zu erachten, auch wenn die Errichtung der Datei formell rechtswidrig sein sollte.
Die Antragsgegnerin hat die Erkenntnisse der Spezialabteilung der Polizeiinspektion Braunschweig im Polizeikommissariat Nord für ihre Entscheidung verwertet und auf dieser Grundlage eine eigene Ermessensentscheidung über das Einschreiten nach § 11 Nds. SOG getroffen, die nicht zu beanstanden ist. Durch jahrelange Beobachtung der Hooliganszene sowie durch die Sachbearbeitung aller Delikte rund um Fußballspiele verfügen szenenkundige Beamte über eine umfassende Personenkenntnis und sind in der Lage, Problemfans differenziert zu beurteilen. Zwischen diesen Spezialsachbearbeitern besteht bundesweit ein ständiger Informationsaustausch. Aus der Bündelung dieser Informationen wird das Erkenntnismaterial gewonnen, das der Gefahrenprognose bei präventiven Maßnahmen zugrunde gelegt wird (vgl. VG Minden, Entsch. v. 29.06.2005 - 11 K 2952/04 - Juris). Für sachfremde Erwägungen der szenekundigen Beamten, gegenüber dem Antragsteller mit besonderer Härte vorzugehen, finden sich keine Anhaltspunkte in der Akte. Die Antragsgegnerin durfte deshalb auf das von dieser Spezialdienststelle gesammelte Material zurückgreifen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt es bei der Gefahrenprognose i. S. der §§ 11, 2 Nds. SOG nicht - wie im Strafverfahren - darauf an, dass dem Betroffenen, für den die strafrechtliche Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung gilt, die konkrete Tatbegehung im Einzelnen nachgewiesen wird. Es kommt also im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich darauf an, ob es im Falle des Antragstellers zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gekommen ist. Präventiv-polizeiliche Maßnahmen der vorliegenden Art zielen auf die Verhinderung von Straftaten (OVG Hamburg, Entsch. v. 28.06.2000 - 1 B 240/00 - Juris). Für die präventiv-polizeiliche Gefahrenprognose sind auch solche Vorfälle, die nicht in Strafverfahren oder Verurteilungen mündeten, heranzuziehen. Auf strafrechtliche Verurteilungen kommt es aufgrund der unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäbe und Entscheidungskriterien - hier durch Tatsachen belegte Verdachtsmomente, dort Überzeugung von einem schuldhaften Tatverhalten - nicht an (VG Minden, Entsch. v. 29.06.2005 - a.a.O.). Auch soweit der Antragsteller vorträgt, ihm sei keine konkrete Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Fußballspielen nachgewiesen worden, kommt es im Rahmen der vorliegend zu treffenden Gefahrenprognose nicht darauf an, ob der Antragsteller selbst dem Kernbereich der gewalttätigen Hooliganszene zuzurechnen ist. Die Anzahl der Vorfälle, bei denen er im unmittelbaren Zusammenhang mit Auseinandersetzungen gewalttätiger Hooligans aufgegriffen und seine Personalien festgestellt wurden, ließen für die Antragsgegnerin den rechtlich vertretbaren Schluss zu, dass er zumindest dem unmittelbaren Umfeld der gewalttätigen Hooliganszene zuzurechnen ist. Bei der Beurteilung der konkreten Gefahr i. S. der §§ 11, 2 Nds. SOG kann die zuständige Behörde auch generalisierende Erkenntnisse aus der jahrelangen Beobachtung der Hooliganszene und ihres Umfelds in die Gefahrenprognose mit einbeziehen. Der gewaltbereite Kern der Hooliganszene benötigt nämlich ein unterstützendes Umfeld, aus dem heraus - mit einer geringen Gefahr der individuellen Identifizierung - agiert werden kann. Bei der Abwägung mit der Erheblichkeit der hier drohenden Gefahr für Leib oder Leben von Personen ist es ausreichend, dass tatsachengestützte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsteller zu diesem Umfeld gehört. Zur Abwehr einer solchen erheblichen Gefahr ist es gerechtfertigt, auch die Personen dieses Umfeldes daran zu hindern, an wahrscheinlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen teilzunehmen (vgl. zum Vorstehenden: VG Schleswig, Entsch. v. 23.04.2004, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben reichen die Erkenntnisse des Polizeikommissariats Nord - Fußballsachbearbeitung -, auf die sich die Antragsgegnerin gestützt hat, aus, um die Gefahrenprognose zu stellen. Dies ergibt sich aus der Anzahl und der Schilderung der bereits im Tatbestand genannten Vorfälle sowie der fachkundigen Beurteilung, dass der Antragsteller der Braunschweiger Hooliganszene angehört.
Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Antragsgegnerin eine zutreffend begründete eigene Ermessensentscheidung getroffen.
Diese Entscheidung genügt auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Verhängung einer Meldeauflage in der hier vorliegenden Form ist geeignet, den Antragsteller davon abzuhalten, sich anlässlich von Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft zum Ort gewalttätiger Auseinandersetzungen zu begeben. Sie ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch das mildeste Mittel. Ein Platzverbot für bestimmte Fußballstadien ist nicht geeignet, der drohenden Gefahr zu begegnen. Der Antragsteller trägt vor, nicht über Karten für einzelne Spiele zu verfügen. Im Übrigen ergibt sich auch aus den polizeilichen Unterlagen, dass davon auszugehen ist, dass gewalttätige Auseinandersetzungen innerhalb der Hooliganszene zumindest auch außerhalb von Fußballstadien geplant sind. Soweit mit dem Begriff Platzverbot eine Platzverweisung für bestimmte Orte nach dem Nds. SOG angesprochen sein soll, ist dies weder zweckmäßig noch durchführbar. Da beabsichtigte Orte für Drittauseinandersetzungen nicht im Einzelnen bekannt sind, wäre eine solche Maßnahme nicht umsetzbar und schon gar nicht kontrollierbar. Großflächige Platzverweisungen zum Beispiel für den gesamten Bereich der Landeshauptstadt Hannover würden wiederum Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit begegnen. Angesichts der erheblichen Gefahr, die von gewalttätigen Auseinandersetzungen ausgeht, ergibt auch die Rechtsgüterabwägung, dass der Eingriff in die Rechte des Antragstellers hinzunehmen ist.
Allerdings erfordert es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass dem Antragsteller die Gelegenheit gegeben werden muss, seine Meldeauflage bei einem wohnungsnahen Polizeirevier zu erfüllen, wenn dies nicht wegen eingeschränkter Öffnungszeiten die Maßnahme gefährdet. Dazu muss der Antragsteller aber von sich aus beim jetzt zentral zuständigen Kommissariat in der Guntherstrasse eine Absprache treffen. Zwar ergibt sich aus dem Antrag der Polizei an die Antragsgegnerin und dem Verhalten der Polizei im Verlauf der bei der Kammer anhängigen Verfahren, dass die Polizei zu abweichenden Regelungen hinsichtlich Ort und Zeit der Erfüllung der Meldeauflage bereit ist. Dies hat jedoch keine Aufnahme in die angefochtene Verfügung gefunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens, da das vorliegende Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes für den Antragsteller dieselbe Bedeutung hat.