Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 04.02.2015, Az.: 1 B 264/14
Begutachtungsrichtlinien; Fahreignung; Fahrerlaubnisentziehung; Gleichgewichtsstörung; Morbus Meniere; Schwindel
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 04.02.2015
- Aktenzeichen
- 1 B 264/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45228
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 2 FeV
- § 11 Anl 4 Nr 11.4 FeV
- § 46 Abs 1 FeV
- § 46 Abs 3 FeV
- § 3 Abs 1 S 1 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei Erkrankung an einem "aktiven Morbus Meniere" ist die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr regelmäßig nicht gegeben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Aufforderung, seinen Führerschein abzugeben.
Der am XX.XX.XX geborene Antragsteller erwarb am 09.06.1989 eine Fahrerlaubnis der (alten) Klasse 3. In einem anonymen Schreiben vom 15.04.2014 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, der Antragsteller leide unter der Erkrankung Morbus Menière; dabei handele es sich um eine Erkrankung des Innenohrs, die zu Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Taubheit führe. Trotzdem nehme der Antragsteller am Straßenverkehr teil.
Mit Schreiben vom 13.05.2014 gab der Antragsgegner dem Antragsteller auf, ein verkehrsmedizinisches Gutachten zu seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Am 09.07.2014 unterzog sich der Antragsteller einer Begutachtung durch eine Ärztin des I. J. in G.. In ihrem Gutachten vom 21.07.2014 kam die Ärztin zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller aufgrund einer Gesundheitsstörung/Krankheit ein Kraftfahrzeug der Klassen BE und C1E nicht sicher führen könne. Mit Schreiben vom 28.07.2014 erhob der Antragsteller Einwände gegen das Gutachten, die die Ärztin mit Schreiben vom 06.08.2014 zurückwies. Auf den Inhalt des Gutachtens und des nachfolgenden Schriftwechsels wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 03.09.2014 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Nr. 1), forderte ihn auf, seinen Führerschein abzugeben (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der unter Nummern 1 und 2 getroffenen Regelungen an (Nr. 3) und drohte ein Zwangsgeld für den Fall an, dass der Führerschein nicht fristgemäß abgegeben würde (Nr. 4). Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, nach dem Ergebnis der Begutachtung durch den I. J. sei der Antragsteller im Hinblick auf die Erkrankung Morbus Menière zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen. Am 06.09.2014 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner seinen Führerschein.
Am 01.10.2014 erhob der Antragsteller Klage (1 A 191/14). Am 18.12.2014 hat er einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Er ist der Auffassung, die Begründung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Antragsgegners sei unzureichend. Auch im Übrigen sei die Entscheidung rechtswidrig. Bereits das Verfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die an ihn gerichtete Aufklärungsanordnung und die der Gutachterin gestellte Frage seien nicht identisch. Auch beziehe sich die Fragestellung nur auf die Fahrerlaubnisklassen BE und C1E und damit auf die Kombination von Kraftfahrzeugen und Anhängern. Hieraus sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, dass eine negative Begutachtung auch Auswirkungen auf die Klasse B haben würde. Auch das Gutachten habe sich deshalb nur auf die Klassen BE und C1E bezogen. Das Gutachten leide darüber hinaus unter erheblichen Mängeln. Es bestehe zu mehr als 50 % aus nicht einzelfallbezogenen Textbausteinen. Die Gutachterin verkenne, dass bei ihm seit Oktober 2012 und damit seit 21 Monaten keine akuten Schwindelattacken mehr aufgetreten seien. Seine Fahreignung sei daher nicht eingeschränkt. Zur weiteren Begründung hat der Antragsteller ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. K. L. aus G. vorgelegt, auf dessen Inhalt gleichfalls Bezug genommen wird.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage (1 A 191/14) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 03.09.2014 wiederherzustellen und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Führerschein unverzüglich zurückzugeben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält ihn für unzulässig, soweit er die Zwangsgeldandrohung betreffe, weil diese mit der Abgabe des Führerscheins erledigt sei. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Die geringfügige sprachliche Abweichung der an die Gutachterin gerichteten Fragestellung von dem Text der Gutachtenanordnung sei nicht von Belang. Die Fahrerlaubnisklassen BE und C1E schlössen die Klassen B und C1 ein. In derartigen Fällen würden immer nur die höheren Fahrerlaubnisklassen benannt. Im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis sei der Antragsteller nicht geeignet gewesen, Kraftfahrzeuge zu führen. Er habe angegeben, aktuell noch immer an Drehschwindelattacken zu leiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Soweit er auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtet ist, ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch ansonsten zulässig. Das Gericht legt sowohl den Klage- als auch den Eilantrag dahingehend aus, dass sie sich nicht gegen die infolge der Abgabe des Führerscheins bereits vor Klageerhebung erledigte Zwangsgeldandrohung richten. Zum einen spricht der Antragsteller in seiner Klage nur von der Aufhebung der Entziehungsverfügung. Zum anderen ist ein Interesse, die erledigte Zwangsgeldandrohung zum Gegenstand der Klage und damit auch des Eilrechtsschutzgesuchs zu machen, nicht ersichtlich, zumal die Zwangsgeldandrohung auch nicht zu einer erhöhten Kostenfestsetzung geführt hat (vgl. den Kostenfestsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 03.09.2014).
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist jedoch nicht begründet.
Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids vom 03.09.2014 in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet. Er hat ausgeführt, die Entziehung der Fahrerlaubnis bei fehlender Eignung oder Befähigung erfolge zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor den erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit, die von ungeeigneten oder nicht befähigten Fahrzeugführern ausgingen. Es liege im besonderen öffentlichen Interesse, dem Antragsteller das Führen von Kraftfahrzeugen sofort zu untersagen, da die Verkehrssicherheit gefährdet wäre, wenn er weiterhin als Fahrzeugführer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen würde. Angesichts der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer müsse sein Interesse am Führen von Kraftfahrzeugen hinter dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit zurückstehen. Diese Formulierungen gehen über formelhafte Wendungen hinaus und lassen in hinreichender Weise erkennen, warum der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers eingeräumt hat, seine Fahrerlaubnis zunächst zu behalten.
Die in materiell-rechtlicher Hinsicht im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Verkehrssicherheit überwiegt gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der angeordneten Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des zuständigen Fachsenats des Nds. Oberverwaltungsgerichts, der sich die Kammer angeschlossen hat, ist einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung wendet, in aller Regel der Erfolg zu versagen, wenn sich in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt, dass der Antragsteller in dem Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, was insbesondere der Fall ist, wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11.05.1995 - 12 M 2648/95 - unter Hinweis auf den Beschluss vom 03.06.1993 - 12 M 2023/99 -).
Die angefochtene Entziehungsverfügung ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller - ohne dass er dabei Ermessen auszuüben hatte - auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 11.4 der Anlage 4 zu dieser Verordnung mit Bescheid vom 03.09.2014 zu Recht die Fahrerlaubnis der (alten) Klasse 3 entzogen.
Nachdem der Antragsgegner Kenntnis von einer möglichen Erkrankung des Antragstellers erlangt hatte, hat er auf der Grundlage von § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr. 5 FeV die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers war dieses Verfahren nicht deshalb fehlerhaft, weil in der Gutachtenanordnung nach der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs der „beantragten“ Klasse(n) BE, C1E gefragt wurde. Soweit dort von „beantragten“ Klassen gesprochen wurde, während das Wort „beantragte“ später in der der Gutachterin gestellten Frage fehlte, ist dies nicht von Belang. Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Prüfung der Eignung in gleicher Weise unabhängig davon erfolgt, ob über die Entziehung oder die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zu entscheiden ist. Zudem musste es für den Antragsteller, der im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, offensichtlich sein, dass es sich bei der Verwendung des Wortes „beantragt“ nur um ein unbeachtliches Versehen handeln konnte. Soweit der Antragsteller weiter vorträgt, er habe wegen der Benennung der Fahrerlaubnisklassen BE und C1E nicht davon ausgehen können, dass eine negative Begutachtung auch Auswirkungen auf die Klasse B haben würde, folgt die Kammer dem gleichfalls nicht. Der Antragsgegner hat zutreffend ausgeführt, dass die Fahrerlaubnisklassen BE und C1E notwendigerweise die Klassen B und C1 umfassen. Die Fahrerlaubnis der alten Klasse 3, die ersichtlich Gegenstand des Überprüfungsverfahrens war, schließt wiederum die neuen Fahrerlaubnisklassen BE und C1E ein. Dem Kläger musste daher von vornherein klar sein, dass es nicht nur um die Überprüfung seiner Eignung zum Führen von Kombinationen aus Kraftfahrzeugen und Anhängern ging, sondern um diejenige zum Führen aller von seiner Fahrerlaubnis umfassten Kraftfahrzeuge.
Die auf der Grundlage des verkehrsärztlichen Gutachtens getroffene Einschätzung des Antragsgegners, der Antragsteller sei zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, hält einer rechtlichen Überprüfung statt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das Gutachten nicht deshalb mangelhaft, weil es „zu mehr als 50 % aus nicht einzelfallbezogenen Textbausteinen“ bestehe. Die Ärztin hat ihr Gutachten auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers, der ihr vorliegenden Befunde anderer Stellen und eigener Erkenntnisse verfasst. Soweit sie Auszüge aus den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zitiert hat, hat sie dies ersichtlich getan, um die beim Antragsteller vorliegenden Beschwerden (Hypertonie, Schlafapnoe-Syndrom, Morbus Menière und Schwerhörigkeit links) im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Fahreignung zu bewerten. Hiergegen ist nichts einzuwenden. Ihre Einschätzung, der Antragsteller sei zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, hat sie im Wesentlichen auf die Erkrankung Morbus Menière gestützt. Im Gutachten führt sie aus, beim Antragsteller seien seit 2004 unvorhersehbare rezidivierende Drehschwindelakttacken mit schweren Gleichgewichtsstörungen (Standunfähigkeit) verbunden mit vegetativen Symptomen (starker Übelkeit, profuse Schweißausbrüche) aufgetreten. Derartige Anfälle habe der Antragsteller jeweils einmal innerhalb von sechs Wochen über eine Dauer von drei Tagen erlitten. Aus einer Stellungnahme der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der M. G. über eine Untersuchung am 26.03.2014 ergebe sich, dass ein derartiger schwerer Anfall zuletzt im Oktober 2012 aufgetreten sei. Es bestehe nun ein Völlegefühl im linken Ohr. Im Januar/Februar 2014 habe der Antragsteller eine Reha-Maßnahme in der N. O. -Klinik P. Q. durchgeführt. Er habe dabei angegeben, er leide mehrmals täglich für einige Minuten unter Drehschwindel ohne Fallneigung und einem permanenten Unsicherheitsgefühl, zum Teil mit dem Empfinden zu schwanken. Im Abschlussgespräch habe er angegeben, dass sich die Schwindel- und Gleichgewichtssymptomatik während des Aufenthalts noch verstärkt habe. Bei der eigenen Untersuchung am 09.07.2014 habe der Antragsteller über häufig kurz anhaltenden Schwindel unter anderem beim Fernsehen bei wechselnden Kameraeinstellungen, bei schnellen Kopfbewegungen, beim Busfahren oder bei der Benutzung von Aufzügen geklagt. Nach drei Hörstürzen auf dem linken Ohr im Jahr 2012 bestehe beim Antragsteller eine linksseitige Schwerhörigkeit und ein Völlegefühl auf dem linken Ohr. Ungeachtet des Umstands, dass seit Einleitung einer medikamentösen Therapie keine schweren Drehschwindelattacken mehr aufgetreten seien, träten beim Antragsteller nach den Vorbefunden und den Ergebnissen der eigenen Untersuchung somit mehrmals täglich durch vielfältige Einflüsse ausgelöste kurzdauernde Schwindelattacken auf. Er leide daher unter einer sogenannten aktiven Menière-Erkrankung und es beständen erhebliche Zweifel, dass er die Symptome der Krankheit so gut kompensieren könne und die Attacken ein so sicheres Abbrechen der Fahrtätigkeit erlaubten, dass er einen Pkw sicher führen könne. Die Fahreignung für einspurige Fahrzeuge und für Fahrzeuge der Fahrerlaubnisgruppe 2 sei für Patienten mit Menière-Erkrankung generell nicht gegeben.
Diese Ausführungen der Sachverständigen bewegen sich im Rahmen der Bewertungen unter Nr. 11.4 der Anlage 4 zur FeV und unter Nr. 3.10 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen in der ab dem 01.05.2014 gültigen Fassung. Bei den Begutachtungsleitlinien handelt es sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, dem ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und das deshalb zur Würdigung des Sachverhalts und zur Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen herangezogen werden kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 24.11.2008 - 11 CS 08.2665 -; VG Ansbach, Beschluss vom 14.01.2015 - AN 10 S 14.01946 -; jeweils bei juris). Nach Nr. 11.4 der Anlage 4 zur FeV besteht eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sowohl der Gruppe 1 (unter anderem Fahrerlaubnisklassen B und BE) als auch der Gruppe 2 (unter anderem Klassen C1 und C1E) bei einer Störung des Gleichgewichtssinns in der Regel nicht. Unter Nr. 3.10 der Begutachtungsleitlinien wird ausgeführt, dass derjenige, der in Ruhe oder bei geringster körperlicher Belastung unter heftigem Schwindel mit oder ohne Störungen der Körpergleichgewichtsregulation leidet, nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Nur wenn die Prodromalphase (Prodrom: ein einer Erkrankung vorangehendes Symptom, Anm. d. Gerichts) bei Schwindelerkrankungen so lang ist, dass ein Fahrzeug angehalten werden kann, kann ein Kraftfahrzeug sicher geführt werden. Zur Erkrankung Morbus Menière führen die Begutachtungsleitlinien Folgendes aus:
„Beim Menièreschen Symptomkomplex treten die Drehschwindelattacken spontan und meist ohne Prodromi auf. In einem Teil der Fälle kündigt sich der abrupt einsetzende Drehschwindel durch Prodromi (Hörminderung, Tinnitus, Druckgefühl) an. … Der Menière-Patient der Gruppe 1 kann bei vorhandenen Prodromi den Aufgaben im Straßenverkehr gewachsen sein. Auch wenn der Führerscheininhaber zwischen den Intervallen keine normalen Untersuchungswerte in der vestibulären Funktionsdiagnostik aufweist, kann er erfahrungsgemäß so gut kompensiert sein, dass er unter alltagsüblichen Anforderungen keine körperlichen Einschränkungen aufweist, die seine Fahreignung in Zweifel stellen. Ein „aktiver M. Menière“ liegt vor, wenn bei einem Patienten mit Menière-Erkrankung eines der folgenden Kriterien vorliegt:
1. fluktuierendes Hörvermögen
2. Völlegefühl des Ohres
3. häufige, spontane Schwindelattacken.
Sollte eines der Kriterien eines „aktiven M. Menière“ zutreffen, ist mit einer erhöhten Anfallswahrscheinlichkeit zu rechnen. In diesem Fall ist die Fahreignung nicht gegeben. In Ausnahmefällen kann jedoch die Fahreignung gegeben sein, wenn über eine Beobachtungszeit von 2 Jahren ausschließlich Attacken auftreten, die durch Prodromi eingeleitet werden und ein sicheres Abbrechen der Fahrtätigkeit erlauben. Eine fachärztliche Untersuchung ist erforderlich.
Bei vollständiger Abwesenheit der Kriterien eines „aktiven M. Menière“ kann eine geringere Anfallswahrscheinlichkeit erwartet werden, so dass die Fahreignung nach einer 2-jährigen Beobachtungszeit gegeben seien kann, die durch fachärztliche Untersuchung zu überprüfen ist.
Die Fahreignung für einspurige Fahrzeuge ist generell nicht gegeben.
Gruppe 2: Für Patienten mit Menière-Erkrankung ist die Fahreignung für die Gruppe 2 generell nicht gegeben. Ausnahmen sind nach 4-jähriger Anfallsfreiheit auf der Basis eines fachärztlichen Gutachtens möglich.“
Die Sachverständige hat zu Recht darauf abgestellt, dass im Fall des Antragstellers trotz des (möglicherweise) durch entsprechende Medikation bedingten Ausbleibens schwerer Drehschwindelattacken alle drei Kriterien eines aktiven Morbus Menière vorhanden sind. Dies gilt insbesondere auch für die Schwindelanfälle, die zwar abgeschwächt sind, von denen der Kläger selbst jedoch bei allen Untersuchungen immer wieder berichtet hat. So ergibt sich auch aus dem Entlassungsbericht der N. O. -Klinik P. Q. vom 21.02.2014, dass der Antragsteller anlässlich eines psychologischen Gesprächs ausgeführt hat, er nehme ein permanentes Schwindelgefühl (Gangunsicherheit) und einen Druck auf den Ohren wahr. Die Schwindelsymptomatik habe sich während des stationären Aufenthalts noch verstärkt und er könne keine Besserung des Befindens bei sich feststellen. Zuvor hatte er berichtet, mehrmals täglich für einige Minuten unter Drehschwindel und darüber hinaus unter einem permanenten Unsicherheitsgefühl zu leiden, zum Teil mit dem Empfinden zu schwanken. Auch bei der Untersuchung beim I. J. berichtete er erneut über in verschiedenen Situationen auftretende Schwindelanfälle. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass die Erkrankung des Antragstellers im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 03.09.2014 in einer Weise zur Ruhe gekommen war bzw. kompensiert werden konnte, dass eine Ausnahme von der fehlenden Eignung anzunehmen wäre. Würde der Antragsteller beispielsweise beim Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund einer - im Straßenverkehr stets denkbaren - schnellen Kopfbewegung einen Schwindelanfall erleiden, so würde dies unmittelbar und ohne Vorankündigung zu einer erheblichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führen.
Soweit der Antragsteller den Ausführungen der Sachverständigen entgegentritt, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Wie die Ärztin in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 06.08.2014 nachvollziehbar ausführt, sind die Vorhaltungen angesichts des Akteninhalts unbegründet oder enthalten lediglich eine vom Ergebnis des Gutachtens abweichende Bewertung, die das Gericht angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht teilt.
Zu einer abweichenden Beurteilung führt schließlich auch nicht das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten des Arztes Dr. med. L.. Der Arzt stellt hier wesentlich darauf ab, dass beim Antragsteller seit etwa 23 Monaten keine Drehschwindelattacken mehr aufgetreten seien. Hierauf kommt es jedoch angesichts der zahlreichen Fälle, in denen beim Antragsteller Schwindel unterhalb derartiger Attacken auftritt, nach dem Vorstehenden nicht an.
Nach alledem ist es im Interesse anderer Verkehrsteilnehmer zwingend geboten, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Besondere, die Annahme eines Regelfalls ausschließende Umstände sind nicht ersichtlich.
Die Anordnung, den Führerschein abzugeben, beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV und ist nicht zu beanstanden. Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, dass insoweit im Hinblick auf § 123 Abs. 5 und § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bestehen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 46.3 und Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand: Juli 2013). Danach ist für den Entzug der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE bzw. C1, C1E (alte Klasse 3) der Auffangwert (§ 52 Abs. 2 GKG) zugrunde zu legen, der im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des gerichtlichen Eilverfahrens halbiert wird.