Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.02.2015, Az.: 1 A 54/13
Auswahlermessen; Gefahrenabwehr; Straßenbaulast; Stützmauer; Unterhaltungspflicht; Unterlassen; Verhaltensstörer; Zustandsstörer
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 11.02.2015
- Aktenzeichen
- 1 A 54/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 44935
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 SOG ND
- § 6 Abs 1 SOG ND
- § 7 SOG ND
- § 2 Abs 2 Nr 1 StrG ND
- § 9 Abs 1 StrG ND
- § 114 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Umstand, dass eine straßenrechtliche Verantwortlichkeit des Straßenbaulastträgers für eine Stützmauer nicht besteht, führt nicht automatisch zu einer Sanierungspflicht der Eigentümer des an die Mauer angrenzenden Nachbargrundstücks; vielmehr bedarf es einer besonderen Rechtspflicht zum Tätigwerden.
2. Lässt die Verwaltungsbehörde bei Heranziehung eines möglichen Verhaltensstörers zur Gefahrenabwehr die eigene Zustandsverantwortlichkeit außer Betracht, so handelt sie ermessensfehlerhaft.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Pflicht zur Unterhaltung einer Stützmauer.
Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks Gemarkung F., Flur X, Flurstück XX/X, das im Ortsteil F. der Beklagten gelegen ist. Das Grundstück liegt an einer von Südwest nach Nordost verlaufenden Gemeindestraße und ist mit einem Wohnhaus und ehemals landwirtschaftlich genutzten Wirtschaftsgebäuden bebaut. Im Südwesten befindet sich an der Nordseite des Wohnhauses eine Zufahrt zu der in Richtung Nordost ansteigenden Hoffläche. Über diese Fläche sind die Wirtschaftsgebäude zu erreichen, u. a. eine etwa in der Mitte des Grundstücks direkt an die Gemeindestraße angrenzende Scheune mit einem großen, oberhalb der Straße liegenden Tor. Die ansteigende Zufahrt wird zur Straße hin durch eine etwa 22 m lange Stützmauer begrenzt, die in Richtung Nordost über etwa 2/3 ihrer Länge ansteigt und danach bis zur Scheune mit einer Höhe von 2,50 m waagerecht verläuft. Die im Jahr 1976 durch die Beklagte erneuerte Mauer besteht aus Beton-Winkelstützen. Auf ihr ist ein Zaun aus Metallpfählen und Holzplanken errichtet worden. Die Mauer befindet sich vollständig auf einem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück.
Am 15.01.2011 teilte der Kläger zu 3. der Beklagten mit, die Mauer sei in schlechtem Zustand und möglicherweise nicht mehr standsicher. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 08.02.2011, die Mauer diene ausschließlich der Sicherstellung der Zufahrt mit Fahrzeugen zum Hof bzw. zum Obergeschoss der Scheune. Die Kläger seien somit verpflichtet, sie zu unterhalten.
Mit zwei an den Kläger zu 1. bzw. die Kläger zu 2. und 3. gerichteten Bescheiden vom 14.01.2013 forderte die Beklagte die Kläger auf, bis zum 15.05.2013 für eine verkehrssichere Abstützung des Höhenunterschieds zwischen der öffentlichen Straße und der Hoffläche zu sorgen, und gab ihnen die Kosten des Verfahrens auf. Zur Begründung führte sie aus, für eine Stützmauer sei der Eigentümer des Grundstücks unterhaltungspflichtig, zu dem die Mauer in einem funktionalen Zusammenhang stehe. Die Existenz der Mauer sei allein in der Sicherstellung der Zufahrt und zur Abtragung der Lasten durch auf dem Grundstück verkehrende Fahrzeuge begründet. Es bestehe daher ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang zwischen der Grundstücksnutzung und dem Erfordernis der Stützmauer. Das Schadensbild an der Mauer lege den Schluss nahe, dass der beobachtete Verfallsprozess in absehbarer Zeit fortschreiten werde und ein Bruch der Mauer in Richtung der Straße zu befürchten sei. Damit bestehe eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Verkehrsteilnehmer, die die Gefahrenstelle passierten. Die Kläger hätten trotz Fristsetzung keine Maßnahmen zur Behebung der Gefahr ergriffen. Gemäß § 6 Abs. 1 des Nds. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) seien die erforderlichen Maßnahmen gegen die Person zu richten, die die Gefahr verursache (Verhaltensstörer). Durch das Nichthandeln der Kläger werde die von der Mauer ausgehende Gefahr verursacht; damit seien die erforderlichen Maßnahmen gegen die Kläger als Miteigentümer zu richten.
Am 15.02.2013 haben die Kläger Klage gegen „den Bescheid vom 14.01.2013“ erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, sie seien nicht als Störer für den Zustand der Mauer verantwortlich. Die Mauer diene dem Schutz der Straße und sei daher nach Straßenrecht von der Beklagten zu unterhalten. Soweit sie auch dem klägerischen Grundstück diene, handele es sich um einen bloßen Nebeneffekt. Die Kläger hätten keinerlei Veränderungen wie etwa die Aufschüttung ihres Grundstücks veranlasst. Die Ursache des Verfalls der Mauer sei der Beklagten zuzurechnen, sei es, dass die Mauer bereits nicht fachgerecht errichtet worden oder dass sie im Zuge der Erneuerung der Straßendecke beschädigt worden sei. Die Beklagte, die vom desolaten Zustand der Mauer gewusst habe, sei ihrer Unterhaltungspflicht nicht nachgekommen und habe daher die Gefahr verursacht. Sie habe bei ihrer Entscheidung weder ihre eigene Verantwortlichkeit als Eigentümerin und Straßenbaulastträgerin noch die Möglichkeit berücksichtigt, die Kläger nur zu einem Teil mit den Kosten der Instandsetzung zu belasten. Mit Schreiben vom 06.03.2013 haben die Kläger klargestellt, dass sich die Klage gegen beide Bescheide vom 14.01.2013 richte.
Die Kläger beantragen,
den an den Kläger zu 1. gerichteten Bescheid der Beklagten vom 14.01.2013 sowie den an die Kläger zu 2. und 3. gerichteten Bescheid der Beklagten desselben Datums aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung sei § 11 i.V.m. § 2 Nr. 1 Lit. a Nds. SOG. Die der Absicherung der auf dem Grundstück der Kläger angelegten Zufahrt dienende Stützmauer sei baufällig und von den Klägern zu sanieren. Eine Unterhaltungspflicht der Beklagten bestehe unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt. Straßenrechtlich sei sie nicht verantwortlich, weil die Mauer in keinem funktionalen Zusammenhang mit der Straße stehe und daher nicht deren Schutz diene. Die Stützmauer sei daher nicht Bestandteil der Straße. Sie diene vielmehr dem anliegenden Grundstück, sodass die Anlieger unterhaltungspflichtig seien. Hierbei komme es nicht darauf an, auf welchem Grundstück sich die Mauer befinde. Es bestehe eine Alleinverantwortung der Kläger, weshalb es keiner Ermessenserwägungen bedurft habe. Einzige Störer seien die Kläger. Die Klage sei unzulässig. Die Klageschrift vom 15.02.2013 richte sich nur gegen einen (einzelnen) Bescheid, sei daher zu unbestimmt und wahre die Klagefrist nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger zu 1. und den Klägern zu 2. und 3. unter dem 14.01.2013 inhaltsgleiche Bescheide erlassen. Alle Beteiligten haben am 15.02.2013 Klage gegen einen Bescheid vom 14.01.2013 erhoben. Entgegen der Auffassung der Beklagten war daher bereits bei Eingang der Klage eindeutig erkennbar, wer Kläger sein sollte. Unschädlich ist auch, dass im zunächst angekündigten Antrag nur von einem Bescheid gesprochen wurde. Das Klagebegehren war nach dem erkennbaren Willen der Beteiligten von Anfang an darauf gerichtet, jeweils den an den Kläger zu 1. bzw. die Kläger zu 2. und 3. gerichteten Bescheid vom 14.01.2013 aufheben zu lassen. Hierüber konnte nach den Umständen auch für die Beklagte kein Zweifel bestehen.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 14.01.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Mögliche Rechtsgrundlage für die mit den angefochtenen Bescheiden ausgesprochene Aufforderung, „für eine verkehrssichere Abstützung des Höhenunterschieds zwischen der öffentlichen Straße und Ihrer Hoffläche“ zu sorgen, ist mangels einer spezielleren Regelung die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel gemäß § 11 Nds. SOG. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Die Maßnahmen können sich gegen Verhaltensstörer (§ 6 Abs. 1 Nds. SOG) oder gegen Zustandsstörer (§ 7 Nds. SOG) richten. Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen nach § 6 Abs. 1 Nds. SOG gegen sie zu richten. Geht von einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen diejenige Person zu richten, die die tatsächliche Gewalt innehat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG). Maßnahmen können auch gegen eine Person gerichtet werden, die Eigentümerin oder Eigentümer oder sonst an einer Sache berechtigt ist (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG). Dabei hat die Verwaltungsbehörde bei der Auswahl des heranzuziehenden Verantwortlichen ihr gemäß § 11 Nds. SOG bestehendes Auswahlermessen fehlerfrei auszuüben.
Die das Grundstück der Kläger begrenzende, auf einem Grundstück der Beklagten befindliche Mauer ist unstreitig sanierungsbedürftig und stellt in ihrem derzeitigen Zustand eine Gefahr (§ 2 Nr. 1 Lit. a Nds. SOG) für die Rechtsgüter der die angrenzende Straße nutzenden Verkehrsteilnehmer und damit für die öffentliche Sicherheit dar.
Die Beklagte verlangt von den Klägern die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit der Mauer mit der Begründung, sie seien für diese unterhaltungspflichtig, weil die Mauer allein der Sicherstellung der Zufahrt zu ihrem Grundstück diene und daher zu diesem in einem unmittelbaren funktionalen Zusammenhang stehe. Die Kläger hätten trotz Fristsetzung keine Maßnahmen zur Behebung der Gefahr ergriffen. Durch ihr Nichthandeln werde die von der Mauer ausgehende Gefahr verursacht. Gemäß § 6 Abs. 1 Nds. SOG seien die erforderlichen Maßnahmen gegen die Person zu richten, die die Gefahr verursache; dies seien hier die Kläger als Miteigentümer.
Die Beklagte nimmt die Kläger somit als Verhaltensstörer in Anspruch und wirft ihnen vor, die Gefahr dadurch zu verursachen, dass sie notwendige Abwehrmaßnahmen unterließen. Nach der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht herrschenden Theorie der unmittelbaren Verursachung ist taugliches Zurechnungskriterium für die Verhaltensverantwortlichkeit die Feststellung, dass durch ein bestimmtes Verhalten (positives Tun oder Unterlassen) nach den Umständen des Einzelfalls die Gefahrenschwelle überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt worden ist. Ein Handeln durch Unterlassen begründet die Störereigenschaft jedoch nur dann, wenn eine besondere, auf öffentlich-rechtlichen Normen beruhende Rechtspflicht zu polizeimäßigem Handeln besteht (Hess. VGH, Urteil vom 25.03.2009 - 6 A 2131/08 -, juris, m.w.N.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 12.01.2005 - 3 L 29/01 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.02.1988 - 11 B 186/88 -, BRS 48, S. 469; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 84; Böhrenz/Siefken, Nds. SOG, Aktualisierte 9. Aufl. 2014, § 6 Erl. 2). Eine solche öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Kläger, die von der auf dem Grundstück der Beklagten befindlichen Stützmauer ausgehende Gefahr abzuwenden, ist nicht ersichtlich.
In ihrer Klageerwiderung führt die Beklagte aus, sie selbst sei für die Mauer nicht unterhaltungspflichtig, weil diese nicht in einem funktionalen Zusammenhang zur Straße stehe. Sofern eine Stützmauer nicht der Straße, sondern dem angrenzenden Grundstück vorwiegend diene, sei der Anlieger für diese Stützmauer unterhaltungspflichtig. Dabei sei es für die Frage der Unterhaltungspflicht unerheblich, auf welchem Grundstück sich die Stützmauer befinde. Der hierin zum Ausdruck kommenden Auffassung, die Kläger seien für die an ihr Grundstück angrenzende Mauer bereits deshalb unterhaltungspflichtig, weil die Mauer nicht in einem funktionalen Zusammenhang zur Straße stehe und daher nicht der straßenrechtlichen Unterhaltungspflicht der Beklagten unterliege, folgt das Gericht nicht. Insbesondere ergibt sich ein derartiger Schluss nicht aus der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung. Die genannten sowie weitere vom Gericht herangezogene Entscheidungen (VG des Saarlands, Urteil vom 29.08.2012 - 10 K 1916/11 -; VG Koblenz, Urteil vom 26.01.2009 - 4 K 2024/07.KO -; VG Minden, Urteil vom 15.04.2008 - 1 K 48/07 -; Sächsisches OVG, Beschluss vom 28.11.2006 - 5 BS 185/06 -; OVG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 14.02.2003 - 7 B 1995/02 -; VG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.1996 - 3 S 769/95 -; OVG des Saarlands, Beschluss vom 06.04.1990 - 2 R 265/86 -; jeweils bei juris) befassen sich im Schwerpunkt mit der Frage, ob ein Straßenbaulastträger für den Zustand einer Stützmauer nach dem jeweiligen Straßenrecht verantwortlich ist (vgl. für Niedersachsen: §§ 9 Abs. 1, 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG). Hierfür wird als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG für erforderlich gehalten, dass ein funktionaler Zusammenhang der Stützmauer zur Straße besteht. Besteht ein solcher Zusammenhang, so ist der Straßenbaulastträger unabhängig davon verantwortlich, ob die Mauer in seinem eigenen oder im Eigentum des Grundstücksnachbarn steht; nur hierauf bezieht sich die Formulierung, es sei unerheblich, auf welchem Grundstück sich die Mauer befinde. Besteht ein funktionaler Zusammenhang dagegen nicht, so ist die Stützmauer nicht Straßenbestandteil und unterliegt nicht der straßenrechtlichen Straßenbaulastpflicht. Dies führt jedoch nicht zu dem zwingenden Gegenschluss, dass dem Grundstückseigentümer, dessen Grundstück durch die Stützmauer begrenzt wird, seinerseits eine Unterhaltungspflicht zukommt, deren Verletzung ihn zum Störer machen könnte. Eine Rechtspflicht zum Tätigwerden tritt nicht automatisch nur deshalb ein, weil der Straßenbaulastträger nicht verantwortlich ist, sondern müsste vielmehr unabhängig davon durch öffentlich-rechtliche Normen begründet werden. Dies ist hier nicht der Fall, sodass die Frage einer möglichen straßenrechtlichen Verantwortlichkeit der Beklagten offen bleiben kann.
Weil die Kläger nicht Eigentümer der Stützmauer sind, kommt eine Unterhaltungspflicht aufgrund der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), deren Verletzung zu ihrer Heranziehung als Verhaltensverantwortliche gemäß § 6 Nds. SOG („durch Unterlassen“) führen könnte, nicht in Betracht. Eine Rechtspflicht zum Tätigwerden kann sich auch nicht aus dem Straßenrecht ergeben, denn dieses regelt nur eine Unterhaltungspflicht des Straßenbaulastträgers im Fall eines funktionalen Zusammenhangs der Stützmauer zur Straße, nicht jedoch eine Unterhaltungspflicht Dritter, sofern ein solcher Zusammenhang nicht besteht. Eine Pflicht der Kläger zur Sanierung der Mauer, deren Verletzung sie zu Verhaltensstörern i.S.v. § 6 Nds. SOG machen könnte, ergibt sich auch nicht aus sonstigen Umständen. Soweit die Beklagte vorträgt, der Zustand der Mauer sei durch das Befahren der Hoffläche mit Fahrzeugen zurückzuführen, ist keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Kläger ersichtlich, aufgrund dieses rechtmäßigen Verhaltens zur Gefahrenabwehr tätig zu werden. Zudem ist die Behauptung der Beklagten durch nichts untermauert und erfolgt gleichsam „ins Blaue hinein“. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Grundstück der Kläger nicht mehr mit landwirtschaftlichen Maschinen, sondern nur noch mit Pkw befahren wird und ein unmittelbares Befahren des Bereichs, in dem die Mauer am stärksten beschädigt ist, nach den in den Akten befindlichen Fotos wegen eines auf der Hoffläche vorhandenen, ca. 1 m breiten Grünstreifens gar nicht möglich ist. Im Übrigen gibt es mehrere weitere mögliche Ursachen für den Zustand der Mauer, die die Beklagte nicht geprüft und deshalb bei ihrer Entscheidung auch nicht berücksichtigt hat. So sind nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Kläger im Jahr 2009 die Gemeindestraße, die Kanalanschlüsse und der Regenwasserkanal umfangreich und mit schwerem Gerät saniert worden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Stützmauer bei der Durchführung dieser Arbeiten beschädigt worden ist. Denkbar erscheint auch, dass die im Jahr 1976 im Auftrag der Beklagten erneuerte Stützmauer bereits von Anfang an mangelhaft errichtet worden ist. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, besteht die Möglichkeit, dass die Mauer nach fast 40 Jahren nunmehr altersbedingte Schäden aufweist, die nicht auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen sind.
Abgesehen davon, dass eine Rechtspflicht der Kläger zum Tätigwerden nach dem Vorstehenden nicht ersichtlich ist, leiden die Bescheide der Beklagten vom 14.01.2013 unter einem Ermessensfehler in Gestalt eines vollständigen Ermessensausfalls, den das Gericht gemäß § 114 VwGO zu berücksichtigen hat. Die Beklagte hat nämlich nicht bedacht, dass sie selbst als Störerin in Betracht kommt. Dabei kann wiederum offen bleiben, ob sie nach den oben genannten Grundsätzen als Straßenbaulastträgerin für den Zustand der Mauer verantwortlich ist. Jedenfalls nämlich hat sie die tatsächliche Gewalt über das Grundstück, deren wesentlicher Bestandteil die Mauer ist, inne und ist darüber hinaus Eigentümerin dieses Grundstücks, sodass sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG Zustandsverantwortliche ist. Dies hätte sie bei ihrer Ermessensentscheidung gemäß § 11 Nds. SOG berücksichtigen müssen (§ 40 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG). Selbst wenn somit die Kläger entgegen dem Vorstehenden als Störer anzusehen wären, hätte es einer eingehenden Abwägung und Begründung der Entscheidung bedurft, sie zur Sanierung einer Schutzmauer heranzuziehen, die im ausschließlichen Eigentum der Beklagten selbst steht. Derartige Erwägungen fehlen im angefochtenen Bescheid jedoch vollständig. Daneben liegt ein Ermessensdefizit im Hinblick darauf vor, dass die Beklagte eine Verantwortlichkeit der Kläger bejaht hat, ohne ihrer Verpflichtung nachzukommen, alle relevanten Tatsachen umfassend zu ermitteln und die Ursache für den Zustand der in ihrem Eigentum stehenden Mauer aufzuklären (vgl. zu dieser Aufklärungspflicht Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 40 Rn. 53). Selbst wenn somit die Kläger als Störer in Betracht gekommen wären, wären die angefochtenen Bescheide ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig. Eine Ergänzung von Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO scheidet aus, weil sie voraussetzt, dass das Ermessen zumindest ansatzweise ausgeübt worden ist. Dagegen ermächtigt die genannte Vorschrift nicht zur Heilung eines fehlerhaften Verwaltungsakts durch erstmaliges Ausüben von Ermessen (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 114 Rn. 50).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.