Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 16.03.2023, Az.: 1 B 263/22

ChemBiozidDV; Chemikalienrecht; Pflichten bei der Abgabe von Biozidprodukten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
16.03.2023
Aktenzeichen
1 B 263/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 38542
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0316.1B263.22.00

Amtlicher Leitsatz

Keine Feststellung im vorläufigen Rechtsschutz, dass die Regelungen in den §§ 10 bis 13 der Verordnung über die Meldung und die Abgabe von Biozid-Produkten sowie zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozidrechts-Durchführungsverordnung - ChemBiozidDV -) (insbesondere das verpflichtende Abgabegespräch, die Anforderungen an die Sachkunde für die Abgabe sowie das Selbstbedienungsverbot) für die Biozidprodukte der Produktart 18 der Antrasgtellerinnen nicht verpflichtend sind.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren die Feststellung, dass die Regelungen in den §§ 10 bis 13 der Verordnung über die Meldung und die Abgabe von Biozid-Produkten sowie zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozidrechts-Durchführungsverordnung - ChemBiozidDV -) für ihre Biozidprodukte der Produktart 18 nicht verpflichtend sind. Dabei wenden sie sich insbesondere gegen das verpflichtende Abgabegespräch, die Anforderungen an die Sachkunde für die Abgabe sowie das Selbstbedienungsverbot.

Die Antragstellerin zu 1. ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Antragstellerin zu 2. Zwischen den Antragstellerinnen besteht ein Ergebnisabführungsvertrag. Mit einem Ergebnisabführungsvertrag - auch Gewinnabführungsvertrag genannt - verpflichtet sich ein Unternehmen im Sinne von §§ 291 ff. AktG (Aktiengesetz), seinen Gewinn an ein einziges anderes Unternehmen abzuführen. Die Antragstellerin zu 1. ist danach verpflichtet, ihren Gewinn an die Antragstellerin zu 2. abzuführen (Anlage AS 4). Die Antragstellerin zu 1. vertreibt europaweit Biozidprodukte und erzielt nach eigenen Angaben 80 % ihres Gesamtumsatzes auf dem deutschen Markt (Bl. 6 d. A., Rn. 16). Sie verkauft ihre für den Weiterverkauf bestimmten Produkte an den Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte, den Fach- und Großhandel sowie den Online-Handel. Dabei entfallen ca. 90 % der Umsätze auf den Lebensmitteleinzelhandel sowie die Drogeriemärkte (Bl. 6 d. A., Rn. 16). Die Antragstellerin zu 2. ist ein deutscher Bonbonhersteller.

Am 10. November 2022 hat die Antragstellerin einen Antrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt, mit dem sie die Feststellung begehrt, dass Bereitsteller von Biozidprodukten der Produktart 18 bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsache nicht verpflichtet sind die in §§ 10 bis 13 ChemBiozidDV getroffenen Regelungen einzuhalten. Die Antragstellerinnen befürchten direkte Folgen für ihren Umsatz und Gewinn. Zur Begründung führen sie aus, die Abgabebeschränkungen verletzten das Bereitstellungsrecht der Antragstellerin zu 1. nach Art. 17 Verordnung (EU) Nr. 528/2012 und aus § 28 des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - ChemG -) sowie dem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 17 GR-Charta bzw. Art. 14 GG. Zudem sei die durch Art. 16 GR-Charta bzw. Art. 12 GG geschützte unternehmerische Freiheit verletzt. Die Eingriffe seien unverhältnismäßig. Es bestehe keine Rechtsgrundlage, da eine mitgliedstaatliche Regelungskompetenz zum Erlass der Abgabebeschränkungen aufgrund der abschließenden Harmonisierung der Bereitstellung von Biozidprodukten durch die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 fehle. Die von der Antragstellerin zu 1. vertriebenen Biozidprodukte enthielten biozide Wirkstoffe in so geringer Dosierung, dass kein relevantes Vergiftungsrisiko bestehe. Obwohl die Abgabebeschränkungen erst am 1. Januar 2025 in Kraft treten, bestehe bereits jetzt ein dringendes Rechtsschutzbedürfnis. Es sei davon auszugehen, dass der Handel bereits deutlich vor Inkrafttreten der Beschränkungen betroffene Produkte aus dem Sortiment nehmen werde, da die Abgabebeschränkungen nicht umsetzbar seien. Mit einer solchen unumkehrbaren Auslistungsentscheidung sei bereits ab Mitte 2023 zu rechnen. Dadurch drohe den Antragstellerinnen ein unwiederbringlicher Schaden. Über die Produktion und den Zukauf der betroffenen Biozidprodukte müssten die Antragstellerinnen bereits im Frühjahr 2023 disponieren und seien damit auf vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz angewiesen.

Die Antragstellerinnen beantragen wörtlich,

  1. 1.

    im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsache vorläufig festzustellen, dass Bereitsteller von Biozidprodukten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. i der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 wie die G., H., I. (AG J., HRA K.), wenn diese von der Antragstellerin zu 1) unter der Unionsmarke "L." (Nr. M.) vertriebene Biozidprodukte der Produktart 18 im Sinne des Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 528/2012, die nicht gemäß Art. 25 VO 528/2012 im vereinfachten Zulassungsverfahren zugelassen wurden, insbesondere die in Anlage AS 2 aufgeführten Biozidprodukte, im stationären Handel wie in der Filiale in der N., O., durch ihre Angestellten abgibt oder anbietet oder aufgrund einer Bestellung im Online-Handel in diesem Ladengeschäft zur Abholung durch ihre Angestellten anbietet und abgibt, nicht verpflichtet sind,

    1. a.

      ein Abgabegespräch im stationären Handel gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 2 ChemBiozidDV sowie im Online- und Versandhandel gemäß § 12 Nr. 2 i.V.m. 11 Abs. 2 Nr. 2 ChemBiozidDV durchzuführen und/oder

    2. b.

      die Sachkunde der natürlichen Person, die eine Abgabe durchführt, im stationären Handel gemäß § 11 Abs. 1 i.V.m. § 13 ChemBiozidDV sowie im Online- und Versandhandel gemäß § 12 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 2 und i.V.m. § 13 Chem-BiozidDV zu gewährleisten und/oder

    3. c.

      den Erwerber im stationären Handel nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 ChemBiozidDV sowie im Online- und Versandhandel gemäß § 12 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 Chem-BiozidDV zu überprüfen und/oder

    4. d.

      die Sachkunde der natürlichen Person, die die Überprüfung des Erwerbes gemäß § 11 Abs. Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 ChemBiozidDV im stationären Handel sowie gemäß § 12 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 und i.V.m. § 13 ChemBiozidDV im Online- und Versandhandel durchführt, zu gewährleisten und/oder

    5. e.

      das Selbstbedienungsverbot für Biozidprodukte der Produktart 18 im stationären Handel gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) ChemBiozidDV einzuhalten,

  2. 2.

    hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht Zweifel hat, ob die §§ 10 - 13 ChemBiozidDV wegen Verstoßes gegen die VO 528/2012 ungültig oder unanwendbar sind, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die Vorschriften des Unionsrechts, insbesondere Art. 17 und 89 VO 528/2012 und Art. 16 und 17 GR-Charta innerstaatlichen Regelungen wie §§ 10-13 ChemBiozidDV entgegenstehen, wonach ein Unternehmen, das ein Biozidprodukt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a VO 528/2012 der Produktart 18 gemäß des Anhangs VO 528/2012, das nicht im vereinfachten Zulassungsverfahren gemäß Art. 25 VO 528/2012 zugelassen wurde, sondern für das ein Bereitstellungsrecht nach Art 17 VO 528/2012 bzw. § 28 Abs. 8 ChemG besteht, an den Erwerber oder die Empfangsperson im stationären Handel oder im Online-Handel oder sonst im Versandwege durch natürliche Personen übergeben oder versenden lässt, über die in der VO 528/2012 und den darin vorgesehenen Bescheiden oder Durchführungs-Verordnungen hinaus zusätzlichen Pflichten erfüllen muss wie,

    1. a.

      den Erwerber im Rahmen eines (im Fall des Online-Handels und Handel im Versandwege fernmündlich oder per Videoübertragung geführten) Abgabegesprächs zu unterrichten über (i) mögliche präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Schadorganismen sowie mögliche alternative Maßnahmen mit geringem Risiko und/oder (ii) die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung des Biozidprodukts gemäß der Gebrauchsanweisung, insbesondere über Verbote und Beschränkungen und/oder (iii) die mit der Verwendung des Biozidprodukts verbundenen Risiken und mögliche Risikominderungsmaßnahmen und/oder (iv) die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen beim bestimmungsgemäßen Gebrauch und für den Fall des unvorhergesehenen Verschüttens oder Freisetzens und/oder (v) die sachgerechte Lagerung und ordnungsgemäße Entsorgung und/oder

    2. b.

      Nachweise über berufliche Qualifikationen oder erworbene Sachkunden zu erbringen und/oder

    3. c.

      sich vom Erwerber, soweit dieser der Person nicht bekannt ist, bestätigen oder durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachweisen zu lassen, dass dieser zu der in der Zulassung nach der VO 528/2012 genannten Verwenderkategorie gehört und die Biozidprodukte in bestimmungsgemäßer und sachgerechter Weise verwenden will und/oder

    4. d.

      die Biozidprodukte nur in einer Form anzubieten und abzugeben, in der der Käufer keinen freien Zugriff auf das Biozid-Produkt hat.

  3. 3.

    hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Vorliegen der Voraussetzungen des vorbeugenden Rechtsschutzes und des Eilrechtsschutzes für die Antragstellerin zu 1) oder zu 2) im vorliegenden Fall hat, dem EuGH gemäß Art. 267 des AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die Vorschriften des Unionsrechts, insbesondere Art. 47 Abs. 1 GR-Charta dahingehend auszulegen sind, dass sie ein innerstaatliches Gericht verpflichten, in dem Fall, dass eine nationale Zulassung nach Art. 17 VO 528/2012 zur Bereitstellung eines Biozidprodukts, welches ein Unternehmen oder ein mit dem Unternehmen durch einen Ergebnis-Abführungsvertrag verbundenes Unternehmen vertreibt, ausläuft, bevor Vorschriften einer nationalen Verordnung in Kraft treten, die zusätzliche nationale Abgabebeschränkungen für dieses Produkt aufstellen, den Unternehmen vorbeugenden Eilrechtsschutz zu gewähren, in Rahmen dessen die Gültigkeit oder Anwendbarkeit dieser Abgabebeschränkungen überprüft werden kann, bevor diese in Kraft treten und bevor die Frist zur Verlängerung der Zulassung gemäß Art. 31 Abs. 1 VO 528/2012 von 550 Tagen ausläuft.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt zur Begründung vor, dass die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 keine Regelungen über die Art und Weise der Abgabe der Biozidprodukte enthalte und damit den nationalen Regelungen nicht entgegenstehe. Entgegen des Vortrags der Antragstellerinnen sei Ziel des Abgabegesprächs neben der Vergiftungsprävention eine umfassende Beratung zur Verhinderung eines Neubefalls, Alternativen mit geringerem Risiko, sicheren Umgang mit dem Produkt, Maßnahmen bei Verschütten und sachgerechte Lagerung sowie Entsorgung des Biozidprodukts. Die Gebrauchsanweisung enthalte zwar die notwendigen Informationen, bleibe jedoch oftmals unbeachtet. Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen sei nicht davon auszugehen, dass der Handel die betroffenen Produkte aus dem Sortiment nehmen werde. Bau- und Raiffeisenmärkte seien aufgrund von ähnlichen Regelungen im Pflanzenschutzgesetz und in der Chemikalienverbotsverordnung sowohl personell als auch von ihrer Ausstattung auf solche Abgabebeschränkungen eingestellt. Möglicherweise werde sich der Vertrieb der betroffenen Produkte vom Lebensmitteleinzelhandel hin zu Bau- und Raiffeisenmärkten verschieben. Viele Mitarbeiter einer Gartenabteilung würden bereits über einen Pflanzenschutzsachkundenachweis verfügen und damit ohne oder mit geringem zusätzlichen Schulungsaufwand auch die betroffenen Biozidprodukte abgeben können. Selbst wenn die Antragstellerinnen durch die Abgabebeschränkungen Umsatzeinbußen erleiden würden, drohe ihnen jedenfalls keine Insolvenz, da nicht von einem vollständigen oder ganz überwiegenden Wegbrechen des Umsatzes auszugehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Der Antrag der Antragstellerinnen, festzustellen, dass die Regelungen in den §§ 10 bis 13 ChemBiozidDV, insbesondere das verpflichtende Abgabegespräch, die Sachkunde für die Abgabe sowie das Selbstbedienungsverbot, für ihre Biozidprodukte der Produktart 18 nicht verpflichtend sind, hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist bereits unzulässig. Den Antragstellerinnen fehlt das für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche qualifizierte Rechtschutzbedürfnis.

Unabhängig davon neigt die Kammer dazu, das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ebenfalls zu verneinen.

Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer (natürlicher oder juristischer) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen eines Beteiligten zu einem anderen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.05.2014 - 6 A 1/13 - juris Rn. 21; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.05.2022 - 3 Bs 291/21 -, juris Rn. 34). Ein Feststellungsverhältnis kann auch zwischen Kläger oder Beklagtem und einem Dritten bestehen. Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Drittrechtsverhältnis setzt aber voraus, dass das Feststellungsinteresse gerade gegenüber der beklagten Partei besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.1997 - 8 C 23/96 -, juris Rn. 17; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.05.2022 - 3 Bs 291/21 -, juris Rn. 37; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 37). Dies ist vorliegend nicht anzunehmen, da davon auszugehen ist, dass die Antragstellerinnen durch ein Einschreiten der Antragsgegnerin gegenüber einem Händler wie der G. bezogen auf die streitgegenständlichen Produkte nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit verletzt werden.

Als inländische juristische Personen können sich die Antragstellerinnen zwar auf das Grundrecht der Berufsfreiheit berufen. Dieses Grundrecht ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offen steht (BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 -, juris Rn. 41).

Die erforderliche berufsregelnde Tendenz der angegriffenen Maßnahmen liegt allerdings nicht bereits deshalb vor, weil diese erhebliche Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Antragstellerinnen haben und wirtschaftliche Einbußen in Form von Gewinn- und Umsatzverlusten geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.05.2015 - 6 C 11/14, juris Rn. 20; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 11.08.2020 - 13 B 717/20 -, juris Rn. 28).

Durch die streitgegenständlichen Abgabebeschränkungen werden die Antragstellerinnen nur reflexhaft in ihrer beruflichen Tätigkeit betroffen. Im Gegensatz zu Fallgestaltungen, bei denen Maßnahmen gegenüber einem Dritten zur Folge haben, dass Vertriebswege für Produkte bewusst und gewollt mit dem Ziel verschlossen werden, ein Inverkehrbringen zu unterbinden, und deshalb eine objektiv berufsregelnde Tendenz anzunehmen ist (vgl. etwa zu einer medienrechtlichen Verfügung, durch welche von einem Rundfunkveranstalter wegen des Inhalts der von dem klagenden Produzenten gelieferten Sendeformate eine Änderung des Programms verlangt wird: BVerwG, Urt. v. 6.5.2015 - 6 C 11/14 -, juris; zu einer lebensmittelrechtlichen Allgemeinverfügung, die ein Inverkehrbringen unterbindet: OVG Hamburg, Beschl. v. 11.5.2022 - 3 Bs 293/21 -, juris), richten sich die Abgabebeschränkungen im vorliegenden Fall nicht gezielt gegen die Produkte der Antragstellerinnen. Sie untersagen den Antragstellerinnen auch nicht das Bereitstellen der betroffenen Produkte, sondern unterwerfen es lediglich Beschränkungen. Ein Verkauf der Produkte ist für die Antragstellerin zu 1. weiterhin möglich. Die Abgabebeschränkungen gestatten ebenso den Händlern weiterhin den Verkauf der Biozidprodukte ohne produktspezifische Änderungen zu erzwingen und verpflichten sie (lediglich) dazu, beispielsweise Schulungen ihrer Mitarbeiter für die erforderlichen Abgabegespräche durchzuführen und abschließbare Schränke für die Produkte vorzuhalten.

Selbst wenn zugunsten der Antragstellerinnen das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses angenommen würde, fehlt aber jedenfalls das für die Gewährung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis.

Wird vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz begehrt, ist der Eilantrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur zulässig, wenn ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis vorliegt (vgl. Schoch, in: Schneider/Schoch, Stand: August 2022, VwGO § 123 Rn. 121d). Ein solches Rechtsschutzinteresse ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der VwGO im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen vorläufigen Rechtsschutz oder eine Klärung im Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann (vgl. Schoch, in: Schneider/Schoch, Stand: August 2022, VwGO § 123 Rn. 45; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 123 Rn. 71). Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis liegt vor, wenn beim Zuwarten auf die behördliche Maßnahme die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen können (vgl. Schoch, in: Schneider/Schoch, Stand: August 2022, VwGO § 123 Rn. 46.).

Die Antragstellerinnen dringen nicht damit durch, dass ihnen durch die Regelungen in den §§ 10 - 13 ChemBiozidDV schwere und unzumutbare wirtschaftliche Nachteile entstünden und somit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes der Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich sei. Die Antragstellerin zu 2. vertreibt Bonbons, welche von den Regelungen in der ChemBiozidDV nicht betroffen sind. Die Antragsstellerinnen haben die Auswirkungen auf den Mutterkonzern - die Antragstellerin zu 2. - nicht hinreichend dargelegt. Neben dem Verlust der Antragstellerin zu 1., der sich aufgrund des Ergebnis-Abführungsvertrages auf die Antragstellerin zu 2. auswirkt, haben die Antragstellerinnen keine Ausführungen zu dem Gesamtumsatz bzw. -gewinn der Antragstellerin zu 2. gemacht. Es ist zu vermuten, dass die Antragstellerin zu 2. neben der Antragstellerin zu 1. weitere Tochterunternehmen hat (vgl. dazu Bl. 24 d. A. Rn. 166). Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu 2. nicht in der Lage wäre, die möglicherweise bei der Antragstellerin zu 1. entstehenden finanziellen Einbußen im Rahmen einer "Querfinanzierung" für den Zeitraum bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens aufzufangen, sind nicht gegeben. Eine drohende Insolvenz der Antragstellerinnen als irreversibler Fakt ist dementsprechend nicht zu erkennen.

Dafür, dass der Antragstellerin zu 1. kein Existenzverlust droht, spricht zudem, dass der Verkauf ihrer Biozidprodukte auch in anderen europäischen Ländern ohne die Abgabebeschränkungen der ChemBiozidDV weiterhin möglich ist. Auch in Deutschland bleibt der Bedarf an Biozidprodukten bestehen, so dass nicht zu erwarten ist, dass kein Händler die Produkte der Antragstellerin zu 1. mehr vertreiben wird. Vielmehr besteht bis zum Inkrafttreten der Regelungen in ungefähr zwei Jahren noch ausreichend Zeit, die Vertriebswege anzupassen. In Betracht kommt eine Verlagerung des Verkaufs hin zu Baumärkten und Raiffeisenmärkten. Diese haben bereits Strukturen für die Abgabe von z. B. Pflanzenschutzmitteln geschaffen, auf welche bei der Abgabe von den betroffenen Biozidprodukten als Grundlage zurückgegriffen werden kann. Zwar erzielt die Antragstellerin zu 1. nach eigenen Angaben ca. 90 % ihres Umsatzes in Lebensmitteleinzelhandel und Drogeriemärkten, es besteht jedoch kein Recht auf gleichbleibende Vertriebswege. Bis zum Inkrafttreten der Abgabebeschränkungen haben die Antragsstellerinnen noch ungefähr zwei Jahre Zeit ihren Vertrieb entsprechend anzupassen und neue Absatzmöglichkeiten zu finden. Überdies gibt die Antragstellerin zu 1. an, dass die betroffenen Produkte mindestens 45,7 % ihres jährlichen Gesamtumsatzes ausmachen (Bl. 7 und 98 d. A.). Damit erzielt sie über die Hälfte ihres jährlichen Gesamtumsatzes mit Produkten, die keine Biozidprodukte der Produktart 18 und damit nicht von den Regelungen in §§ 10 bis 13 ChemBiozidDV betroffen sind.

Der Online-Händler Amazon hat lediglich mitgeteilt, dass er aktuell keine Abgabegespräche per Telefon oder Video in Deutschland durchführe. Er würde jedoch intern an langfristigen Lösungen zur Bereitstellung der Produkte entsprechend der geltenden Rechtslage arbeiten. Lediglich für den Fall, dass die erforderlichen technischen Lösungen nicht rechtzeitig umgesetzt werden könnten, würde der Verkauf bis auf Weiteres eingestellt werden. Daraus ergibt sich, dass Amazon an dem weiteren Verkauf der Produkte interessiert ist und bereits an technischen Lösungen arbeitet. Da die Regelungen erst in ungefähr zwei Jahren in Kraft treten, erscheint eine zeitgerechte technische Lösung nicht von vornherein ausgeschlossen. Für den Fall, dass eine technische Lösung am 1. Januar 2025 noch nicht zur Verfügung steht, hat Amazon angekündigt, den Verkauf der betroffenen Produkte bis auf Weiteres einzustellen, was dafür spricht, dass der Verkauf nur vorübergehend und nicht dauerhaft eingestellt werden würde. Hinsichtlich der angekündigten Auslistungsentscheidung von P. ist festzustellen, dass der Umsatz der Antragstellerin zu 1. im Online-Handel lediglich 5 % ausmacht. Des Weiteren handelt es sich bei den P. -Märkten um eine Vertriebsform, die dem "Fach- und Großhandel" zuzuordnen ist. P. bietet insbesondere Sonderposten aus den Bereichen Garten- und Heimwerkerbedarf, Haushaltswaren, Haushaltchemie, Kosmetik, Lebensmittel, Campingartikel, Schuhe, Elektrogeräte, Getränke, Geschenkartikel, Tiernahrung, Textilien, Schreibwaren und Werkzeuge an. Die Antragstellerinnen geben an, dass sich der Umsatz in der Vertriebsform "Fach- und Großhandel" auf einen niedrigen einstelligen Prozentsatz beschränkt, so dass die Auslistungsentscheidung von P. nicht geeignet ist, einen drohenden Existenzverlust darzulegen.

Angesichts des Umfangs der unternehmerischen Tätigkeit der Antragstellerinnen stellen die Abgabebeschränkungen keine für eine tatsächliche Grundrechtsbeeinträchtigung hinreichende Intensität dar. Die unternehmerische Tätigkeit der Antragstellerin zu 1. besteht in der Produktion von Schädlingsbekämpfungsmitteln gegen fliegende und kriechende Insekten sowie Motten. Sie vertreibt europaweit mehr als 30 verschiedene Produkte. Die Antragstellerin zu 2. ist ein Bonbonhersteller, der verschiedene Bonbonsorten unter verschiedenen Marken vertreibt. Die Antragstellerin zu 1. erwirtschaftete im Jahr 2021 einen Umsatz von 53,4 Mio. €, zu dem Umsatz der Antragstellerin zu 2. haben die Antragstellerinnen nichts vorgetragen. Es sind zehn Biozidprodukte der Antragstellerin zu 1. von den Abgabebeschränkungen betroffen (Anlage AS 2, Bl. 43 d. A.). Nach eigenen Angaben machen diese Produkte ca. 45 % ihres Jahresumsatzes aus. Die Antragstellerin zu 1. erzielt demnach mit den nicht betroffenen Produkten mehr als die Hälfte des jährlichen Umsatzes. Hinzu kommt, dass auch die betroffenen Produkte weiterhin vertrieben werden dürfen. Dies vermag demnach nicht auszureichen, um eine hinreichende Intensität einer Grundrechtsbeeinträchtigung anzunehmen.

2. Überdies ist der Antrag auch unbegründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs kann dahinstehen, da die Antragstellerin einen Anordnungsgrund bereits nicht glaubhaft gemacht haben. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.04.2021 - 2 VR 3.21 -, BeckRS 2021, 11352; Schoch, in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2021, § 123 Rn. 73ff.).

Im vorliegenden Fall erstreben die Antragstellerinnen eine Vorwegnahme der Hauptsache. Ein Antrag ist auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, wenn das Rechtsschutzziel des Anordnungsverfahrens mit dem des Klageverfahrens übereinstimmt, also bereits das einstweilige Rechtsschutzverfahren die Rechtsposition vermitteln soll, die der Antragsteller in der Hauptsache anstrebt. Ob das der Fall ist, lässt sich durch einen Vergleich der in den beiden Verfahren verfolgten Sachanträge ermitteln. Der Antragsteller will eine Vorwegnahme der Hauptsache erreichen, wenn und soweit die im Anordnungsverfahren begehrte Regelung in Inhalt und Wirkung der Entscheidung im Klageverfahren entspricht (Nds OVG, Beschl. v. 15.02.2023 - 11 ME 385/22 -, juris Rn. 4). Die Antragstellerinnen streben die vorläufige Feststellung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsache an, dass die Bereitsteller von Biozidprodukten bei dem Verkauf ihrer der Produktart 18 unterfallenden Produkte nicht verpflichtet sind, die Regelungen der §§ 10 bis 13 ChemBiozidDV einzuhalten. Die damit angestrebte Rechtsposition auf Zeit, würde den Antragstellerinnen für die Dauer eines Klageverfahrens die Rechtsposition vermitteln, die sie in der Hauptsache anstreben, und sie - ohne dass diese Rechtsstellung rückwirkend wieder beseitigt werden könnte - vorweg so stellen, als hätten sie im Klageverfahren bereits obsiegt. Die Produkte der Antragsstellerinnen könnten im Einzelhandel ohne Einschränkungen weiterverkauft werden. Auch darin liegt eine - vorläufige - Vorwegnahme der Hauptsache im Rechtssinn (vgl. Nds OVG, Beschl. v. 12.03.2012 - 8 ME 159/11 -, juris Rn. 13; Beschl. v. 15.02.2023 - 11 ME 385/22 -, juris Rn. 4; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.05.2022 - 3 Bs 293/21 -, juris Rn. 48).

Der Erlass einer die Hauptsache vorwegnehmenden Regelungsanordnung kommt hier nicht in Betracht.

Einem die Hauptsache vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2022 - 14 ME 116/22 -, juris, Rn. 12; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.05.2022 - 3 Bs 293/21 -, juris Rn. 49).

Allein der etwaige Verlust wirtschaftlicher Vorteile für die Dauer des Hauptsacheverfahrens rechtfertigt allerdings nicht die Vorwegnahme der Hauptsache (Nds. OVG, Beschl. v. 27.4.2022, 14 ME 116/22 -, juris Rn. 18; Kuhla, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: Juli 2021, § 123 VwGO Rn. 129). Eine über den wirtschaftlichen Verlust hinausgehende wirtschaftliche Existenzgefährdung ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerinnen nicht. Die Antragstellerin zu 1. erwartet bei einem Entfall der Erträge der von der ChemBiozidDV betroffenen Produkte einen Gewinn von 2.566.562,00 € (vgl. von den Antragstellerinnen vorgelegtes ökonomisches Gutachten vom 5.10.2022, Anlage AS 6, S. 69, Fn. 130, Bl. 88 d. A.). Dies würde zwar ca. 67 % unterhalb des 2021 erzielten Gewinns liegen, von einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung kann jedoch angesichts der Höhe des erwarteten Gewinns nicht ausgegangen werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin zu 2. als Mutterkonzern die etwaigen Gewinnverluste für die Übergangszeit bis zur Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht auffangen könnte. Welchen Anteil am Gewinn der Antragstellerin zu 2. die Gewinne der Antragstellerin zu 1. ausmachen, wurde nicht dargelegt. Demnach kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch den etwaigen Gewinnverlust auch ein erheblicher Gewinnverlust bei der Antragstellerin zu 2. eintreten würde. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage drängt sich jedenfalls nicht auf. Die schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung muss sich - bei der Prüfung des Anordnungsgrundes - gerade auch daraus ergeben, dass der jeweilige Antragsteller gezwungen wird, auf eine Hauptsacheentscheidung zu warten und die begehrte vorläufige Regelung nicht ergeht (Nds. OVG, Beschl. v. 27.4.2022, 14 ME 116/22 -, juris Rn. 18).

Voraussetzung für eine Vorwegnahme der Hauptsache ist neben dem Anordnungsgrund von besonderem Gewicht zudem, dass der Antragsteller hinsichtlich des Anordnungsanspruchs eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache glaubhaft macht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, NJW 1989, 827; BVerwG, Urt. v. 18.04.2013 - 10 C 9.12 -, BeckRS 2013, 49802 Rn. 22; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 13.06.2022 - 6 B 581/22 -, BeckRS 2022, 13635 Rn. 8; Kuhla, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: Juli 2021, § 123 VwGO Rn. 157). Eine solche sehr hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache haben die Antragstellerinnen vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Dabei ist insbesondere das Urteil des EuGH vom 19. Januar 2023 (C-147/21, juris) zu beachten. Danach lässt sich den Art. 17, 19 und 20 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 2, 3, 28 und 31 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 entnehmen, dass diese Verordnung bezweckt, ein System der vorherigen Zulassung einzuführen, damit Biozidprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden können, und gemeinsame Grundsätze für die Bewertung von Zulassungsanträgen aufzustellen, ohne jedoch alle Aspekte der Vermarktung von Biozidprodukten zu harmonisieren. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die im vorliegenden Verfahren betroffene Art und Weise des Verkaufs mit den Geschäftspraktiken, über welche der EuGH zu entscheiden hatte, vergleichbar sein könnte, so dass die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 den nationalen Regelungen zu der Art und Weise des Verkaufs nicht entgegenstünde. Zudem regelt Art. 17 Abs. 5 Unterabsatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um der Öffentlichkeit geeignete Informationen über Nutzen und Risiken von Bioziden bereitzustellen sowie über Möglichkeiten zu informieren, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich des Selbstbedienungsverbots für Pflanzenschutzmittel in seinem Urteil vom 27. August 2009 festgestellt, dass das ausnahmslose Verbot, Pflanzenschutzmittel im Wege der Selbstbedienung in Verkehr zu bringen, durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und zur Erreichung dieser Gemeinwohlziele sowohl geeignet als auch erforderlich sei, ohne den Verkäufer von Pflanzenschutzmitteln übermäßig zu belasten. [...] Das Verbot der Selbstbedienung und die damit verbundene Beratung des Erwerbers seien erforderlich. Um die Ziele des Gesetzes zu erreichen, genüge es nicht, den Pflanzenschutzmitteln lediglich eine Gebrauchsanleitung beizufügen. Sie reiche nicht aus, um die regelmäßig fehlende Sachkunde des Erwerbers auszugleichen und einer unsachgemäßen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vorzubeugen. Erst die Beratung ermögliche es, die Anwendung des Mittels auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls abzustimmen, insbesondere den Erwerber davon abzuhalten, dass er ein Mittel erwirbt, das für seinen Fall nicht passt und dessen Einsatz deshalb zu einer vermeidbaren Störung des Naturhaushalts führt. Die bloße Lektüre einer Gebrauchsanleitung könne die Klärung solcher Fragen nicht leisten (BVerwG, Urt. v. 27.08.2009 - 7 C 1/09 -, NVwZ-RR 2010, 97). Die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren sind vor diesem Hintergrund allenfalls als offen anzusehen.

Eine Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof, wie sie die Antragstellerinnen mit den Anträgen zu 2. und 3. begehren, ist nicht angezeigt. Die von den Antragstellerinnen mit ihrem Antrag zu 2. aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften der §§ 10 bis 13 ChemBiozidDV mit der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ist für das vorläufige Rechtsschutzverfahren - wie ausgeführt - nicht entscheidungserheblich. Mangels einer anzunehmenden schweren und nicht wiedergutzumachenden Beeinträchtigung der Antragstellerinnen sieht sich die Kammer auch nicht auf den Antrag zu 3. zu einer Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Effektivitätsgebot veranlasst (vgl. zum Erfordernis eines die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrundes auch in Ansehung des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes im Übrigen: OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v . 13.7.2021 - 12 B 761/21 -, juris Rn. 4 ff.). Den Antragstellerinnen ist eine Klärung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren zuzumuten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.