Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.03.2023, Az.: 7 A 446/19

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
21.03.2023
Aktenzeichen
7 A 446/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 26930
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0321.7A446.19.00

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Überstellung nach Italien.

Der am H. in Brikama (Gambia) geborene Kläger ist gambischer Staatsangehöriger islamischer Religionszugehörigkeit vom Volk der Mandinka. Er reiste am 9. Oktober 2017 auf dem Landweg über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch.

Am 1. November 2017 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.

Am 1. November 2017 hörte das Bundesamt den Kläger zur Zulässigkeit seines Asylantrages an. Dabei gab er an, er habe Gambia am 11. März 2016 verlassen. Über den Senegal und Mali sowie Burkina Faso sei er nach Niger gereist und von dort nach etwa zehntägigem Aufenthalt weiter nach Libyen. In Libyen sei er etwa zwei Monate geblieben. Danach sei er nach Italien eingereist, wo er sich etwa 18 Monate aufgehalten habe. Am 9. Oktober 2017 sei er nach Deutschland eingereist. Sein Bruder I. halte sich noch in Italien auf. In Italien seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Internationalen Schutz habe er nicht beantragt.

Darüber hinaus hörte das Bundesamt den Kläger am 1. November 2017 ein weiteres Mal an. Dabei trug der Kläger vor, er habe in Gambia das Abitur erhalten und ein Jahr das College besucht. Zuletzt sei er Student gewesen und habe bei der Polizei gearbeitet.

Das Bundesamt hörte den Kläger am 13. November 2017 ein drittes Mal persönlich an. Dabei trug er vor, er habe Italien verlassen, weil er unter gesundheitlichen Problemen leide und ein Jahr lang versucht habe, dort eine Behandlung zu erhalten. Da dies nicht geklappt habe, sei er nach Deutschland weitergereist. Er habe unter Tuberkulose gelitten. Als Beweismittel legte er den Ausdruck eines fotografierten medizinischen Berichts vom 28. Dezember 2016 in italienischer Sprache vor.

Mit Schreiben vom 14. November 2017 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-Verordnung an die italienischen Behörden. Diese antworteten nicht.

Mit Bescheid vom 30. November 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (2.), ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an (3.) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (4.). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, weil Italien aufgrund des dort bereits zuvor gestellten Asylantrags und der nicht rechtzeitigen Antwort auf das Übernahmeersuchen gemäß § 25 Abs. 2 Dublin III-Verordnung für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei.

Gegen den Bescheid vom 30. November 2017 erhob der Kläger am 13. Dezember 2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück (Aktenzeichen: 5 A 1518/17) und beantragte vorläufigen Rechtsschutz (Aktenzeichen: 5 B 506/17). Mit Beschluss vom 15. Januar 2018 (5 B 506/17) lehnte das Verwaltungsgericht Osnabrück den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab.

Am 12. Juni 2018 scheiterte ein Versuch, den Kläger nach Italien zu überstellen, weil er unter seiner Anschrift nicht angetroffen wurde. Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 (Blatt 248 der Beiakte) stellte das Bundesamt fest, dass der Kläger derzeit nicht überstellt werden könne, weil sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei. Aufgrund dessen verlängere sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate bis zum 15. Juli 2019.

Mit Schreiben vom 25. September 2018 teilten die italienischen Behörden mit, dass dem Kläger in Italien mit Bescheid vom 11. Mai 2017 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2018 wies die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen den Kläger der Stadt C-Stadt zu.

Mit Schreiben an das Verwaltungsgericht Osnabrück vom 3. September 2019 (Blatt 319 der Beiakte) teilte das Bundesamt mit, dass es den Bescheid vom 30. November 2017 aufhebe. Daraufhin stellte das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Beschluss vom 18. September 2019 das Klageverfahren (5 A 1518/17) ein.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (2.), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an (3.), ordnete unter Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an (4.) und setzte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus (5.). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nummer 2 AsylG unzulässig, weil dem Kläger nach Erkenntnissen des Bundesamtes in Italien im Rahmen eines Asylverfahrens mit Bescheid vom 11. Mai 2017 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.

Der Kläger hat am 23. Dezember 2019 Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung trägt er vor: Das Aufnahme- und Asylsystem in Italien weise systemische Mängel auf. Hierzu nimmt der Kläger auf zahlreiche Erkenntnismittel sowie verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Bezug. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 20. Januar 2020 (Aktenzeichen: 7 B 447/19) lehnte das erkennende Gericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Dem Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beklagte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich ausgesetzt habe. Mit Antrag vom 25. März 2020 beantragte der Kläger, den Beschluss vom 20. Januar 2020 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO zu ändern. Aufgrund der Corona-Pandemie sei eine Überstellung nach Italien nicht möglich. Diesen Antrag nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 27. März 2020 wieder zurück.

Aus der Klageschrift vom 23. Dezember 2019 ergibt sich, dass der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2019 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen,

weiter hilfsweise, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen

sowie darüber hinaus hilfsweise zumindest das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG auch in Bezug auf Italien festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf Ihren Bescheid vom 11. Dezember 2019 und trägt ergänzend vor: Es treffe zu, dass seit Dezember 2022 tatsächlich keine Personen mehr von Deutschland nach Italien überstellt worden seien. Die italienischen Behörden würden aber nach wie vor teilweise Übernahmeersuchen positiv beantworten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer kann entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2023 weder anwesend noch vertreten war, weil die Beteiligten gemäß § 102 Abs. 2 VwGO in der Ladung darauf hingewiesen worden waren, dass bei ihrem Ausbleiben ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.

Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage am 21. März 2023. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach dem AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Maßgeblich ist damit das AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I, S. 1798), zuletzt geändert durch das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I, S. 2817).

Die Klage ist zulässig. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass gegen Entscheidungen des Bundesamtes, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 29 AsylG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 -, BVerwGE 153, 162 = juris Rn. 13 ff; Nds. OVG, Beschl. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273 = juris Rn. 7; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 = juris Rn. 28; Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.2.2015 - 13 a ZB 14.50068 -, juris Rn. 6; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 29 AsylG Rn. 22).

Die Klage ist darüber hinaus bereits in ihrem Hauptantrag begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers auf Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Internationaler Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umfasst internationalen Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungs-Richtlinie - ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9); der internationale Schutz im Sinne der Anerkennungs-Richtlinie umfasst den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - BGBl. 1953 II S. 559, 560) und den subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie; der nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikations-Richtlinie - ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) gewährte internationale Schutz steht dem internationalen Schutz im Sinne der Anerkennungs-Richtlinie gleich.

Ist ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, findet keine inhaltliche Prüfung desselben statt. Vielmehr ist der Asylantrag als unzulässig abzulehnen und der Antragsteller - auf der Grundlage einer eigenständigen Abschiebungsentscheidung - in den Staat abzuschieben, in dem er Schutz gefunden hat. Mit dieser Regelung hat der nationale Gesetzgeber von der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes RL 2013/32/EU (Asylverfahrens-Richtlinie) Gebrauch gemacht (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 3/21 -, InfAuslR 2022, 152 = juris Rn. 13).

Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist jedoch rechtswidrig, wenn die Lebensverhältnisse, welche den Kläger als anerkannten Schutzberechtigten in dem Zielstaat erwarten, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (GRCh) zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-Richtlinie eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - Ibrahim u.a. -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 122 = juris Rn. 88; Beschl. v. 13.11.2019 - C-540/17 u.a. - Hamed u.a. -, ABl. EU 2020, Nr. C 45, 9 = juris Rn. 35; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 29 AsylG Rn. 11). Verstöße gegen Art. 4 GRCh sind im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 34.19 -, Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 11 = juris Rn. 15). Denn das Nichtvorliegen einer solchen Gefahr ist ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 3/21 -, InfAuslR 2022, 152 = juris Rn. 16).

Im Zusammenhang mit der Beurteilung eines ernsthaften Risikos einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK ist stets von dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht, und der von jedem Mitgliedstaat verlangt, dass dieser, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Damit gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (BVerwG, Beschl. v. 19.1.2022 - 1 B 83/21 -, NVwZ-RR 2022, 476 = juris Rn. 12; Nds. OVG, Beschl. v. 22.2.2023 - 10 LA 12/23 -, juris Rn. 6 f).

Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu prüfen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 - C-540/17 u.a. - Hamed und Omar -, ABl. EU 2020, Nr. C 45, 9 = juris Rn. 38). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - Ibrahim u.a. -, ABl. EU 2019, Nr. C 1987, 11 = juris Rn. 89 - 91 und - C-163/17 - Jawo -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 7 = juris Rn. 91 - 93 und Beschl. v. 13.11.2019 - C-540/17 u.a. - Hamed u.a. -, ABl. EU 2020, Nr. C 45, 9 = juris Rn. 39) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 34.19 -, Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 11 = juris Rn. 19) fallen systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 3/21 -, InfAuslR 2022, 152 = juris Rn. 19; Beschl. v. 19.1.2022 - 1 B 83/21 -, NVwZ-RR 2022, 476 = juris Rn. 12; Urt. v. 21.4.2022 - 1 C 10/21 -, NVwZ 2022, 339 [BVerwG 28.05.2021 - BVerwG 7 C 8.20] = juris Rn. 16).

Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Bewertung der Lebensverhältnisse, welche den Kläger erwarten, im Einklang mit Unions- und Bundesrecht bei seiner Prognose, ob eine ernsthafte Gefahr einer mit Art. 4 GRCh unvereinbaren Situation zu besorgen sei, im rechtlichen Ansatz neben den staatlichen Unterstützungsleistungen und etwaigen Möglichkeiten des Klägers, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau zu sichern, u.a. eine Sicherung menschenwürdiger Existenz durch - alleinige oder ergänzende - dauerhafte Unterstützungs- oder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen oder Organisationen zu berücksichtigen.

Dem Ausländer ist zuzumuten, seinen Lebensunterhalt in dem Abschiebungszielstaat durch eigene Erwerbstätigkeit, auch durch niedrig qualifizierte Tätigkeiten und notfalls durch Schwarzarbeit zu erwirtschaften, wenn ihm dort keine Strafverfolgung droht, weil der Staat, in den er rücküberführt werden soll, nicht effektiv gegen Schwarzarbeit vorgeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.1.2022 - 1 B 83/21 -, NVwZ-RR 2022, 476 = juris Rn. 25; Nds. OVG, Beschl. v. 10.6.2022 - 10 LA 77.22 -, InfAuslR 2022, 304 = juris Rn. 13).

Die Berücksichtigung von Unterstützungs- oder Hilfeleistungen vor Ort tätiger nichtstaatlicher Institutionen oder Organisationen, welche - wie hier nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts - tatsächlich hinreichend geeignet sind, eine Situation extremer materieller Not (Art. 4 GRCh) abzuwenden, folgt bereits aus dem Ausnahmecharakter der ungeschriebenen Rückausnahme vom Grundsatz des wechselseitigen Vertrauens in Fällen drohenden Art. 4 GRCh-Verstoßes. Eine ausdrückliche, primär- oder sekundärrechtliche Verpflichtung des Mitgliedstaates, den Lebensunterhalt international Schutzberechtigter durch eigene Leistungen (Unterkunft, Befriedigung elementarster Bedürfnisse) unabhängig von zumutbaren, möglichen Eigenbemühungen und den Leistungen Dritter auf einem Niveau oberhalb des Art. 4 GRCh zu sichern, besteht nicht. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht, jeder ihrer Hoheitsgewalt unterstehender Person ein Recht auf Unterkunft zu garantieren, und birgt keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlinge finanziell zu unterstützen, damit sie ein bestimmtes Lebensniveau behalten können (vgl. EGMR, Urt. v. 2.7.2020 - 28820/13 u.a. - N.H. u.a. -, NVwZ 2021, 1121 = juris Rn. 160). Nach der Rechtsprechung des EuGH begründen selbst Mängel bei der Durchführung unionsrechtlich geforderter Integrationsprogramme für anerkannt Schutzberechtigte (Art. 34 Anerkennungs-Richtlinie) als solche grundsätzlich keine Verletzung von Art. 4 GRC (EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-163/17 - Jawo -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 7 = juris Rn. 98).

Im Bereich des Art. 4 GRC trifft den jeweiligen Mitgliedstaat in Bezug auf die Sicherung von Unterkunft und angemessenen materiellen Bedingungen (allenfalls) eine Gewährleistungsverantwortung, bei anderweitiger Sicherstellung nicht eine Erfüllungsverantwortung, soweit es gänzlich von öffentlicher Hilfe abhängige, schutzbedürftige Personen betrifft. Die Wahrung des Existenzminimums im Sinne des Art. 4 GRCh ist allein ergebnisbezogen. Art. 4 GRCh verbietet dem Grundrechtsverpflichteten in der Abwehrdimension u.a. eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung. In der Leistungs- oder Schutzpflichtendimension kommt eine Verletzung durch den Mitgliedstaat erst dann in Betracht, wenn diesen zur Erfüllung einer entsprechenden Schutzpflicht eine (unbedingte) Handlungspflicht trifft. In Bezug auf die materiellen Lebensverhältnisse des Einzelnen ist dies unions- oder konventionsrechtlich grundsätzlich nicht der Fall. Ein staatliches Unterlassen bei unzureichenden materiellen Lebensverhältnissen, die staatlichen oder privaten Akteuren nicht unmittelbar zurechenbar sind, wird erst dann erheblich, wenn den Staat eine besondere Schutz-, Gewährleistungs- oder Einstandspflicht trifft und nur durch staatliches Eingreifen in Form existenzsichernder Leistungen eine (drohende) Verletzung des Art. 4 GRCh abgewendet werden kann. Die Gefahr einer anderweitig nicht abwendbaren existentiellen materiellen Notlage für die Einzelnen ist hier eine der staatlichen Schutzpflicht vorgelagerte Voraussetzung, nicht nur Anlass staatlicher Leistungsgewähr. Kann durch die Inanspruchnahme der Hilfs- oder Unterstützungsleistungen nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen einer extremen individuellen Notlage hinreichend begegnet werden, droht keine Situation extremer materieller Not. Die Berücksichtigung existenzsichernder Unterstützungsleistungen vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen bei der Bewertung, ob bei der Rückführung oder Abschiebung die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRCh droht, folgt unmittelbar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - Ibrahim u.a. -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 11 = juris Rn. 90 und - C-163/17 - Jawo -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 7 = juris Rn. 92 und Beschl. v. 13.11.2019 - C-540/17 u.a. - Hamed u.a. -, ABl. EU 2020, Nr. C 45, 9 = juris Rn. 39). Die betroffenen Personen sind bei zumutbar möglicher Inanspruchnahme solcher Leistungen nicht vollständig von öffentlicher (im Sinne staatlicher oder staatlich organisierter) Unterstützung abhängig; denn die Gleichgültigkeit der Behörden des Mitgliedstaates muss für sie nicht zur Folge haben, dass sie in eine Situation extremer Not geraten. Ein etwaiger Wille betroffener Personen, nur durch staatliche Institutionen oder durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft die eigene Existenz zu sichern, nicht aber durch Inanspruchnahme zumutbar erreichbarer Leistungen nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen, wäre unbeachtlich; eine in Folge der Nichtinanspruchnahme eintretende Situation extremer Not wäre gerade nicht von ihren persönlichen Entscheidungen unabhängig. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich im Übrigen um besonders schutzbedürftige Personen handelt (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 3/21 -, InfAuslR 2022, 152 = juris Rn. 20-27).

Für die Erfüllung der Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 3.21 -, InfAuslR 2022, 152 = juris Rn. 22; Beschl. v. 19.1.2022 - 1 B 83/21 -, NVwZ-RR 2022, 476 = juris Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.11.2021 - A 4 S 2850/21 -, juris Rn. 10).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gilt für den hier zu entscheidenden Fall:

Die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen vor. Die italienischen Behörden haben dem Bundesamt mit Schreiben vom 25. September 2018 mitgeteilt, dass dem Kläger in Italien mit Bescheid vom 11. Mai 2017 internationaler Schutz in Form subsidiären Schutzes zuerkannt wurde. Vor der Entscheidung des Bundesamtes ist der Kläger in einer Weise angehört worden, die den Anforderungen nach § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG genügt und in der der Kläger hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu der Anwendung der Gründe nach Art. 33 RL 2013/32/EU zu äußern (vgl. Art. 34 Abs. 1 RL 2013/32/EU).

Die Abschiebung des Klägers nach Italien ist gleichwohl rechtswidrig, weil die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des Nichtvorliegens der Gefahr, im Zielstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein, nicht erfüllt ist.

Die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abschiebungsrelevante Situation für anerkannt Schutzberechtigte in Italien stellt sich nach den Feststellungen der 2. Kammer des erkennenden Gerichts aktuell insbesondere im Hinblick auf die Perspektive, eine Wohnung zu finden, wie folgt dar (VG Braunschweig, Beschl. v. 1.12.2022 - 2 B 278/22 -, AuAS 2023, 7 = juris Rn. 29-48):

"(...) Das italienische System basiert auf der Annahme, dass Personen mit Schutzstatus für sich selbst sorgen können und müssen. Nach der Gewährung eines Schutzstatus sind anerkannte Geflüchtete nicht mehr berechtigt, in Erstaufnahmeeinrichtungen oder CAS ("Centro di Accoglienza Straordinaria") zu bleiben. Zwar dürfen sie zunächst SAI-Unterkünfte ("Sistema di accoglienza ed integrazione", ehemals SPRAR/SPROIMI) aufsuchen, doch da die Plätze in den SAI knapp sind, entsteht in der Praxis eine Schutzlücke (aida, a. a. O., S. 213). Zudem ist auch die Zeitdauer, für die anerkannte Schutzberechtigte in SAI-Unterkünften verbleiben dürfen, begrenzt. Art. 38 des Dekrets des italienischen Innenministeriums vom 18.11.2019 legt fest, dass die Aufnahme im SAI-System sechs Monate andauert. Nur in einigen Fällen, die im Dekret genannt werden, können die Aufnahmebedingungen mit angemessener Begründung und mit vorheriger Genehmigung durch die zuständige Präfektur um weitere sechs Monate verlängert werden. Zusätzliche sechs Monate können gewährt werden, wenn anhaltende schwerwiegende gesundheitliche Gründe vorliegen oder um den Abschluss des Schuljahres zu ermöglichen (Art. 39 des Dekrets). Art. 5 des Gesetzesdekrets 130/2020 sieht vor, dass alle untergebrachten Personen nach Ablauf der Aufenthaltsdauer in weitere Integrationswege einbezogen werden sollen, für die die zuständigen Gemeinden im Rahmen der verfügbaren personellen, instrumentellen und finanziellen Ressourcen verantwortlich sind (aida, a. a. O., S. 215).

Trotzdem zeigt der Jahresbericht des Aufnahmesystems SPRAR/SIPROIMI (nunmehr SAI), dass Flüchtlinge, die in SPRAR/SIPROIMI-Einrichtungen untergebracht sind, bei der Erlangung der Wohnautonomie auf viele Hindernisse stoßen. Im Jahr 2018 erhielten weniger als 5 % der im Zweitaufnahmesystem untergebrachten Personen einen Wohnzuschuss, wenn ihre Zeit im System endete, und weniger als 1 % wurde bei Mietverfahren unterstützt, wenn sie die Aufnahmeeinrichtungen verließen. Das italienische Wohnungswesen ist zudem strukturell nicht auf die Bedürfnisse von Personen mit internationalem Schutzstatus eingestellt. In den letzten dreißig Jahren lag der Anteil der Sozialwohnungen am gesamten Wohnungsmarkt konstant lediglich zwischen 5 und 6 %. Darüber hinaus sind die Kriterien für die Zuteilung von Sozialwohnungen in vielen Fällen für viele Einwanderer nachteilig, selbst wenn sie nur über ein sehr geringes Einkommen verfügen, da eine Mindestwohnsitzdauer verlangt wird (UNHCR, ASGI and SUNIA, The refugee house - Guide to housing autonomy for beneficiaries of international protection in Italy, Februar 2021, S. 5-6). Weitere Kriterien, die von einigen Regionen für die Zuweisung einer Sozialwohnung verlangt werden, sind etwa ein Wohnsitz in der Gemeinde, in der der Antrag gestellt wird, keine vorherige Zuweisung von öffentlichem Wohnraum oder das Fehlen einer illegalen Beschäftigung (aida, a. a. O., S. 217).

(...) Doch die tatsächliche Verfügbarkeit von Mietwohnungen ist knapp, weil mehr als 75 % der Familien in Italien Eigentümer des Hauses sind, in dem sie wohnen, und 60 % der Immobilien im Besitz von Einzelpersonen sind, die sie als Hauptwohnsitz nutzen, während Mietwohnungen nur 10 % aller auf dem nationalen Territorium verfügbaren Wohnungen ausmachen. Italien ist also ein Land der kleinen Eigentümer, die meist nur ein Haus für den Mietmarkt zur Verfügung haben. Die Knappheit von Mietobjekten und die Notwendigkeit, mit einer großen Anzahl von Gesprächspartnern in Kontakt zu treten, benachteiligt die Flüchtlinge erheblich, weil sie in der Regel über eine geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen und bei der Interaktion mit Privatpersonen und Wohnungsbaugesellschaften mit sprachlichen Problemen konfrontiert sind (UNHCR, ASGI and SUNIA, a. a. O., S. 7-8).

(...) Doch im Allgemeinen bestehen für Geflüchtete Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt. In Anbetracht der derzeit hohen Arbeitslosigkeit in Italien ist es für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus äußerst schwierig, Arbeit zu finden. Schwarzarbeit ist verbreitet. Viele Zuwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen und sind anfällig für Ausbeutung. Im Allgemeinen sind die wenigen Arbeitsplätze, die Asylsuchenden und Schutzberechtigten zur Verfügung stehen, schlecht bezahlt und zeitlich begrenzt. Der Lohn reicht in der Regel nicht aus, um eine Wohnung zu mieten oder einer Familie ein sicheres Einkommen zu bieten (SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 71). Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2020 und 2021 zusätzlich verschärft. Viele Personen mit Schutzstatus, die eine Arbeit gefunden hatten, haben diese dadurch verloren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, 01.07.2022, S. 21-22). (...)

Für Personen mit geringem Einkommen gibt es zwar seit März 2019 das sogenannte Bürgergeld ("Reddito di Cittadinanza"; ersetzt das Arbeitslosengeld). Dieses wird jedoch nur Antragstellern gewährt, die mindestens die letzten zehn Jahre in Italien wohnhaft waren, davon mindestens zwei Jahre mit einem ununterbrochenen Wohnsitz. Diese Voraussetzung erfüllen in der Regel nicht einmal anerkannte Schutzberechtigte. Weitere Sozialleistungen obliegen den Regionen und Kommunen, welche eigene Regeln bezüglich der Höhe der Leistungen und des Empfängerkreises festlegen. So wird etwa die kommunale Beihilfe für arbeitslose Mütter ("Assegno di maternità die comuni") nur dann gewährt, wenn die Mutter ihren Antrag innerhalb von sechs Monaten nach dem Geburtsdatum bei der Wohnsitzgemeinde eingereicht hat (https://www.patronato.acli.it/assegno-maternita-dello-stato-2021-a-chi-spetta, aufgerufen am: 01.12.2022). Auch ein Anspruch auf Kindergeld ("Assegno Unico Universale per i Figli") besteht nur dann, wenn die Antragsteller seit zwei Jahren regelmäßig in Italien leben oder einen Arbeitsvertrag von mindestens 6 Monaten haben (https://italy.refugee.info/hc/en-us/articles/5388918400663-Your-right-to-access-the-welfare-system, aufgerufen am: 01.12.2022). Das italienische Sozialsystem ist sehr schwach, garantiert keinerlei Nothilfe und stützt sich auf traditionelle Familienstrukturen. Flüchtlinge können meist nicht auf solche Strukturen in Italien zurückgreifen (BFA, a. a. O., S. 22).

Zusätzlich zu den oben beschriebenen Problemen haben Geflüchtete insbesondere in den letzten Jahren eine zunehmende Stigmatisierung und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt erlebt. Laut dem Jahresbericht des Aufnahmesystems SPRAR/SIPROIMI berichten 67,4 % der Aufnahmezentren über Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum aufgrund der unsicheren Arbeitsverhältnisse der Schutzberechtigten, während 55,5 % feststellen, dass eines der Hauptprobleme in Bezug auf den Zugang zu Wohnraum für Personen mit internationalem Schutz das Misstrauen von Immobilienagenturen und Immobilieneigentümern ist (UNHCR, ASGI and SUNIA, a. a. O., S. 7-8). Sowohl in der Phase vor der Registrierung des Asylantrags als auch dann, wenn anerkannte Geflüchteten auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung warten, kommt die Schwierigkeit hinzu, dass viele Vermieter die Vorlage einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung fordern, weil sie befürchten, als "Beherberger irregulärer Migranten" angesehen zu werden, was nach italienischem Recht als Straftat gilt (SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 67).

Zwar gibt es regional organisierte Notunterkünfte, die meist von Trägern des sog. Dritten Sektors, also nicht staatlich von Nichtregierungsorganisationen oder kirchlichen Organisationen, betrieben werden. Diese sind jedoch nicht langfristig ausgerichtet, manche von ihnen haben Verträge mit der Gemeinde und werden vor allem zu Winterzeiten geöffnet. Die Dauer dieser Projekte der Aufnahme hängt von der Verfügbarkeit der finanziellen Mittel ab, sie sind mithin nicht kontinuierlich garantiert. Diese Einrichtungen haben nur wenige Plätze zur Verfügung, die die Nachfrage nach Unterbringung derer, die auf der Straße leben müssen, nicht decken. Die Familieneinheit kann nicht immer berücksichtigt werden, sodass Eltern gegebenenfalls nur separate Plätze für sich und ihre Kinder angeboten werden. Die Plätze unterliegen zudem einem Rotationssystem und sind nur für kurze Zeit nutzbar, damit möglichst viele Menschen für einige Tage dort unterkommen können. Neben der Rotation müssen die Bewohner in der Zeit ihres Aufenthaltes die Zentren tagsüber verlassen und haben keine Möglichkeit, ein geregeltes Leben zu führen. Ein Großteil des Tages muss für die Deckung der Grundbedürfnisse, z. B. in die Nahrungsfindung (Schlangestehen vor karitativen Suppenküchen), investiert werden, was es den Geflüchteten unter anderem unmöglich macht, sich eine Arbeit zu suchen (SFH, Situation von aus dem Ausland zurückkehrenden Schutzberechtigten (insbes. hinsichtlich einer Unterkunft), 29.04.2022, S. 4-5; SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 68).

(...) Aufgrund mangelnder Kapazitäten des offiziellen Aufnahmesystems oder weil sie ihr Recht auf Zugang zum Aufnahmesystem verloren haben, sind viele Asylbewerber und Schutzberechtigte obdachlos und leben auf der Straße oder in informellen Siedlungen, besetzten Häusern oder Barackensiedlungen in verschiedenen italienischen Städten, in der Regel unter unzumutbaren Bedingungen (SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 69). Aktuelle Berichte dokumentieren zudem, dass Asylsuchende auch infolge der verzögerten oder verweigerten Registrierung ihrer Anträge obdachlos werden. So prangerte etwa die Vereinigung "Assemblea antirazzista" im Juni 2022 an, dass über 60 Asylbewerber in der norditalienischen Stadt Trient (Trentino-Südtirol) seit Monaten obdachlos waren, während sie auf die Registrierung ihrer Asylanträge und die Zuweisung eines Platzes im Aufnahmesystem warteten (Agenzia Nazionale Stampa Associata (ANSA), InfoMigrants, 15.06.2022, https://www.infomigrants.net/en/post/41210/italy-over-60-asylum-seekers-in-trento-homeless-for-months, aufgerufen am 01.12.2022). Im August 2022 hatte sich die Situation noch immer nicht verbessert und Helfer machten die Langsamkeit der Bürokratie für die Notsituation verantwortlich (l'Adige, 12.08.2022, https://www.ladige.it/cronaca/2022/08/12/centinaia-di-immigrati-sotto-i-ponti-di-trento-in-attesa-di-asilo-negato-il-diritto-ad-un-posto-letto-1.3286747, aufgerufen am 01.12.2022). Die Betreiber eines Pfarrwohnheims in der italienischen Stadt Ravenna (Emilia-Romagna) berichteten von ständigen Wohnungsanfragen von obdachlosen jungen Migranten, die sich in der Schwebe befänden, während sie auf Papiere und die Aufnahme in die Erstaufnahmeeinrichtungen CAS ("Centri di accoglienza straordinari") warteten, die immer mehr überfüllt seien. Sie beklagten die überlangen Wartezeiten für die Legalisierung der Migranten (Vatican News, Sr. Maria's experience of running a center for migrants and the homeless, 16.09.2022, https://www.vaticannews.va/en/church/news/2022-09/sisters-project-maria-giovanni-titone-migrants-welcoming.html, aufgerufen am 01.12.2022).

Sofern andere Verwaltungsgerichte (VG Bremen, Beschluss vom 13.01.2022 - 6 V 828/21, 8345068 -, juris; VG Greifswald, Urteil vom 17.11.2022 - 3 A 1301/22 HGW -, juris Rn. 38; VG Dresden, Beschluss vom 02.11.2022 - 12 L 745/22.A, 9468164 -, juris, VG Cottbus, Urteil vom 08.09.2022 - VG 5 K 754/19.A, 7791080 -, juris; VG Köln, Urteil vom 25.08.2022 - 8 K 7119/19.A -, juris Rn. 58) die Gefahr einer Obdachlosigkeit damit abtun, dass die Geflüchteten auf kommunale Notunterkünfte zugreifen könnten, überzeugt dies aus den ausgeführten Gründen nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Notunterkünfte eine gangbare Lösung sein sollen, insbesondere, wenn die Gerichte zugleich einräumen, dass die genaue Anzahl an Plätzen in Notunterkünften schwierig auszumachen ist, sich die Plätze aufgrund der Covid-19-Pandemie reduziert haben, die Nachfragen infolge der Wirtschaftskrise indes gestiegen sind und Italien keinen nationalen Plan hat, der eine Erhöhung der Anzahl an Plätzen für die vorübergehende Unterbringung von Obdachlosen vorsieht. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die von mehreren Gerichten zitierte Zahl von 10.000 Obdachlosen in ganz Italien im Jahr 2018 (vgl. VG Bremen, a. a. O., VG Greifswald, a. a. O.: VG Würzburg, Urteil vom 29.09.2022 - W 4 K 21.30332 -, juris Rn. 53; .VG Stuttgart, Urteil vom 21.07.2022 - A 4 K 1253/22 -, juris Rn. 46), somit von nur etwa 0,016 % der Bevölkerung, deutlich zu niedrig angesetzt ist. Das Nationale Institut für Statistik (ISTAT) geht für das Jahr 2021 von 500.000 wohnungslosen Menschen aus, die auf der Straße oder in Behelfsunterkünften, etwa in Lagern und geduldeten oder spontanen Siedlungen, leben. Im Winter 2014 ermittelte das Institut zudem durch Erhebungen in Kantinen- oder Nachtasyleinrichtungen eine Zahl von 50.724 Obdachlosen, die landesweit auf der Straße lebten. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Anteil der Bevölkerung in den letzten zehn Jahren als Folge der Wirtschaftskrise zugenommen hat (ISTAT, 29.10.2021, Censimento 2021 anche per le persone più difficili da rilevare, https://www.istat.it/it/files//2021/10/Popolazioni-speciali_Comunicato-stampa.pdf, aufgerufen am 01.12.2022). 15 % der Wohnungslosen sind Frauen; 58 % der Wohnungslosen sind Ausländer, wobei deren Quote in einzelnen Großstädten wie Mailand sogar bei 73 % liegt (Quotidiano Piemontese, 07.01.2022, https://www.quotidianopiemontese.it/2022/01/07/i-clochard-in-italia-sono-un-popolo-di-50-mila-invisibili-pari-a-un-capoluogo-di-provincia/, aufgerufen am 01.12.2022; SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 68). Dafür, dass der Anteil der Obdachlosen unter den Einwohnern Italiens deutlich höher sein dürfte, spricht auch eine Studie der Fondazione Rodolfo De Benedetti (fRDB) aus dem Jahr 2018 in Mailand, wo ein Anteil der Obdachlosen an der Bevölkerung von 0,2 % ermittelt wurde (Associazione NAGA, Più fuori che dentro, Dezember 2021, S. 62).

(...)

Die Lebensbedingungen von Asylbewerbern und Flüchtlingen in besetzten Häusern, Slums und auf der Straße sind miserabel. Sie leben am Rande der Gesellschaft, ohne Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Situation. Sie kampieren meist in kleinen Gruppen in Randgebieten, wo die Polizei sie nicht finden kann, um sie für das Schlafen im Freien zu bestrafen. Infolgedessen haben sie nicht nur keinen Zugang zu territorialen Sozial- und Gesundheitsdiensten, sondern auch zu den elementarsten Gütern wie Wasser, Lebensmitteln und Strom. Ihr Alltag besteht aus der Deckung ihrer Grundbedürfnisse, wie der Suche nach Nahrung und einem Schlafplatz (SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 58, 69). Geflüchtete ohne festen Wohnsitz haben zudem kaum Zugang zu medizinischen Leistungen, denn, um sich beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) anzumelden, müssen sich Asylbewerber oder Personen mit Schutzstatus an das örtliche ASL ("azienda sanitaria locale", lokale Gesundheitsbehörde) wenden und dort u. a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis, eine Wohnsitzbescheinigung bzw. eine Erklärung über den tatsächlichen Aufenthalt, wie auf der Aufenthaltserlaubnis angegeben, sowie eine Steueridentifikationsnummer vorlegen. Dies stellt ein schwer überwindbares Hindernis dar sowohl für asylsuchende Personen, deren Anträge noch nicht formell bei der Questura registriert wurde, als auch für Personen mit internationalem Schutz, die obdachlos geworden sind und deshalb Schwierigkeiten haben, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern und/oder einen Wohnsitznachweis zu erbringen. Die Angabe einer fiktiven Adresse oder der Adresse einer Nichtregierungsorganisation als Wohnsitz wird von vielen Behörden nicht zugelassen (SFH, Reception conditions in Italy Updated, Januar 2020, S. 73, 75).

Zudem mangelt es in Italien an Unterstützungsleistungen für Obdachlose. In Barletta (Apulien) forderten Vertreter von Hilfsorganisationen, den in der Region als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft tätigen Geflüchteten ein öffentliches Wohnheim zur Verfügung zu stellen, nachdem diese dort seit Langem in Zeltlagern in der freien Natur oder in leerstehenden Gebäuden leben müssen (Giuseppe di Bisceglie, Corriere della Sera, 14.10.2022, https://corrieredelmezzogiorno.corriere.it/bari/cronaca/22_ottobre_14/sotto-ponti-tende-stracci-cosi-migranti-vivono-degrado-barletta-7454595c-4bce-11ed-b1b7-e093d9351754.shtml, aufgerufen am 01.12.2022). Aus der Stadt Triest (Friaul-Julisch Venetien) wird berichtet, dass die Polizei Geldstrafen von bis zu 500 Euro gegen obdachlose Asylbewerber verhängt (Agenzia Nazionale Stampa Associata (ANSA), InfoMigrants, 18.07.2022, http://www.infomigrants.net/en/post/41972/homeless-refugees-fined-in-trieste, aufgerufen am 01.12.2022). Zudem werden Hilfsorganisationen werden in ihrer Arbeit teilweise gezielt behindert. Die Stadt Ventimiglia (Ligurien) nahe der italienisch-französischen Grenze verhängte ein mit Geldstrafen bewehrtes Verbot, obdachlosen Migranten Essen zu geben. Die Kirche, in der Hunderte von Menschen eine Notunterkunft gefunden hatten, wurde von den Behörden im Jahr 2017 geschlossen (Angela Giuffrida, The Guardian, 20.09.2022, https://www.theguardian.com/world/2022/sep/20/all-we-want-is-to-be-able-to-live-migrants-left-destitute-in-italian-border-town, aufgerufen am 01.12.2022). Die Situation Geflüchteter dürfte sich durch den Wechsel zu der rechtsextremen Regierung unter Giorgia Meloni sogar noch verschärfen."

Dem schließt sich die erkennende Kammer nach eigener Prüfung der Erkenntnismittel in vollem Umfang an.

Die Kammer folgt nicht den Einschätzungen in dem "Gemeinsamen Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022". Der Bericht gelangt zu der Einschätzung, in Italien stünden für anerkannt schutzberechtigte Dublin-Rückkehrer ausreichend Unterbringungskapazitäten zur Verfügung (Seite 8). Dies begründen die Behörden damit, dass, selbst wenn eine Wiederaufnahme in einer staatlichen Einrichtung nach einer Einzelfallbewertung letztendlich nicht möglich sein sollte, diesen Personen ein umfassendes Angebot von Nichtregierungsorganisationen mit Unterstützungsangeboten und Hilfeleistung in Bezug auf die Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stehe (Seite 12). Aus den oben zitierten Erkenntnismitteln geht hervor, dass nicht sicher bestimmbar ist, wie viele Unterbringungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen und privaten Personen für Flüchtlinge in Italien tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Damit lässt sich das Risiko der Obdachlosigkeit für Personen, die aus dem staatlichen Unterbringungssystem für Flüchtlinge herausfallen nicht genau bestimmen. Genaue Zahlen nennt der gemeinsame Bericht nicht.

Zudem wird in dem Bericht ausgeführt: "Nach aktueller Erkenntnislage sind die Kapazitäten des italienischen Asylsystems für Asylantragsteller und anerkannt Schutzberechtigte nicht ausgelastet" (Seite 7). Dies ist jedoch in dem für das Gericht maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, am 21. März 2023, nicht mehr aktuell. Seit Anfang Dezember 2022 und damit nunmehr seit dreieinhalb Monaten, nehmen die italienischen Behörden mit der Begründung keine Personen im Rahmen der Rücküberstellungen nach Dublin III mehr auf, dass die Kapazitäten dies nicht zuließen. So teilte das italienische Innenministerium in seinem Schreiben vom 5. Dezember 2022 mit:

"This is to inform you that due to suddenly appeared technical reasons related to unavailability of reception facilities Member States are requested to temporarily suspend transfers to Italy from tomorrow, with the exception of cases of family reunification of unaccompanied minors."

In einem weiteren Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 7. Dezember 2022 heißt es:

"I write following the previous communication on 5th December, concerning the suspension of transfers, with the exception of cases of family reunification of minors, due to the unavailability of reception facilities.

At this regard, considering the high number of arrivals both at sea and land borders, this is to inform you about the need for a re-scheduling of the reception activities for third countries nationals, also taking into account the lack of available reception places."

Die Überstellungen nach Italien sind aktuell nicht wiederaufgenommen worden (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.3.2023, S. 2: "Das Dublin-System krankt. Italien weigert sich seit Monaten, Asylbewerber zurückzunehmen."). Es ist nicht absehbar, wann wieder Personen von Deutschland nach Italien überstellt werden können. Dies hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2023 bestätigt. Bei dieser Sachlage kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die Unterbringungsmöglichkeiten für rücküberstellte Schutzberechtigte in Italien nur vorübergehend überlastet wären (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.3.2023 - 11 A 252/23.A -, juris Rn. 34; VG Arnsberg, Urt. v. 24.1.2023 - 2 K 2991/22.A -, Asylmagazin 2023, 65 (Ls.) = juris Rn. 55 ff).

Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig ist, ob das Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss besteht (EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-163/17 -, ABl. EU 2019, Nr. C 187, 7 = juris Rn. 88).

Soweit das Verwaltungsgericht des Saarlandes (Urt. v. 1.2.2023 - 3 K 1141/22 -, juris Rn. 35 ff) der Auffassung ist, die Lebensbedingungen von Personen mit zuerkanntem Schutzstatus in Italien seien ausreichend, folgt die Kammer dem ebenfalls nicht. Das Gericht argumentiert, anerkannt Schutzberechtigte hätten keinen Anspruch darauf, besser gestellt zu werden, als inländische Staatsangehörige (Rn. 48). Es geht aber nicht um eine Besserstellung, sondern darum, dass der italienische Staat verpflichtet ist, die unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Mindeststandards einzuhalten. Zu diesen Mindeststandards gehört nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH der Schutz vor Obdachlosigkeit.

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist indes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Italien obdachlos würde, was nach der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH, des BVerwG und des EGMR eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh darstellte. Zunächst droht dem Kläger die ernsthafte Gefahr, nicht unverzüglich nach der Überstellung einer angemessenen Unterkunft zugewiesen zu werden, da nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ein ernstzunehmendes Risiko besteht, dass Schutzberechtigte nicht unmittelbar nach ihrer Ankunft eine angemessene Unterbringung erhalten, welches nicht durch die theoretische Möglichkeit, Unterstützung von karitativen Einrichtungen zu erhalten oder in Behelfssiedlungen unterzukommen, ausreichend abgemildert werden kann. Vielmehr kann weder für Dublin-Rückkehrer noch für anerkannt Schutzberechtigte angenommen werden, dass eine angemessene und unverzügliche Unterbringung sicher erfolgt. Gegenteilige Anhaltspunkte, die eine andere Einschätzung rechtfertigen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine entsprechende Zusicherung der italienischen Behörden, den Kläger entsprechend angemessen in Italien unterzubringen, liegt nicht vor.

Angesichts der sich aus diesen Erkenntnissen und Informationen ergebenden derzeitigen Arbeitsmarktsituation und Wirtschaftslage in Italien ist es zudem beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in Italien keine Arbeit finden würde. Bei einer Arbeitslosenquote von ca. 10 %, einer mit 33,7 % deutlich darüber liegenden Jugendarbeitslosigkeit und der zurzeit (noch) herrschenden prekären Beschäftigungssituation im Dienstleistungs-, insbesondere im Hotel- und Gaststättengewerbe, erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger in einem überschaubaren Zeitraum im Anschluss an eine Rückkehr nach Italien eine Arbeit findet, die es ihm gestattet, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Da die Entscheidungen in Ziffer 2., 3., 4. und 5. des angegriffenen Bescheides auf der rechtswidrigen und aufzuhebenden Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. beruhen, sind diese ebenfalls rechtswidrig und aufzuheben. Die Beklagte hat das Asylverfahren fortzusetzen.

Da der Hauptantrag Erfolg hat, ist über die Hilfsanträge nicht mehr zu entscheiden.